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Erika Hoffmann-Rehmie war keine Schlesierin, als waschechte Sächsin war sie 1907 in Bautzen zur Welt gekommen. Ihre Vorfahren allerdings waren als Flüchtlinge ins Sächsische gelangt: die hugenottische Familie Rémy hatte wegen ihres Glaubens Frankreich verlassen müssen. Doch erst mit der dritten Generation war es ihr gelungen, in Dresden heimisch zu werden, die sächsische Familie Rehmie zu sein. Der Beruf des Vaters führte die Familie nach Lüben. Er war dort von 1923-1929 als Reichsbahn-Inspektor der Bahnhofsvorsteher. Dort besuchte Erika Rehmie die Höhere Töchterschule. Auf einem Foto aus dem Jahr 1920 ist sie inmitten ihrer Schulfreundinnen abgebildet. Sie schloss sich der Bündischen Jugend an, die in Lüben von Menschen wie Else Zingel, Erich Menzel und Frieda Geistefeld (Winter) geführt wurde. Später war sie Mitglied im Großdeutschen Jugendbund und leitete eine Mädchengruppe des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA). Alle diese Aktivitäten müssen vor historischem Hintergrund betrachtet werden und zeugen von ihrer Suche nach Idealen und einem Leben in der Gemeinschaft. Nach dem Missbrauch dieser Jugendideale durch den Nationalsozialismus und dem Verlust ihrer schlesischen Heimat suchte Erika Hoffmann-Rehmie nach dem Krieg eine Aufgabe für sich, die ihrem Wesen angemessen war. Sie fand sie im Engagement für die Lübener. Von Freunden und Verwandten getrennt, begann die Suche nach ihnen. Was aber erst getan werden konnte, als Post und Bahn im Herbst 1945 ihren Betrieb wieder voll aufnahmen und die ersten Zeitungen erschienen. Ein vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes herausgegebenes Blatt wurde zur sehnsüchtig erwarteten Lektüre. Und es mag Anfang Dezember 1945 gewesen sein, da gab es den erlösenden Jubelschrei: Ein Lübener Schuhmacher ward gefunden, den es in das zwischen Straubing und Plattling, am rechten Donau-Ufer gelegene Irlbach verschlagen hatte. Das war die Geburtsstunde einer fast 34jährigen Arbeit für Schlesien. Im Schneeballsystem wurden nun Anschriften gesammelt: Jede nur bekannte Anschrift wurde angeschrieben, die bereits vorhandenen Adressen beigefügt und um Rücksendung der Liste und möglicherweise weiterer, bislang noch unbekannter Hinweise auf Aufenthaltsorte von Lübenern gebeten. Im Sommer 1946 müssen es bestimmt fünf Listen gewesen sein, die kreuz und quer durch alle vier Besatzungszonen geschickt wurden, nach sechs bis acht Wochen, Brieftauben gleich, wieder zurückfanden. Im Umfang manchmal verdoppelt, wenngleich auch in erbärmlichem Zustand. Bis heute ist es für die Außenstehenden unbekannt geblieben, daß EHoRe, wie sie sich fortan nannte, mit dem Anfertigen der Listen die finanzielle Existenz ihrer Familie aufs Spiel setzte. Seit Ende August 1945 war sie wieder berufstätig, arbeitete als Angestellte des Kreises Riedenburg an der Altmühl im Landratsamt, Referat Bauwesen. In kurzen Arbeitspausen, nach Dienstschluß benutzte sie die Schreibmaschine.
Es muß im Spätherbst 1950 gewesen sein, ihr Mann Werner Hoffmann war bereits aus Gefangenschaft zurück, da gab es die erste eigene Schreibmaschine: pfennigweise vom knappen Monatsgehalt abgespart, die Schwarzarbeit des Ehemannes brachte noch etwas dazu - und ein Lübener Schulfreund spendete den Rest. Ein Jahr später beim Schlesiertreffen in München drängte man EHoRe, doch ein Mitteilungsblatt herauszugeben. Der Gedanke blieb hängen, doch es fehlten Zeit, die Erfahrung, die Fachkenntnisse und das notwendige Kapital. Aus dieser Not heraus entstanden die ersten Kontakte mit dem "Liegnitzer Heimatbrief", im Frühjahr 1952 erschien eine "Null-Nummer", ein Vierteljahr später bereits die Nummer 1 des "Lübener Heimatblattes" als ständige Beilage zu dem drei Jahre älteren "Liegnitzer Heimatbrief". Am Ende jenes Jahres konnte man auf die stolze Zahl von über eintausend Abonnenten blicken. Der Titelkopf, wie er auf den ersten Nummern erschien, stammte von Malermeister Adolf Böhnisch. Die Familien Rehmie und Böhnisch hatten in Lüben im gleichen Haus in der Bahnhofstr. 16 gewohnt. Schließlich gewann EHoRe Hans Erich Köhler für die Gestaltung des neuen Titelkopfes. Kaum war das "Lübener Heimatblatt" zu einer festen Einrichtung geworden, stand eine neue Aufgabe ins Haus. Soforthilfe und als Folge davon Lastenausgleich bewirkten, daß für die örtliche Post selbst Briefe mit der Empfängerangabe "Frau Erika aus Lüben in Riedenburg" kein Problem bedeuteten. Zwanzig und mehr Briefe an manchen Tagen erbaten Auskünfte nach Anschriften, nach Fachleuten aus der alten Heimat, nach Bank und Grundbuchunterlagen, denn man mußte ja seine Forderungen nach Lastenausgleich belegen können. Welche Erfahrungen mit ungeduldigen Zeitgenossen EHoRe dabei machen mußte, sei dem heutigen Leser erspart. Zu loben sei vielmehr die Hilfe, die im Durchschnitt ein Viertel aller Briefschreiber leistete: Sie fügten ihrer Post überreichlich Rückporto bei, halfen, wenigstens die gröbsten Unkosten zu decken. Hilfesuchende aus Mitteldeutschland konnten doch nicht abgewiesen werden, nur weil sie nicht im richtigen Währungsgebiet lebten. Spätere Nachrechnungen ergaben, daß in den fünfziger Jahren monatlich bis zu 50 D-Mark aus der eigenen Tasche zur Deckung sämtlicher Unkosten bezahlt werden mußten. Die ganze Familie stand aber hinter ihr und akzeptierte dieses "Hobby". Durch diese Arbeit war eine Art "Kreisbetreuung für Stadt und Kreis Lüben/Schlesien" entstanden. Und schon drängten Landsleute nach einer gemeinsamen Bleibe fern der Heimat. EHoRe suchte, fand keine Ansatzpunkte, um Verbindungen zu westdeutschen Kreisstädten und Landkreisen herzustellen. Die Hilfe kam schließlich aus Bonn vom Bundesvorstand der Landsmannschaft Schlesien. Das erste Unternehmen am Rande des Ruhrgebiets scheiterte, ehe es unterschriftsreif geworden war. Keineswegs entmutigt, suchte EHoRe weiter, jetzt tatkräftig unterstützt von dem Lübener Arzt Dr. Molinski. Man stieß auf den heutigen Rhein-Lahn-Kreis und seinen damaligen Landrat, Meyer-Delvendahl. Dank der unermüdlichen Hilfe, dem Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen von Dr. Molinski konnte am 9. September 1959 eine Patenschaft zwischen dem Unterlahnkreis zu Diez und dem Heimatkreis Lüben geschlossen werden. Wenngleich eine solche "Patenschaft" nicht einer Partnerschaftsbeziehung gleichkommt, hat sie doch den verwaisten Lübenern einen Ort gegeben, an dem sie sich treffen und ihre Erinnerungen bewahren konnten.
Sie sorgte sich - bei personellen Engpässen - auch mal um die redaktionelle Seite des Mitteilungsblattes des Schlesier-Vereins und hatte als langjährige Schriftführerin des Vorstandes nach tief in die Nacht hineinreichenden Sitzungen am nächsten Tag die umfangreichen Protokolle ins Reine zu bringen.
Für den großen Rest an Arbeit mußte - nach außen immer noch mit dem Kürzel EHoRe - ihre Familie geradestehen. Am 23. Januar 1979 war ihre Kraft zu Ende, Erika Hoffmann-Rehmie war tot. Was sie in der schweren Zeit nach dem Verlust von allem, was den Menschen Heimat, Geborgenheit und Anerkennung bedeutete, für die Lübener geleistet hat, bleibt unvergessen. Verfasst von ihrem Sohn Henning Hoffmann im Jahr 2009 |