|
"Gaffron besteht aus den drei Rittergütern Groß- und Klein-Graffron und Beitkau, zusammen circa 4000 Morgen, davon sind 2000 Morgen Acker, 1400 Morgen Forst, 300 Wiesen usw. Gaffron war früher im Besitz der Familie von Niebelschitz, dann der von Schweinichen, - unter denen das jetzige Schloss erbaut ist. Von 1780 bis 1834 gehörte es den Grafen von Schönaich-Carolath, dann dem Medizinalrath Ebers und dem Hauptmann von Loeper. Von letzterem kaufte es im Jahre 1867 der jetzige Besitzer Conrad Freiherr von der Reck." Aus dem Text zur Farblithographie.
Nordseite des Schlosses
Ostseite des Schlosses
Aquarell von der Westseite des Schlosses.
Veröffentlicht in LHB 4/2005, leider ohne Künstlernamen. Wer kann den Namen des Schöpfers mitteilen?
|
Geschichte eines schlesischen Tagebuches
Kriegswinter 1945. Die 4. deutsche Panzerarmee ist bei Glogau von den Russen fast völlig eingekesselt. Anfang Februar zieht sich eine Truppe von Flaksoldaten in das Schloßgut "Klein Gaffron" zurück. Einer von ihnen ist mein Vater.
Nach den Strapazen dieses Tages bekommt er an diesem Abend einen Raum im oberen Stockwerk des Herrensitzes aus dem 16. Jahrhundert zugewiesen.
Ein seltener Vorzug. Es ist ein Mädchenzimmer mit Blick zum Park, auf riesige alte Eichen. Die Bewohner sind erst vor wenigen Tagen geflohen, in den Ställen brüllt das Vieh vor Hunger. Während sich mein Vater in seiner vornehmen Unterkunft umsieht, findet er ein Tagebuch. Er schlägt die Seiten auf und liest. Vor ihm liegen die Gedanken und Gefühle eines Mädchens. Obwohl für Sentimentalitäten in diesen Tagen wenig Zeit bleibt, berühren ihn die Worte. Er stellt sich vor, wie sie wohl ausgesehen haben möge und wie es wäre, wenn das Mädchen plötzlich in das Zimmer treten würde. Überall in dem großen Schloß herrscht Ordnung, so als seien die Bewohner nur für einige Tage in die Ferien gefahren. Doch mein Vater weiß, daß niemand mehr hierher zurückkehren würde. Zu nahe waren die feindlichen Truppen schon herangerückt...
Er nimmt das Tagebuch, ein paar persönliche Briefe und einen Silberlöffel mit eingravierten Initialen zu sich. Irgendwann einmal könnte er vielleicht alles der Besitzerin persönlich übergeben? Dann, nach drei Tagen, kommt der überstürzte Aufbruch. Es bleibt kaum noch Zeit, die Russen stehen kurz vor "Klein Gaffron".
Juli 1995. In einer großen Privatbrauerei der fränkischen Stadt Schweinfurt prüft das Finanzamt. Während mein Vater die Betriebsbücher durchsieht, begegnet er der Frau des Firmeninhabers. Sie kommen ins Gespräch. "Ihrem Dialekt nach zu urteilen, stammen Sie nicht aus Bayern,", stellt mein Vater fest. "Nein, ich bin Schlesierin und in der Nähe von Glogau geboren," antwortet die etwa 60jährige Frau. Beide sprechen sie über die letzten Kriegstage in Schlesien und mein Vater erzählt, daß er damals als junger Soldat eine Nacht in der Nähe von Glogau verbracht hatte. Irgendwann fällt auch der Name "Klein Gaffron". Plötzlich herrscht Schweigen. Die Frau wird kreidebleich, scheint für einen Moment zu wanken. "Wo waren Sie?" fragt sie. Mein Vater wiederholt: "Im Schloßgut Klein Gaffron." Er beginnt zu beschreiben. Still hört ihm die Frau zu, plötzlich treten Tränen in ihre Augen. Sie ist das Mädchen aus dem Zimmer mit dem Blick zum Park! Sie, die ehemalige Praktikantin vom Gutshof, Frau Knotz, und mein Vater wagen es kaum zu glauben. Seit 50 Jahren leben sie in der gleichen Stadt, ohne voneinander gewußt zu haben. Nach 50 Jahren kramt mein Vater das Tagebuch, die Briefe und den Silberlöffel hervor.
Er erzählt der Frau, daß seine Tochter jetzt nahe der polnischen Grenze arbeitet und beide bitten mich herauszufinden, ob es "Klein Gaffron" bei Glogau noch gibt. So mache ich mich auf die Suche. Tagelang durchstreife ich diese Region und stelle immer wieder die gleichen Fragen. Niemand scheint weder den Ort noch das Schloß zu kennen. Auch auf der Landkarte finde ich den Namen "Klein Gaffron" nicht. Doch dann hilft der Zufall. Ich treffe eine alte Schlesierin. Nach dem Krieg hat sie einen Polen geheiratet und sie kennt "Klein Gaffron". "Meine Mutter hat in dem Gut gearbeitet", erzählt sie, "dort muß alles sehr elegant gewesen sein! Es liegt nur einige Kilometer von hier entfernt!" Die Frau beschreibt mir den Weg.
Aufgeregt fahre ich durch die endlos weite Landschaft. Zuckerrübenfelder lösen sich mit Kiefernschlägen ab. Hinter jeder Biegung vermute ich ein prächtiges Schloß mit vier Türmen, so wie es mir mein Vater beschrieben hatte. Dann wird die kleine Straße enger und von Alleebäumen gesäumt. Sie führt schnurgerade auf eine Ansiedlung zu. Plötzlich erkenne ich das Ortsschild. Etwas verborgen und schief steht es da. "Gawrony Małe" steht darauf. "Klein Gaffron!"
Ich war angekommen! Meine Spannung wächst. Ich fahre an einer Reihe von einfachen Häusern vorbei. Überall sehen mir die Bewohner verwundert nach. Dann ein großer verwilderter Park, mit riesigen Bäumen und einem verfallenen Tor. "Wo ist das Schloß, "frage ich mich, "wo ist das Zimmer?". Die Enttäuschung ist groß! Außer einem überwucherten Steinhaufen ist nichts mehr übrig. Das Schloß "Klein Gaffron" gibt es nicht mehr. Eine alte Frau kann sich noch erinnern, wie russische Soldaten wertvolles Porzellan und wunderschönes Mobiliar aus den Fenstern geworfen und alles verbrannt haben. "Danach haben sie den ganzen Palast eingeschoben," sagt sie. Ich treibe noch ein altes Foto auf. Zusammen mit einem Stein aus dem Haufen schenke ich es meinem Vater. Frau Knoth, die damalige Praktikantin und Bewohnerin des Zimmers mit Blick zum Park, erfährt nicht mehr, wie es um "Klein Gaffron" steht...
Renate Heidner, Lübener Heimatblatt 5/1999
|
|