Zur Geschichte der evangelischen Kirche zu Klein-Gaffron
Oskar Hoffmann (1900-1975), LHB 5-7/1959
Meine Mutter, in Queißen geboren, in Klein-Gaffron getauft, konfirmiert und getraut, hat uns schon als kleine Kinder bei Besuchen in das altehrwürdige Kirchlein mitgenommen. Nie vergesse ich den anheimelnden ersten Eindruck, den das Gotteshaus auf mich kleinen Kerl machte, der zum ersten Male in einer fremden Kirche am Gottesdienst teilnahm. Mutter kannte die Kirchleute alle und war bei allen bekannt, und wir Kinder hatten Anteil und Vorteil davon. Denn "nach der Kirche", ehe wir durchs "Heidel" nach Queißen zurückgingen, wurden erst noch ein paar Besuche gemacht. Welche Freundlichkeit und Innigkeit lag darüber, noch nicht die Hast und Eile der Jetztzeit! Und im Park jubilierten die Vögel, die Sonne schien, wenn plaudernde Gruppen dann heimwärts pilgerten. Da war es Sonntag im Herzen.
Ein anderes, ein düsteres Bild: Mitte Februar 1915, inzwischen war ich Präparand in Liegnitz geworden, trug ein Wagen von Nachbar Koslitz den schlichten Sarg mit den sterblichen Überresten der geliebten Großmutter Fellgiebel auf holprigem, hartgefrorenem und verschneitem Wege zum Friedhof nach Klein-Gaffron. Es war der erste einschneidende Verlust, den ich erlitt. Ohne Großmutter konnte ich mir die Besuche in Queißen gar nicht vorstellen. Lang, schmerzhaft und tränenreich war darum der Weg damals, und arm und leer der Rückweg inmitten der vielen Trauergäste. Später haben wir stets bei Kirchgängen die Grabstätten besucht und - wie es damals alle übten - still für die Entschlafenen gebetet.
Als junge Leute, nach dem 1. Weltkrieg also, haben wir hin und wieder zu Rade "Kirchfahrten" von Gramschütz nach Klein-Gaffron unternommen. Unvergessen, ein kostbarer Besitz sind diese Sonntagmorgen voll Sonne und Stille und Vogelsang! Wo gibt es das heute noch? Das mitgenommene Gesangbuch war die einzige Last. So leicht radelten wir dann in Gesellschaft durch Rettkau und Friedrichsdorf über die "Heidemühle" zum Gottesdienst nach Klein-Gaffron. Welche Wiedersehensfreude! Denn die "Queeßner" waren selbstverständlich auch zur Stelle! Nach gemeinsamem Heimweg und Mittagessen "ei Queeßen" ging's wieder heim.
Diese sonntäglichen Kirchenbesuche hatten in mir - unsere Zeit stand noch unter romantischen Vorzeichen, und vielleicht ist unsere Generation die letzte derart gesegnete! - den Wunsch aufkommen lassen, die Traukirche der Eltern auch zur meinen zu wählen. Ich dachte an eine Leiterwagenfahrt unter frohen Gästen, an Sonne und Jubelgetön der Waldergötzerlein, an einen Sommersonntag. Es ist mir heute noch, als hätte ich durch diese Unterlassung etwas von bleibendem Wert unwiederbringlich verpaßt. Denn es kam anders. "Die meine werden sollt", wurde mir an einem Maientage in meiner Tauf- und Konfirmationskirche in Gramschütz angetraut.
Die Reihe der Bilder, die in jedem Leser Leben gewinnt, wenn er nur an Klein-Gaffron denkt, soweit es seine Heimat war, soll nun durch eine kurzgefaßte Chronik der evangelischen Kirche zu Klein-Gaffron untermauert und gekrönt werden. Hermann Hahn (Jüderei) hat sie uns dankenswerterweise geschenkt. So sei sie allen, die Klein-Gaffron und sein Kirchlein kennen und lieben, unverändert überliefert:
"Die Geschichte der evangelischen Kirche zu Klein-Gaffron beinhaltet das kirchliche Leben der Evangelischen des Kreises Glogau aus den Dörfern Kreidelwitz, Friedrichsdorf, Groß-Gräditz und Porschütz in gleicher Weise wie das der Evangelischen des Alt-Kreises Steinau a. d. Oder aus Klein- und Groß-Gaffron, Beitkau, Jüderei und Queißen mit Bahnhof Raudten. In ihrem älteren Teile erstreckt sich die Chronik zudem auf die kirchliche Betreuung der Evangelischen aus Gramschütz, Rettkau, Bautsch, Priedemost, Rietschütz, Schabitzen und Simbsen.
Die Anfänge der evangelischen Kirche zu Klein-Gaffron gehen zurück auf eine Privatkapelle. Wladislaus von Niebelschütz, Erb-, Lehns- und Gerichtsherr der Güter von Gaffron, Rietschütz und Schabitzen, hatte von Kaiser Rudolf II. die Erlaubnis erlangt, einen Prädikanten reformierten Bekenntnisses als Prediger anzustellen. Bei seiner Familiengruft auf dem Friedhof in Klein-Gaffron ließ Herr von Niebelschütz nunmehr eine kleine massive Kapelle errichten, die spätere Turmhalle unserer Kirche. Am Sonntag Laetare 1602 wurde die Kapelle geweiht. Der erste Pastor hieß Pauli.
Die zur späteren Kirchengemeinde Klein-Gaffron eingepfarrten Orte gehörten zu den alten katholischen Kirchen in Hochkirch, Kreidelwitz, Queißen. Die Kapelle in Klein-Gaffron war so ein Privatgotteshaus für die Gutsherrschaft und die Gutsleute. Nach einem uns überlieferten Bericht des katholischen Pfarrers Marius aus Queißen hat die Gaffroner herrschaftliche Kapelle unter den Drangsalen des Dreißigjährigen Krieges "desolat und wüst" gelegen.
Nach dem großen Kriege erwarb die Gaffroner Kapelle der ehemalige schwedische Major Melchior von Spiegel. Er ließ die Kapelle wieder instandsetzen. Sie sollte nun nicht allein Schloßkapelle bleiben, sondern den Evangelischen der Umgebung als Gotteshaus dienen. Als 1654 im Fürstentum Glogau den Evangelischen ihre Kirchen genommen wurden, kam Pastor Salomon aus dem benachbarten Simbsen als Pastor nach Klein-Gaffron. Die Evangelischen aus dem südlichen Teil des angrenzenden Fürstentums Glogau hielten sich nun auch von weither zu der unmittelbar an der Grenze stehenden Kirche in Klein-Gaffron. Im ältesten Kirchenbuch unserer Kirche waren viele Taufen und Trauungen aus Gramschütz, Rettkau, Bautsch, Priedemost, vor allem aber aus Simbsen - von wo ja Pastor Salomon gekommen war - eingetragen. Auch die Evangelischen aus Raudten hielten sich zu ihr, nachdem ihnen von 1700 bis 1707 auch noch die kleine, 1639 errichtete Begräbniskirche verschlossen worden war, die ihnen nach der 1694 erfolgten Versiegelung der großen Stadtkirche noch verblieben war. Mit Rücksicht auf dieses starke Anwachsen der Kirchgemeinde wurde das Gotteshaus in Klein-Gaffron durch "Anschleppen und Schuppen" mehr und mehr erweitert. Schließlich erwirkte Karl XII. von Schweden in der Konvention von Altranstädt am 31. August 1707 den schlesischen Protestanten freie Religionsausübung. Die am 25. November 1704 wieder geöffneten und zugleich katholisch geweihten beiden Kirchen in Raudten blieben bis zum 18. Dezember 1707 in katholischen Händen. Als sich nach dem Einrücken Friedrichs des Großen in Schlesien von 1740 an die Glaubensfreiheit überall durchsetzte, erhielten die Evangelischen des Kreises Glogau auch in Gramschütz eine Kirche. Ihre Weihe fand am 1. Advent 1744 statt. In Gramschütz wurde vor dem Kirchenbau in einer Reitbahn Gottesdienst gehalten. Aus dem Kreise Glogau verblieben fortan Kreidelwitz mit Friedrichsdorf, Groß-Gräditz und Porschütz bei der Kirchgemeinde Klein-Gaffron. Die Dominien Kreidelwitz und Groß-Gräditz gehörten bis dahin als Gäste zum Kirchspiel Raudten. Vom Altkreis Steinau (Oder) gehörten weiterhin zur Gaffroner Kirchgemeinde Klein- und Groß-Gaffron mit Beitkau und Jüderei, sowie Queißen mit dem Bahnhof Raudten, der am 9. Januar 1871 an der Strecke Liegnitz-Glogau errichtet und dem Verkehr übergeben worden war.
Das Kirchengebäude war so baufällig geworden, daß eine Instandsetzung nicht mehr ratsam erschien. 1784 ließ ihr Patron die Kirche auf dem gleichen Platze in Klein-Gaffron neu erbauen. Die alte Gruftkapelle blieb als Turmhalle erhalten. Der Bau wurde so gefördert, daß am 4. Advent, 19. Dezember 1784, bereits die Einweihung stattfinden konnte. Der Hauptgang der Kirche ist zum Teil mit den Grabsteinen der Patronatsherrschaften belegt. Ein wertvolles Epitaphium einer früh verstorbenen Frau von Schweinichen, geborene von Czettritz, vom Jahre 1690 schmückte - bis 1945 wohlerhalten - die Turmhalle. Die Kosten für den Neubau der Kirche hatte der Patron in der Hauptsache allein bestritten. Eine Haus- und Kirchenkollekte in der Provinz hatte 119 Reichstaler erbracht.
Die alte Orgel der Kirche versagte längst ihrem Meister, dem sehr angesehenen Kantor Piesnack, ihren Wohlklang. Dieser hatte vom 1. Oktober 1898 bis zu seiner Pensionierung am 1. April 1931 treu seinen Dienst erfüllt. Drum stiftete die damalige Patronin, Freifrau von Kramsta, kurz vor ihrem 1905 erfolgten Ableben eine neue Orgel. Sie war ein Werk des Orgelbauers Heinze aus Sorau (Lausitz) und hatte zwei Manuale. (s. auch die Information über den Entwurf des neuen Orgelgehäuses der Kirche im Bericht des Provinzial-Konservators von 1905. H. T.) Ihre Weihe vollzog Pastor Ueberfeld, der über mehrere Generationen hier ein recht strenges Kirchenregiment geführt hat, bis er 1910 in den Ruhestand trat.
Von den drei alten Glocken wurden zwei 1917 dem Weltkrieg geopfert. Pastor Frenzel, der in Nachfolge von Pastor Berndt bei Kriegsende nach Klein-Gaffron gekommen war, rief unmittelbar nach der Geldinflation die Kirchengemeinde zur Spende der Geldmittel für drei neue Bronze-Glocken auf. Den großen Gütern schrieb er - freundlichst werbend - gewissermaßen die Spendenhöhe vor. Das Geld wurde von allen Gemeindemitgliedern freudig gegeben, so daß sehr bald die feierliche Einholung der neuen Glocken - umrahmt vom Jungmädchenbund - stattfinden konnte. Die Glockenweihe konnte am Erntedankfest, dem 4. Oktober 1925, gefeiert werden. Unter Pastor Zeuke, dem wir einen Auszug aus der Chronik der Kirche verdanken, den der letzte Superintendent des Kirchenkreises Steinau (Oder), Gawel, gerettet hat, wurde im September 1930 das schadhafte Kirchendach neu gedeckt. Der schlichte Fachwerkbau des Gotteshauses erhielt einen ihn schützenden Außenputz.
Dem letzten Geistlichen der Kirchengemeinde, Pastor Beer, war es nur kurze Zeit vergönnt, sein Amt in Klein-Gaffron auszuüben. Zum Kriegsdienst mit der Waffe einberufen, mußte er sein junges Leben wie viele Söhne und Familienväter der Gemeinde im 2. Weltkriege lassen. Mit seiner Familie trauerte die ganze Kirchgemeinde, als Superintendent Gawel an dem Altar, an dem Pastor Beer noch lange und gern Gottes Wort verkündet hätte, die Trauerandacht für ihn hielt. So war das Pastorat fast während des ganzen 2. Weltkrieges unbesetzt und wurde vertretungsweise durch die Pastoren der Nachbargemeinden - vornehmlich durch Pastor Meißner aus Raudten - betreut. Zwei der neuen Glocken wurden nach Hamburg verbracht. Über ihr Schicksal konnte nichts festgestellt werden.
Unsere Kirche, von den zahlreichen Gräbern unserer lieben Verstorbenen umlagert, verließen wir im Juni 1945 zum letzten Male. Im Februar 1945 hatten wir noch eine Reihe gefallener deutscher Soldaten am Denkmal der Gefallenen des 1. Weltkrieges, westlich der Turmhalle, hinzugebettet. Sie hatten Klein-Gaffron vom 27. Januar bis zum 9. Februar 1945 verteidigt. Die hölzerne Turmspitze war bei den schweren Kämpfen zerschossen worden. An ihren letzten Verbindungen hängend, neigte sie ihre Wetterfahne den Gräbern zu und zeigte bis zuletzt den noch aus der österreichischen Zeit stammenden Doppeladler.
Der Kirchhof diente als Begräbnisstätte für die gesamte Parochie mit Ausnahme von Kreidelwitz. Vor dem 2. Weltkriege zählte die Kirchgemeinde aus Klein- und Groß-Gaffron mit Beitkau und Jüderei 340, aus Queißen mit Bahnhof Raudten 240, aus Kreidelwitz mit Friedrichsdorf 470, aus Groß-Gräditz 101 und aus Porschütz 109 Evangelische. Neben diesen 1260 Evangelischen lebten in den Dörfern des Kirchspiels ca. 900 Katholiken."
Hermann Hahn, Jüderei/Gemeinde Gaffron
Verwahren wir diese Chronik gut in Herz und Schrein, daß sie auch unseren Kindern erhalten bleibe! Die eingestreuten Aufnahmen wollen das Einprägen unterstützen. Hast du noch den traulichen Ton des Geläutes von Klein-Gaffron im Ohr, das dich einst so eindringlich zum Gotteshause rief und dem du so gern folgtest? Halte ihn fest! Und laß dich auch in der neuen Heimat von Glockenmund rufen und mahnen:
Mein Ton und Klang ist mein Gesang.
Hör, Menschenkind, dich hierher find'
zum Gotteshaus. Bleib nicht lang aus.
Hier find'st du Gnad'; dort ist's zu spat.
Anno 1652
Oskar Hoffmann, Varel