Das Leben der Landarbeiter im Kreis Lüben
Als ich kurze Zeit nach dem 1. Weltkriege aus dem so betriebsamen und dichtbevölkerten Waldenburger Bergland in den Lübener Kreis kam, fühlte ich mich die erste Zeit recht einsam und verlassen. In diesem dünnbevölkerten Landstrich war es zu still, fast eine leise Schwermut überkam mich. Nach und nach lebte ich mich doch ein, und bald hatte ich dieses Flachland mit seinen weiten Forstgebieten recht lieb gewonnen.
Die Kiefer liebt besonders diese Sandböden, und sie breitet sich, abwechslungsreich unterbrochen von Laubholz, Teich- und Wiesenflächen und den Feldgemarkungen der Dörfer aus.
Die Dominial- und Kleinbauerndörfer, wie man diese vorwiegend in Niederschlesien auf der rechten Oderseite fand, wirkten mit ihren meist niedrigen und einfachen Baulichkeiten schlicht und bescheiden. Der Holzzaun grenzte die Anwesen ein. Vor dem Hause hatte gewöhnlich ein Blumengärtlein seinen Platz, das oftmals schon den Besitzer kennzeichnete. Im Hofe standen Ackergeräte, der vierrädrige Kastenwagen, sauber aufgesetzte Brennholzstapel und anderes Inventar. Der schon uralte Lindenbaum spendete an heißen Sommertagen erquickenden Schatten, und der Brunnen mit dem für Schlesien so typischen Holzrohr gab frisches Wasser. Hinter den Gehöften zogen sich die grün, gelb und braun leuchtenden Felder bis weit hinaus an den dunklen, fast schwarzen Kiefernwald.
Wirtschaftlich gesehen, waren die Lebensbedingungen nicht gut, dies traf besonders für die im Norden, Westen und Süden des Kreises gelegenen Ortschaften mit den leichten Sandböden zu.
Den Dorfmittelpunkt bildete gewöhnlich das Rittergut oder Dominium mit dem Schloß, den großen Stallungen, Scheunen und Leutewohnhäusern. Die in den Gesindehäusern wohnenden Landarbeiter führten oft ein ärmliches Dasein. Es war ausgefüllt mit Arbeit und Sorge um die zum Leben unentbehrlichen Dinge. Frühmorgens, wenn vielfach noch die Dämmerung über Feld und Wald lag, ging es hinaus auf die Felder und Wiesen. Vorneweg die Ackerkutscher mit ihren Gespannen, hinterher die Lohngärtner und Landarbeiterinnen. Die Frauen trugen stets einen Bügelkorb, in dem sie ihr mageres Frühstücksbrot und meist eine Jacke gegen etwaigen Regen hatten. Im Sommer waren die Arbeitstage sehr lang und die Nächte zum Ausruhen kurz.
Nach dem Einfahren des Heues kam die Zeit der großen Ernte. Auf den Höfen surrten die Dreschmaschinen, und die schwitzenden Pferde mußten immer wieder neue Wagen mit Getreide heranschaffen. Oft fiel wochenlang kein Tropfen Regen vom blauen Himmel, und die Sonne brannte unbarmherzig warm auf die ausgedörrten Fluren.
Müden Schrittes und durstig kam dann am Abend die Arbeitskolonne mit den Pferde- und Ochsengespannen, eine Staubwolke hinter sich lassend, auf dem Gutshofe an.
Bei der Rodung der großen Kartoffelschläge war die Temperatur schon etwas erträglicher. Wohl prangte auch im September der Himmel gewöhnlich noch in einem klaren und reinen Blau. Diese Herbstwochen waren wohl die schönsten des ganzen Jahres. Der herbe Geruch der Kartoffelkrautfeuer zog hinein bis ins kleinste Dorf, und das Land lag nun wie verklärt in der strahlenden Septembersonne. Es war die Zeit, wo die Vögel wieder heimwärts zogen. Hoch oben am Himmel strebten die Wildgänse straff geordnet gen Süden.
Nun folgten dunkle, fast schwermütige Wochen. Auf den Feldern, wo Zuckerrüben gediehen, war die Ernte meist ein schweres Werk. Die Rüben mußten damals noch mit der Hand gerodet werden, und die schweren Gespanne wühlten sich mühsam durch den aufgeweichten Boden.
So kennen wir die Welt der Arbeit des Landarbeiters von daheim. Wie sah es nun in den Behausungen der Gutsarbeiter aus? Ihr Hausrat zeigte in den meisten Fällen nur die notwendigsten Einrichtungsgegenstände. Ein einfacher Tisch mit mehreren Stühlen, ein Topfbrett aus Großmutters Zeiten, in dessen Regalen einige buntbemalte Teller standen, mehrere Bettstellen, dazu ein Kleiderschrank. Die Feste wurden wohl auch begangen, aber die Gabentische waren sehr dürftig und bescheiden und hier fand das Sprichwort oft genug seine Berechtigung: "Zum Christfest gibt's beim Reichen viel Gaben für jedermann, den Armen aber grinst von kahlen Wänden das Elend an!"
Zum Neujahr wechselten die Gutsarbeiter gern einmal ihre Arbeitsstelle. Der neue Arbeitgeber ließ dann die gesamte Familie mit ihrem kümmerlichen Hausrat mit einem hohen Kastenwagen von ihrem bisherigen Wirkungskreis abholen. Gewöhnlich war es um die Jahreszeit sehr kalt und die Wagenräder knirschten im Schnee.
Die Zeit verrann, Sommer und Winter kamen und gingen, und diese Menschen mühten sich weiter um ihr tägliches Brot. Sie waren aber trotzdem oft nicht unglücklicher als manche anderen Erdenbürger, denen das Schicksal die Wiege in bessere Verhältnisse gestellt hatte.
Martin Sperling (1896-1977) in LHB 10/1957