Die Familie Exner aus Oberau und die Exner-Mühle
Gemeinde Oberau














Wilhelm Exner
Die Exner-Mühle, auch Kleine Mühle genannt, Oberau bei Lüben
Erinnerungen an meinen Großvater und Gedanken zu jener Zeit in Oberau und Lüben

Ich wurde in einer Zeit geboren, in der Begriffe wie Vaterland und Heimat anders empfunden werden als zu Zeiten der Generationen vorher. Wir leben heute in einem Zeitalter der Globalisierung und die Welt ist geschrumpft. Was damals in den Vorstellungen vor über hundert Jahren gewaltige Dimensionen annahm, kann heute beinahe auf die Größe eines Smartphones reduziert werden. Aus dem damaligen Blickwinkel unvorstellbar. Und dennoch. Überzogenes nationales Denken und Handeln gibt es in Teilen der Welt immer noch, Krieg, Flucht und Vertreibung ebenso. Wir leben im Jetzt, haben Verantwortung für die Zukunft und die Vergangenheit ist auch ein Teil davon. Sich damit zu befassen bedeutet verstehen wollen.

Meine Erinnerungen an Erzählungen meines Großvaters liegen Jahrzehnte zurück und sind immer noch in mir lebendig. Manches war prägend in der heutigen Zeit des Überflusses und Wohlstands. Da mein Großvater und ich über viele Jahre einen sehr guten Kontakt miteinander hatten, gab es auch viel zu erzählen.

Wilhelm Exner, mein Großvater mütterlicherseits, wurde 1887 in Oberau bei Lüben geboren. Sein Vater, Paul Exner, war Müllermeister und betrieb zur damaligen Zeit die Exner-Mühle, auch Kleine Mühle (umgangssprachlich Kleene Mühle) genannt, in Oberau. Es mutet an wie eine Geschichte aus der "guten alten Zeit". Geprägt von harter Arbeit, Pflichten und Bescheidenheit. Freizeit? Gab es so etwas damals? Ja, auch das gab es, wenn auch in anderer Form und anderer Bedeutung als heute.

Mein Großvater wuchs im elterlichen Mühlenbetrieb mit kleiner Landwirtschaft auf. So wurde er geprägt, wusste mit Pferden und der Sense umzugehen und wurde frühzeitig in Aufgaben und Pflichten eingebunden. Es war einfach so. Zeitig am Morgen um 4 Uhr ging es zur Erntezeit aus dem Bett. Die Mutter hatte einen heißen Kakao mit Milch in einer Kanne bereitgestellt, davon wurde ein Topf getrunken und schon ging es durch einen längeren Fußmarsch mit Sense und Wetzstein zum elterlichen Getreidefeld. Es wurde mit der Hand gemäht, versteht sich. Maschinen dazu gab es zu dieser Zeit nur bei den großen Gutsbetrieben der Umgebung. Eine harte Arbeit früh am Morgen vor dem Gang zur Schule. Der jüngere Bruder meines Großvaters, Heinrich, unterstützte ihn bei dieser Arbeit. Nach getaner Arbeit ging es zurück nach Hause, wo es dann Frühstück gab. Jetzt war es Zeit zu Fuß nach Oberau in die Schule zu gehen. Ganz selbstverständlich, ohne Diskussion. Ich habe das unlängst meinem elfjährigen Sohn erzählt, so war es damals. Für die heutige Generation nicht vorstellbar. Da beginnen sofort "die Diskussionen".

Nachmittags nach der Schule wurden mit der ganzen Familie die Getreidepuppen aufgestellt und später mit dem Pferdefuhrwerk nach Hause zur Exner-Mühle gefahren. Mein Großvater durfte schon als Junge das Pferd mit dem Wagen führen. Pflichten und Verantwortung zur damaligen Zeit.

Das Getreide wurde gedroschen und in der Mühle zu Mehl gemahlen. Reste und ein Teil davon als Futter für die Tiere verwendet. Und alle zwei Wochen war Backtag. Es gab eine Backstube und einen Backofen. Der Sauerteig für das Brot wurde von der Mutter selbst hergestellt. Nach dem Backen stapelte sie die Brotlaibe auf einem Lattenrostregal und deckte diese nach dem Abkühlen mit Leinentüchern ab. Von diesem Brot aß die Familie die nächsten beiden Wochen und so lange musste es reichen, bis wieder gebacken wurde. Sofern das Brot nach längerer Lagerzeit etwas hart geworden war, gab es Brotsuppe oder Brot in heißer Milch. Ganz selbstverständlich, weggeworfen wurde nichts.

Die Familie Exner im Jahr 1905 vor der Exner-Mühle

von links: Hermann, Berta, die Eltern Paul und Pauline Exner, Wilhelm, Ernst, Heinrich Dieses Foto entstand kurz vor Heinrichs Tod nach einer Blutvergiftung (siehe Erinnerungen). Es ist das einzige überlieferte Foto der gesamten Familie Exner und das einzige von Heinrich überhaupt.

Ein weiteres Foto aus dem Jahr 1920. Es ist vor dem Wohnhaus von Exner in Oberau aufgenommen worden, nachdem mein Urgroßvater Paul Exner 1916 die Mühle aus Gesundheitsgründen an den Grafen von Ballestrem Ober-Gläsersdorf verkauft hatte. Aus der ehemaligen Exner-Mühle wurde bis 1945 ein Forsthaus. Interessant ist an dem Foto von 1920 das Schild am Eingang mit dem Wappen und der Aufschrift "Postagentur". Also haben meine Urgroßeltern nach dem Mühlenverkauf in Oberau eine Postdienststelle betrieben. Die Personen auf dem Foto von links: Tochter Berta und die Eltern Pauline und Paul Exner.

So um 1905 ging es zur Getreideernte wieder wie gewohnt früh morgens auf die elterlichen Felder zum Mähen mit der Sense. Dieses Mal musste Wilhelm jedoch alleine hinaus, da sein jüngerer Bruder Heinrich sich in den Tagen zuvor einen Dorn in den Fuß getreten hatte. Es kam in der Folge zu einer Vergiftung, die offenbar damals nicht behandelt werden konnte. Als es ihm gesundheitlich sehr schlecht ging, wollte Wilhelm früh nicht zum gewohnten Mähen gehen und bei ihm bleiben. Aber sein Bruder Heinrich sagte nur "Wilhelm, geh' hauen!" So tat er es auch. Mit "hauen" meinte er, das Getreide zu schneiden mit der Sense. Als Wilhelm nach getaner Arbeit zurückkam, war sein Bruder Heinrich verstorben.

So etwas wie einen kurzen überraschenden "Wintereinbruch" mit heftigem Schneefall im Juni kurz vor der Getreideernte muss es zu dieser Zeit in Lüben und Umgebung auch einmal gegeben haben. Der nasse Schnee drückte die Ähren nieder, und so nahm man kurzerhand lange Seile und spannte diese, durch zwei Personen gehalten, über das jeweilige Getreidefeld. Man lief damit längs der Felder und streifte so den nassen Schnee ab, um die Ernte zu retten.

Eines Tages war mein Großvater in Richtung Polkwitzer Chaussee unterwegs. Was er dann sah, konnte er zunächst nicht glauben. Ein Wagen ohne Pferde fuhr selbsttätig Richtung Lüben! Das war seine allererste Begegnung mit einem Automobil. Wenn man bedenkt, dass es nur ungefähr 14 Jahre nach dem ersten Automobil von Carl Benz war und es zu dieser Zeit noch nicht einmal tausend Autos in ganz Deutschland gab. Eine Sensation!

Dragoner Wilhelm Exner 1910

Freizeit, auch das gab es. Am Sonntag im Sommer ging es bei schönem Wetter nachmittags zum Exner-Teich zum Baden. Die Mutter hatte einen Kuchen gebacken. Dieser Teich, dessen Wasser neben der Kalten Bache auch für den Mühlenbetrieb benutzt wurde, war bei den Oberauern beliebt. Auch vom Schloss und Gutshof Mittel-Oberau (Graf Stolberg) kam man hierher. Der Teich selbst gehörte zu den Fluren des Gutshofes Mittel-Oberau. Die Qualität des Wassers der Kalten Bache und des Exner-Teiches muss zu dieser Zeit hervorragend gewesen sein. Es gab sogar genügend Süßwasserkrebse dort, die eingesammelt und entsprechend zubereitet am Abend als Delikatesse gegessen wurden. Sie schmeckten vorzüglich. Das war dann der Abschluss eines schönen Tages.

Im Jahr 1907 ging es zum Militärdienst nach Lüben zum 1. Schlesischen Dragoner-Regiment Nr. 4. Die Erfahrung und der Bezug zu Pferden waren meinem Großvater von großem Nutzen. Er erzählte von seiner Rekrutenzeit unter Leutnant Graf Fink von Finckenstein, von Disziplin und Gehorsam zu jener Zeit und von der Arbeit mit den Pferden. Mit Stolz erwähnte er den Tag, als er die "Gefreitenknöppe" (Gefreitenknöpfe, Knöpfe zum Dienstgrad eines Gefreiten) nach seiner Militärausbildung in Lüben bekam. Später stieg er zum Unteroffizier der Reserve auf und erlebte mit der 3. Schwadron des Dragoner-Regiments aus Lüben die Mobilmachung 1914. Überlieferungen aus dieser Zeit beschränken sich auf Angst, Schrecken und Notleiden. Nichts Heroisches... Ich erinnere mich daran, dass auf dem Rückzug sein damaliges Pferd so entkräftet und erschöpft war, dass er in Abständen absitzen und das Pferd führen musste, damit es irgendwie weiterging.

Später bei seiner Ankunft am Bahnhof in Lüben, seit Tagen ohne etwas zu essen, bemerkte er auf dem gepflasterten Weg und der angrenzenden Mauer, dass dort etwas Zucker verstreut war. Vermutlich aus einem angerissenen Zuckersack der Lübener Zuckerfabrik. Er feuchtete seine Finger an, damit der Zucker daran kleben blieb. Er aß ihn mit Heißhunger. An diese Geschichte denke ich immer auch heute noch, wenn ich etwas Zucker verschütte. Ich werfe davon nichts weg, ich verwende alles. Genau das habe ich an meine Kinder weitergegeben, um bewusst zu machen, dass alles, was heute selbstverständlich erscheint, eigentlich gar nicht so selbstverständlich ist. Hoffentlich vergessen sie es nicht.

Der weitere Lebensweg meines Großvaters, Wilhelm Exner, führte über Rosenberg und Kreuzenort bei Ratibor (Oberschlesien) nach 1945 über Konradsreuth nach Hof/Bayern, wo er bis zu seinem Tod 1981 zusammen mit seiner Frau Johanna Exner geb. Richter in der Nähe der Familie seiner Tochter Irene Beichler geb. Exner seinen Lebensabend verbrachte. Aus dieser Zeit stammen meine Erinnerungen an seine Erzählungen und es wurde klar, dass ihm gute Erinnerungen lebendig geblieben waren. Es gab keine negativen Äußerungen oder Gefühle, trotz bitterer Erfahrung, Entbehrung und Verlust im Laufe eines langen Lebens. Er war ein zufriedener aktiver Mensch. Er schrieb seine Erinnerungen auf und korrespondierte mit Reinhard Graf Stolberg, schrieb Artikel über seine Heimat aus dieser Zeit und war Mitglied im Schlesierverein. Mir persönlich ist mein Großvater in wacher Erinnerung. Wenn ich zum Beispiel heute mit meinem elfjährigen Sohn Brennholz mache, dann erzähle ich ihm von Opa Wilhelm, der mir das wiederum beigebracht hat, als ich auch in diesem Alter war.

Dr. Germar Beichler
Selbitz bei Hof in Bayern am 12.10.2018

Googlemaps 2018: Exner-Mühle bzw. Kleine Mühle mit Exner-Teich
1969 schrieb das Lübener Heimatblatt: "Die Entwicklung der ganzen Gegend zwischen Liegnitz und Glogau wird durch das Kupfervorkommen beeinflußt. Überall, wohin man kommt, sieht man Förderanlagen. Auch der Exner-Teich mußte einer solchen Anlage weichen. Vom Dorf aus sieht man dort den Förderturm." Anm.: Die Zechenanlage mit Förderturm steht nördöstlich vom Exner-Teich. Die Mühle ist nach nicht bestätigter Überlieferung 1945 abgebrannt und wurde danach nicht wieder errichtet.