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Zeitgeschichte
der
Städte Schlesiens
mit
Abbildungen
herausgegeben
von
Dr. Christian Friedrich Emanuel Fischer
und
Carl Friedrich Stuckart
Band I - III
Schweidnitz
bei Carl Friedrich Stuckart
1819
Abschnitt Lüben Abschnitt Kotzenau
Raudten
Man hat aus der älteren Zeit sehr wenige
Nachrichten über diese offne Stadt von 222
Häusern und 1130 Einwohnern. Ihr Name
kömmt zuerst vor in einer Handveste Herzog
Konrads d. J. 1440. Schreckliche Schicksale
betrafen aber Raudten in Kriegsläufen.
1631 und 1633 wurde mehr als die Hälf-
te der Einwohner von der Pest weggerafft.
1642 brannten sie die Schweden größten-
theils nieder.
1644 den 10. August, erfolgte eine Plün-
derung, wobei die rohen schwedischen Soldaten
Mädchen, Frauen und Witwen schändeten.
Man trieb dieselbe, schreibt ein Augenzeuge
der Prediger Bleyl, auf dem Ringe zusammen
und bloß alte sechzigjährige Weiber oder neun-
jährige Mädchen entgingen der Nothzucht.
Abends brach, entweder durch die Bosheit der
Feinde oder Verwahrlosung Feuer aus und ver-
wandelte die ganze Stadt in einen Aschenhaufen.
1654 den 21. Januar wurde den Evan-
gelischen die Kirche genommen.
1729 legte im Dorfe Altraudten bei der
Stadt ein Freiherr von Sack den schönen Gar-
ten an, welchen sein Erbe, der Herr von Schwei-
nitz späterhin in einen solchen Zustand versetzte,
daß er in mancher Rücksicht dem Karlsruher
noch vorzuziehen ist. Schon der Haupteingang
aus dem Schlosse (auf dessen Vorwerksäckern
in Schlesien der erste Tabak gepflanzt worden
ist,) gewährt einen entzückenden Anblick. Doch
nicht die sechs, theils hinter, theils nebenein-
ander emporsteigenden Wasserstrahlen, nicht der
Silberstrom von den Stufen des Kanals sich
herwälzend; sondern das herrliche Ganze der
hohen und schön verschlungnen Waldmasse, zwi-
schen welche der Kanal hineingeht, samt dem
spielenden Gemische ihrer mannigfaltigen Be-
laubung, reißt zur Bewunderung hin.
Neben den Stufen in dem unveränderten
Vorgarten nach französischem Geschmack, steht
zu beiden Seiten eine Gruppe majestätischer
Waldbäume. Das Becken des vordersten mit
Rasen umuferten Springborns ist unten mit
Moos und Steinen belegt. Neben der Ein-
gangsbrücke steht auf einer Rasenerhöhung die
Bildsäule der Flora, deren Füße statt des Po-
staments ein kleines Gewölke umhüllet. Sand-
stein ist die Masse und geschmackvoll die Ar-
beit. Ein sich schlängelnder Kiesgang leitet
von dieser Brücke, zeigt von fern den dunkeln
Eingang in die Wildnis und neben demselben
steht eine an Größe und Beästung sehr schöne
Linde. In der Wildnis selbst bieten Natur
und Kunst einander schwesterlich die Hand.
Ein Bach fließt zwischen dem Gebüsche und
lockt den Spazierenden durch fernes Rauschen
an einen überschatteten Sitz bei einem kleinen
Wasserfall. Man findet ferner einen Spring-
born in Altargestalt; dann einen runden offnen
Tempel gebildet von acht Säulen ionischer
Ordnung; er steht auf drei umherlaufenden
Stufen von Sandstein und ist mit Quadern
gepflastert. Sein Dachstuhl nebst den Säulen
und Gebälke sind von Holz, um aber der
Kuppel das gerundete Ansehn eines Gewölbes
zu geben, hat man es mit Leinwand überzogen
und diese gleich dem Ölgrund der Säulen mit
Sand beworfen. Aus einem Hügel unweit
dieses Tempels bildet der Bach eine kleine In-
sel, wo unter zwey bejahrten Eichen eine Stein-
bank angebracht ist. Doch nur die Selbstan-
sicht kann einen von den gesamten Schönhei-
ten dieses Gartens überzeugen.
1758 wurde Raudten von den Russen hart
mitgenommen, mehreremale geplündert und zu-
letzt in Brand gesteckt. Aber nichts sind die
Drangsale des siebenjährigen Kriegs gegen die
im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts.*
1806 den 24. Oktober erschien ein Trupp
Bayersche Reiter, drohte zu plündern und um
solches abzuwenden, mußte ihnen die Bürger-
schaft, außer Lebensmitteln für Mann und Roß,
Tuch, Leinwand und mancherlei andre Dinge
abreichen. So kam des Vormittags Reite-
rey und Nachmittags Fußvolk bis zur Über-
gabe Glogaus den 2. Dezember, beluden mit-
gebrachte Wagen und fuhren zurück in ihr La-
ger. Obgleich diese Menschen immer heilig
versicherten nichts gewaltsam zu nehmen, hiel-
ten sie doch nie Wort und quälten durch un-
billige Forderungen die Wirthe im Nachtquar-
tier.
1807 vom 30. August bis 1808 den 30.
Juni hatte die Stadt Truppen verschiedner
Gattung von Franzosen und Rheinbündnern
zu verpflegen, welche das beliebte Aussaugungs-
System trefflich verstanden. Ein offizielles vom
Stadtrate mir mitgetheiltes Verzeichnis alles
dessen, was Raudten in jenen zwei Jahren hat
geben und aufwenden müssen, wird in Absicht
der Kleinheit des Ortes die Leser in Erstau-
nen setzen. Es wurden verabfolgt in Real-
werth des Geldes:
- an Getreide und Rauchfutter:
223 Scheffel Hafer; 130 Zentner Heu; 10 Schock Stroh.
- an Hülsenfrüchten und Gegräupe:
66 Zentner Erbsen und 11 Zentner Bohnen und Linsen; 4966 Pfund Brot; 120 Pfund Fleisch.
- an Getränken: 7 Achtel Bier;
20 Eimer Branntwein; 11 Eimer Essig.
- zur Bekleidung: für 50 Reichsthaler
Tuch und 16 Rthlr. Leinwand.
- für Leder zu Schuhen und Pferde-
geschirr 136 Rthlr.
- für Eisenwaren: 39 Rthlr.
- für Kaffee, Zucker, Wein und
andre Kaufmanns-Waren: 664 Rthlr.
- an Gelderpressungen: 5757 Rthlr.
- Einquartierungskosten: 18117 Rthlr.
- Tafel- und Soldzuschußgelder: 782 Rthlr.
- Lazarethgelder: 745 Rthlr.
- für Fuhren und Lagerkosten: 28 Rthlr.
- für 80 Klafter Holz: 240 Rthlr.
- Kriegssteuer: 3031 Rthlr.
in Summa: 31189 Rthlr.
1809 und 1810 mußte die Stadt zum
Unterhalt der Glogauer Besatzung beisteuern
276 Rthlr. 4 Groschen und bei dem allen auch die
Landesabgaben tragen helfen. Kaum hatten sich
indessen die guten Raudtener etwas erholt, so
brach
1813 das Kriegselend von neuem aus.
Am 30. Mai schlug der Franzosengeneral,
Victor für 22000 Mann bei der Stadt ein
Lager auf und raubte dazu alle Bedürfnisse an
Holz, Brettern, Latten und Stroh. Binnen
wenig Stunden verschwand jede Umzäunung
der Gärten und Höfe; man hieb die Frucht-
bäume nieder um die Offizier-Baracken damit
zu beschatten und alle benachbarten Häuser wur-
den niedergerissen und zu Feuerungsholz ver-
braucht. Das Gras nebst andern Feldfrüchten
diente dem zusammengetriebnen Vieh zu Fut-
ter und die Begräbniskirche vor dem Polkwi-
tzer Thore zum Lazareth; mit Bitten und Vor-
stellungen nur gelang es zu verhindern, daß
man nicht auch die Stadtkirche zu gleichem
Zweck benutzte; aber die Friedhöfe wurden von
ihrer Umzäunung entblößt. - Nach sechs Ta-
gen zog Victor gegen Grünberg und dagegen
rückte von Neumarkt her Marmont, dessen
Korps theilweise die Stadt bis zum 15. Au-
gust besetzte, und höchlichst ihre Einwohner mit
Anforderungen drückte. Konnte man derglei-
chen nicht bald befriedigen, so schickte der Mar-
schall Exekution und es mußte Mann für Mann
täglich 18 Gr. Cour. erhalten. Genug aus
einem ähnlichen offiziellen Verzeichnis wie 1806-
1808 mögen sich die Leser unterrichten,
was Raudten damals binnen etlichen Wochen
in Courantwert bezahlet hat.
- an Getreide und Rauchfutter:
30 Scheffel Weizen; 225 Scheffel Roggen; 150 Scheffel Gerste; 350 Scheffel Hafer; 295 Zentner Heu; 55 Schock Stroh.
- Hülsenfrüchte und Gekörne:
28 Scheffel Erbsen.
- Brot, Zugemüse und Fleisch:
120 Scheffel Kartoffeln und für 82 Rthl. Grün- zeug verschiedener Art; 5990 Pfund Brot; 140 Scheffel Mehl; 1060 Pfd. Fleisch.
- Getränke: 6 Achtel Bier; 11 Eimer
Branntwein; 5 Eimer Essig.
- Schlachtvieh und Pferde: 5 Stück
Rindvieh; 30 Schafe; 3 Schweine; 4 Pferde; 90 Stück Hühner und Gänse.
- Zur Bekleidung: für 315 Rthlr.
Tuch und 265 Rthlr. Leinwand.
- An Beschuhung und Lederzeug: 278 Rthlr.
- Für Eisenware: 109 Rthlr.
- An Nebenerpressungen: 5426 Rthlr.
- Für Kaffee, Zucker, Wein und
andere Kaufmannswaren: 100 Rthlr.
- Einquartierungs-Verpflegung: 1598 Rthlr.
- Fuhren und Lagerkosten: 159 Rthlr.
- Für Feuerungsholz: 186 Rthlr.
- Für Bretter: 118 Rthlr.
- Kriegssteuer: 3296 Rthlr.
In Summa: 28663 Rthlr.
Wären beide hier gegebenen Verzeichnisse
nicht vom Magistrat unterzeichnet, so möchte
man sie für übertrieben halten. Allein so ist
es bloß zu bewundern, daß die Raudtener Bür-
gerschaft bei so harten Bedrängnissen nicht ganz
an den Bettelstab gekommen, obgleich ihre Kin-
der und Kindeskinder die Nachwehen davon
noch schmerzlich empfinden dürften.
Nach dem Waffenstillstand hat Raudten
keinen Feind mehr gesehen.
* Als das Buch 1819 erschien, waren die Gräuel des 20. Jhs. nicht abzusehen...
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