Walter Kuche über die Weihnachten seiner Kindheit
Gemeinde Mühlrädlitz














Weihnachten in Lüben
von Walter Kuche (Jg. 1929)

Schon lange hatten wir auf den Tag gewartet, an dem wir von Ischerey nach Lüben, in unsere Kreisstadt fuhren, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Wir fuhren mit dem Pferdeschlitten oder mit dem Glaswagen. Der Glaswagen war eine schwarze Kutsche. Vorn der Kutscherbock und dahinter ein geschlossenes Abteil. Die Türen rechts und links mit Scheiben versehen und zwei Reihen Polsterbänke. Das war schon ganz herrschaftlich.

In Lüben wurden die Pferde am Ring im Hotel Schwarzer Adler (Inh. H. Bindzettel) ausgespannt und im Stall untergebracht. Dann gingen unsere Eltern mit uns in die Stadt und in die Geschäfte. Für uns Kinder waren die schönen Auslagen mit den Spielsachen sehr interessant. Gewünscht hätten wir uns fast alles, denn wir bekamen diese vielen Spielsachen ja sonst nie zu sehen. Unsere Eltern kauften auch Dinge des täglichen Bedarfs, aber manchmal ging es auch geheimnisvoll zu.

Wir hatten uns einen neuen größeren Rodelschlitten gewünscht. In einem Geschäft waren viele ausgestellt. Ein größerer Schlitten gefiel uns besonders. Zum Schluß bat der Verkäufer meine Eltern, wir möchten doch bitte einen Schlitten für Herrn Ulbricht in Gugelwitz mitnehmen. Dieser würde ihn dann bei uns abholen. Der Name Ulbricht und Gugelwitz stand drauf. Und gerade diesen Schlitten hätte ich doch so gerne gehabt! Ich wunderte mich, daß der Schlitten nicht sofort abgeholt wurde. Eines Tages war er aber doch weg.

Unsere Freude war riesig, als wir ihn dann unter dem Tannenbaum wiederentdeckten. Auch ein Paar Schlittschuhe bekam ich. Es waren Bogenschlittschuhe. Diese gefielen mir nicht besonders, denn die anderen Kinder hatten Spitzen-Laufschuhe. Die wurden mit einer Kurbel unter die Straßenschuhe festgeschraubt. Die Sohlen und Absätze litten dadurch sehr. Leider waren die Kufen entweder aus schlechtem Stahl oder wir hatten die Kanten auf der Teerstraße bei schlechten Eisverhältnissen abgefahren. Jedenfalls Kurven konnte ich damit bald nicht mehr fahren. Wer hätte uns wohl wieder einen Hohlschliff reingebracht?!

Es war vor Weihnachten 1941 oder 1942. Da wurden zwei Enten geschlachtet, die für einen besonderen Tausch vorgesehen wären. Solche Tauschgeschäfte gefielen mir nicht. Ich wollte lieber alles korrekt abliefern. Mein Vater und unser Landarbeiter (Knecht), der auf Fronturlaub war, fuhren nach Liegnitz, soviel hatte ich noch erfahren. Am Heiligabend lag dann unter dem Tannenbaum ein großer Koffer. Ich dachte an eine Schreibmaschine; doch es war mein schon lange gewünschtes Schifferklavier, ein Akkordeon mit 32 Bässen!

Junge Leute aus Mühlrädlitz waren einmal mit Gesang und Akkordeon-Begleitung zu uns in die Gaststätte gekommen. Das hatte mir so sehr gefallen, daß es mein großer Wunsch geworden war, selbst eins zu besitzen. Jetzt wußte ich, wofür die beiden Enten hatten sterben müssen. Denn in der Kriegszeit kam man nur im Tausch für Kalorien an solche Wünsche ran. Ich hängte es mir sofort um und wollte auch gleich so loslegen wie der Hassinger aus Mühlrädlitz. Doch das war nicht so einfach. Mein Vater spielte Trompete und erklärte mir die Noten. Das Lied "Es ist ein Ros entsprungen" konnte ich als erstes Lied spielen.

Nur ein Beispiel! Nicht das Akkordeon von Walter Kuche!

Doch die Bassbegleitung verstand ich nicht. Ich sollte zu Herrn Göschke nach Merschwitz zum Unterricht gehen. Herr Göschke war Pastor für Merschwitz, Herrndorf und Gugelwitz. Doch es fehlte die Zeit und auch die Überzeugung, daß ich viel lernen könnte. Heute bereue ich es, Herrn Göschke nicht kennengelernt zu haben. Er hat 1935 das Buch Unsere Dorfheimat herausgebracht. Für mich ist es ein sehr schönes echtes Heimatbuch, denn ich habe das Nachbardorf Gugelwitz und seine Bewohner gut gekannt. Auch hatten wir auf Gugelwitzer Gebiet Acker und Wiesen.

Am 26. Januar 1945 flüchteten wir aus Ischerey. Im Frühjahr 1945 kehrten wir zurück nach Ischerey in der Hoffnung, dass wir nach dem Ende des Krieges in unsere Dörfer zurück könnten. Aber im Mai 1945 wurden wir endgültig aus unserer Heimat vertrieben. Das schöne Akkordeon nahm ich auf meine zweite Flucht mit. Aber wir wurden bis aufs Hemd ausgeplündert. Ich war gerade 16 geworden und weinte, schrie und bettelte vergeblich um mein Akkordeon.

Weitere Erinnerungen von Walter Kuche: Zeitdokumente, Erinnerungen


Wer weiß, wo das alte Akkordeon geblieben ist und wem es heute gehört? Ob Walter Kuche es noch einmal sieht?
Czy ktoś wie, gdzie jest teraz stary akordeon i do kogo należy? Czy Walter Kuche jeszcze go kiedyś zobaczy?