Erinnerungen von Gerda Jindra geb. Heidrich
Erika Hoffmann-Rehmie (1907-1979)














Die Heimstättensiedlung Lüben
von Gerda Jindra geb. Heidrich (1922-2015)

Drei Häuser der Siedlung standen in der Benjamin-Schmolck-Straße und drei gleiche in der Schwenckfeldstraße. Dort waren auch die neuen Mietshäuser von Hohberg erbaut worden, die auch heute noch stehen, während die Häuser der Heimstätten-Siedlung die ersten waren, die beim Kampf um Lüben in Flammen aufgingen. Wie das geschehen ist, hat man nie so recht erfahren, man hörte immer nur Gerüchte. Einmal hieß es, die deutsche Luftwaffe hätte die Stadt "versehentlich" bombardiert, einmal hieß es, die Russen wären es gewesen.

Diese Heimstätten wurden auch Beamten-Siedlung genannt, weil fast alle Mieter im öffentlichen Dienst bei Post, Bahn oder Behörden angestellt oder Berufssoldaten mit Familien waren. Es waren schöne gepflegte Häuser. Der Sitz der Gesellschaft war, glaube ich, in Breslau. Ob es die gleiche Gesellschaft war, die auch die Siedlung Richtung Heilanstalt gebaut hatte, kann ich nicht sagen. Die Häuser waren ringsum von einem Mäuerchen mit Zaun und Eingangstürchen eingerahmt und vor jedem Haus war eine kleine Wiese als Vorgarten angelegt. An der Schwenckfeldstraße standen im Vorgarten an der Straße noch 2 kleine Kastanienbäume.

Inmitten dieser Wohnhäuser war eine große Wiese, auf der für jedes der Häuser eine Teppichklopfstange stand. Damals hatte noch niemand einen Staubsauger und so wurden an den Tagen des Reinemachens die Teppiche ausgeklopft. Zu jedem Haus gehörte auch ein kleiner Streifen Gartenland am Ende dieser Wiese, das mit einer kurzgehaltenen Hecke eingezäunt war. Die Beete waren aufgeteilt und jede Wohnung bekam einen Streifen Land zugeteilt, den man bebauen konnte, wie man wollte. Meine Eltern haben dort nur Erdbeeren gepflanzt. Mein Vater, der am Stellwerk an der Molkerei seinen Dienst tat, hatte dort ein Stück Schrebergarten, wo wir Gemüse anbauten. Nebenbei konnte man im Garten natürlich ein Schwätzchen mit den Nachbarn abhalten.

Jedes Haus in der Schwenckfeldstraße hatte im Parterre und im 1. Stock drei Wohnungen. Die beiden rechts und links waren gleich groß. Die mittlere Wohnung war etwas kleiner, ebenso die Wohnung im 2. Stock, die hatte auch noch die Dachschräge.

In den Wohnzimmern stand ein großer Kachelofen gleich hinter der Tür. Er wurde mit Briketts beheizt. Die hatte jede Familie im Keller gestapelt und gelagert, ebenso wie die Einkellerungskartoffeln. Es gab nicht das gesamte Jahr hindurch Kartoffeln zu kaufen. Einige hatten im Keller auch ein Faß mit selbstgehobeltem Sauerkraut und eingelegte Gurken. Das war bei Familien üblich, die einen Schrebergarten hatten.

Vom Flur auf der oberen Etage ging man rechts zum Trockenboden. Die Tür war verschlossen und den Schlüssel bekam die Familie, die "Waschwoche" hatte. Das hieß, in dieser Woche stand ihr allein der Trockenboden zur Verfügung. Die Wäsche wurde zuerst in einem großen Kessel im Waschkeller, der mit Briketts beheizt wurde, mit Waschpulver gekocht. Anschließend wurde sie in einen großen Holzbottich befördert, musste dort etwas abkühlen, ehe sie dann mit dem "Rumpel-Waschbrett" tüchtig gerumpelt und gewaschen wurde, was Schwerstarbeit war.

Gespült wurde sie in einer anderen großen Holzwanne, an die eine mit Rollen versehene Presse angeschraubt war. Eine Hilfskraft drehte die Rollen und die Wäscherin schob die nassen Wäschestücke zwischen den beiden Rollen hindurch. So wurde die Wäsche ausgewrungen. Ein Waschtag war schwere Arbeit für die Hausfrau damals.

Auf dem Dachboden gehörte zu jeder Wohnung ein mit Latten abgetrenntes abschließbares kleines Kämmerchen als Abstellraum. Zwei Türen führten zu je einem kleinen Mansardenzimmer, in dem Platz für ein Bett, einen kleinen Schrank und eine Kommode war. Diese Mansardenzimmer gehörten jeweils zu einer Wohnung im 1. und 2. Stock. Als ich erwachsen war, durfte ich ein solches Zimmerchen beziehen und war natürlich sehr froh darüber. Jede Wohnung besaß eine eigene Toilette, die sich aber außerhalb der Wohnung, jeweils eine Treppe tiefer im Hausflur befand.

Alle Wohnungstüren hatten einen drehbare Klingel und einen Schlitz, hinter dem sich innerhalb der Wohnung der Briefkasten befand. Der Flur war eng und schmal, führte an einer Seite zur Küche, die mit einem weißen Küchenherd mit Backrohr und Wasserbehälter ausgestattet war. So hatte man immer auch warmes Wasser. Neben dem Küchenfenster war ein eisernes halbrundes Becken mit Abfluss und Wasserhahn. Dann gab es einen eingebauten Wandschrank mit einer hohen Tür. Rechts davon ein zweiteiliger Wandschrank mit viel Abstellfläche, der bis zur Decke reichte.

Hinter der hohen Tür verbarg sich eine sogenannte "Volksbadewanne" aus Zink. Sie hatte am schmalen Fußende einen Ablaufstopfen für das Wasser. Bei geöffneter Tür konnte man die Wanne zwischen Küche und Wannenschrank genau über das Abflussloch stellen, der am Fußboden in diesem Wannenschrank war. Dann machte man das Badewasser auf dem Küchenherd warum, füllte es in die Zinkwanne und konnte tatsächlich ein Bad nehmen!

Wir und die meisten Mieter hatten diese große schmale Wanne aber im Keller stehen, daneben stand ein kleines Waschtischchen mit Regal. Die Handtücher hingen innen an der Tür. Man konnte auch in der Wanne im Waschkeller baden. Dort gab es sogar einen Gasautomaten für heißes Wasser. Man musste sich vom Hausmeister den Schlüssel holen, einen kleinen Geldbetrag, so um die 50 Pf., bezahlen und konnte sich sofort das heiße Wasser einlaufen lassen. Anschließend säuberte man die Wanne und den Raum und brachte den Schlüssel wieder zurück. Ein richtiges Badezimmer wie heute gab es noch nicht. Aber was man nicht kennt, vermisst man nicht.

Der Hausmeister für unsere Häuser in der Schwenckfeldstraße war Herr Wallisch, der unten parterre die Mittelwohnung bewohnte. In der Güterstraße betreuten Herr und Frau Baier als Hausmeister die Wohnungen. Für die Schmolckstraße weiß ich es nicht.

Diese Hausmeister kümmerten sich um alles, fegten die Wege ums Haus, schnitten die Hecken um die Gärten, fegten den Wäscheboden und die Kellergänge, machten Pläne für die Waschküche, damit jeder einmal drankam und verwahrten die Schlüssel für Boden und Waschküche. Alles hatte seine Ordnung und wir haben alle gern dort gewohnt und uns gut verstanden.

Nach der Flucht stand ich mit einigen in Verbindung, so mit Familie Wallnisch, Familie Schmidt (Briefträger) und Fräulein Melitta Tasche, die einst Sekretärin bei Gadebusch war. Aber das ist lange her. Alles geht so dahin und inzwischen lebt man von den Erinnerungen. Einige wenige Fotos habe ich noch. Früher hat man ja nicht so viel fotografiert wie heute mit der neuen Technik.

Über meine Arbeit auf dem Fernmeldeamt Lüben

Das Dachgeschoss des Postgebäudes war in den 1930er Jahren zu einem dritten Stockwerk umgebaut worden. Auf dieser Etage befanden sich das Fernmeldeamt und ein sogenannter Wählersaal für alle Telefonanschlüsse der Stadt. Wir mussten ja damals jedes Gespräch "stöpseln"! Wir arbeiteten in drei Schichten rund um die Uhr. Telegramme wurden uns telefonisch übermittelt und von uns auf Formblätter geschrieben und dann ausgeliefert. Dafür musste ich bei der Ausbildung noch das Morsen erlernen! Telegrammtexte wurden uns früher mit dem Klopfer übermittelt... dü-da-dü-ditt!!! In Lüben gab es nur zwei Fernsprechhäuschen, von denen aus man telefonieren konnte. Nur die wenigsten Lübener hatten einen eigenen Telefonanschluss, meist nur Geschäftsleute.

Ich habe mit meinen Kolleginnen im Fernmeldeamt bis zum letzten Moment "die Stellung gehalten". Auf dem Hof des Postamtes hatte man im Januar 1945 den Hauptgefechtsstand der Stadt eingerichtet, und auf dem Klappenschrank, an dem wir die Gespräche vermittelten, lagen Handgranaten gestapelt. "Zu unserer persönlichen Sicherheit", wie man uns sagte. Major Maier (genannt Panzer-Maier) versprach, uns "wenn irgend möglich vor dem Angriff" aus der Stadt zu bringen. Wir hatten Glück, daß gerade ein Lkw der Heeresunteroffizier-Schule Jauer zum Hauptgefechtsstand kam, auf dem wir Mädchen vom Fernsprechamt und noch andere Postangestellte die Stadt Richtung Haynau verlassen konnten, als der Angriff erfolgte. Ich hatte wohl damals oft einen Schutzengel, daß ich all dem entkommen konnte.

In Dresden war der Bahnhof so überfüllt, daß meine Kollegin und ich versuchten, noch auf einen bereits anfahrenden Zug zu klettern, was uns auch gelang. Wir ahnten nicht, daß dieser Zug der letzte war, der Dresden vor dem Angriff verlassen hatte. Kurz darauf fielen die Bomben, der Zug hielt auf freier Strecke und wir sahen, wie der Bahnhof getroffen wurde. Wenn ich daran denke, begreife ich noch heute nicht, wie ich davongekommen bin.

Das ist nun alles schon so viele Jahre her und doch scheint mir, es sei erst gestern gewesen, weil die Erinnerungen so allgegenwärtig sind.

Gerda Jindra geb. Heidrich, September 2010.
Ich bin auch auf einigen Schulbildern zu sehen.
Meine Mutter Ida Heidrich (1892-1981)  bei der Erdbeerernte

Meine Mutter Ida Heidrich (1892-1981) bei der Erdbeerernte

Mein Vater Hermann Heidrich  (1892-1970)

Mein Vater Hermann Heidrich (1892-1970)
in seiner Eisenbahneruniform

Erich (1925-1994) und Kurt Heidrich (1921-1942)

Meine Brüder Erich (1925-1994) und Kurt (1921-1942)

Kurt Heidrich (1921-1942)

Mein Bruder Kurt bei seinem letzten Besuch
zu Hause im Oktober 1942. Er fiel am 28.11.1942.

Unsere Danksagung im Lübener Stadtblatt vom 2.1.1943

Unsere Danksagung im Lübener Stadtblatt vom 2.1.1943

Gerda Heidrich als 18jährige auf dem Fernmeldeamt Lüben im Jahr 1941

Das bin ich, Gerda Heidrich (* 1922),
1941 als 18jährige auf dem Fernmeldeamt Lüben. Mit dem Rücken zum Betrachter sitzt meine Kollegin Ursula Michael.