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Erinnerungen an das Unwetter I. Als unmittelbarer Zeuge von dem Geschehen kann ich über das Unwetter berichten. Es war an unserem ersten Ferientag, dem 5. Juli, denn die Sommerferien begannen bei uns alljährlich am 4. Juli. Gleich am ersten Ferientag war Jahrmarkt. Die Buden waren gerade aufgebaut. Wir Kinder wollten mit die erste Nummer auf dem Rummel machen, Lene und Grete Neumann und ich. Wir wohnten ja direkt am Markt. Eben war ich von Neumanns Konditorei zu uns heimgekommen, da ging das Unwetter los, und wer es nicht wie wir miterlebt hat, kann sich das gar nicht vorstellen! Im Handumdrehen wurden die vielleicht 30 Buden in die Luft geschleudert, und durch den wolkenbruchartigen Regen schwamm ihr Inhalt in einer gelben breiten Gosse davon. Heringe - Puppen - Bälle - Pfefferkuchen - Backwaren - Gläser - Tassen - Kleidungsstücke - Schuhe - zerrissene Bilder von einem Bänkelsängerstand - es war einfach schrecklich. Ein Mann wurde vom Sturm mit einer Kopfverletzung in unseren Geschäftseingang geschleudert. Ich weiß gar nicht, wo der gelandet wäre, wenn da nicht gerade die Tür unseres Geschäftes gewesen wäre! Was die Budenbesitzer damals für einen Schaden hatten, muß erheblich gewesen sein. Als sich das Wetter beruhigt hatte, gingen wir natürlich gleich nach draußen. Ach, wie sah es in den Anlagen und im Rosengarten aus! Da wir beim Krankenhaus einen Schrebergarten hatten, rannten wir auch gleich dorthin. Die größten, uralten Bäume lagen kreuz und quer über der Straße und in den Anlagen. Ich glaube, dieses Unwetter vergißt man im Leben nie. Dann will ich noch erwähnen, daß drei meiner Freundinnen, die Paschke-Mädel, im nahen Stadtwald zur Blaubeerensuche waren. Sie haben dort überhaupt nichts gemerkt von dem Unwetter und kamen am Abend mit großen Kannen voller Beeren heim.Die Glatzel-Dora (Nieke)
II. Die Aufnahmen im Heimatblatt geben ja nur einen kleinen Teil der damaligen Schäden wieder. Nie wieder in meinem Leben habe ich solch ein schweres Unwetter erlebt. - Damals war ich ein Mädchen von 11 Jahren. Meine Eltern, meine achtjährige Schwester und ich kamen von Jauer, um unsere Krügel-Verwandten in Lüben auf der Breiten Straße zu besuchen. Da es dort vier Kinder gab, freuten wir uns darauf, mit ihnen zu spielen. Schon auf der Eisenbahnfahrt blickten meine Eltern sorgenvoll nach dem Himmel, der immer dunkler wurde. Am Lübener Bahnhof trieben uns die Eltern zu höchster Eile an. Kaum bei Onkel und Tante angekommen, gab es statt Begrüßung sofort große Aufregung. Jetzt am Vormittag wurde es nachtdunkel. Blitze zuckten, Donner krachten, daß uns Kindern angst und bange wurde. Ein Fenster zersprang, Glassplitter spritzten herum, kalt kam es herein, die Erwachsenen jammerten: "Gleich gehn alle Fenster kaputt!" Da weiß ich, daß mein Vater plötzlich die Federbetten nahm und innen gegen die Scheiben drückte. Alle Scheiben wurden so vor den riesigen Hagelkörnern durch Gegendruck vor dem Kaputtgehen geschützt. Ich erinnere mich noch, damals wurde viel vom Weltuntergang durch einen Kometen geredet, nun dachte ich, jetzt geht die Welt unter, lieber Gott hilf uns! - Endlich ließ das Krachen und Trommeln an den Fenstern nach, es wurde wieder heller, die Gefahr war vorbei. Wir Kinder kamen alle an den Tisch und alle sprachen ein Dankgebet. Der Onkel und mein Vater gingen auf die Straße. Als sie wiederkamen, berichteten sie von den vielen Hagelkörnern, die auf Straßen und Rinnsteinen lagen, von vielen zerschlagenen Fensterscheiben. Sie hatten auch gehört, daß auf dem Markt alles kurz und klein geschlagen sei. Natürlich quälten wir Kinder, wir wollten auch hinaus, um alles anzusehen. Ich weiß noch, erst am Nachmittag machten wir uns alle auf den Weg zum Markt. Bereits vorher schwammen viele Gegenstände im Rinnstein, noch immer lagen große Hagelkörner in Hausecken und Vorgärten. Schon wurden Fensterrahmen zum Neu-einglasen getragen. Auf dem Markt sahen wir Marktbuden, die schief standen oder ganz umgefallen waren. Ich weiß noch, daß mehrere Marktfrauen mit verbundenem Kopf dastanden und über ihre Verluste jammerten. Viele Lübener standen beieinander und besprachen ihre Erlebnisse. Die verschiedensten Gegenstände lagen im Schmutz, vom Wasser ganz zerweicht. Uns Kindern tat es bloß um die Bonbons und die Pfefferkuchen leid, die da so verdorben herumlagen. Dauernd wurden wir ermahnt: "Klaubt nur nichts auf, das gehört euch nicht. Schlimm genug, daß die Leute so einen Schaden haben."Ich kann mich auch erinnern, daß Mutter für Vater vom Wasser zerweichte Hemden kaufte, wahrscheinlich zum herabgesetzten Preis. Ich sah, daß ein Balkon kaputt war und halb herabhing, daß sogar ein Eisenzaun verbogen war, worüber mein Vater sehr staunte. Die Eltern jammerten bloß um ihre Karnickel zu Hause; da diese ihre Ställe im Freien hatten, dachten wir, die sind auch zerstört. Doch für mich sehr merkwürdig war, daß wir beim Nachhausefahren vom Zuge aus kaum etwas von Schäden bemerkten. In Liegnitz auf dem Bahnhof hatten die Leute keine Ahnung, was in Lüben für ein Unwetter gewesen war. Und in Jauer unsere Karnickel waren noch fidel und munter. Hedwig Kranz geb. Krügel III. Die Fotos vom großen Unwetter im Juli 1916 haben manche Kindheitserinnerung in mir geweckt. Ich erinnere mich an diesen Tag ganz genau. Mein Bruder Heinz war damals 4 Jahre alt, ich selbst im Mai 6 Jahre geworden und das kleine Brüderchen Georg, das damals mit 1 ¾ Jahren starb, und ein Vetter von uns - wir alle lagen mit Masern in den Betten. Es ging uns schon recht gut, mit Ausnahme des Jüngsten. Im Wohnzimmer lag auf der Chaiselongue unsere Stiefschwester Milli, vielleicht 9 Jahre alt. Meine Tante, die meiner Mutter half, war in die Stadt gegangen, um Medikamente zu holen. Da schaute meine Mutter aus dem Fenster und sagte erschrocken: "Mein Gott, der Himmel ist ja schwefelgelb, das wird einen schönen Hagel geben!" In dem Moment wurde das Zimmer durch einen grellen Blitz erleuchtet - es war inzwischen ganz dunkel geworden - und meine Mutter beeilte sich, das Fenster zu schließen. Sie mußte sich mit aller Gewalt dagegenstemmen, denn Milli war zu allem Überfluß mit wehendem Nachthemd in der offenen Tür erschienen. Während Mutti das Fenster schloß und Milli ins Bett scheuchte, sahen wir Kinder mit großen Augen den wie Schaum vor den Fenstern vorbeifegenden Regen und die Hagelkörner, nein Eisstücke, die zumindest die Größe von Taubeneiern hatten, wenn sie nicht noch größer waren. Wir hörten das Krachen des Donners, das Heulen des Sturmes. Das Zimmer war in Dämmerlicht getaucht, das immer wieder durch die grellen Blitze erhellt wurde. Es ging Schlag auf Schlag. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei. Die Sonne schien wieder! Als unsere Tante zurückkam, erfuhren wir erst, was alles geschehen war. Sie hatte in der Apotheke gewartet und gesehen, wie die Jahrmarktbuden davongeblasen wurden. Wie ein Fluß strömte das Wasser vorbei und führte die Waren der Händler mit sich. Als alles vorbei war, hatten die Kinder ihre helle Freude mit dem Auffischen von Püppchen und anderen schönen Dingen. Wir waren ganz enttäuscht, daß unsere Tante uns nichts mitgebracht hatte. Am nächsten Tag durfte ich aufstehen. Da sah ich die Verwüstung. Kreuz und quer lagen die schönen Linden über die Straße. Wir wohnten damals Bahnhofstr. 16. In meiner Erinnerung war es etwa jeder 3. oder 4. Baum, jedenfalls sind es viele gewesen. Am Bahnhof hatte ein riesiger Baum gestanden, ich glaube eine Eiche. Sie wurde total entwurzelt. Wir waren alle sehr traurig. Auch die Wasserpromenade habe ich gesehen. Dort lagen ebenfalls die Bäume kreuz und quer, als wenn es Streichhölzer gewesen wären. Eine Bauersfrau, die einen großen Korb bei sich hatte, wurde außerhalb der Stadt überrascht. Sie hat den Korb über sich gestülpt und sich damit gerettet. Ein Mann soll erschlagen worden sein von den Eisstücken. Doch diese beiden letzten Begebenheiten weiß ich nur vom Hörensagen und meine kindliche Phantasie kann sich da vergaloppiert haben. - So habe ich damals das Unwetter erlebt. Eva Munderloh IV. Zum Unwetter in Lüben kann ich etwas berichten. Ich kam kurze Zeit danach von der Ostfront in Urlaub und konnte noch viel von den Sturmschäden sehen. Die gut renovierte Windmühle des Müllermeisters Hugo Guschker, auf der linken Straßenseite von Kniegnitz nach Lüben, wurde vom Sturm umgefegt. Der Nachtwächter von Kniegnitz hatte darunter vor dem Unwetter Schutz gesucht, ihm ist aber nichts passiert. Die Windmühle, die wohl dort jahrhundertelang in Betrieb war, ist nicht wieder aufgestellt worden. Viel Obstbäume in Alleen und Gärten sind umgeworfen worden. Besonders schlimm war es in der sogenannten Pfingstallee in Richtung Kniegnitz - Mallmitz, wo große Äpfel- und Birnbäume umgebrochen waren. Militär mußte eingesetzt werden, damit die Wege wieder befahren werden konnten. Ungefähr 8 Meter vor unserm alten Wohnhaus an der Sauergasse stand ein großer Birnbaum, auch diesen hat der Sturm umgerissen. Sehr schlimm war der Schaden in Lüben, dort war gerade Jahrmarkt. Der Sturm hat die ganzen Zelte und Verkaufsstände einfach weggefegt, wie mir meine Angehörigen berichteten. Es war wie ein schlimmer Sturmangriff, sagte unser Wiesennachbar Vater Luge, der bei den Breslauer Kürassieren gedient hatte, zu meinem Vater, der bei den Gardehusaren in Potsdam gedient hatte. Prinz Wilhelm war sein Regimentskommandeur. Mein Vater konnte die Worte seines Nachbarn nur bejahen. Gegen Naturkatastrophen sind wir meist machtlos. Ich habe verschiedene erlebt.Gerhard Wandelt (Kniegnitz) V. Das Unwetter 1916 habe ich in Ziebendorf erlebt. Ich war damals fast 12 Jahre alt. Mein Vater war dort Lehrer. Wir hatten eben die Kinder von 6 bis 10 Jahren in der Klasse, als das Wetter losging. Die Kinder schrien und wollten zur Mutter. Ich konnte schnell noch die Haustür zuschließen, denn vom Dach kamen die Ziegel herunter. Die großen Hagelkörner zerschlugen alle Fensterscheiben und das Schulzimmer stand bald unter Wasser. Wir konnten nur verzweifelt zusehen, wie unser Garten verwüstet wurde. Nach kurzer Zeit war das Wetter vorbei und wir begaben uns ins Dorf, um den Schaden anzusehen. Beim Bauern August Zobel stand ein Erntewagen im Hof. Dieser Wagen wurde vom Sturm kreuz und quer durch den Hof geschleudert. Die Deichsel rammte ein neues Scheunentor. Tor und Deichsel zersplitterten wie Streichhölzer. Der Wagen wurde auf die Seite geworfen und nochmal gedreht, so daß alle vier Räder nach oben ragten. Der Bauer konnte nur vom Fenster aus zusehen. Er brauchte später viele starke Männer, um den Wagen wieder umzudrehen.Ein zweiter Fall ist mir in Erinnerung: Vor einem kleinen Katenhaus stand ein riesiger Kastanienbaum. Der wurde umgeworfen. Er fiel auf das Haus und zerdrückte es vollkommen. Die Äste bohrten sich durch Dach und Decke und landeten auf dem Tisch, wo die Familie Ungeheuer beim Mittagessen saß. Der dritte Fall: Von Ziebendorf nach Friedrichshuld ging eine wunderschöne Allee von sehr hohen Pappeln, ein breiter Feldweg. Diese Bäume wurden fast alle entwurzelt, sie fielen ins Getreidefeld und die Wurzeln standen so hoch wie vorher die Pappeln. Das Kornfeld wurde total vernichtet und der Weg war von ausgerissenen Wurzeln unbegehbar. Natürlich sah es im ganzen Dorf furchtbar aus. Wir hatten uns dann einen ganzen Korb Sauerkirschen aufgelesen.Meine Mutter kam an diesem Tage von Oberschlesien. Sie war gerade in Breslau, als bei uns das Unwetter tobte. Es wurde dort stockdunkel. Als sie in Lüben vom Bahnhof kam, wunderte sie sich, daß man ganze Äste von den blühenden Linden abgerissen hatte. In der Stadt sah sie dann die Bescherung. Da schwammen die Heringe im Rinnstein usw. Sie ging zu Neumann in die Konditorei und dort erfuhr sie alles. Vor allem wurde ihr gesagt, daß es in Ziebendorf so sehr gewütet hat. Da bekam meine Mutter einen großen Schreck. Ich weiß jetzt nicht mehr, wie sie damals nach Hause gekommen ist. Es waren immerhin 7 ½ km bis nach Ziebendorf. Luise Metze geb. LiskeEs muß der frühe Nachmittag des 5. Juli 1916 gewesen sein. Der Himmel wurde dunkel, wie wenn es Abend würde - ein Gewitter erwarteten wir, wie es im Hochsommer so kommt. Aber es herrschte eine bedrückende, gefahrkündende Stille, jene bekannte "Stille vor dem Sturm". Von Südwesten her wurde es "schwarz", wie man so sagt. Wir mußten in den Zimmern das Licht anzünden, damals noch Gaslicht! Dann ging es los: Sturm brach herein und drückte gegen die Fenster (er wurde so stark, daß er in anderen Stadtteilen Schornsteine umdrückte und Dächer teilweise abdeckte). Das ist jener kalte Sturm, von dem wir heute wissen, daß er vor Gewitterfronten daherbraust, und dann, goß es in ungewohnter Stärke. Es rauschte vor den Fenstern - wir wohnten im Hause Ring 26 bei Schneidermeister Ernst, im zweiten Stock. Von dort oben konnten wir die atmosphärischen Veränderungen immer gut beobachten, und nun sahen wir, daß der Regen so dicht wurde, daß wir zu den Hinterfenstern hinaus den mächtigen Kirchturm nicht mehr sehen konnten. Und dann hagelte es auch, und zwar so stark, daß wir befürchten mußten, daß die "Schloßen" die Scheiben uns zerschlugen - so sehr peitschten sie gegen das Haus. Wir ließen die Jalousien herunter und liefen in die Vorderzimmer, um dort nach dem Rechten zu sehen. Dort drückte der Hagel nicht gegen die Fenster - er rauschte aber wie eine graue Wand an uns vorbei. Es war nichts mehr zu erkennen: der "Grüne Baum" war verschwunden, sogar das nahe vor uns liegende Rathaus - alles war verhängt! Wir ahnten, welche ungeheure Gewalt hier wirksam sein konnte und befürchteten Schlimmes für die Stadt. Doch lange dauerte dieses Unwetter nicht - vielleicht eine Viertelstunde nur. Dann war alles vorüber, so schnell wie es gekommen war. Es wurde windstill und wir konnten auf die Straße hinuntergehen. Ich muß hier nachholen, daß auf dem Ring gerade Jahrmarkt war. An der Rathauswand hatten die Bänkelsänger wieder ihren Platz und berichteten vom Bergmannstod und wohl auch vom Räuber Sternickel. Um den ganzen Platz herum standen die Buden, die Zelte - überall frohes Leben. Man aß Bonbons und kaufte bei Hensler ein großes Stück Pferdewurst! Aber jetzt war alles anders geworden: Im Vorbeirauschen des Regens vor unseren Fenstern hatten wir es erlebt, daß eine der Planen der Buden bei uns im zweiten Stock gespenstisch vorbeigeflogen war - wir wußten, daß viel geschehen sein mußte. Nun sahen wir diese Zerstörung. Da sah es wild aus: Verwüstung, klagende Menschen - und Neugierige (wie ich!). An den Haussockeln, in den Ecken des Rathauses lag der Hagel in Bergen, die Körner so groß wie Saubohnen - alles war durchnäßt. Fast alle Buden waren umgerissen, ihre Besitzer standen zwischen den Trümmern und wußten nicht, was sie zuerst zur Behebung des Schadens machen sollten - was noch zu retten war, ja, ob überhaupt noch etwas zu retten war. Da stand eine alte Frau und erzählte, wie der Sturm gekommen sei, wie er von unten in ihren Stand hineingeblasen und ihn erzittern gemacht hätte. Dann bebte alles und von da ab wußte sie nicht mehr, wie alles so schnell geschehen war. Jedenfalls wollte sie das Zeltgerüst festhalten und klammerte sich daran - aber da hob es sie mit einem mächtigen Ruck, und da war es schon geschehen: Gerüst und Planen lagen auf dem Boden - und sie selber saß oben darauf. Vor dem Hause der Familie Geistefeldt war ein Stand mit Kleinwaren: mit Kämmen und Spiegeln und Taschenmessern, Bildern, Broschüren und bunten Heften, mit spannenden Geschichten und erregend grellen Bildern auf ihren Titelseiten. Gruselgeschichten warteten auf erlebnishungrige Leser, - so war es vor dem Unwetter! Das war nun vorbei - flach lag alles auf dem Pflaster, zusammengeschoben, herumgewirbelt, durcheinander. Die schönen bunten Bilder waren nicht farbecht gewesen - und nun floß am Bürgersteig ein regenbogenfarbiges Wasser, rot und grün und gelb, eine scheußliche Flüssigkeit und sie färbte den Untergrund vielfarbig und phantastisch! Ein trauriges Bild! An anderer Stelle war ein Stand für Lebkuchen, wir nannten sie "Pauernbissen", da lag nun gleichfalls einer unten, in ganzer Breite schön wie zuvor, mit seinem sammetbraunen Steinpflastermuster (wie Katzenkopfpflaster). Er sah noch gut aus. Und nun sah ihn der Budenbesitzer hoffnungsvoll an und wollte ihn aufheben, aber da ging es ihm wie dem Bäcker in "Max und Moritz", der die Hände gerade im Teig hatte, als die beiden bösen Buben sich aus ihrer Teighülle herausknabberten: er griff zu und wollte den Kuchen am Rande aufheben, - aber der blieb unten, pappeweich, und in den Händen hatte er nur den tropfenden Kleister (der kurz zuvor noch Pauernbissen gewesen war!). Aber ich muß noch vom Fischhändler Neidel berichten, den viele noch kennen werden. Er zog von Markt zu Markt und bot seine Fischsorten auf dem schief gestellten, dem Käufer zugeneigten Leiterwagen dar: die Bücklinge und Sardinen und Forellen, Kabeljau (geräuchert), Schillerlockcn und Flundern, Aale usw. Es roch immer so gut bei ihm, so würzig, und das Ganze war eine sehr appetitliche Angelegenheit, - jetzt war das nicht mehr so! Alle Fische waren aus ihren flachen Kisten herausgesprungen, sie lagen um den Wagen herum, und Neidels Stand vor dem "Schwarzen Adler" war allseitig von goldgelben Fischbäuchen umlagert. Aber da strömte von der Nieder-Glogauer Straße her das Wasser herunter und nahm alles mit und vor der Apotheke verschwand das ganze Fischvolk, zum letzten Male schwimmend - im Gulli. Weg war es! Es war traurig, - aber wir mußten doch ein wenig lächeln, es war die richtige Wilhelm-Busch-Stimmung, mit tragikomischem Geschehen. Und so war es um den ganzen Ring herum: überall Zerstörung. Reste des Hagels und Klagen der Budenbesitzer. Auch sonst war Schaden geschehen: in der Kastanienallee, von der Liegnitzer Straße zum Bleicherdamm, lagen vor dem Piastenschloß wohl zehn bis fünfzehn der hohen Bäume umgebrochen, quer über die Straße. Und draußen im Park hinter dem Stiftsgut hatte eine Windhose eine breite Gasse in den Baumbestand gewalzt. In den Straßen Lübens stand Wasser, und die "Kaale Baache" war geschwollen. Wir aber kletterten über die umgestürzten Riesen am Piastenschloß, und Photograph Härttwig photographierte uns dabei! Das soll nun fünfundvierzig Jahre her sein? Wirklich? Ich reibe mir die Augen, um das zu begreifen, - man kann es kaum glauben. Ja, ja, die Jahre damals, dahinten in der fernen Heimat, in der Stadt unserer Jugendtage! Theo Dames |