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Ich bin der Enkel des Kotzenauer Hüttenarbeiters Hermann Wittke (1875-1938) und seiner Frau Emma geb. Breutmann (1875 - 1954). Das Haus meiner Großeltern steht noch heute an der ehemaligen Mauer zur Marienhütte in der Kirchhofstraße. Meine Großmutter Emma geb. Breutmann stammte aus Ober-Neuhammer, wie ich inzwischen herausgefunden habe. Das liegt zwischen Neuhammer und Rückenwaldau und gehörte wohl nicht zum Kreis Lüben.
Meinen Großvater, Hermann Wittke, erkenne ich auf dem Belegschaftsfoto leider nicht. Das mag daran liegen, dass er als Betriebsschlosser in der Marienhütte beschäftigt war und nicht direkt an den Kupolöfen arbeitete. Was ein Kupolofen ist, weiß ich gut, denn ich habe in Berlin Maschinenbau studiert und die Tradition meiner Großväter (alle waren Schlosser) fortgesetzt.
Mein Urgroßvater war August Breutmann. Er ist an seinem 60. Geburtstag im Jahr 1912 vom Auto des damaligen Hüttendirektors Hillenberg überfahren worden. Er war sicherlich der erste Verkehrstote Kotzenaus, denn andere Autos gab es noch nicht. Es geschah in der Haynauer Straße. Er hatte in der Brauerei Gamka im Haus Nr. 6 mit Freunden auf seinen Geburtstag angestoßen und war wohl etwas alkoholisiert mit seinem Fahrrad unterwegs. Ob der Hüttendirektor selbst am Steuer saß oder sein Chauffeur ist nicht überliefert.
Das beigefügte Foto zeigt den Hüttenschlosser Hermann Wittke und seine Frau Emma geb. Breutmann vor ihrem Haus in der Kirchhofstraße 9. Obige Aufnahme stammt vom Ende der 1920er Jahre, die folgende ist einige Jahre später aufgenommen.
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Meine Urgroßeltern Karl August Breutmann (1852 - 1912) und Henriette, geb. Litsche (1850 - 1929) stammten aus Ober-Neuhammer.
Meine Großmutter Emma (Pauline!) Berta Wittke, geb. Breutmann ist eine von deren Töchtern.
Auf einer Liste der Euthanasieopfer, die das Bundesarchiv veröffentlicht hat, habe ich den Namen Pauline Breutmann (1879 - 1941) entdeckt, die im Rahmen der Aktion T4 aus der damals Heilanstalt genannten Einrichtung in Lüben in eine Tötungsanstalt deportiert worden ist. Sie könnte eine behinderte Tochter von August und Henriette gewesen sein, die allerdings in Erzählungen der Familie nie auftauchte.
Ich hege den Verdacht nur wegen des zusätzlichen Vornamens Pauline, den auch meine Großmutter (deren Schwester?) trug.
Auf dem Klassenfoto der Schulgemeinde Neuhammer ist eine Frieda Breutmann (Bildmitte mit Zöpfen) zu sehen. Sie kann ich nicht zuordnen, doch ist eine Verwandtschaft mit "meinen" Breutmanns sehr wahrscheinlich.
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Karl August Breutmann und Henriette geb. Litsche |
Eduard Albert Wittke und Johanne Henriette geb. Puppe
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Der Name Puppe taucht in Kotzenau recht oft auf. Ein Paul Puppe betrieb in Kotzenau Ring 4 eine Schlosserei. So steht es im Adressbuch 1927 der Stadt Kotzenau. Auf einer Reise nach Kotzenau im Jahr 1991 habe ich ein schmiedeisernes Tor fotografiert, welches von einem der Puppes als Gesellenstück angefertigt worden sei, so die mich begleitende, inzwischen verstorbene Tante.
Meine Familie ist mit den Puppes über eine weitere Urgroßmutter von mir verbunden: Johanne Henriette Puppe (1851 - ca. 1935). Sie war verheiratet mit Eduard Albert Wittke (1843 - 1912).
Der unter Kotzenauer Bewohner erwähnte Karl Puppe (geb. 1877) kann von mir nicht zugeordnet werden, allerdings arbeitete mein Großonkel Georg Wittke etwa zur gleichen Zeit wie er als Former in der Marienhütte.
Die Familienchronik bemerkt über Georg Wittke: Die Familie wohnte in Kotzenau, Kirchhofstr. 12. Nach Schließung der Marienhütte 1934 zog die Familie nach Neusalz, wo es einen weiteren Betrieb des Unternehmens gab. Georg war in seiner Jugend (Kaiserzeit) bei den Husaren. Sein Name findet sich auf einer Verlustliste (Nr. 1546) des 1. Weltkriegs als leicht verwundet bei Gefechten im Westen vom 13. bis 19.9.1914. Er diente als Gefreiter im Reserve-Dragoner-Regiment Nr. 3, Lüben, 1. Eskadron. Später engagierte er sich in der Sozialdemokratie. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er zusammen mit Paul Löbe im Konzentrationslager Groß Rosen inhaftiert. Er kam noch vor Ende des Krieges frei. |
Meine Familie in der Kotzenauer Badeanstalt. Niemand ahnte, wie nahe Krieg und Vertreibung waren.
Meine Großmutter Emma Wittke geb. Breutmann hat über die letzten Tage in Kotzenau Aufzeichnungen in einem Rezeptbuch gemacht. Heimlich, versteckt vor den Russen und in großer Eile geschrieben, zeugen diese Notizen von den traumatischen Vorgängen dieser Zeit.
Meine Großmutter Emma, meine Mutter Martha und ich, im Kinderwagen, wurden gegen Ende Juni 1945 von polnischen Milizen aus Kotzenau vertrieben mit dem, was wir am Leib trugen, was in einen Koffer passte und in den Kinderwagen. Wir erreichten Görlitz zu Fuß am 5. Juli 1945 und überquerten dort die Neiße nach Sachsen. Es gibt keine andere Erklärung, als dass sich das Tagebuch im dem spärlichen Gepäck befand.
Emma Wittke geb. Breutmann starb am 11. Februar 1954 im Haus ihrer Tochter Frieda in Perleberg.
Meine Mutter Martha geb. Wittke starb am 26. November 1987 in Offenbach am Main.
Die Familie hatte es in alle Winde verstreut.
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Bitte machen Sie sich die Mühe und versuchen Sie, die Aufzeichnungen selbst zu lesen. Ohne diese Mühe würden die meisten Leser den Text viel zu schnell überfliegen. Man muss sich jedoch bei jedem Satz, jedem Halbsatz die hoffnungslose Situation vor Augen halten, die schließlich in der Ausweisung aus Kotzenau mündet. |
Emma und Hermann Wittke
Rechts: Passierschein, ausgestellt am 5. Juli 1945 von der Stadtverwaltung Görlitz auf Russisch und Deutsch für Marta geb. Wittke und zwei weitere Personen (Emma Wittke und im Kinderwagen Peter Birkholz), der dazu berechtigte, sich von Görlitz nach Perleberg zu begeben.
Ursache: ausgewiesen aus Kotzenau Das war der Grund... Die Ursachen liegen woanders... |
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Ich bedanke mich bei Peter Birkholz, dem Enkel der Verfasserin, dass er dieses erschütternde Zeitdokument der Nachwelt zur Lektüre gegeben hat. |
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