In der Villa in Lüben
1929 wurde mein Vater nach Lüben versetzt. Wir zogen in eine Villa, die früher Dragonerbesitz war. An dicken gemauerten Pfählen waren die Tore angebracht. Links eine kleine Tür, wo der Weg zum Haus hin führte. Daneben ein großes Tor, damit Pferdewagen und Lastwagen hindurch fahren konnten. Hinten war ein riesengroßer Hof, an einer Seite noch die alten Pferdeställe von den Dragonern, die aber nun leer standen. Gegenüber große Hallen, die damals an Gemüsehändler und Getränkeverkäufer vermietet waren.
Ecke Bahnhofstraße/Hann-von-Weyhern-Straße - Ein paar Häuser weiter rechts befand sich das Haus. Leider gibt es keine Bilder davon.
Einmal kam ein Zirkus in die Stadt, aber der Platz war nicht groß genug um alle Tiere dort unterzubringen, und so wurden einige Tiere in die alten Pferdeställe einquartiert. Ein Elefant war auch dabei. Das war was für uns Kinder! Einmal durfte ich mit Mutter, unter Aufsicht des Tierhüters, den Elefanten mit Möhren füttern. Erst klopfte mein Herz, aber der Elefant war so lieb und ließ sich den Rüssel streicheln. Das war ein Erlebnis für mich.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, standen die Eltern und Geschwister am Fenster und redeten ganz aufgeregt durcheinander. Mein Kinderbett war so gemacht, daß ich nicht heraus klettern konnte. Ich rief, ja schrie, man sollte mich holen ich wollte auch was sehen, aber keiner kümmerte sich um mich. Ich hopste und schrie weiter, bis endlich Mutter kam, mich aus dem Bett nahm, aber da gingen schon alle vom Fenster weg. Vater sagte "Aufwiedersehen, endlich kann ich gehen". Ich sah nur noch, daß bei der Einfahrt der eine Pfosten ein Trümmerhaufen war. "Das hat der Elefant gemacht, den du gestern noch gefüttert hast", sagte mir Mutter. Ich habe den Elefanten nie wieder gesehen, nur den kaputten Pfahl und den kaputten Stall.
In dieser Wohnung gab es keine Badestube. Zum Baden wurde immer eine große Zinkwanne aufgestellt und auf dem Herd standen große Töpfe in denen das Wasser heiß gemacht wurde. Mutter hatte immer sehr viel Arbeit und man suchte eine andere Wohnung.
Die Wohnung in der Bahnhofstraße 16
In der Bahnhofstraße 16 bei Malermeister Böhnisch wurde eine Wohnung frei, die etwas größer war. Das Zimmer, in dem die Badewanne stand, mußte allerdings als Kinderzimmer mit genutzt werden. Mein Bruder Heinz zog in diesen Raum.
Ehe man das Haus betrat, mußte man einige Stufen hoch gehen. Sie sind, wenn man genau hinschaut auf der alten Ansichtskarte zu sehen. Ganz deutlich sieht man die Treppe auf dem Foto rechts aus dem Jahr 2010! Oben war eine kleine Plattform. Nun konnte man durch die Haustür gehen. Man kam in einen Vorraum, der mit Fliesen ausgelegt war. Man mußte durch eine Windtür gehen, ehe man in das Treppenhaus kam.
Rechts und links waren die Türen für die beiden Wohnungen. Links wohnte die ehemalige Hauseigentümerin Warmuth, die noch Wohnrecht hatte, mit ihrer Tochter. Rechts wohnte das jüdische Ehepaar Cohn. (Noch im Adressbuch 1933 genannt unter Manufaktur- u. Modewaren: G. Cohn. Wahrscheinlich war der Ehemann verwandt - oder identisch - mit Siegfried Cohn, dem geschiedenen Mann von Amalia Philippsberg-Cohn, die mit 79 Jahren in Theresienstadt ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Was aus dem Ehepaar Cohn wurde, ist unbekannt. Man ahnt es. Heidi)
Einige Schritte weiter fing die Treppe an. Rechts ging es in den Keller und in den Hof, links ging man nach oben. Bei jedem Treppenabsatz war die Tür zur Toilette. Für die Toiletten und die Speisekammern war extra nach außen ausgebaut worden.
Im 1. Stock wohnte links der Hauswirt, also Malermeister Adolf Böhnisch, daneben Frau Werner. Wir hatten die Wohnung über dem Hauswirt. Mutter hatte gleich, als man die Wohnung mietete, darauf aufmerksam gemacht, daß bei uns vier Kinder sind und es wohl nicht immer ganz ruhig sein kann. Neben uns wohnte Frau Rehmie mit ihrer Tochter Erika. (Interessant ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Malermeister Böhnisch und Erika Rehmie bis zu dessen Tod im Jahr 1953 anhielt. Er hatte ein Jahr zuvor für Erika Rehmie und ihr Lübener Heimatblatt den ersten Titelkopf gezeichnet. Heidi) Unterm Dach war außer den Bodenräumen noch eine nicht abgeschlossene Wohnung. Darin wohnte Familie Kluge, die jedoch bald nach Köln verzog.
Das Haus links war die Nr. 16 der Bahnhofstraße. In dieses Haus zog die Familie Müller im Jahr 1929.
Der Flur
Wenn wir durch unsere Entreetür gingen, fiel der Blick auf eine Mahagonitruhe. Links davon war die Garderobe, daneben die Tür zum Wohnzimmer und weiter stand ein Schrank, ein Erbstück von der Urgroßtante. Am Ende des Flurs ging es in die Schlafstube. Gegenüber von dem alten Schrank war die Badestubentür, dann stand ein großes Regal, in dem unsere Spielsachen untergebracht waren.
Die Küche
Nun kam die Küchentür. Wenn man in die Küche hineinging, mußte man an dem großen Ofen vorbei. Geheizt wurde ja alles nur mit Kohle oder Holz. Zuerst fiel der hohe Backofen auf, daran war der Herd mit einer großen Platte, und am Ende direkt am Backofen war eine Wanne, die immer mit Wasser gefüllt war. Da jeden Tag gekocht wurde, gab es immer heißes Wasser. Nur bei großer Hitze wurde auf dem Gaskocher gekocht, oder wenn man abends oder zwischendurch etwas zu kochen hatte. Der Gaskocher stand auf einem Tischel mit einer Schublade, wo allerlei Papierzeug, wie Pergamentpapier, aufbewahrt wurden.
Daneben stand ein Schränkel, in dem die Schuhe aufbewahrt wurden. Darauf stand unter anderem auch eine Waage, mit der ich besonders gern spielte, denn dazu gab es richtige Gewichte von 5 g bis 5 kg. Auf eine Seite legte man die Ware, und auf die andere Seite kamen die Gewichte. Ich wollte immer Verkäuferin werden.
Am Ende von dieser Seite war die Tür zur Speisekammer. Mutter hatte darin einen Fliegenschrank stehen, das ist ein Schrank mit Gaze davor. Außerdem waren noch ein Regal und genug Platz, um noch etwas hinzustellen. Neben der Speisekammertür stand die Ofenbank, die allerdings nie beim Ofen stand.
Nun kam das Fenster. Es war die Südseite und der Blick fiel auf das Hinterhaus, in dem unten die Malerwerkstatt und darüber noch eine Wohnung ausgebaut war. Ein Stück vom Hof war noch zu sehen, dann etwas Garten und dahinter Wiesen, die man Hundewiesen nannte. Ganz hinten war der Wald zu sehen. Im Winter brachte Mutter beim Speisekammerfenster einen Futterplatz für die Vögel an. Oft haben wir dann die Vögel beobachtet.
Nun die nächste Küchenfront. Neben dem Fenster war der Ausguß mit dem Wasserhahn. Als nächstes standen zwei Schränke wie Tische. Beim ersten war ein Brett darunter, auf dem standen die großen Wannen für Abwasch und zum Kuchenbacken. Bei dem andern waren Türen davor und darin Töpfe und was man noch alles in der Küche braucht. Darüber hing ein Regal mit lauter Gefäßen darauf, ich glaube, darin waren Gewürze. Jetzt kam das Küchenbüffet, an dem rechts an der Seite eine Kaffeemühle angebracht war. Da füllte man oben den Kaffee ein, drehte an dem Griff und der gemahlene Kaffee fiel in ein Glas darunter. Nun kam noch die Küchenecke. Die Küchentür ging nach innen auf und dahinter standen zwei Stühle, darüber waren Kleiderhaken, da hingen die Handtücher und wir Mädchen bewahrten dort unsere Sachen auf.
Die Wohnstube
Gegenüber der Küche befand sich die Wohnstube. In der Mitte stand ein großer Eßtisch, den man an beiden Seiten ausziehen konnte. Natürlich mit Stühlen. Wenn man in die Stube hereinkam, war links in der Ecke der Kachelofen, der bis zur Decke reichte. Rechts und links davon standen je ein Korbstuhl mit Kissen ausgepolstert. Dann kam eine Flügeltür, die in die gute Stube führte. In der Mitte stand ein großer Esstisch, den man an beiden Seiten ausziehen konnte. Natürlich mit Stühlen. Links in der Ecke stand der Kachelofen, der bis zur Decke reichte. Rechts und links davon standen je ein Korbstuhl mit Kissen ausgepolstert. In der Ecke bis zum Fenster war die Chaiselongue. Sie ist besonders meinem Bruder Martin und mir unvergesslich, denn so manche Purzelbäume haben wir darauf geschossen. Von der Tür aus nahmen wir Anlauf, damit wir wirklich richtig Schwung hatten. Es war herrlich!
Vor dem Fenster stand die Nähmaschine; sie war versenkbar und konnte so auch als Schreibtisch genutzt werden. Ich habe sehr oft meine Schularbeiten dort erledigt. Nur wenn Fräulein Rösner, unsere Schneiderin, kam, mußten wir uns einen andern Platz suchen.
Da war ja auch noch Mutters Schreibtisch, der zwischen dem Fenster und der Balkontür stand. Ein Damenschreibtisch aus Mahagoni. Er stand auf Beinen, hatte eine große Schublade unter der Schreibplatte. Rechts und links von der Platte war ein Gitter. Am Ende war ein Geheimfach und daneben je zwei kleine Schubladen. Alles war immer vollgepfropft. Dazwischen war eine Nische für Federhalter und Tintenfaß.
An der rechten Wand zur Kinderstube stand wieder ein mächtiger Erbschrank, voll mit Bett- und Tischwäsche, und anderen guten Sachen. Es war noch Platz für einen Nähtisch und dann kam die Tür ins Kinderzimmer. Da waren auch Haken für eine Schaukel angebracht, mit Reckstange und Ringen. Vielleicht habe ich deshalb auch so gut turnen können, weil ich tüchtig an den Geräten geübt habe. Jetzt kam unser Glanzstück: das Klavier. Ruth und ich hatten beide etwas Unterricht, so dass wir für den Hausgebrauch und unser Vergnügen spielen konnten. In der Ecke neben Klavier und Balkontür stand ein kleiner Tisch, auf dem sich die Noten stapelten.
Der Balkon
Die Balkontür war auch eine Flügeltür. Der Balkon war langgestreckt und ging vor der Wohnstube und der sich anschließenden Kinderstube bis zum Wohnungsende. Auf der alten und der neuen Ansicht oben kann man den Balkon gut erkennen. Vor der Kinderstube hatte Mutter im Sommer immer Kästen mit Blumen stehen, die sie am Geländer hochzog, und auf dem Boden Kästen mit allerlei Kräutern. Links stand ein ovaler Tisch und davor eine Bank, auf der gut vier Leute Platz hatten. An heißen Sommertagen war es eine Wohltat da draußen, denn es war die Nordseite. Da haben wir oft draußen die Mahlzeiten eingenommen, dazu wurde noch je ein Stuhl an die Seiten gestellt.
Die gute Stube
Von der Wohnstube führte eine Flügeltür in die gute Stube. Gleich rechts von der Tür stand ein Gestell mit Fotoalben, dem Gesundheitsbuch und anderen Bänden. Oben drauf stand ein Globus. Wie viele Weltreisen haben wir da unternommen! Gleich daneben stand Vaters großer Schreibtisch, davor ein wuchtiger Sessel, stramm gepolstert; das Polster war aus Samt, dessen Musterung wie ausrasiert wirkte. Die Armlehnen waren geschnitzt, aber wo der Arm auflag, gut gepolstert. Es gab noch einen zweiten Sessel und dazu passend ein Sofa.
Ein Tisch mit gepolsterten Lederstühlen stand in der Mitte. Das gute Büfett mit dem guten Service und allen andern guten Sachen stand an der Wand gegenüber vom Schreibtisch. Dazwischen waren zwei Fenster. Davor war ein Blumenständer, den ein Tischler nach Mutters Angaben gebaut hatte. Sie hatte sehr viele verschiedene Garnrollen dafür gesammelt. Alles war weiß gestrichen und sah prachtvoll aus. Ein Kachelofen, der bis zur Decke reichte, stand in der guten Stube. Und es gab noch zwei Bücherschränke; der eine hatte Glastüren, der andere hatte außen einen Spiegel. Davor habe ich öfters getanzt.
Die Schlafstube
Gegenüber von der guten Stube befand sich die Schlafstube. Sie war langgestreckt. Hinten neben dem Fenster stand noch ein Bett, da hat Martin lange geschlafen. Eine Spanische Wand trennte es ab. Wenn man aus dem Fenster schaute, blickte man auf Wiesen, zur Chaussee nach Liegnitz, man konnte die Badeanstalt gut sehen und auch die Zuckerrübenfabrik.
In der Badestube war die Wanne immer abgedeckt. Ein großes Bett stand an der linken Seite, davor wieder ein Erbschrank und dahinter eine Kommode, in der Heinz seine Sachen hatte. In der Ecke hinter der Wanne stand ein Schreibtisch, an dem ich später gerne gearbeitet habe, als Heinz außer Haus war.
Inge Weidner geb. Müller, 2011
Blick aus dem Fenster der Bahnhofstr. 16 auf die Hundewiesen. Am linken Bildrand zwischen den Bäumen die Badeanstalt.