Aus der Geschichte von Kaltwasser
Text und Bild aus dem Lübener Heimatkalender 1942
Gemeinde Kaltwasser














Das Heidedorf Kaltwasser und seine Geschichte
von Georg Adler in Heimatkalender Lüben 1942 S. 88-91

Zwischen Heide- und Bruchlandschaft im Bereich zweier völlig verschiedener Landschaftsformen und des alten Urstrom-tales liegt rings umgeben von meilenweiten, immergrünen Nadelwäldern das Heidedorf Kaltwasser. Es erstreckt sich von den Höhen des Heidewaldes, wo die Chaussee Vorderheide-Neurode-Kaltwasser-Fuchsmühl den Wald verläßt bis zu dem rund 3 km entfernten letzten Gehöft, der ehemaligen Staatlichen Försterei. Hier ist der Auslauf der Jagenlinie an dem für jeden Naturfreund so interessanten Wasserwald. Von den zahlreichen, kühles Quellwasser führenden Wassergräben und den Zuflüssen zum Schwarzwasser, die dem Wasserwald entströmen und den Boden kalt machen, hat das Dorf seinen Namen "zum Kaldewassir" besagt die Chronik.

Die älteste vorgeschichtliche Siedlung bei Kaltwasser befand sich unweit der vorerwähnten Försterei am Rande des Wasserwaldes auf den Dünen, die heut mit Kiefern bestanden sind, und zu der die Jagenlinie, ein breiter Fahrweg von der alten Försterei, an der Chaussee von Süden nach Norden führt. Diese Stelle, an der zahlreiche vorgeschichtliche Funde gemacht wurden, heißt noch heute im Volksmund der "Heidenfriedhof".

Auf Botaniker und Entomologen hat der Wasserwald, der heute unter Naturschutz steht, schon immer große Anziehungs-kraft ausgeübt. Lehm und Sand bilden de diluviale Grundlage für Moore und Humus, und letzterer ist die Grundlage für eine äußerst reiche und üppige Vegetation, die zum Teil stark ausgeprägten Vorgebirgscharakter hat. Reichlichen Anteil an der Humusbildung hat auch das Laub des überwiegend aus Laubbäumen bestehenden Baumbestandes des Wasser-waldes.

Nadelbäume sind nur vereinzelt vorhanden. Hier sind alle einheimischen Holzarten vertreten. Eichen, Weißbuchen, Birken, Eschen, Linden, Rotbuchen, Ulmen, Pappeln, Haselnuß, Ahlkirche, Faulbaum, Kornelkirsche usw. Die tiefe allseitig geschützte Lage des Wasserwaldes und seine mannigfaltigen Boden- und Vegetationsverhältnisse geben vorteilhafte Vorbedingungen für die Entwicklung einer reichen Pflanzen- und Tierwelt. Im Bereich des Wasserwaldes sind viele lohnende Entdeckungen gemacht worden, darunter eine Reihe von Neuheiten für Schlesien.

Von den 314 hier gefundenen seltenen Käferarten beanspruchen zwölf allein den Wasserwald als alleinigen Aufenthalts-ort in der Provinz. Wenn im Sonnenlicht die Wiesenblumen ihre Pracht entfalten, dann entwickelt sich drinnen im Halb-schatten des Wasserwaldes eine Pflanzenwelt, wie sie sonst nirgends im ganzen Kreise zu finden ist. Aus den lichten Stellen leuchtet mit seinen pfirsichfarbenen Blüten im zeitigen Frühjahr der giftige Seidelbast oder Kellerhals hervor (unter Naturschutz) und in großen Mengen schauen die lieblichen blauen Leberblümchen, das violette Lungenkraut, der weißblühende niedrige Sauerklee, die saftig strotzende Goldnessel, das kleine bescheidene Moschuskraut, das Zweiblatt und das Christophskraut aus dem Grün des Bodens. Später wechseln Hexenkraut, Waldmeister, die wunderschöne glöck-chentragende Weißwurz, auch Salomonssiegel genannt, und Orchideen (unter Naturschutz) mit dem hier blau, dort weißblühenden Lerchensporn ab. Weiße und gelbe Anemone und verschiedene Labkräuter bedecken weite Flächen. In großer Menge hat sich hier die blaßrosafarbene Schuppenwurz, die auf den Wurzeln von Eichen, Hainbuchen, Pappeln, hauptsächlich aber von Haselnußsträuchern schmarotzt, sowie die in verschiedenen Gegenden fehlende Vogelnestwurz angesiedelt. Beide Pflanzen sind aus Mangel an grünen Blättern nicht imstande, die Kohlensäure der Luft zu spalten und den Kohlenstoff zu assimilieren. Sie sind daher auf die Fäulnisprodukte angewiesen, die das Regenwasser und der Tau aus den die Bodendecke des Waldes bildenden alten Blättern, Nadeln und Holzteilchen gezogen hat. Sie gehören daher zu den Verwesungspflanzen oder Soprophyten. Auch das so wohlriechende Maiglöckchen oder Springauf gedeiht im Wasserwalde in großer Menge. Ferner der Vanikel - ein Hustenmittel - und die echte Brunnenkresse, ein Kind des Vorgebirges, überraschen durch häufiges Auftreten. Die Einbeere, das Ringelkraut, die Haselwurz, die Frühlingsplatt-erbse, die Waldwicke, das nickende Perlgras, das Sumpfblutauge, die Sumpfsternmiere, die Citronenmelisse, Hunds- und Waldveilchen, der Rattenschwanz und viele andere Blumen und Pflanzen sind Kinder dieses gesegneten Waldgebietes.

Ebenso reich ist die Vogelwelt des Wasserwaldes. Außer der Sängerkönigin, der Nachtigall, der selten gewordenen Blau-rake, dem Fliegenden Edelstein, dem Eisvogel, dem exotisch stinkenden Wiedehopf mit seiner Federkrone und seinen dumpfen Hup-Hup-Hup-Rufen, dem lustigen Kuckuck usw. kommen hier fast alle heimischen Singvögel, Raubvögel usw. vor, dank der üppigen Vegetation und dem reichen Insektenleben und dem auch in heißen Sommern niemals eintretenden Wassermangel. Auch die Waldschnepfe, der Vogel mit dem langen Gesicht, die der Weidmann ob ihres langen Schnabels Stecher nennt, ist hier ein gern gesehener Gast. Rehe und Wildschweine ziehen wie in längst verklungenen Zeiten hier ihre Fährte, wo der Wisent und der urige Elch einst ihre Heimat hatten.

Auch volkskundlich ist der Wasserwald interessant. Hier knüpfen sich Sagen an den Siegfriedsbrunnen mit seiner wunderschönen Umgebung, wo vor vielen Jahrhunderten ein Raubschloß gestanden haben soll, das eines Tages in dem moorigen Untergrund spurlos für immer verschwand. Noch jetzt sol nach altem Volksglauben in der Geisterstunde der alte Vogt des Schlosses umgehen. Ostwärts, am Wege nach Sabitz, liegt der heute mit Kiefern bestandene Galgenberg, auf dem in alter Zeit Verbrecher am Galgen endeten.

Das Heidedorf Kaltwasser, Blick nach Nordwesten

Das Heidedorf Kaltwasser, Blick nach Nordwesten

Am 8. Mai 1355 stellte Herzog Wenzel von Liegnitz die Gründungsurkunde für "Kaltwasser" aus. Der Herzog gab dann einem gewissen Heinrich von Susk den Auftrag, ein Dorf nach deutschem Recht in der Liegnitzer Heide mit 40 großen deutschen Huben auszusetzen. Zwei Huben blieben dem Pfarrer vorbehalten. Da die große oder fränkische Hufe fast 100 Morgen umfaßt, war die bäuerliche Flur fast 4000 Morgen groß. Der Wasserwald hat damals jedenfalls zum Dorfe gehört. Am 19 Dezember 1361 wird der Ort Kaltwasser wieder erwähnt, - er trägt den Beinamen "Neuland". Damals bekam Stephan Trache vom Herzog Wenzel ein Waldstück in der Liegnitzer Heide, "das sich anhebet an dem Neulande, das genannt ist zum Kaldenwassir und stößt an Magnus Heide und reicht bis an die Brauchitschdorfer Grenze." Am 15.10.1363 werden zwei Ritter - Nicklas von Zedlitz und der obengenannte Stephan Trach - vom Herzog Wenzel mit diesem "Dorfe unserer neuen Aussetzungen, genannt zum Kaltenwasser" belehnt. Im Jahr 1441 befindet sich Kaltwasser im Besitz von Hans dem Älteren von Axleben Magnus, der herzoglicher Hofrichter in Liegnitz und Herr von Krummlinde war. Über 100 Jahre läßt sich die Familie von Axleben als Grundherr von Kaltwasser nachweisen. Um 1562 wird ein Heinrich von Axleben Magnus als Herr genannt. 1649 wird das Gut an den Grafen Pompeji verkauft, dessen Gemahlin, eine geborene von Zedlitz, es als Witwe 1654 im Besitz hatte. Sie liegt in der Kirche in Samitz in einer Gruft begraben, die reiche Verzierungen schmücken und ihren Tod bezeugen. Durch Heirat kam Kaltwasser, das einst 23 Dörfer umfaßte, an den kaiserlichen Feldmarschall Graf von Götzen.

Im Osten des Dorfes, also am Wege nach Würtsch bzw. nach Lüben besteht der Flurname einer Wegekreuzung "Der Ring". Wahrscheinlich gab es an dieser Wegekreuzung einen größeren Platz, der heute weder vorhanden, noch irgendwie erkennbar ist. Hier liegt der Gerichtskretscham, der früher zum Rittergut gehörte, die alte Erbscholtisei, und die alte Erbschmiede stand ebenfalls in dieser Gegend.

Kaltwasser, das bei seiner Gründung 40 Hufen besaß, hatte 1600 nur noch 8, im Jahre 1700 nur noch 3 Hufen. 1613 hatte es 11 Bauern, 4 Gärtner und 3 Häusler. In Kaltwasser ging nach der Chronik damals nur 1 Kind zur Schule, in Groß Krichen 2 usw. Aufgrund der Leibeigenschaft nahmen die Grundherren die Kinder ihrer Untertanen aus der Schule weg und zwangen sie zur Hofearbeit.

Die Chronik berichtet u. a. aus jener Zeit von dem Kirchschreiber David Stritzky von Kauffung, seines Alters 60 Jahre, im Dienste allhier ins 26te Jahr, hat an Besoldung 13 Scheffel Korn, sonsten weder Brodt noch Garben. Aus der Schule hat er wöchentlich von einem Inzipienten 2 Kreuzer, von denen für lesen und schreiben 1 Silbergroschen. Die letzten drei Jahre hatte er nur 3 Knaben von 3 Schäfern aus den 3 Vorwerken Waldhof, Hölle und Lindhardt zu unterrichten.

Am 21. November 1675 starb der Landesherr und letzte Piastenherzog Georg Wilhelm, Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau an den Pocken. Die Folge war, daß Österreich, entgegen dem Erbvertrage, der zwischen Joachim II. von Bran-denburg und dem Herzog Friedrich von Liegnitz 1537 geschlossen worden war, die drei Fürstentümer auszog. Mit Schlesien war auch Kaltwasser österreichisch geworden. Was der Große Kurfürst damals nicht durchsetzen konnte, der eben die Schlacht bei Fehrbellin geschlagen hatte, das erreichte sein Nachfolger Friedrich der Große in drei schlesischen Kriegen.

1707 wurde die evangelische Kirche, die 1701 den Evangelischen fortgenommen worden war, als Folge des Altranstädter Vertrages und des Eingreifens Karls XII. von Schweden, der 1706 in Lüben übernachtete, zurückgegeben. Die damals der evangelischen Gemeinde in Kaltwasser von Karl XII. von Schweden gestiftete schwedische Fahne hängt noch heute in der Kirche. Bereits 1524 wurde die Kirche durch den Piastenherzog Friedrich II., als er sich zur Reformation bekannte, den Evangelischen zugewiesen. Westlich der evangelischen Kirche stand damals ein Holzturm mit zwei Glocken. 1702 war ein neues Pfarrhaus aus Holz erbaut worden. Ein katholisches Pfarrhaus gab es damals noch nicht. Der katholische Gottesdienst wurde nach Rückgabe der Kirche an die Evangelischen wieder in einem zur Kapelle ausgebauten Raum des Rittergutes Kaltwasser abgehalten, das im Jahre 1731 in den Besitz des Benediktinerstiftes Wahlstatt, das nach Braunau gehörte, übergegangen war. Unter dem Stiftspälaten Jacob Chmell wurde von 1794-1797 die katholische Barockkirche in der Nähe des Gutes erbaut. Dreimal im Jahre hatte der Grundherr Dorfgericht abzuhalten. Der Gerichtskretscham gehörte, wie zuvor erwähnt, damals noch zum Rittergute. Im Laufe der Zeit hatten die Grundherren die gesamte Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit an sich gerissen, so auch die Blutsgerichtsbarkeit. Sie verhängten die Todesstrafe meist durch Köpfen oder durch den Strang (Galgenberg nördlich Kaltwasser am Sabitzer Wege).

Am 29. Dezember 1740 kam der junge Preußenkönig Friedrich II. auf seinem Einmarsch in Schlesien zur Wahrnehmung seiner im Erbvertrage mit den Piasten festgelegten Rechte über das benachbarte Krummlinde. Zieten war über Fuchs-mühl auf Haynau zu marschiert. Die von dem Großen Kurfürsten einst gegen die Habsburger geschleuderte Prophezeiung "Aus meinen Gebeinen wird dereinst ein Rächer erstehen" erfüllte sich nun.

Für Schlesien und damit für Kaltwasser begann damit eine neue Zeit. Die schlesischen Kriege, vor allem der Siebenjährige Krieg, brachten auch Kaltwasser Not, Plünderung und Brand… Schwere Zeiten folgten nach der unglücklichen Schlacht bei Jena und Auerstädt im Oktober 1806. Napoleons Truppen rückten auch in Schlesien ein. Von 1806-1808 standen Franzosen, Bayern und Württemberger im Kreise Lüben.

1810 fand mit der Aufhebung der Erbuntertänigkeit die letzte Trauung in Kaltwasser statt, zu der die Gutsherrschaft bisher die Erlaubnis zu erteilen hatte. Damit fiel auch das menschenunwürdige, dem Gutsherrn zustehende ius primae noctis endgültig fort.

In einer Dezembernacht 1812 fuhr der Kaiser Napoleon von Polkwitz kommend durch den Fuchsmühler Wald nach Haynau. In dem historischen, über 200 Jahre alten Gerichtskretscham in Vorhaus ließ Naopoleon halten und verlangte von der Wirtin Juliane Leuschner für sich und seine zwei Begleiter vier heiße Punsche. Das eine Glas mußte Frau Leuschner antrinken. Dieses Glas trank der Kaiser aus. Er hatte wohl Gift vermutet.

Hauptmann Heinrich von Raumer, der Gutsherr von Kaltwasser, und sein Oberförster, Hauptmann von Alvensleben, die 1813 in den Freiheitskampf gezogen waren, kehrten mit den siegreichen Truppen im Juli 1814 wohlbehalten wieder nach Kaltwasser zurück, ebenso der Gerichts- und Polizeischulze George Reimann aus dem benachbarten Würtsch. Am Schloß sind noch heute die Wappen des Generalpächters der Kaltwasser Güter, und Distrikts-Polizeikommissars des Kreises Lüben, Franz von Raumer, und seiner 1815 angetrauten Gemahlin Charlotte von Nickisch-Roseneck im oberen Teil der Fassade deutlich zu sehen. Der preußische Staat hatte den größten Teil der ausgedehnten Waldungen der Benedektiner Gutsherrschaft Kaltwasser behalten. Die heutige Staatliche Försterei Lindhardt in Fuchsmühl und die zum Stadtforst Liegnitz gehörige Försterei Hinterheide gehörten bis 1810 zum Gut Kaltwasser. Noch öfter wechselten, nachdem das Gut käuflich übernommen war, die Besitzer desselben...


(Der Verfasser hat ohne Quellenangabe mehrfach aus einem Aufsatz von Oskar Hinze aus dem Jahr 1928 abgekupfert!)