Erika Hoffmann-Rehmie (1907-1979)
Kommunalwahl in Lüben 1933














Erika Hoffmann-Rehmie war keine Schlesierin, als waschechte Sächsin war sie 1907 in Bautzen zur Welt gekommen. Ihre Vorfahren allerdings waren als Flüchtlinge ins Sächsische gelangt: die hugenottische Familie Rémy hatte wegen ihres Glaubens Frankreich verlassen müssen. Doch erst mit der dritten Generation war es ihr gelungen, in Dresden heimisch zu werden, die sächsische Familie Rehmie zu sein.

Der Beruf des Vaters führte die Familie nach Lüben. Er war dort von 1923-1929 als Reichsbahn-Inspektor der Bahnhofsvorsteher. Dort besuchte Erika Rehmie die Höhere Töchterschule. Auf einem Foto aus dem Jahr 1920 ist sie inmitten ihrer Schulfreundinnen abgebildet. Sie schloss sich der Bündischen Jugend an, die in Lüben von Menschen wie Else Zingel, Erich Menzel und Frieda Geistefeld (Winter) geführt wurde. Später war sie Mitglied im Großdeutschen Jugendbund und leitete eine Mädchengruppe des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA).

Alle diese Aktivitäten müssen vor historischem Hintergrund betrachtet werden und zeugen von ihrer Suche nach Idealen und einem Leben in der Gemeinschaft. Nach dem Missbrauch dieser Jugendideale durch den Nationalsozialismus und dem Verlust ihrer schlesischen Heimat suchte Erika Hoffmann-Rehmie nach dem Krieg eine Aufgabe für sich, die ihrem Wesen angemessen war. Sie fand sie im Engagement für die Lübener.

Von Freunden und Verwandten getrennt, begann die Suche nach ihnen. Was aber erst getan werden konnte, als Post und Bahn im Herbst 1945 ihren Betrieb wieder voll aufnahmen und die ersten Zeitungen erschienen. Ein vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes herausgegebenes Blatt wurde zur sehnsüchtig erwarteten Lektüre. Und es mag Anfang Dezember 1945 gewesen sein, da gab es den erlösenden Jubelschrei: Ein Lübener Schuhmacher ward gefunden, den es in das zwischen Straubing und Plattling, am rechten Donau-Ufer gelegene Irlbach verschlagen hatte.

Das war die Geburtsstunde einer fast 34jährigen Arbeit für Schlesien. Im Schneeballsystem wurden nun Anschriften gesammelt: Jede nur bekannte Anschrift wurde angeschrieben, die bereits vorhandenen Adressen beigefügt und um Rücksendung der Liste und möglicherweise weiterer, bislang noch unbekannter Hinweise auf Aufenthaltsorte von Lübenern gebeten. Im Sommer 1946 müssen es bestimmt fünf Listen gewesen sein, die kreuz und quer durch alle vier Besatzungszonen geschickt wurden, nach sechs bis acht Wochen, Brieftauben gleich, wieder zurückfanden. Im Umfang manchmal verdoppelt, wenngleich auch in erbärmlichem Zustand. Bis heute ist es für die Außenstehenden unbekannt geblieben, daß EHoRe, wie sie sich fortan nannte, mit dem Anfertigen der Listen die finanzielle Existenz ihrer Familie aufs Spiel setzte. Seit Ende August 1945 war sie wieder berufstätig, arbeitete als Angestellte des Kreises Riedenburg an der Altmühl im Landratsamt, Referat Bauwesen. In kurzen Arbeitspausen, nach Dienstschluß benutzte sie die Schreibmaschine.

Titelkopf der ersten Ausgaben Juni bis Dezember 1952

Titelkopf der ersten Ausgaben Juni bis Dez. 1952 (Adolf Böhnisch)

Endgültiger Titelkopf Ausgabe 1/1953 bis heute

Endgültiger Titelkopf Ausgabe 1/1953 bis heute (H. E. Köhler)

Es muß im Spätherbst 1950 gewesen sein, ihr Mann Werner Hoffmann war bereits aus Gefangenschaft zurück, da gab es die erste eigene Schreibmaschine: pfennigweise vom knappen Monatsgehalt abgespart, die Schwarzarbeit des Ehemannes brachte noch etwas dazu - und ein Lübener Schulfreund spendete den Rest. Ein Jahr später beim Schlesiertreffen in München drängte man EHoRe, doch ein Mitteilungsblatt herauszugeben. Der Gedanke blieb hängen, doch es fehlten Zeit, die Erfahrung, die Fachkenntnisse und das notwendige Kapital. Aus dieser Not heraus entstanden die ersten Kontakte mit dem "Liegnitzer Heimatbrief", im Frühjahr 1952 erschien eine "Null-Nummer", ein Vierteljahr später bereits die Nummer 1 des "Lübener Heimatblattes" als ständige Beilage zu dem drei Jahre älteren "Liegnitzer Heimatbrief". Am Ende jenes Jahres konnte man auf die stolze Zahl von über eintausend Abonnenten blicken. Der Titelkopf, wie er auf den ersten Nummern erschien, stammte von Malermeister Adolf Böhnisch. Die Familien Rehmie und Böhnisch hatten in Lüben im gleichen Haus in der Bahnhofstr. 16 gewohnt. Schließlich gewann EHoRe Hans Erich Köhler für die Gestaltung des neuen Titelkopfes.

Patenschaftsurkunde zwischen Unterlahnkreis Diez und Heimatkreis Lüben vom 9.9.1956

Kaum war das "Lübener Heimatblatt" zu einer festen Einrichtung geworden, stand eine neue Aufgabe ins Haus. Soforthilfe und als Folge davon Lastenausgleich bewirkten, daß für die örtliche Post selbst Briefe mit der Empfängerangabe "Frau Erika aus Lüben in Riedenburg" kein Problem bedeuteten. Zwanzig und mehr Briefe an manchen Tagen erbaten Auskünfte nach Anschriften, nach Fachleuten aus der alten Heimat, nach Bank und Grundbuchunterlagen, denn man mußte ja seine Forderungen nach Lastenausgleich belegen können. Welche Erfahrungen mit ungeduldigen Zeitgenossen EHoRe dabei machen mußte, sei dem heutigen Leser erspart. Zu loben sei vielmehr die Hilfe, die im Durchschnitt ein Viertel aller Briefschreiber leistete: Sie fügten ihrer Post überreichlich Rückporto bei, halfen, wenigstens die gröbsten Unkosten zu decken. Hilfesuchende aus Mitteldeutschland konnten doch nicht abgewiesen werden, nur weil sie nicht im richtigen Währungsgebiet lebten. Spätere Nachrechnungen ergaben, daß in den fünfziger Jahren monatlich bis zu 50 D-Mark aus der eigenen Tasche zur Deckung sämtlicher Unkosten bezahlt werden mußten. Die ganze Familie stand aber hinter ihr und akzeptierte dieses "Hobby".

Durch diese Arbeit war eine Art "Kreisbetreuung für Stadt und Kreis Lüben/Schlesien" entstanden. Und schon drängten Landsleute nach einer gemeinsamen Bleibe fern der Heimat. EHoRe suchte, fand keine Ansatzpunkte, um Verbindungen zu westdeutschen Kreisstädten und Landkreisen herzustellen. Die Hilfe kam schließlich aus Bonn vom Bundesvorstand der Landsmannschaft Schlesien. Das erste Unternehmen am Rande des Ruhrgebiets scheiterte, ehe es unterschriftsreif geworden war. Keineswegs entmutigt, suchte EHoRe weiter, jetzt tatkräftig unterstützt von dem Lübener Arzt Dr. Molinski. Man stieß auf den heutigen Rhein-Lahn-Kreis und seinen damaligen Landrat, Meyer-Delvendahl. Dank der unermüdlichen Hilfe, dem Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen von Dr. Molinski konnte am 9. September 1959 eine Patenschaft zwischen dem Unterlahnkreis zu Diez und dem Heimatkreis Lüben geschlossen werden. Wenngleich eine solche "Patenschaft" nicht einer Partnerschaftsbeziehung gleichkommt, hat sie doch den verwaisten Lübenern einen Ort gegeben, an dem sie sich treffen und ihre Erinnerungen bewahren konnten.

Erika Hoffmann-Rehmie bei einem Treffen der Lübener mit Menzel-Willem

Erika Hoffmann-Rehmie beim Nassauer Treffen mit Wilhelm Menzel

Arbeitslos wurde EHoRe aber auch danach nicht. Die Einrichtung selbständiger Lübener Heimatgruppen im Westteil Berlins und im Bundesgebiet waren das nächste Ziel. Wo dies nicht zu erreichen war, hatten die bestehenden Liegnitzer Heimatgruppen gern ein offenes Ohr für einen "Lübener Tisch". Alles ein Arbeitsgebiet, das viel Energie und Durchsetzungsvermögen erforderte, sollte nicht das kaum Geschaffene allmählich wieder zerbröckeln. Daneben waren es die Deutschlandtreffen der Schlesier und die Treffen der Lübener in Nassau, mit deren Vorbereitung mindestens acht Monate zuvor anzufangen war.

Der August 1959 hatte für EHoRe den Umzug von Riedenburg nach München gebracht. Versprach sie sich davon eine gewisse Vereinfachung und eine größere Wirksamkeit ihrer Arbeit, so hatte sie sich zumindest in der "Vereinfachung" getäuscht. Die Großstadt, die zentrale Lage, die vielen Landsleute, das alles führte zu neuer Arbeit! EHoRe wurde bald in den Vorstand des Schlesier-Vereins München gewählt.

Sie sorgte sich - bei personellen Engpässen - auch mal um die redaktionelle Seite des Mitteilungsblattes des Schlesier-Vereins und hatte als langjährige Schriftführerin des Vorstandes nach tief in die Nacht hineinreichenden Sitzungen am nächsten Tag die umfangreichen Protokolle ins Reine zu bringen.

Die Vielfalt der Arbeit läßt sich nur andeuten: Zwischen 1946 und 1950 waren es die Suchdienstaufgaben, die alle Kraft benötigten, wobei es besonders die Kriegswaisen im Kleinkinderalter waren. Noch während der Besatzungszeit gab es eine Aktion, die verlangte, daß alle Kinder aus dem deutschen Osten an Polen auszuliefern seien, wenn deren deutsche Herkunft nicht eindeutig und vollständig geklärt sei. Welches zwei- oder dreijährige Kind konnte hier aber seine Rechte zum Ausdruck bringen? Durch diesen Wettlauf mit der Zeit fanden viele Kinder ihre Eltern oder wenigstens nahe Verwandte wieder.

Sie gab niemals auf; einen einmal gefaßten Plan wie das Ehrenmal der Lübener in Nassau, das Gedenkbuch oder die Heimatstube verfolgte sie hartnäckig bis zur Verwirklichung und fand über ihrer Arbeit für die Lübener kaum Zeit, an sich selbst und ihre beiden Kinder zu denken.

Die Jahre 1954 bis etwa 1962 machten manchmal glauben, EHoRe sei in einem Büro des Lastenausgleichsamtes beschäftigt, während die Zeit danach angefüllt war mit der Arbeit für die Patenschaft. Daß eine solche Arbeit aus Raum, Zeitund Geldgründen von einer Person nicht mehr zu schaffen war, wollte EHoRe erst wahrhaben, als 1975 ihr Mann starb. Danach hatte sie nicht mehr die Kraft, mit der sie als knapp Vierzigjährige 1945 das damals noch so bescheidene Unternehmen begonnen hatte.

Am 5. April 1978 wurde Erika Hoffmann-Rehmie das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Was danach von ihr noch an Arbeit geleistet werden konnte, war, den Rahmen abzustecken.

Karte von Erika Hoffmann-Rehmie an den Lübener Heimatfreund Fritz Peschel, 1967

Karte von Erika Hoffmann-Rehmie an den Lübener Heimatfreund Fritz Peschel, 1967

Für den großen Rest an Arbeit mußte - nach außen immer noch mit dem Kürzel EHoRe - ihre Familie geradestehen. Am 23. Januar 1979 war ihre Kraft zu Ende, Erika Hoffmann-Rehmie war tot. Was sie in der schweren Zeit nach dem Verlust von allem, was den Menschen Heimat, Geborgenheit und Anerkennung bedeutete, für die Lübener geleistet hat, bleibt unvergessen.

Verfasst von ihrem Sohn Henning Hoffmann im Jahr 2009