Als Mittelpunkt für die Arbeit des "Quickborn" wurde 1919 die Burg Rothenfels am Main bei Lohr aufgekauft. Sie wurde mit enormen eigenen Mitteln ausgebaut. Es gelang, die Burg in kürzester Zeit so herzurichten, daß dort bald die Gautage, Arbeitskreise und Tagungen nicht nur des "Quickborn" sondern auch anderer Jugendgruppen stattfanden. Man richtete auch eine Jugendherberge ein. Die Burg Rothenfels wurde in kurzer Zeit zu einer anerkannten Bildungsstätte. Die Werkwochen wurden noch bereichert durch den bekannten katholischen Theologen Romano Guardini, der in den Jahren um 1927 Bundesführer des "Quickborn" war. Von ehemaligen Quickbornern gingen auch starke Impulse aus, besonders auf liturgischem Gebiet, die wesentlich das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) beeinflußten. Auch ging es damals darum, ein neues christliches Bewußtsein in der modernen Gesellschaft zu schaffen.
Im Laufe der Jahre traten im "Quickborn" Meinungsverschiedenheiten auf, ja es gab sogar Spannungen. Verschiedener Meinung war man in Bezug auf die Mitgliedschaft: Studenten, Gymnasiasten oder Werktätige, Buben oder auch Mädchen? Ob weiter Abstinenz oder nicht? Jugend und ältere Quickborner? Sich mehr auf die Kirche oder den Staat ausrichten? Es bestand auch nicht immer Einigkeit zwischen den Gauen! Man trennte schließlich "Alt" und "Jung". Innerhalb der Jugend bildeten sich 1931 im "Quickborn" zwei Gruppen: die Jungenschaft und die Jungmannschaft mit Mitgliedern bis zu 25 Jahren. Aber auch in diesen Gruppen kam es bis 1934 zu keiner richtigen Ruhe. Zu viele Einflüsse weltanschaulicher und politischer Art strömten auf die Jugend ein.
Von den deutschen Bischöfen wurde aufgrund der dauernden Behinderungen der Jugendarbeit durch HJ und Partei der "Quickborn" unter die katholischen Organisationen gezählt, die im Sinne des Konkordats erhalten und geschützt werden sollten. Um der NSDAP nun weitere Gründe zu Angriffen zu nehmen, entwickelte sich aus dieser Jungenschaft eine neue Gruppe, mit den gleichen Zielen, aber einem anderen Namen, die "Deutschmeister". Das "Boberhaus" in Löwenberg in Schlesien war in diesen Jahren und bereits zuvor für die Jungenschaften des "Quickborns" und der "Deutschmeister" Schlesiens eine Begegnungsstätte mit anderen Gruppen und der "Freischar". Doch die Umbenennung half nichts. So wurden wir, wie in vielen anderen Orten des Reiches, im Herbst 1934 auch in Lüben als Gruppe der "Deutschmeister" von der NSDAP verboten. Trotz Verbotes gab es noch bis 1939 in einigen Orten Deutschlands "Quickborn"-Gruppen, die getarnt arbeiteten, die ihre Gautage als "Einkehrtage" umbenannten, an denen noch bis zu 500 Teilnehmer zu zählen waren. Solch ein Einkehrtag der "Deutschmeister" des Rheingaues mußte kurzfristig auf einen Rheindampfer verlegt werden, der als neutral galt. Die Regierungsbezirke beiderseits des Rheins hatten eine öffentliche Tätigkeit der Gruppe verboten. Nach dieser Zeit auch in den Kriegsjahren hielten die "Quickborner" untereinander die Verbindung aufrecht.
Die Burg Rothenfels entwickelte sich nach dem Krieg zu einer bekannten Bildungsstätte, in der Seminare, Werkwochen, Bildungsfreizeiten, Tagungen, politische Arbeitskreise usw. abgehalten werden. Auch unser verehrter Herr Pfarrer Irmler hielt Vorträge auf der Burg. So ist sie eine Stätte für alle Christlich-Orientierten geworden. Auch haben sich viele alte Quickborner nach dem Kriege zu einem Bund Quickborn zusammengeschlossen. Es sind vorwiegend ältere Menschen, welche die Ideale aus den Jahren um 1925 bis 1932 wachhalten wollen.
Der "Quickborn" in Lüben
In der Wohnung von Hauptlehrer und Kantor Gotthard Kindler trafen sich am 11.11.1919 die Schüler des Lübener Gymnasiums Gerhard Kindler (1907-1998), Hans Leider (Sohn des Leiters des Lübener Postamts Georg Leider, gefallen 1944), Hans Hübner (1906-1999), Gerhard und Alfons Brauner (Söhne des Kolonialwaren-Kaufmanns am Ring) und unterhielten sich über die neue katholische Jugendbewegung, die sich schon seit 10 Jahren von Neisse her verbreitete, über das "Warum" und die Ziele dieser Jugendgruppe. Man beschloß, auch in Lüben solch eine Jugendgruppe zu bilden. Zur Bekräftigung dieser Gründung wurden die Lieder Unter'm Dach, juchhe und Zogen einst fünf wilde Schwäne gesungen. Im Jahr 1920 nahm dann Hans Hübner am Bundestag des "Quickborn" auf der Burg Rothenfels teil. Helmut Leider (1906-1995) und Paul Janke (* 1909, Sohn des Postbeamten) besuchten 1922 den Gautag der schlesischen Quickborner in Patschkau/OS. Im Jahr 1925 wurde dann Eberhard Leider (1913-1976) der Führer der Lübener Gruppe. Auf eine "Großfahrt" (damals war es eine!) gingen Jochen (* 1911) und Eberhard Leider mit Martin Nieke (1915-1995) nach Rothenburg ob der Tauber.
In diesen Jahren erwarb sich die Gruppe in der Baracke auf dem kleinen Exerzierplatz einen Raum, den sie sich als Gruppenzimmer ausgestaltete. Dieses Zimmer wurde mit eigenen Mitteln und aus eigener Kraft nett eingerichtet. Die Holzwände wurden getüncht, ebenfalls Tische und Bänke, die Wand an der Sitzecke mit grüner Jute bespannt. Ein "Kanonenofen" und ein Schrank, in dem Bücher, Spiele, Geräte und Ausrüstungen für Wanderungen und Fahrten untergebracht waren, auch schöne Vorhänge am Fenster, vervollständigten unser Zimmer. Hier hielten wir wöchentlich unsere Gruppenstunden ab. Spiele im Gruppenzimmer und auch Vorlesen aus Jugendbüchern (bei Petroleumbeleuchtung!), Singen von alten und Lernen von neuen Liedern, Diskussionen und Gespräche über weitere Gestaltung der nächsten Zusammenkünfte füllten die Stunde aus. Auch Sport und Spiel auf dem kleinen Exerzierplatz gehörten in die Gruppenstunden mit hinein. Zu besonderen Anlässen probten wir auch unsere Lieder mit Gitarren- und Geigenbegleitung für die Gottesdienste, die von uns gestaltet wurden. Die Geige spielte Bernhard Ecke (1911-1996), und mit den Gitarren begleiteten uns Eberhard Leider, Heinrich Munderloh (1912-1973) und Martin Nieke. Wenn wir mit Theaterstücken an die Öffentlichkeit treten wollten, wurden die ersten Leseproben im Gruppenzimmer abgehalten. Vor Winterbeginn ging es dann mit Handwagen oder Schlitten in den Wald (Oberförsterei), um Winterholz für unseren Kanonenofen zu holen, selbstverständlich mit Genehmigung der Forstbehörde. Dieses Holzholen hat uns allen immer riesigen Spaß gemacht, das Sägen und Zerhacken inbegriffen. 1928 waren wir in der Quickborn-Gruppe in Lüben ungefähr 35 Jungen und Mädchen. Wenn auch unsere Gruppe nicht sehr groß war, so herrschte doch reges Leben bei uns.
In den Großen Ferien des Jahres 1931 gingen fünf Lübener Quickborner auf Großfahrt nach Jugoslawien. Mit von der Partie waren Eberhard Leider, Felix Munderloh (unser Ixe, * 1917)), Rudolf Fuhrmann (1913-1975), Klemens Trocha und der Schreiber dieses Artikels Josef-Sepp Marek. Von Niederschlesien fuhren wir in fünf Gruppen mit der Bahn über Breslau, Wien nach Preßburg (Tschechoslowakei), dann auf der Donau per Schiff über Budapest bis an die Drau nach Esseg. Unsere Gruppe durchwanderte von hier aus Jugoslawien (Bosnien) bis zur Adria-Küste. Jede der fünf Gruppen zog einen anderen Weg, meistens die Flußtäler entlang. Wir hatten uns zur Aufgabe gemacht, die Deutschen in den dortigen Siedlungsgebieten aufzusuchen. So waren wir in den deutschnamigen Orten Marienstern und Josefsburg. Hier verweilten wir drei Tage in einem Trappistenkloster, nahmen auch an einer Hochzeit des Ortes teil, es waren Deutschstämmige. Von Split brachte uns ein Frachtdampfer auf der Adria nach Dubrownik (Ragusa). Auch hier blieben wir drei Tage. Um nach Vukowar an die Donau zu gelangen, mußten wir wieder zu Fuß quer durch Bosnien wandern. Hier nahm uns ein Donaudampfer auf, und nun ging es wieder per Schiff bis nach Wien und von dort mit der Eisenbahn zurück in unser geliebtes Lüben. - Diese Großfahrt machte auf uns fünf Jugendliche aus Lüben und auf H. Decker aus Neusalz, der sich uns angeschlossen hatte, einen sehr großen Eindruck. Wir waren damals zwischen 15 und 18 Jahre alt. Noch nach 52 Jahren sind mir viele Einzelheiten in Erinnerung, so als ob ich die Fahrt erst im vorigen Jahr gemacht hätte.
Im Jahr 1932 trampten wir Quickborner aus Lüben, es waren diesmal ebenfalls fünf, nach Österreich, der Steiermark und ins Burgenland. Die Großen Ferien nutzten dafür Eberhard Leider, Bernhard Ecke, Martin Nieke, H. Brückner, H. K. Wittekopf und ich, als Gast wieder H. Decker aus Neusalz. Zweck dieser Großfahrt war die Teilnahme am Treffen der Deutschen Jugend Mitteleuropas im Schloßgarten von Esterhazy in Eisenstadt. Es trafen sich ca. 4000 Jugendliche der damaligen Bündischen Jugend aus ganz Deutschland, aus dem Baltikum, aus Nord-Schleswig, Eupen, dem Saarland, Elsaß-Lothringen, Südtirol usw. Aus Anlaß der Wiederkehr des 200. Geburtstages von Joseph Haydn fand im Schloßpark eine große Kundgebung statt, die durch Radio Wien und Breslau übertragen wurde. Auch diese Fahrt ist uns allen in guter Erinnerung geblieben.
Weiter veranstaltete die Lübener Gruppe noch eine Großfahrt per Fahrrad ins Allgäu und in die Alpen. Von den Teilnehmern an dieser Fahrt kann ich nur zwei Namen nennen, Rudi Fuhrmann und Paul Marek. Ich nahm selbst nicht teil. Beide Jungen sahen zum erstenmal die schöne Alpenwelt. Weitere große Fahrten unternahmen die Jungen der Gruppe nach Suhlau, Silberberg, mit dem Fahrrad nach Karlsmarkt bei Brieg, nach Wüstegiersdorf und Alt-Jauer u. a. m.
Die "Bündische Jugend Niederschlesiens" veranstaltete 1932 in Lüben ein großes Sportfest. Aus mehreren Orten nahmen daran teil Gruppen vom Bibelkreis (BK) der evangelischen Jugend, Pfadfinder, Freischärler und wir als Deutschmeister. Mit Sport und Spiel, Singen, Zelt-auf-und-abbauen und einem Marsch von der städtischen Badeanstalt zum Turnplatz am Krankenhaus (dabei kam es auf Schnelligkeit an) wetteiferten die Gruppen miteinander.
Nach der Rückkehr von der Jugoslawienfahrt veranstalteten wir Quickborner im "Löwen-Saal" einen großen Bunten Abend. Er wurde für uns ein besonderer Erfolg. Es war nicht das erste Mal, daß wir uns in der Öffentlichkeit zeigten. Schon bei Theatervorstellungen der Bündischen Jugend hatten wir mitgewirkt. Im Löwen-Saal mit dem Stück "Die Schlacht bei Bergheim" oder bei "Wilhelm Teil". Beim Spannhäusel am Turnplatz oder bei den Krippenspielen wirkten wir ebenfalls mit! Wer erinnert sich da nicht gern an den unvergessenen Erich Menzel?
Wir Deutschmeister machten 1932 eine Theater-Tournee in die Orte Eisemost, Ober-Gläsersdorf, Groß-Heinzendorf, Heinzenburg und Herbersdorf. Wir spielten das Stück "Des Kaisers neue Kleider". 1932 oder gar 1933 führten wir im Löwen-Saal ein Theaterstück auf, das uns harte Kritik durch den Jesuiten-Pater Kajetan einbrachte. Er vertrat zu dieser Zeit unseren hochverehrten Pfarrer Rust. Wir spielten das Stück "Der Löwe von Flandern". Es handelt vom Befreiungskampf der protestantischen Niederländer gegen die spanische Inquisition durch Herzog Alba. Wir, die katholische Jugend, dürften doch so ein Stück nicht spielen, meinte Pater Kajetan. Wir haben es an zwei Abenden aufgeführt!
Noch einmal hat unsere Gruppe ihre Fähigkeit auf der Bühne zeigen müssen. Beim Lübener Gymnasium war es Tradition, während der Weihnachtszeit in der Aula der Schule ein Krippenspiel aufzuführen. Ein Lehrer übte dies Spiel mit Schülern des Gymnasiums ein. Weihnachten 1933 mochte keiner der Lehrer mehr solch ein Krippenspiel einüben. Der damalige Direktor Erwin Vetter kam deshalb auf uns "Deutschmeister" zu - und wir spielten ein Krippenspiel nach unserer Wahl, auch mit Darstellern, die nicht Schüler des Gymnasiums waren.
Die Zeiten für uns Quickborner-Deutschmeister wurden immer schwieriger. Zu Pfingsten 1933 organisierte unsere Gruppe noch einen Gautag in dem Ziegelei-Gelände hinter der Oberförsterei. In der Ziegelei wurde nicht mehr gearbeitet. Es kam aber nur ein kleines Häuflein zusammen, aus drei Ortschaften kamen noch Gruppen. In den anderen Orten mußten die Gruppen auf Druck der NSDAP ihre Tätigkeit einstellen. Bei diesem Gautag im Ziegeleigelände besuchte uns Graf von Ballestrem und stiftete uns sogar ein Kalb. Es wurde am Spieß gebraten und schmeckte sehr gut.
An einem Adventssonntag im Jahre 1933 veranstalteten die Lübener Gruppen der Bündischen Jugend ein Stadtkriegsspiel. Es galt, die "Geheimakte Roter Kreis" in Besitz zu bekommen. Vielen Lübenern, die ihren Einkaufsbummel machten, kam das sehr seltsam vor. Da stimmte doch etwas nicht! So sahen sie u. a. ein junges "Ehepaar", in Wirklichkeit Ixe Munderloh und Hans-Karl Reiske, mit einem Kinderwagen durch die Straßen rasen, verfolgt von einem "Briefträger" mit langer Pelerine, der im Kinderwagen die "Geheimakte" vermutete. Es gab dabei filmreife Momente und eigenartige Situationen.
Unsere letzten öffentlichen Auftritte in den Straßen der Stadt Lüben waren der 1. Mai 1933 und das Erntedankfest 1933. Neben anderen Organisationen, vorwiegend alles NS-Gruppen, nahmen wir Deutschmeister daran teil. Unser Banner - schwarzer Adler mit roten Beinen und roter Zunge - und zwei Landsknechttrommeln führten unsere Gruppe an. Danach kamen wir mit unserem Abzeichen auf der Brust. Bei allen diesen Umzügen durch die Stadt waren wir ca. 25 Jungen. Wir marschierten in Dreier-Reihen, weit auseinandergezogen, alle anderen Gruppen in Vierer-Reihen dicht aufgeschlossen. So erschien unser kleiner Haufe doch recht groß. Zu unserer "Juscha-Kluft" (Jungenschaft-Uniform), in der wir marschierten, gehörte auch ein Schulterriemen. Am 1. Mai 1934 verbot man uns, diesen zu tragen. Darauf ketteten wir uns mit den Schulterriemen gegenseitig an, und zwar so, daß die Riemen am Rücken der ersten Reihe befestigt waren und zur Vorderseite der Jungen in der zweiten Reihe reichten und dort befestigt wurden. So geschah es mit allen Reihen.