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Eine der fünf Eisenbahnstrecken im Kreis Lüben, von denen Wolfgang Abramowski berichtet hat, war die Kleinbahn Raudten-Polkwitz, genannt »Die Polkwitzer«. Leopold Beyl schrieb über sie im Lübener Heimatblatt 4/1983: |
»Die Kleinbahnstrecke Raudten-Polkwitz (Heerwegen) wurde im Jahre 1900 eröffnet (Deutsches Städtebuch 1939, Bd. I, S. 856). In Raudten-Queißen hatte sie gegenüber dem Hauptbahnhof, durch eine Straße getrennt, ihre Endhaltestelle. Bei uns in Raudten hieß die Zusteigegelegenheit Raudten-Haltestelle. Sie bestand aus einem kleinen Bahnsteig mit Wetterschutzhäuschen. Die Fahrkarten wurden im Zug beim Schaffner gelöst. Die Haltestelle befand sich an der Georg-Primker-Straße und Ecke Köbener Chaussee. Durch Felder und Wiesen, einige Straßen und Wege kreuzend und Bäche überquerend, fuhr sie schnaufend und bimmelnd über Polach, Barschau, Tarnau (Dornbusch) nach Polkwitz. Böse, Rufmord treibende Zungen behaupteten, man hätte während der Fahrt von ihr auf- und abspringen und zwischendurch auf den Wiesen Blumen pflücken können. |
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Als es noch kaum Autos gab, erfüllte sie eine wichtige wirtschaftliche Aufgabe. Sie schloß das Gebiet zwischen Polkwitz und Raudten an das deutsche Eisenbahnnetz an. Der Aktiengesellschaft, die sie betrieb, gehörten neben den Bahnanlagen mehrere Güter- und Personenwaggons sowie zwei Lokomotiven. Dr. Wilhelm Teichmann erinnert sich noch an die Namen der beiden romantischen Fahrzeuge Polkwitz und Graf von der Recke-Volmerstein. Die Stadt Polkwitz und der Graf waren wohl die Hauptaktionäre.« |
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Polkwitz-Raudten
Eigentümerin: Polkwitz-Raudtener Kleinbahn-Gesellschaft, Aktien-Gesellschaft in Berlin W 30, Nollendorfplatz 9.
Betriebsführerin: Vereinigte Eisenbahnbau- und Betriebs-
gesellschaft Berlin W 66, Karlsbad 12/13.
Genehmigt vom Regierungs-Präsidium in Liegnitz am 7. Oktober 1898 auf 90 Jahre
(beteiligt Staat, Provinz, Stadt Polkwitz und Baufirma). Gebaut von der Ver-
einigten Betriebsgesellschaft in Berlin. Eröffnet am 13. April 1900, Spurweite
1,435, Dampflokomotive, Personen- und Güterverkehr.
km 0,00 |
R a u d t e n Kleinbahnhof, unmittelbar neben dem Empfangsgebäude des Reichsbahnhofs Raudten s. S. 85 |
km 2,4 |
R a u d t e n, Stadt, Haltepunkt, 5 Minuten von der Stadt Raudten entfernt. |
km 5,4 |
P o l a c h. |
km 8,25 |
B a r s c h a u, 2 Minuten von der Station altertümliches, sehenswertes Schloß (Stiftsgut Friedrichs des Großen). Eine halbstündige Wanderung von der Station Barschau führt zu dem bekannten Wallfahrtsort Hochkirch mit seiner herrlichen Kirche und wundervollen Aussicht nach der Glogauer Oderniederung. Hochkirch wird von Wallfahrern aus nah und fern besucht. |
km 11,07 |
T a r n a u-K u m m e r n i c k |
km 17,60 |
P o l k w i t z, Städtchen, 2000 Einwohner, idyllisch von Waldungen umgeben, frühere Garnisonsstadt des nachmaligen Lübener Dragonerregiments. |
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Anekdoten über die Polkwitzer
von Hilde Penkalla
Aus unserer Zeit in Barschau, da mein Mann dort Lehrer war, gibt es vieles zu berichten. Es sind Erinnerungen, die vielleicht keinen großen Wertanspruch haben - aber es sind Erlebnisse des Alltags und gehörten zu uns. Da wir in Raudten viele Bekannte hatten, wurden wir auch zu Vereinsvergnügen eingeladen, so auch zum Ball des Gesangvereins.
Etwa acht Tage nach einem solchen Fest bekam mein Mann einen Brief der "Berliner Eisenbahngesellschaft der Kleinbahn Raudten-Polkwitz". Meinem Mann wurde vorgeworfen, auf dem Ball die Kleinbahn durch ein Couplet schlechtgemacht zu haben. Ihm wurde mitgeteilt, daß sich ein Raudtener verkleidet und in Versen über die Kleinbahn lustiggemacht hätte. Es stimmte alles, was in dem Brief behauptet wurde! Außerdem stimmte es doch! Der Zug hielt immer, wenn Kühe oder Ziegen über die Gleise wollten!
So schrieb mein Mann nach Berlin, gab alles zu, nur nicht, daß er selbst der Vortragende gewesen sei. Die Kleinbahnverwaltung sollte lieber für Licht im Zug sorgen und für eine Toilette! Darauf antwortete die Eisenbahngesellschaft, das Licht der Laterne genüge für diese Strecke und eine Toilette? Die Leute könnten ja dem Schaffner Bescheid sagen, der Zug würde dann halten, denn Wald wäre links und rechts der Strecke und solange warte der Zug, es spiele ja keine Rolle, wann der Zug in Polkwitz eintreffe, dort wäre ja Endstation! Was für ein Angebot!
Die Polkwitzer hatten damals den Ruf der Schildbürger! Was von dort zu hören war, nannten wir "Polkwitzer Stickl", im Sinne von Schildbürgerstreichen. Allmählich setzte sich der Ausdruck auch für die Kleinbahn durch! Noch heute muß ich über die "Polkwitzer Stickl" lachen, wenn ich daran zurückdenke. |
In dem kleinen Ort Barschau mit etwa 150 Einwohnern war kein Geschäft; zum Einkaufen mußte nach Raudten gefahren werden. Eines Wintertages waren wir wieder einmal in Raudten gewesen, um Fleisch und andere Sachen einzukaufen. Es war schon dunkel, als wir die Polkwitzer Kleinbahn bestiegen: das Abteil wurde durch eine Stallaterne beleuchtet. Kein Schaffner kam und der Zug fuhr durch Barschau durch, wo wir eigentlich aussteigen wollten.
Im Nachbarort hielt der Zug. Mein Mann fragte den Schaffner, wie wir nun nach Hause kommen sollten. Es lag tiefer Schnee und dazu die Dunkelheit. Da gab uns der Schaffner die einzige Beleuchtung des Zuges, die Laterne, mit und sagte: "Gehen Sie nur zwischen den Gleisen, so kommen Sie schon nach Barschau." Nach einer Stunde beschwerlichen Weges kamen wir am Wartehäuschen in Barschau an. Es war uns nichts passiert. Es gab nur diese eine Bahn und die Beamten wussten ja Bescheid über unseren Rückweg! Quelle: Lübener Heimatblätter 1977
Das einzige Foto von einem Haltepunkt an der Strecke der Kleinbahn stammt von Karl-Heinz Wilke aus Barschau. Es zeigt Karl Pfitzner mit seinen Kindern Ernst, Anneliese und Karl am Haltepunkt der Kleinbahn Raudten-Polkwitz in Barschau.
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