Lehrer, Dichter, Schriftsteller Georg Thiel (1889-1962)
Gemeinde Pilgramsdorf














Georg Thiel in memoriam

Als in den ersten Januartagen 1962 die Post die Todesanzeige ins Haus brachte, daß Georg Thiel, Lehrer im Ruhestand, am 2. Januar 1962 im 73. Lebensjahr entschlafen sei, war das, was sterblich an ihm ist, in Halle (Saale), auf dem Gertraudenfriedhof, schon der Erde übergeben.

Die Nachricht kam ganz unerwartet. Wir hatten in den letzten 15 Jahren immer wieder Briefe und Grüße miteinander gewechselt. Wir wußten um sein schweres Augenleiden. Aber daß sich Krankheit und Alter so in sein Leben eingeschoben hatten, ist uns nie recht zum Bewußtsein gekommen. Ich denke noch an die letzte Begegnung in Liegnitz auf der Goldberger Straße. Täusche ich mich nicht, muß es in den Januartagen des Jahres 1945 gewesen sein. Ein Winterabend brach an, noch leuchtete der gefallene Schnee. Georg Thiel kam festen Schrittes, äußerlich ungebrochen, wie er einem sonst begegnete. Die damals miteinander gesprochenen Worte sind vergessen. Aber eins denke ich deutlich in Erinnerung zu haben: Wir wußten, daß nun auch über Schlesien ein Winter hereinbricht. Keiner wußte um die Zukunft, jeder ahnte Schreckliches.

Zum erstenmal begegnete mir Georg Thiel in Sprottau, jener stillen Heidestadt am Bober, zwischen Bunzlau und Sagan gelegen. Von irgend jemandem wußte ich, es sei der Kantor Thiel aus Pilgramsdorf im Kreis Lüben, gebürtig aus Sprottau. Er war der Jugendbewegung zugetan, und so fanden die Herzen schnell zueinander. "Das Bild meiner Geburtsstadt", schrieb er mir vor 12 Jahren, "wird in den Jugendschilderungen meines neuen Romans aufklingen." Sein Elternhaus, die "Thiel-Schmiede", das Bild des Vaters sind so in sein Inneres eingegangen, daß der Dichter Georg Thiel nebenstehende Verse schrieb:

Am 25. Mai 1889 geboren als erster Sohn des Schmiedemeisters Carl Thiel. Der zweite Sohn Max übernahm dann den väterlichen Betrieb. Unter den Vorfahren finden sich durch mehrere Generationen Handwerker, so Schmiedemeister, Waffenschmiede, Schlosser und Tischler -, in Seitenlinie auch Lehrer. Es sind alles Schlesier.

Schlesische Monatshefte 5/1936 S. 169

Georg Thiel bildet sich in der Nachbarstadt Sagan als Lehrer aus und findet seine erste Anstellung in Pilgramsdorf. Dort bleibt er in den Jahren 1909-1928 als Lehrer und Kantor in herzlichem Einvernehmen mit dem dortigen Pastor Scholz. Im September 1914 nimmt er sich von den acht Pfarrgeschwistern die Tochter Anna zur Ehefrau. Dem Kantor-Ehepaar werden drei Kinder geschenkt: 1915 die Tochter Irmgard; 1920 Sohn Werner; 1923 Inge. Im 1. Weltkrieg sitzt "Frau Kantor" des Sonntags an der Orgel, Georg Thiel ist an einem Nierenleiden schwer erkrankt. Es waren die Jahre 1916-1918. Und dann galt es nach den schweren Jahren des 1. Weltkrieges "das Bleibende einer zerbröckelnden Welt zu neuen Ufern zu tragen. Wesenhaft wachsen und Frucht bringen fürs Ganze." Georg Thiel wurde mit Leib und Seele Lehrer, Menschen-Bildner. Seine mit den Schulkindern veranstalteten - von ihm gestalteten - "Waldfeste", die Laienspiele, Volkstänze, Lieder und Chorgesang boten, waren Feste des ganzen Dorfes. Allem Leben offen, immer gastfreundlich, so war das Lehrer- und Kantorhaus. Besonders Hausmusik wurde gepflegt.

Erste Gedichte entstehen. In "Westermanns...", in den "Ostdeutschen...", in den "Schlesischen Monatsheften" und in der vom Liegnitzer "Logau-Bund" herausgegebenen Zeitschrift "Die Saat" kommen sie zur Veröffentlichung. Georg Thiel findet Anerkennung und nimmt - in den zwanziger Jahren - mit literarisch interessierten und kulturell-tätigen Kreisen Kontakt auf, besonders mit den Männern des Logau-Bundes in Liegnitz. Im Herbst 1928 - Georg Thiel ist beglückt darüber - findet die Übersiedlung nach Liegnitz statt. Seine Arbeit an der Jugend tritt nun nicht mehr so - für eine ganze Stadt sichtbar - an die Öffentlichkeit, aber allem Bildnerischen bleibt Georg Thiel verhaftet. Und allem literarischen Leben, das in den zwanziger Jahren in Liegnitz aufblühte. Ich brauche nur die Namen hinzuzufügen: Hans Zuchhold, Johannes Hönig, Hans Eberhard von Besser - und Georg Thiel gehört nun dazu.

Es ist eigenartig: nicht seine Lyrik, die nach einem Wort von Hans Zuchhold "sich immer reicher und reiner entfaltete", kommt in einem Buch zur Veröffentlichung, sondern seine Prosa. Vor mir liegt das Bändchen der Novellen "Das Erbe", mit den Erzählungen "Der Schwedensonntag", "Die Bake" und mit der Musikantengeschichte "Heideheimkehr"; gut gestaltete und abseits modischer Strömungen geformte Arbeiten. 1937 erschien dann "Der silberne Kronreif", die Johann-Heermann-Novelle, die und durch die Georg Thiel in ganz Schlesien und darüberhinaus bekannt wurde. Der Verlag Bertelsmann, Gütersloh, brachte sie heraus. Es wurde ein Bucherfolg. Ein langes Stück dieser Erzählung um den Kirchenliederdichter Johann Heermann, den bedeutendsten geistlichen Dichter der ersten schlesischen Dichterschule, erschien dann auch in Fortsetzungen in dem Gemeindeblatt für das evangelische Schlesien, in "Unserer Kirche". Diese Novelle hat nach dem 2. Weltkrieg, 1959, in der Evangelischen Verlagsanstalt, Berlin, eine 2. und meines Wissens auch 3. Auflage erfahren.

1941 erschien dann sein erster Roman mit dem Titel "Das Rufen der Wälder". Es ist die Geschichte eines Heimkehrers, der nach jahrelangem Umherirren in der weiten Welt und nach mancherlei Kämpfen in der Heide, seiner geliebten Heimat, Ruhe und Frieden findet. Ein reifes und reiches Buch, in das viel Autobiographisches hineingearbeitet worden ist. Und dann liegt vor mir, auf holzhaltigem Kriegspapier gedruckt, bescheiden kartoniert, die 1944 erschienene Erzählung "Die neue Geige". Ich entdeckte das Büchlein in den letzten Jahren in einem Stuttgarter Antiquariat. "Habent sua fata libelli", es haben eben auch Bücher ihre Schicksale.

Der silberne Kronreif von Georg Thiel

Die letzten Jahre, genauer die 16 Jahre nach der Vertreibung aus Schlesien, bleiben für Georg Thiel Jahre des schmerzlichen Herausgerissenseins aus dem altvertrauten Lebenskreis, in dem er sich hätte voll auswirken können. "Die Gesamtlage ist furchtbar niederdrückend. Doch schweigen wir und hoffen wir im stillen!" so schrieb er einmal. Freilich, die tägliche Arbeit und Anerkennung und auch Freuden halfen zum Leben. An der Böllberger Schule in Halle (Saale) beginnt er, mit einer Lehrerin zusammen, gleich nach Kriegsende aus dem Nichts heraus den Unterrichtsbetrieb aufzubauen. An seinem 60. Geburtstag zeigte es sich, daß dies anerkannt wurde. Georg Thiel bemüht sich auch, nicht Fremdling bleiben zu wollen und ein wenig auch in der Stadt am Giebichenstein Wurzeln zu fassen. Es gibt in der Tat auch manches frohe Erlebnis: 1948 kommt in dem Buch "Neue deutsche Erzähler" seine Novelle "Maria" zur Veröffentlichung, die Verdichtung eines Flüchtlingsschicksals.

Dann ist Georg Thiel in einer Veranstaltung der Saalkreis-Lehrerschaft über das Thema "Umgang mit Goethe - ein Erziehungsproblem" als Festredner tätig. Er nimmt teil und liest aus dem "Silbernen Kronreif" beim Johann-Heermann-Abend im Refektorium des Predigerklosters.

Aber, Anfang 1954, kurz vor Erreichung der Altersgrenze, erfolgt - trotz, äußerster Willenskraft - der körperliche Zusammenbruch. Seine literarischen Arbeiten, sein preisgekröntes Hörspiel um "Peter Wlast", sein Roman "Brücken über dem Strom", seine "Winter- und Weihnachtsgeschichten", konnten nicht publiziert werden. Immer wieder standen in seinen Karten die Worte: "Man muß warten lernen, warten können. Ich kann ja auch das Erwünschte nicht geben." - In den letzten Jahren war leider keine schöpferische Tätigkeit mehr möglich. Den Jahreswechsel 1961/62 erlebte Georg Thiel nicht mehr bei Bewußtsein, am 2. Januar erfolgte ein sanftes Hinscheiden, ein Heimgehen ins Ewige. Ein reiches Leben war beendet, gelebt aus guten Quellen, aus Tiefen gespeist, in Freundlichkeit und Güte.

Bis heute bekunden Freunde und ehemalige Schüler der Familie Thiel Dankbarkeit und Anhänglichkeit. Georg Thiel hatte erkannt, daß wir "immer auf einer Brücke wandern" und "Licht tragen müssen von jenem tiefsten Grunde her ins Finstere, - ungetrübtes, ungebrochenes Licht, damit unsere Wege von innen heraus heller und sicherer werden".

Kurt Anders, im Liegnitzer Heimatblatt 4/1962

Georg Thiel