Provinzial- Heil- und Pflegeanstalt Lüben Teil I
Heilanstalt Teil II














Zwei aufschlussreiche Postkarten des 1905 beim Bau der Heilanstalt Lüben beschäftigten Malers Paul Hiemann aus Görlitz!

Diese Karte vom Neubau der Provinzial-Irren-Anstalt Lüben schrieb Paul Hiemann am 15. August 1905 an seine Frau Martha:
"Liebe Martha und Söhnchen, teile Dir mit, daß ich den Sonnabend vielleicht nicht heimkomme, erst in 14 Tagen, denn ich habe hier 9 Zimmer zu tapezieren, habe es in Akkord, aber Stundenlohn, die Stunde 50 ₰ (damals Symbol für Pfennig), habe noch den Lehrjungen, dazu Militär, es werden immer noch Häuser gebaut. Links oben: Waschküche, rechts oben: alles noch zu malern, unten: hier bin ich jetzt!"

Am 4.9.1905 schrieb Paul eine Postkarte an Martha in Görlitz, auf der er selbst beim Bau der Aufnahmestation der "Provinzial-Irrenanstalt Lüben" zu sehen ist. Über dem Gebäude links vermerkte er "Das bin ich"! Weiter: "Liebe Martha! Bin wohlbehalten in Lüben angekommen. Habe heute Kopfschmerzen, o könnte ich bei dir sein! Wenn ich es gewußt hätte, konnte ich erst Dienstag früh fahren, ich habe ganz allein mit den Burschen gearbeitet. Die andern 13 Mann sind alle besoffen! Der Alte wird morgen schön lauschen!"
Auf einer weiteren Karte (vom Bahnhof Lüben) schrieb er: "Ich bin heute mit einem Kollegen auf dem Bahnhofe, wollte gleich selbst gerne mitfahren, aber es lohn sich doch nicht, ich wäre lieber in Görlitz als hier in Lüben, trotzdem daß ich wieder ein schönes billiges ZImmer habe. Zu thun ist hier den ganzen Winter, auch überall daß ich Heizung und Elektrisch Licht habe. Ich hatte dir 8 Mark geschickt, den Rest werde ich Dir Montag senden. Diesen Winter muß es noch so gehen. Herzliche Grüße dein Paul"

Provinzial-Heil- und Pflege-Anstalt Lüben:
Kirche und Aufnahmestation, Beamtenwohnhäuser, Siechenhaus, Gesamtansicht, Pförtnerhaus, Direktorwohnhaus, Aufnahmestation

Für die beiden folgenden Abbildungen ein herzliches Dankeschön an Christoph Alter und Tomasz Mastalski.

Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüben: Gesamtansicht, Kirche, Aufnahmestationen, Direktorwohnhaus, Pförtnerhaus

Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüben:

Hier ein Auszug aus einem Bericht über die Anstalt aus dem Jahr 1954. Entweder verschwieg der Verfasser bewusst, was psychiatrische Einrichtungen damals praktizierten oder es brauchte noch Jahre, ehe das bekannt wurde. Darüber einiges weiter unten.

Die Heil- und Pflegeanstalt Lüben bildete in einem herrlichen Parkgelände eine kleine Stadt mit 40 Häusern für sich. Sie war 1905 als Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüben erbaut worden. (Mehr über die Entstehung hier.) 1600 Kranke konnten zur Behandlung aufgenommen werden. Die Betreuung der Patienten oblag acht Ärzten und ca. 130 Pflegerinnen und Pflegern, die ihren Dienst schichtweise versahen.

Die Verwaltung, am Eingang der Anstalt gelegen, verfügte über 25 Beamte und Angestellte. Hier liefen die Fäden zur Betreuung der Patienten zusammen, seien es Aufnahme, Beurlaubung, Entlassung, Verlegung in eine andere Anstalt oder Todesfälle. Die gute ärztliche und wirtschaftliche Betreuung der Patienten der Anstalt Lüben war weit über Schlesiens Grenzen hinaus bekannt. Lüben führte als eine der ersten psychiatrischen Anstalten erfolgreich die Arbeitstherapie ein.

Für die Versorgung der Patienten standen eine Koch- und eine Waschküche, eine eigene Fleischerei und eine Bäckerei, ein Maschinenhaus, das die Licht- und Wasserversorgung versah, zur Verfügung. Die anstaltseigene Gärtnerei hatte eine Gesamtanbaufläche von etwa 15 ha (einschl. der Anlagen und des Anstaltsfriedhofes). Der Viehbestand der anstalts-eigenen Landwirtschaft belief sich auf 60 Rinder, 120 Schweine, 6 Pferde und 4 Ochsen. In der Bäckerei wurden täglich über 900 Brote gebacken, während in der Fleischerei wöchentlich 2 Rinder, 9 Kälber und 4 Schweine geschlachtet wurden.

Siegel der Direktion der Heil-und Pflegeanstalt Lüben

In einem Werkstattgebäude waren fast sämtliche Handwerkszweige untergebracht. Dort wie in allen eigenen Wirtschaftsanlagen waren überall auch Patienten im Sinne der Arbeitstherapie tätig. In einem Saal gegenüber vom Verwaltungsgebäude fanden für die Patienten regelmäßig Feste und Tanzveranstaltungen, die von der Pflegerkapelle begleitet wurden, statt. Sonntags bestand die Möglichkeit, am Gottesdienst in der kleinen Anstaltskirche teilzunehmen.

Während des 2. Weltkrieges wurde die Anstalt zum Lazarett erweitert. Dafür wurden vier Krankenblocks für etwa 400 verwundete Soldaten zur Verfügung gestellt. Die Betreuung dieser Patienten oblag dem Ärzte- und Sanitätspersonal der Wehrmacht. Im Januar 1945 wurde die rechtzeitige Evakuierung der Insassen und des durch den Militärdienst stark verminderten Personals der Heilanstalt versäumt. Die Anstalt endete im Chaos der Kriegsereignisse.
Was mit den Patienten geschah, bleibt im Dunkel der Geschichte.

Unter Verwendung von Informationen von Heinz Lux in Lübener Heimatblatt, 7/1954

Vier Ansichten der Heil- und Pflegeanstalt Lüben

Gesamtansicht, Kirche und Aufnahmestation, Beamtenwohnhaus, Siechenhaus

Eingang in die Heil- und Pflegeanstalt Lüben

Heilanstalt 1916

Heilanstalt 1922


In der NS-Zeit wurden massenhaft Patienten aus "Heil- und Pflegeanstalten" (Psychiatrien) in Sammeltransporten in Tötungsanstalten "verlegt". Sonja Schröter weist z. B. in "Psychiatrie in Waldheim/Sachsen (1716-1946)" anhand von Dokumenten nach, dass am 18.7.1941 aus der Heil-und Pflegeanstalt Lüben 54 Patienten in die Zwischenanstalt Waldheim verbracht wurden und am 30.7.1941 weitere 48 Patienten. Sie starben in der Tötungsanstalt Sonnenstein oder durch Arbeitszwang, Unterernährung und überdosierte Medikamentengaben in "Heil"-Anstalten! Für Interessierte gibt es eine Fülle von Material, das die Verbrechen der NS-Zeit an physisch oder psychisch Behinderten dokumentiert.

Ein Teil der Patientenakten aus der Heil- und Pflegeanstalt Lüben befindet sich im Bundesarchiv oder in polnischen Archiven und kann dort für wissenschaftliche Zwecke eingesehen werden. Eine öffentlich zugängliche Information über die Rolle der Lübener Heilanstalt bei der Ermordung psychisch kranker Patienten fand sich eine Zeitlang auf der Webseite des Fördervereins "Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V." Inzwischen ist diese Seite nicht mehr zugänglich. Im Gegensatz zu dieser Veröffentlichung haben die vielen Mitarbeiter der Lübener Heilanstalt nach dem Krieg niemals im "Lübener Heimatblatt" öffentlich Stellung gegen die Ermordung von Patienten genommen, sondern sie bis zuletzt verschwiegen. Der oben verwendete Artikel aus dem Jahr 1954 war einer der wenigen zum Thema Heilanstalt in der Heimatzeitung. In keinem Artikel wurde auf die inhumanen Praktiken der Psychiatrie in der NS-Zeit eingegangen.

Ehrenmal der Opfer von Krieg und Nationalsozialismus in Oberkirchen/Saar

Dank an Franz Rudolf Klos aus Furschweiler
für das Foto des Ehrenmals Oberkirchen/Saar
Thomas Finkler aus Oberkirchen/Saar erforschte das Schicksal eines behinderten jungen Mannes seiner Gemeinde, der 1944 in Lüben/Schles. gestorben ist. Ausschnitt aus der Schrifttafel des Ehrenmals Auf dem Friedhof Oberkirchen wird Reinhold Beckers auf der Ehrentafel
als NS-Opfer gedacht. Thomas Finkler fand heraus, dass sich Reinhold Becker in der Gemeinde abfällig über Hitler geäußert haben muss. Außerdem ist vermerkt, dass er zwangssterilisiert wurde.
Laut Eintrag im Geburtsregister ist Reinhold Becker am 12.5.1910 in Oberkirchen-Saar geboren und am 25.3.1944 in Lüben gestorben. Im Sterbebuch des Standesamtes Lüben hatte der Vermerk die laufende Nummer 251/1944. Eintrag im Geburtsregister von Reinhold Becker mit dem Vermerk aus dem Sterbebuch des Standesamts Lüben Das bedeutet, er war bis 25. März 1944 der 251. Todesfall des Jahres in dieser kleinen Stadt. Das war - auch in Kriegszeiten - außergewöhnlich viel und nährt den Verdacht, dass dazu auch der staatlich organisierte Mord an den Psychiatrie-Patienten beitrug. Der endgültige Beweis einer gezielten Tötung ist nicht zu erbringen, es muss bei einem starken Verdacht bleiben. Wie in verschiedenen Dokumentationen über die Geschichte der Psychiatrie in Deutschland zu lesen ist, wurden die Lübener Patienten der Heilanstalt, die ermordet werden sollten, in speziell dafür vorgesehene Einrichtungen, z. B. in die Psychiatrie Waldheim/Sachsen überstellt. Klar ist unter diesen Umständen, dass Patienten, die dafür vorgesehen waren, keine besondere Fürsorge mehr erhielten. Was wirklich in der "Heilanstalt" Lüben geschah, wurde nach 1945 nicht aufgeklärt. Es ist aus den Vorgängen in anderen Psychiatrien abzuleiten. Wir gedenken der ermordeten Lübener Patienten.