Kotzenauer Wappen
Marienhütte Kotzenau
Kotzenau
















Marienhütte Kotzenau mit Dank an Max Michael Viol

Die Marienhütte

1854 wurde die Marienhütte gegründet. Es zeigte sich jedoch leider sehr bald, daß der erwartete Anfall an Eisenerzen in der Umgebung nicht so groß wie erwartet war und auch die Qualität nicht die erhoffte Güte aufwies. Aus diesem Grunde ging man dazu über, schwedische Erze zu verarbeiten. Durch das Fehlen einer Bahnverbindung entstanden zunächst neue Schwierigkeiten. Das Material und die Fertigwaren wurden zum Oderhafen nach Glogau gebracht. Erst 1890 wurde die Bahn Reisicht-Waltersdorf gebaut. Die Verhältnisse wurden besser, die Hütte wuchs und es wurden durchschnittlich bis zu 1200 Arbeitskräfte beschäftigt. Da die Hütte u. a. auch Gewichte herstellte, kam das Eichamt nach Kotzenau. Die Industrialisierung Kotzenaus brachte dem Ort einen finanziellen Aufschwung und der Gemeinde einen beträchtlichen Gewinn. So wurde es auch möglich, daß die Straßen gepflastert, Kanalisation und Wasserleitung angelegt werden konnten. Das allgemeine Wirtschaftsleben belebte sich, es wurden neue Geschäfte eröffnet, Häuser gebaut. Kotzenau erlebte viele Jahre einen Wohlstand. Das sollte aber leider nicht so bleiben. 1930 machte der allgemeine wirtschaftliche Niedergang auch vor der Marienhütte keinen Halt. Das Werk wurde geschlossen und es hatte den Anschein, als ob Kotzenau wirklich wieder in einen Dornröschenschlaf versinken sollte. Die Fachkräfte verließen den Ort, um sich neue Existenzen zu suchen.

Die ersten Versuche, in den großen Hallen wieder einen Betrieb unterzubringen, mißlangen. Schließlich verkaufte man das Gelände an zwei Firmen. So übernahm 1933/34 die Fa. Wagner & Co. (Warmbrunn) die größten Räume. Hier wurden die großen Glättezylinder für Maschinen zur Papierherstellung gegossen. Der größte Zylinder hatte einen Durchmesser von 5,40 m und eine Höhe von 4,50 m. Für den Bau der Formen für solche großen Stücke konnte nur gut ausgebildetes, erfahrenes Personal eingesetzt werden. Wenn ein solcher Riese auf einem Spezialwagen der Reichsbahn dann auf der Straße über Lüben nach Steinau zur Oder gefahren wurde, so war dies jedesmal ein Erlebnis für alle, die es sahen.

Die meisten Maschinen wurden nach Rußland und Indien geliefert. In den übrigen Hallen, die von der Fa. Schrottke, Haynau, übernommen worden waren, fertigte man "Schrottke-Anhänger".

* Zwei Arbeitslager kamen vor dem Kriege nach Kotzenau.

Während des Krieges nahmen aus dem Reich verlagerte Betriebe in der Hütte ihre Arbeit auf. Die Einwohnerzahl stieg bis 1944 auf 7500. Damit entstand eine neue Belebung der Stadt. Sehr bald wurden neue Häuser gebaut.

Lehrer Willy Metze (1888-1961), in LHB 5/1955



* Erst der Gästebuch-Eintrag von Rudolf A. Haunschmied lässt vermuten, dass dieser Satz ein Hinweis auf die Existenz von Arbeitslagern für jüdische Zwangsarbeiter bei Kotzenau und Raupenau ist. Was wusste man? Warum auch zehn Jahre danach keine offenes Wort, keine Anklagen, keine Empörung? Warum nie die Wahrheit darüber im LHB?

Produktpalette der Marienhütte um 1900

Reklame der Marienhütte


Marienhütte Kotzenau

Eisenhüttenwerk Marienhütte AG, vorm. Schlittgen & Haase

Das Werk "Marienhütte" Kotzenau wurde ungefähr um 1850 von einem Herrn von Redern gegründet, und zwar zum Zwecke der Ausbeutung des in der dortigen Heidelandschaft vorkommenden Raseneisenerzes. Dieses abgegrabene Raseneisenerz wurde in großen Kupolöfen geschmolzen und dann in sogenannte Riffeln gegossen und dem oberschlesischen und schwedischen Eisenerz beim Schmelzprozeß beigefügt.

In den 1870er Jahren kaufte Kommerzienrat Anton Gustav Schlittge das Werk. Nach seinem Tod, nachdem sein Teilhaber Kaufmann Haase ausgeschieden war, wurde das Werk in eine Aktien-Gesellschaft umgewandelt. Der Sohn des Kommerzienrates Schlittgen, Major von Schlittgen, wurde Generaldirektor.

Das Werk Kotzenau besaß große Gießereien, in denen vor allen Dingen Abflußrohre und Kanalisationsartikel, wie Kanaldeckel, Schieber u. ä. hergestellt wurden. Weiter wurden Sanitätsutensilien, gußeiserne Töpfe, Bratpfannen, Tiegel, Ofenwannen und allerlei Haushaltsgebrauchsgegenstände angefertigt und in den vorbildlichen Emaillewerken mit einer hervorragenden Emaille versehen. Als Hauptartikel wurden emaillierte Badewannen hergestellt, die nach England und Rumänien ausgeführt wurden. Das Werk besaß eine große Kesselschmiede zur Anfertigung größerer Behälter, Boiler und Benzinbehälter, sowie ein eigenes Elektrizitätswerk und eigenen Bahnanschluß.

Die Belegschaft bestand aus ca. 75 Angestellten und etwa 1400 Arbeitern. Da das Werk Kotzenau im Jahre 1931 nur noch Abflußrohre herstellte und infolge des Umsatzrückganges und der Absatzstockung sich nicht mehr als rentabel erwies, wurde es trotz seiner im April 1927 vorgenommenen Verschmelzung mit der Wilhelmshütte A. G. für Maschinenbau und Eisengießerei in Sprottau-Wilhelmshütte unter der neuen Firma "Eisen- und Emaillierwerke Aktien-Gesellschaft" mit Sitz in Sprottau (Schles.) stillgelegt. Der letzte Abstich erfolgte Ende März 1931.

Generaldirektoren waren außer dem bereits erwähnten Major von Schlittgen, die Herren Ing. Carl Hillenberg, Dipl.-lng. Wolfgang Zöller, die Direktoren Reinhard Haase, Arthur Brauner und Leopold Fernis. Außerdem leiteten das Werk noch eine Anzahl Prokuristen und Handelsbevollmächtigte.

An sozialen Einrichtungen verfügte das Werk über eine eigene Hüttenfeuerwehr, ein großes Lehrlingsheim, besonders zur Ausbildung von Formerlehrlingen, weiter über eine Badeanstalt und eine eigene Hüttenkrankenkasse mit eigener ärztlicher Betreuung durch einen Hüttenarzt. In einer gut eingerichteten Kantine konnten Arbeiter und Lehrlinge ihre Mahlzeiten einnehmen.

Außer dem Hauptwerk Kotzenau bestand noch das Nebenwerk "Eisenhüttenwerk Marienhütte, Mallmitz, Kreis Sprottau", in dem emaillierte Blechgeschirre, Bäcker- und Fleischereimaschinen, Milchkannen, Pumpen, Wagenbuchsen, Uhrgewichte, Gartenmöbel, Gartenzäune, Friedhofskreuze, Absperrketten u. a. angefertigt wurden. Auch dieses Werk wurde wegen Unrentabilität stillgelegt.

Fritz Kupfermann (1872-1953), Abteilungsleiter in der Marienhütte, Vorstandsmitglied im Turnverein,
in LHB 10/1953

Kotzenau Hütten-Colonie

Kotzenau Hütten-Colonie

Koloniestraße (Wohnsiedlung der Hüttenarbeiter)

Koloniestraße (Wohnsiedlung der Hüttenarbeiter)

Koloniestraße (Wohnsiedlung der Hüttenarbeiter)

Koloniestraße (Wohnsiedlung der Hüttenarbeiter)

Lehrlingsheim der Marienhütte 1911

Lehrlingsheim der Marienhütte 1911



Kotzenauer Stadtblatt vom 21. August 1931:
1. Die Marienhütte Kotzenau wird stillgelegt!

Nachdem bis zur letzten Stunde immer noch mit einem gnädigen Geschick gerechnet wurde, wird nunmehr bekannt, daß anläßlich der Aufsichtsratssitzung der Eisen- und Emaillierwerke Aktiengesellschaft Sprottau der Beschluß der Stillegung der Marienhütte tatsächlich gefaßt wurde. Bereits gestern gegen Abend durchlief diese niederschmetternde Nachricht wie ein Lauffeuer unseren Ort. Man bedenke, daß dieses Werk, das nunmehr infolge der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse heute ebenfalls seine Tore schließen muß, seit 80 Jahren mit dem Ort innigst verbunden ist. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben hatte sich vollkommen auf die Marienhütte eingestellt, so daß das Eingehen dieses Industriezweiges einen ungeheuren Rückschritt für die Stadt bedeutet, dessen Auswirkungen sich in kürzester Zeit bemerkbar machen werden und von dessen Tragweite man sich heute noch gar keine Vorstellungen machen kann.

Über den Termin der Stillegung konnten wir nähere Angaben nicht erhalten; es ist aber anzunehmen, daß dieser Schritt, für jeden Kotzenauer noch immer unfaßbar, am 1. Oktober Wirklichkeit wird, sofern nicht in zwölfter Stunde von Regierungsseite aus das heraufziehende Unheil abgewendet wird. Wie wir weiter hören, scheiden Herr Generaldirektor Zöller und Direktor Saladin aus der Verwaltung der Hütte aus.

Uns Kotzenauer wird dieser Beschluß immer unfaßbar bleiben, um so mehr unser Hüttenwerk, im Gegensatz zum fusionierten Werke in Sprottau, stets mit Gewinn arbeitete. Nicht unerwähnt möchten wir lassen, daß Herr Generaldirektor Zöller sich sehr für die Erhaltung der Marienhütte eingesetzt hat. Der Beschluß der Stillegung trifft zeitlich zusammen mit der durch die Bemühungen unserer Stadtverwaltung erzielten Subvention von 300.000 Mark aus Osthilfemitteln für die Marienhütte Kotzenau. Von der Stillegung werden etwa 400 Arbeiter und Angestellte betroffen.



Noch immer finden sich Kanal- und Gullideckel aus der Kotzenauer Marienhütte! Dank an die Entdecker und Übermittler!

Kanaldeckel aus der Produktion der Marienhütte Kotzenau, entdeckt von Łukasz Kulig im Jahr 2010 in Lubin

Kanaldeckel aus der Marienhütte,
2010 entdeckt von Łukasz Kulig in Lubin

Kanaldeckel aus der Produktion der Marienhütte Kotzenau, entdeckt von Wolfgang Wiek im Jahr 2014 in Zielona Gora

Kanaldeckel aus der Marienhütte,
2014 Wolfgang Wiek in Zielona Gora

Kanaldeckel aus der Marienhütte,
2019 Bernd Krüger in Świnoujście

Gullideckel aus der Marienhütte, 2019 entdeckt von
Bernhard Schmidt am Wickinger-Ufer Berlin/Moabit

Kanaldeckel aus der Marienhütte, 2021 entdeckt
in Weißenfels (S/A) von Silvio Rothenberg



Letzter Abstich Marienhütte 13.11.1931

Letzter Abstich Marienhütte 13.11.1931. Ein letztes Foto der Belegschaft vor den drei Kupolöfen.


Der letzte Abstich in der"Marienhütte"

Am 13. November 1931 war das Ende der "Marienhütte" Kotzenau gekommen. Damit trat die Stillegung eines weit über Schlesiens Grenzen hinaus bekannten Werkes ein, eines Industrieunternehmens, das für den kleinen Heideort Kotzenau eine wichtige Lebensader darstellte. Damals schien das der Bevölkerung und vor allen denen, die seit Jahren hier ihre Arbeitsstätte und damit ihr Auskommen hatten, fast unmöglich, und so mancher hoffte, daß sich in letzter Minute an diesem Entschluß der Betriebsleitung etwas ändern würde. Es blieb dabei.

Als ich am 1. Juli 1928 als Formermeister in der Gießerei A der Marienhütte meine Arbeit aufgenommen hatte, zählte die Belegschaft 830 Personen Die Aufträge nahmen zu, so daß die Handformer im Winter 1928/29 bis zu neun Arbeitsstunden täglich leisten mußten. Dieser gute Geschäftsgang hielt bis zum Frühjahr 1930 an. Ab da begann die Weltwirtschaftskrise, die nach und nach für jedes Unternehmen spürbar wurde.

Die Marienhütte und die Mallmitzer Hütte gehörten zu einer Gesellschaft, die mit der Sprottauer Hütte in Fusion getreten war. Im Zuge der geplanten Verwaltungsvereinfachung mußte der größte Teil des kaufmännischen Personals nach Sprottau, wodurch gutverdienende Bürger aus der Stadt gingen. Verbunden damit waren weitere Entlassungen, die im Ort große Unruhe aufkommen ließen. Ob sich die gewählten Vertreter der Stadt dieser Maßnahmen damals voll bewußt waren? Die Gefahr wurde leider viel zu spät erkannt. Der technische Direktor Fernis und der kaufmännische Direktor Brauner verließen beizeiten Kotzenau. An die Stelle von Herrn Fernis trat Herr Hainisch aus Sprottau.

Die- Aufsicht wurde verschärft und vom Werk Sprottau aus wurden die Löhne und Akkordpreise aufs peinlichste überwacht. Es wurden auch für den Arbeitsgang Vorschriften erlassen. So wurde den Facharbeitern vorgeschrieben, wieviel Roh- und Brucheisen sie zum Schmelzen verwenden dürften; der Koksverbrauch war genau festgelegt. Die Anweisungen häuften sich, und das Arbeiten machte nicht mehr die Freude wie unter der früheren alten Hüttenleitung. Die Folgen blieben nicht aus, es ging nicht mehr vorwärts, eher rückwärts. Direktor Hainisch hatte kein leichtes Arbeiten, zumal er selbst nicht in der Lage war, diesen Vorschriften entgegenzutreten, um gleichzeitig allen gerechtzuwerden. Die allgemeine schlechte Wirtschaftslage brachte ihn auch persönlich in eine bedenkliche Lage.

Im Frühsommer 1931 wurden die Gießerei C, das Emaillierwerk und die Kesselschmiede stillgelegt, für die Gießerei A begann nun auch der Abbau. Von der Verwaltung aus Sprottau liefen Anordnungen ein, die für uns unverständlich blieben und dadurch so manche Fachkraft, so manchen Arbeiter, der der Hütte 20 Jahre und mehr treu gedient hatte, brotlos machten. Fast alle Formmaschinen, Modellplatten, Formkästen, Kerneisen, Spindeln - alles, was wichtig war und Wert hatte - mußte nach Sprottau verladen werden. Bei der Verwaltung in Sprottau war damals die entstandene Stimmung bekannt geworden, trotzdem aber stellte man fest, ob auch das letzte Stück aus dem Kotzenauer Betrieb herausgekommen war. Leider aber war es ja nun nicht so, daß diese wichtigen Einrichtungen am neuen Platz der Arbeit zugänglich gemacht wurden. Aber damals fand sich niemand, der diesem Tun Einhalt geboten hätte. Täglich gingen immer mehr Arbeiter mit der Arbeitsbescheinigung und den Entlassungspapieren durch das Tor, hinter dem ihr Arbeitsplatz lag, an dem sie mit Freude gestanden hatten und der jedem das Nötige zum täglichen Leben gegeben hatte. Erst kurz vor Schluß wurde der Regierungspräsident Dr. Hans Simon zur Besichtigung nach Kotzenau gerufen. Ob es zu spät war oder ob auch er nicht helfen konnte, haben wir nie erfahren. Die Produktion war zurückgegangen, die Einnahmen natürlich gleichfalls, und der Zusammenbruch dieses Unternehmens stand vor der Tür.

Im Herbst 1931 faßte der Aufsichtsrat den Beschluß, den Konkurs anzumelden. Von da ab standen die Arbeitsleistung des einzelnen, der Produktionsgang bis ins kleinste unter Aufsicht. Auch der Mietpreis der Werkwohnungen wurde erhöht. Für jeden einzelnen im Werk wurde die aufgetragene Arbeit härter, da so manche Maßnahme nötig wurde, zumal das Werk ja am Rande der Gesamtauflösung stand.

So kam am 13. November 1931 der letzte Abstich, und das Bild zeigt den Rest der einst so großen Belegschaft. Am 15. November verließen, bis auf ganz wenige, auch diese Werksangehörigen die "Marienhütte Kotzenau". Das alles wirkte sich sehr nachteilig auf das gesamte Wirtschaftsleben unserer kleinen Stadt aus, und so mancher Geschäftsmann konnte sich trotz größter Anstrengungen nicht mehr halten. Für uns Kotzenauer aber bleibt die "Marienhütte" mit der Geschichte Kotzenaus auf alle Zeiten verbunden.

Paul Lüddemann (1885-1967), Wirt vom Ratskeller Kotzenau, in LHB 21/1955

Siegelmarke der Marienhütte Kotzenau



Gutscheine der Marienhütte aus der Inflationszeit 1923








Der Riesenzylinder auf Reisen

Nach der Schließung der Marienhütte gelang es, die Firma Wagner-Dörries AG zu gewinnen, in Kotzenau den Gießereibetrieb in Gang zu setzen. Waren es früher das Mariengeschirr oder unsere Handelsgußwaren, die in der Welt geachtet und begehrt wurden, so waren es dann die Riesen-Zylinder, die in der Marienhütte gegossen wurden.

Der Guß eines Riesenzylinders erforderte eine etwa fünfmonatige Vorbereitung, während die Gußzeit - also die Einlaufzeit des Metalls in die Form - nur 45 Sekunden dauerte. Ein in Kotzenau gegossener und nach der Papierfabrik Oberleschen transportierter Zylinder hatte einen Durchmesser von 4,5 m und eine Breite von 3,5 m; sein Gewicht betrug 42 t.

Der Transport eines solchen Zylinders kann infolge seiner Ausmaße auf dem Schienenwege der Eisenbahn nicht durchgeführt werden. Damals hatte Direktor Johann Culemeyer vom Reichsbahnzentralamt Berlin für solche Transporte ein Spezialfahrzeug konstruiert, wovon die damalige Reichsbahn zwei besaß. Dieser Culemeyer-Spezialwagen bestand eigentlich aus zwei Fahrzeugen mit zwölf Achsen und je vier Vollgummirädern.

Jedes dieser beiden Fahrzeuge mit 24 Rädern besitzt einen drehbaren Aufsatz, auf dem schwere Traversen ruhen. Der zu befördernde Zylinder hängt an den Traversen frei inmitten der beiden Fahrzeuge, die ein Eigengewicht von 46 t haben, so daß ein Gesamtgewicht einschl. des Zylinders von 88 t vorhanden ist. Den Anzug besorgen zwei Zugmaschinen mit drei Achsen zu je 100 PS. Die Belastung pro Felgenzentimeter beträgt nur 88 kg, sie ist also weit geringer als die Belastung eines normalen Lastwagens.

Ein solcher Zylinder wurde u. a. in Richtung Primkenau abtransportiert. Da die Eisenbahnbrücke vor der Stadt Primkenau eine geringere Tragfähigkeit besaß, mußte der Transportzug den Umweg über den unbefestigten Friedhofsweg durch die Siedlung nach Primkenau nehmen. Es war erstaunlich, mit welcher Wendigkeit und Sicherheit, ohne Hinterlassung von Spuren, das Fahrzeug den schlammigen, unbefestigten Weg entlangfuhr. Nach kurzer Rast in Primkenau wurde die Fahrt nach Oberleschen fortgesetzt, dabei mußte noch eine Brücke passiert werden, die gestützt werden mußte. Diese Stützung konnte infolge Hochwassers nicht von unten aus durchgeführt werden, und so wurde der Übergang durch eine Bohlenauflage gesichert, wie es das Bild zeigt. Das zweite Bild zeigt die spitzwinklige Kurve vor dem Flugplatz Sprottau in Richtung Oberleschen. Wie eine Raupe schoben sich die 48 Räder des Transportzuges mühelos durch diese gefährliche Kurve.

Die Papierfabrik Oberleschen, die dem Waldhof-Konzern angehörte, war Bestellerin dieses Zylinders. Als sich der Transport dem Fabrikgelände näherte, sah jeder ein großes Loch in der Mauer des Fabrikgebäudes! Es war eigens für die Hereinbringung des Zylinders ausgestemmt worden, da selbst ein Fabriktor nicht groß genug gewesen wäre.

Die Papierfabrik Oberleschen besaß zwei Papiermaschinen, die holzhaltige und holzfreie Papiere erzeugten. Die Tagesproduktion dieser beiden Maschinen war bei 24stündiger Arbeitszeit 50 t Papier. In einer Minute stellte eine solche Maschine ein Papierband von 170 m Länge her. Die Zellulosefabrik stellte in ebenfalls 24stündiger Arbeitszeit pro Tag 8 t Sulfit-Zellulose her. Die Gesamtbelegschaft dieses Werkes betrug 550 Mann. Die Leistungsfähigkeit einer Papiermaschine steigt mit dem Durchmesser des Zylinders, weshalb an einer der beiden vorhandenen Papiermaschinen ein kleinerer Zylinder durch einen größeren ersetzt wurde. Diesen lieferte das Kotzenauer Werk.

Rudolf Jäckel (1891-1973), Druckereibesitzer, Verleger "Kotzenauer Stadtblatt", in LHB 8/1962