Erinnerungen an die Queissener Familie Winter
Queissen














In der Januarausgabe 1955 des Lübener Heimatblattes erschien ein Bericht von Hans Philippsberg über das unglaubliche Zusammentreffen zweier Familien aus dem Kreis Lüben in La Paz, der Hauptstadt von Bolivien. Hans Philippsberg war vor dem nationalsozialistischen Terror dorthin geflüchtet, solange das noch möglich war. Seine Familienangehörigen wurden in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. Gustav Winter aus Queissen hatte die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre auf der Suche nach Arbeit nach Bolivien getrieben. Irgendwann fanden sich die beiden Familien und wohnten sogar eine Zeitlang im gleichen Haus. Die Söhne der beiden - Gustavo Winter und Pedro Philippsberg - verband eine Freundschaft, die bis heute anhält und mir ermöglichte, in das Fotoalbum der Familie Winter zu schauen. Dank den beiden!

Gustavo Winter und Pedro Philippsberg 1955 in La Paz/Bolivien

Gustavo Winter und Pedro Philippsberg, 1955 La Paz

Gustavo Winter und Pedro Philippsberg 2011 in Deutschland

Gustavo Winter und Pedro Philippsberg 2011 in Deutschland



Gustav Winter wurde am 28.8.1899 geboren. Sein Elternhaus stand in Queissen. Auf dem Dorfplan trägt es die Nr. 6. Seine Jugend war durch den 1. Weltkrieg geprägt. Wir wissen nicht, ob er als Kaiserlicher U-Boot-Matrose sein Leben dem Kaiser opfern wollte oder ob er mit den kriegsmüden auf-ständischen Matrosen von Kiel sympathisierte. Das Foto links jedenfalls wurde 1917 in Kiel aufgenommen, das Foto rechts, auf dem Gustav Winter mit dem Pfeil markiert ist, im gleichen Jahr in Wilhelmshaven.
Gustav Winter bei der Kaiserlichen U-Boot-Flotte 1917 in Kiel Gustav Winter mit seiner U-Boot-Abteilung 1917 in Wilhelmshaven

Fotograf Fritz Härttwig

Auf der Rückseite des Fotos links fällt zuerst der Stempel des Foto-grafen auf! Es ist der bekannteste Lübener Fotograf dieser Zeit:
Fritz Härttwig, Atelier für künstlerische Photographie, Lüben i. Schl.
Darunter folgt die handschriftliche Anmerkung: Zum Andenken an Vetter Gustavs ersten Urlaub im Juni 1917. Das Bild zeigt Gustav Winter mit seinem Bruder Erich, den Schwestern Anna und Gertrud sowie der Mutter Emilie Winter geb. Schirmer. (Der Junge links ist unbekannt.)

Gustav, Erich, Anna, Gertrud und Emilie Winter 1917

Nach dem Krieg folgte die Weltwirtschaftskrise. Um nicht in der Arbeitslosigkeit zu versinken, nahmen die tatkräftig-sten jungen Leute auch Arbeit außerhalb von Deutschland an. Dazu gehörte auch ein Vetter von Gustav. Er wurde Monteur in einem deutschen Unternehmen, das Dieselmotoren in die Kupferminen von Chile verkaufte. Gustav hatte auf dem U-Boot die neuen Dieselmotoren kennengelernt. Und als ihm sein Vetter erklärte, dass der bolivianische Unternehmer Simón I. Patiņo für seine Zinn-Gesellschaft deutsche Arbeiter suche, die mit Dieselmotoren umzugehen wüssten, war er dazu entschlossen. Im Jahr 1926 verließ er Raudten-Queissen.

Gustav Winter 1930 zu Besuch in seinem Elternhaus in Queissen. Die Erwachsenen sind von links:
Gustav Winters Eltern, Frau und Herr Tschöpe (oder Tschepe; Eltern von Leonhard, dem Ehemann von Gustavs Schwester Anna), Tante Bertha, Schwester Anna geb. Winter, Oma Schirmer (Gustavs Großmutter mütterlicherseits), ... Walter (vermutlich der Ehemann von:), Schwester Gertrud, Bruder Erich und ganz rechts Gustav Winter. Die Kinder davor gehören zur Enkel-Generation und sind namentlich nicht mehr bekannt.

Familie Winter bei Gustavs Besuch 1930

Familie Winter noch einmal bei Gustavs Besuch 1930

Juli 1938, obere Reihe von links: Vetter Willi mit Frau und Kind, Tante Marie, Onkel Franz, sitzend: Tante Bertha, Großmutter Schirmer, Tante Ernestine, Gustavs Mutter, davor das Mädchen: Hannchen Scholz.


Im Sommer 1974 besuchte Gustav Winter noch einmal das Grundstück in Queissen, das einst seinen Eltern gehörte und wo er seine Kindheit verbracht hat. Er lebt nicht mehr - wie die meisten der hier gezeigten Personen. Aber sein Sohn Gustavo Winter, der Bolivianer mit schlesischen Wurzeln, würde sich freuen, wenn sich noch jemand an die Familie Winter erinnert und Kontakt zu ihm aufnimmt. Vielleicht auch die heutigen Bewohner in Gwizdanów...