Stiftsgut - ehemals Postgut
Die Lübener Synagoge und das Schicksal der Lübener Juden














Stiftsgut - Postgut Lüben

Das Schloß

Wer auf der Breslauer Chaussee nach Lüben hereinkam, wanderte kurz vor den ersten Häusern der Stadt am Eingang eines Gutes vorüber. Der Wirtschaftshof wurde von einem heckenumsäumten Gartenstück gegen das Schloß hin abgegrenzt. An dieses Schloß erinnern sich wohl auch heute noch alle Lübener. Es war im Stil von Josef von Eichendorffs Lubowitz erbaut und ragte mit seinen beiden Türmen stattlich auf. Das kleine Gut war ursprünglich ein Bauernhof und hat sich wohl damals nicht träumen lassen, später zum "Postgut", noch später zum "Stiftsgut" zu werden. Der Postdirektor von Rüdiger, mein Urgroßvater, kaufte es um 1820 für die Pferde der Lübener Posthalterei. Denn anno dazumal mußte jeder, der eine Reise tun wollte, die Postkutsche - wenn er vornehmer fahren wollte, die Extrapost - benutzen. Noch durch 30 Jahre hin gab es auf dem Postgut kein Schloß. Das wurde erst von Landrat Bieß um 1850 gebaut, als er nach dem Tod meines Urgroßvaters das Gelände von der Witwe kaufte. Er hat den Platz für das Schloß gut gewählt: Akazienbäume standen nach dem Hof zu wie Wächter. Sie haben sich im Laufe eines Jahrhunderts herrlich entwickelt, und ich denke noch bei jeder Akazienblüte im Mai daran, wie jene alten Bäume immer wieder überreich voll der duftenden Blütentrauben hingen. Hinter dem Schloß rauschten die Bäume des Parks, den mein Urgroßvater noch kurz vor seinem Tode hatte anlegen lassen und von dem nur ein ganz kleiner, vorderster Teil bei dem Verkauf des Gutes mit abgegeben worden war. Aber aus seiner Tiefe erscholl das Vogelsingen, vor allem das Nachtigallenschlagen, duftete der Flieder auch zum Schloß herüber. -

Bestieg man den Turm, es gingen viele Stufen hinauf, so wurde man für die Mühe durch eine anmutige Fernsicht belohnt: Grün und fruchtbar dehnte sich das Land. Im Süden blaute das Gebirge, an klaren Tagen deutlich sichtbar mit den schön geschwungenen Linien. Davor Äcker und kleine Wälder, der Judenfriedhof mit seinen alten Bäumen, der Pfeffergraben, dessen Lauf durch die bebuschten Ufer weit zu verfolgen war. Endlich in nächster Nähe der Windmühlenberg und das Städtchen.

Doch kehren wir zum Schloß zurück. Hier war in vornehmster Weise Raumverschwendung betrieben worden. Zum Hofe hin lagerte sich breit die Terrasse vor das Haus und die hohen Fenster verrieten, daß die Zimmer hoch und groß waren. Trat man in den geweihgeschmückten Vorflur, so begrüßte einen schon hier jener eigentümliche Duft, wie er nur in alten Häusern daheim ist: gemischt aus Kühle, zartem Moder und einem nicht leicht zu identifizierenden Etwas, das wohl aus Schränken und Kasten kam, vielleicht auch aus alten Vasen, in denen Rosenblätter trockneten und die in den Zimmern auf den Möbeln ihren Platz haben mochten. Die Möbel selbst waren gewichtig und würdevoll, entsprechend dem Geschmack um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Besonderen Eindruck machten mir als Kind stets das schön getäfelte Eßzimmer, sowie die Bibliothek mit ihren vollbesetzten Bücherregalen, doch kann ich nicht sagen, ob sich unter ihnen bibliophile Kostbarkeiten befanden. Während die großen Fenster auf der Hofseite das Sonnenlicht leuchtend einfallen ließen, waren die Zimmer auf der Parkseite stets leicht und feierlich verdüstert oder besser: grün durchdämmert von den nahen, dichtbelaubten Wipfeln. Als besonders licht ist mir das Zimmer im runden Turm in Erinnerung mit seinen vielen Fenstern im ersten Stock. Die Wirtschaftsräume lagen im Keller. Und wir Kinder haben auf dem hier vorbei führenden Weg zu unserem Park oft zu den vergitterten Fenstern hineingeschaut: ob die Wirtschafterin, Frau Göldner, oder die Gesellschafterin, Fräulein Göbel, dort in der Küche waren und uns - vielleicht - einen guten Bissen zusteckten?

Landrat Bieß war nicht verheiratet, seine gleichfalls unverheiratete Schwester Valeska stand dem Haushalt vor. Das große Haus mag für die beiden Menschen allzu geräumig gewesen sein, doch werden wohl in früheren Jahren oft Gäste hier abgestiegen sein. Nach des Landrats Tode - seine Schwester starb vor ihm - wurde das Schloß zu einem Stift für die unverheirateten Frauen der Familie. Doch nur Fräulein Kern zog hier ein. Sie besaß die für diesen stillen Winkel erforderliche Liebe zur Einsamkeit und wußte sich an den bescheidenen Naturschönheiten immer wieder zu erfreuen, die der Park ihr bot. In ihren beiden Zimmern nach dem Park zu bin ich oft und gern eingekehrt. Sie waren vollgestellt mit alten Möbeln, an den Wänden hingen Familienbilder und überall standen "Nippes" - wie man damals sagte - herum. Die Räume zeugten von der warmen Herzlichkeit ihrer Bewohnerin, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, das Schloß für die Stiftsanwärterinnen instandzuhalten und zu betreuen. Noch heute bin ich Fräulein Kern für diese freundschaftliche Teilnahme dankbar, die sie mir und den Meinen stets entgegenbrachte. Als später die Familie von Lucke in die unteren Zimmer einzog, kam wieder etwas mehr Leben in die stillen Räume. Doch nach wie vor lag das Schloß für die Vorübergehenden wie verwunschen am Rande des Parkes.

Es hat nur knapp 100 Jahre den Menschen eine gute Heimat geboten. Dann kam das Jahr 1945 - von Luckes verließen das Schloß als erste. Am 29. Januar 1945 machten sich Fräulein Kerns Verwandte, die in Berlin ausgebombt waren und hier Aufnahme gefunden hatten, mit uns aus dem Gartenhaus in der Liegnitzer Straße 29 zusammen auf die Flucht. Nun war die wohl schon über 80-jährige allein im Schloß zurückgeblieben. Sie soll dann noch nach der Liegnitzer Straße umgesiedelt sein und angeblich mit einem Auto, das für Alte und Kranke bestimmt war, fortgebracht worden sein.

Wie sehr das Schloß auch zerstört und wie es heute dort aussehen mag, vor mir steht es so deutlich, wie ich es von jeher geliebt habe, wie es einst stolz und doch heimelig zur Breslauer Chaussee herübergrüßte, während vom Gut her der Lärm des Alltagsgetriebes zu ihm hinklang.

Zoe Droysen (1884-1975)

Quelle: Lübener Heimatblatt 17/1958