Erinnerungen eines Jägers
Ortsteil Vorderheide der Gemeinde Neurode














Eine heitere Geschichte aus vergangenen Tagen

Früher schilderte ich im "Liegnitzer Tageblatt" oft den Verlauf unserer damaligen Jagden, Pirsch und Wanderungen in unserer Niederschlesischen Heide und die Beobachtungen des Wildes je nach der Jahreszeit. Heute will ich mich meinen Heimatfreunden mit einer heiteren Geschichte, die viele meiner Jagdfreunde miterlebt haben, in Erinnerung bringen.

Es war an einem schönen Herbsttag kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Im "Kaffee Erika" in Vorderheide hatten sich nach einer Treibjagd eine Anzahl Jäger zu einem frohen Umtrunk versammelt. Die Hunde hatten von dem reichlichen Spätfrühstück auch ihren Teil bekommen und tollten im Garten. Als es dann soweit war, daß die durstigen Kehlen der Jäger genügend angefeuchtet waren, kam das Gespräch auf die Treffer des Tages. Vor allem auf den Spürsinn der Hunde.

Kaffee Erika in Vorderheide

Gelogen wurde dabei, daß sich die Balken an der Zimmerdecke im "Erika" bogen. Die Schäden sollen heute noch zu sehen sein. Am Nebentisch saß der alte Bauer Titze aus Mühlrädlitz. Seine Kiepe stand leer in der Ecke. Er hatte morgens Butter und Eier nach dem Liegnitzer Markt gebracht und genehmigte sich nun vor dem Heimmarsch eine guten Schoppen. Titze war in seiner Heimatgemeinde als derber Spaßmacher wohlbekannt. Als nun die Jäger so recht in Fahrt waren mit den Vorzügen ihrer Hunde, wurde es auch Titze warm. Er kam an den Tisch heran und sagte, daß er einen Hund habe, der alle Hunde der Jäger an Spürsinn weit übertreffe.

Es gab natürlich ein großes Hallo und allgemeinen Widerspruch. Aber der alte Titze hatte doch Interesse erweckt und man lud ihn ein, seine Geschichte zu erzählen. Ein frischer Schoppen wurde auch für ihn spendiert und Titze erzählte, nicht ohne vorher zu versichern, daß alles wirklich wahr sei.

"Also", begann er mit todernster Miene, "gehe ich neulich an einem Sonntagmorgen mit meinem Hund im Mühlrädlitzer Wald spazieren. Plötzlich bleibt er stehen und kratzt am Boden. Ich will weitergehen, aber mein Hund hält mich am Hosenbein fest. Sofort begann er wieder, mit den Pfoten die Erde aufzuwühlen. Schließlich hatte er ein Loch gekratzt, in dem er fast ganz verschwand. Auf einmal bellte der Hund laut auf, sprang aus dem Loch und hatte eine große Scherbe im Fang. Und wissen Sie, was auf der Scherbe war? Ein Hase war darauf abgebildet, und das hat mein Hund gerochen!"

Lautes Gelächter der Jäger belohnte Titze. Der Bauer tat beleidigt; er faßte das Lachen als Zweifel an seiner Erzählung auf. Aber die Jäger beruhigten ihn mit der Versicherung, daß sie jedes Wort geglaubt hätten.

"Aber nicht nur mein Hund", fuhr Titze fort, "wäre eine Zierde für jeden Jägersmann geworden, auch ich hätte mit meinen scharfen Augen jede Wildspur entdeckt.'' Die Jäger witterten eine neue Aufschneiderei und einige riefen: "Erzähle, Titze!" Nachdem ein weiterer frischer Schoppen vor ihm stand, begann er: "Ich stehe eines Tages auf dem Dach meines Wohnhauses, um eine schadhafte Stelle auszubessern, und halte Umschau. Da sehe ich auf dem Weg nach Krummlinde etwas blinken. Nun sehe ich genauer hin und entdecke dort ein altes silbernes 20-Pfennig-Stück mit der Jahreszahl 1875 darauf."

Schallendes Gelächter belohnte die neue Geschichte. Die Balken an der Decke in der "Erika" bogen sich bedenklich, aber das Bäuerlein war der Held des Tages. Dagegen waren sie mit ihrem bißchen Jägerlatein doch reine Waisenknaben. Titze wurde sehr gefeiert; alle stießen mit ihm an, und hoch stiegen die Wogen der Fröhlichkeit. Manches Glas wurde auf das Wohl des Aufschneiders geleert.

Titze hielt wacker mit, aber die harten Fünfmarkstücke in seiner Tasche, der Erlös für Butter und Eier wurden nicht weniger, denn seine neuen Freunde im grünen Rock bezahlten seine Zeche. Als er dann in vorgerückter Stunde seine Kiepe umhängte, schwankte er doch bedenklich. Beim Abschied versicherte er den Jägern noch einmal, daß alles, was er erzählt habe, wirklich wahr sei. Man könne sogar seine Frau fragen, die sei jedesmal dabei gewesen. Die Jäger verzichteten aber auf dieses Beweismittel. Den Titze aber lud man mit seinem Hunde zur nächsten Treibjagd ein; vielleicht, daß sein scharfes Auge und die Findigkeit seines Hundes dabei von Nutzen sein könnten…

Curt Lorenz (1924-1986), Kotzenau, in LHB 2/1953

Nach der Jagd
Gustav Bendix aus Groß-Krichen und Oswald Reichstein aus Lüben