Schulrat Ludwig Martwig (1873-1955)
Hermann Marx (1870-1948)














Schulrat Ludwig Martwig

Seine engere Heimat war die Gegend um Preußisch Friedland. In diesem Städtchen erhielt er auch die Ausbildung zum Volksschullehrer. Wenige Jahre war er anschließend als Lehrer in Steuken bei Thorn tätig, wurde aber bald als Rektor nach Preußisch Friedland berufen. 1903 wurde er Leiter der Präparanden-Anstalt in Pleschen/Posen.

1903 Ludwig Martwig als Vorsteher der Präparanden-Anstalt Pleschen

Ludwig Martwig als Vorsteher der Präparanden-Anstalt Pleschen

1916 erfolgt seine Ernennung zum Kreis-Schulinspektor nach Miloslow/Posen. 1918 bekommt Ludwig Martwig zunächst keine Ausreisegenehmigung nach Deutschland, da er in Miloslow erst seinen Amtsnachfolger einarbeiten muß. 1919 wird ihm diese mit mancherlei Vergünstigungen der polnischen Regierung genehmigt. Das Kultusministerium in Berlin läßt Ludwig Martwig seinen neuen Wohnsitz selbst bestimmen. Da er Schlesien schon von Reisen her kannte, wählte er unser Lindenstädtchen Lüben und fand mit seiner Familie erste Bleibe in einer Wohnung in der Heil- und Pflegeanstalt, um dann nach der Schützenstraße umzuziehen.

Lüben Schützenstr. 1 - das Haus der Familie Martwig

Lüben Schützenstr. 1 - das Haus der Familie Martwig
Ludwig Martwig ließ um 1928 das Haus umbauen. Es hatte nach Jürgen Velhagens Erinnerung 8 Zimmer. Während des Krieges dienten einige davon als kurzfristige Übernachtungs-Pension für die Bräute und Frauen von Fliegern, denen Bombeneinsätze bevorstanden. Sie sollten ihre Liebsten vorher noch einmal gesehen haben und sich um so heldenhafter in den Kampf stürzen...

 Wohnzimmer der Familie Martwig  Wohnzimmer der Familie Martwig
Arbeitszimmer von Ludwig Martwig Arbeitszimmer von Ludwig Martwig

Schützenstr. 1 - Wohnzimmer der Familie Martwig und Arbeitszimmer des Schulrats um 1928

Persönliche Erinnerungen und Episoden aus dem Schulalltag mögen nun einen kleinen Ausschnitt aus seinem Schaffen geben. Der Berichterstatter war mit nur eineinhalbjähriger Unterbrechung im Kreise Lüben als Lehrer tätig, hatte ständigen, besten Kontakt mit seinem Schulrat, der ihm zum väterlichen, treuen Berater wurde und mit den Lehrern Jerke, Klaß und Hanisch den beruflichen Weg ausbauen half. Besonders wohltuend empfand ich, daß die Besuche des Schulrates niemals in "Schnüffelei" ausliefen. Es waren immer Besuche des Schul r a t e s , der kam, um Rat und Hilfe zu geben. Ich betone das ganz besonders, da ich auch Herren anderer Couleur begegnet bin. Da ich von 1927 bis 1929 direkt in Lüben an der evangelischen Volksschule tätig war, bestellte mich Ludwig Martwig nach jedem seiner Unterrichtsbesuche bei mir abends um 20 Uhr in sein Büro auf der Schützenstraße und besprach ausführlich die am Vormittag in der 2. bzw. 6. Klasse gehörten Lektionen. Die schon damals recht lebhaften Schulreformen haben auch mich allerlei Experimente versuchen lassen. Die Besprechung einer solchen Religionsstunde im 2. Schuljahr habe ich noch deutlich in Erinnerung, da mich das Ergebnis zu ernstem Nachsinnen zwang. Ich arbeitete nach dem Buch von Paul "Für Herz und Gemüt der Kleinen" und glaubte, dieses märchenhafte Erzählen der biblischen Geschichten sei allein brauchbar für das 1. und 2. Schuljahr. Ludwig Martwig meinte, ich solle das nicht so bedingungslos als der Wahrheit letzten Schluß betrachten. "Doch wenn Sie damit Kinderherzen erfreuen, andächtige kleine Hörer haben und in deren Herzen Samen für späteres eigenes Entscheiden streuen, dann kann auch Ihre Arbeit Segen bringen." So etwa verlief die Unterredung, die mich so nachdenklich machte und noch bei mancher späteren Vorbereitung Pate stand.

Ein andermal klagte ich ihm mein Leid darüber, daß eine Reihe Kinder so gar nicht mitkommen wollten. Heute würden sie eine Sonderschule besuchen, die wir aber in Lüben damals noch nicht hatten. Am Beispiel, daß ein Bauer vom Sandboden nicht die Erträge wie von Schwarzerde heimbringen könne, meinte Ludwig Martwig, sei es auch bei uns. Wo Gott nur wenig hingetan habe, können wir nur in mühevoller, treuer Kleinarbeit das Bestmögliche zu erreichen versuchen. Ob etwas getan worden ist, sehe der erfahrene Schulmann schon.

Vor meiner 2. Prüfung kam Ludwig Martwig (damals noch unangemeldet) zwei Tage hintereinander den ganzen Vormittag zur "großen Revision". Da habe ich ganz schön geschwitzt. Am ersten Tag unterrichtete ich von 7 Uhr bis 12 Uhr selbst in meiner 2. bzw. in der 6. Klasse, am zweiten Tag von 7 bis 10 Uhr in meiner Klasse 2. Um 10 Uhr übernahm der Schulrat selbst die Klasse und machte mit ihr einen umfassenden Querschnitt. Die Kinder gingen unter der mustergültigen Führung einzigartig mit! Mir lachte das Herz nur so! Am Abend des zweiten Tages besprachen wir dann von 20 Uhr an bis nach Mitternacht die beiden Tage. Hier klang das Ergebnis etwa so: "Ich habe Ihnen nun zu dem Gehörten und Gesehenen meine Ansichten kundgetan. Doch wenn Sie meinen, eigene Wege gehen zu müssen, tun Sie es. Wichtig ist nur, daß Sie Ihr Tun methodisch, pädagogisch, psychologisch und ethisch begründen können. Arbeiten Sie dann weiter so gewissenhaft wie bisher." Meine 2. Prüfung lief glatt über die Bühne.

Hochzeit von Hildegard geb. Martwig und Dr. Karl-Günther Petermann im Jahr 1934

Hochzeit einer Martwig-Tochter am 20.12.1934 im Hotel Grüner Baum in Lüben
hintere Reihe von links: Sofie-Charlotte Velhagen geb. Martwig, die Eltern des Bräutigams Frau und Herr Pastor Petermann aus Braunau/Schlesien, Ludwig Martwig, Eberhard Velhagen, Frau und Dr. Hans Petermann aus Breslau, Annemarie Petermann
davor: das Brautpaar Hildegard geb. Martwig und Dr. Karl-Günther Petermann, Martha Ludwig geb. Schmidt.


Als ich 1931 die Einklassige in Barschau übernahm, kam ich in eine sehr schulfreundliche, aber auch sehr arme kleine und entlegene Gemeinde, fand aber in meinem Schulrat einen alleweil tatkräftigen, treuen Helfer für die Belange meiner Schule. Er besaß eine unerhört geschickte Verhandlungstaktik mit den in Frage kommenden Behördenstellen. 1938 erreichten wir den Bau eines neuen Klassenhauses mit allen modernen Einrichtungen, sogar Wannen- und Duschbädern, die auch den Erwachsenen zur Verfügung standen und gut genutzt wurden. Das alte Schulhaus wurde gleichzeitig in eine moderne, sehr geräumige Dienstwohnung umgebaut. Ludwig Martwigs Liebe galt ja den Dorfschulen und da war es sein besonderes Anliegen, die Lehrer von der Abwanderung in die Stadt abzuhalten. Er hatte rechtzeitig erkannt, daß dazu auch gute Dienstwohnungen gehörten.

Auch das ländliche Berufsschulwesen erfreute sich besonderer Förderung. Was die Ausstattung der Schulen anbelangt, sei hervorgehoben, daß die Schulen im Kreise Lüben mit Bildwerfern und Schmalfilmgeräten sehr gut versorgt waren und für Preußen als vorbildlich galten. Auch eine beträchtliche sportliche Förderung erfuhr die heranwachsende Jugend.

1938 trat er in den Ruhestand. Sein Nachfolger wurde Schulrat Erich Rudel (1885-1945) der wie drei seiner fünf Söhne im Krieg gefallen ist! Als der Krieg auch Ludwig Martwigs Einsatz verlangte, übernahm er die Lebensmittelkarten-Kontrolle im Kreise. Auch unser lieber Schulrat mußte die Heimat, jetzt zum zweitenmal, verlassen. Darunter hat er sehr gelitten. Alle seine Briefe, die ich in die Hände bekam, zeugen davon. "Zu Fuß ginge ich heute noch zurück in unser liebes Linden-städtchen", so steht es in einem seiner letzten Briefe an mich. Anfang 1953 verlor Ludwig Martwig seine treue Lebens-gefährtin. Er selbst schloß am 15. März 1955 nach einer Operation im Krankenhaus in Hildesheim für immer seine Augen.

Ernst Schroeckh, LHB 12/1973


Alle Fotos auf dieser Seite und den folgenden Text verdanken wir Jürgen Velhagen, dem ältesten Enkel Ludwig Martwigs.


Ludwig Martwig mit Ehefrau, beiden Töchtern und dem Schwiegersohn Velhagen

1935, Schützenstr. 1. Ludwig Martwig mit Ehefrau, beiden Töchtern und dem Schwiegersohn Velhagen, Schwiegersohn Petermann fotografiert.

Schwiegersohn Dr. Petermann, Hildegard Petermann, Martha Ludwig, Jürgen Velhagen, Sofie-Charlotte Velhagen, Ludwig Martwig

1936, von links: Schwiegersohn Dr. Petermann, Hildegard Petermann, Martha Ludwig, Jürgen Velhagen, Sofie-Charlotte Velhagen, Ludwig Martwig.

Weihnachten 1937. Ludwig Martwig mit Enkel Jürgen Velhagen. Martha Ludwig mit Enkelin Hella Petermann

Weihnachten 1937. Ludwig Martwig mit Enkel Jürgen Velhagen. Martha Ludwig m. Enkelin Hella Petermann.


Ein Stück Lüben ging von uns!

Am 21.5.1987 verstarb in Hildesheim, 82jährig, im Kreise ihrer Familie meine Mutter, Frau Sofie-Charlotte Velhagen.
Sie war die jüngere der beiden Töchter des Kreisschulrates Ludwig Martwig, der durch die politischen Ereignisse im deutsch-polnischen Grenzraum nach dem 1. Weltkrieg nach Lüben kam. Nach einem Umzug aus der Heil- und Pflege-anstalt wohnten mein Großvater, meine Großmutter, meine Mutter und ich bis zu unserer Flucht im Januar 1945 in der Schützenstr. 1, wo ich auch 1936 geboren wurde.

Mein Großvater - sicher nur noch wenigen als aktiver Pädagoge in Erinnerung - war weit über die Grenzen seines Wirkungskreises als fortschrittlicher Vorgesetzter, aber auch durch einige seiner Eigenarten bekannt. Besonders seine Rapport-Gespräche müssen bei den angeforderten Lehrern nicht ohne Wirkung gewesen sein. Dieses ist auch aus einigen sehr netten Briefen ehemaliger Lehrer aus dem Schulkreis Liegnitz-Lüben, die ich bei meiner Mutter im Nachlaß gefunden habe, zu ersehen. Man fühlt sich beim Lesen in eine andere Welt versetzt, in der auch noch so laute und hitzige Dienstgespräche immer ihr Ende bei meiner Großmutter bei einem gutgedeckten Mittagstisch fanden.

Meine Mutter heiratete 1932 in Jena den damaligen Gerichtsreferendar und späteren Verwaltungsgerichtspräsidenten Eberhard Velhagen. Mein Vater hat einen Teil seiner juristischen Ausbildung in Lüben bei Rechtsanwalt Rösner absolviert. Gern habe ich immer zugehört, wenn meine Mutter und mein Vater von dieser für sie sicher sehr schönen Zeit erzählt haben. So erinnerte sich meine Mutter ganz besonders gern an die auswärtigen "Lübener Gerichtstage", die nach den Erzählungen meines Vaters in den umgestalteten Tanzsälen von bekannten Landgaststätten im Kreise Lüben abgehalten wurden und am Stammtisch sehr häufig mit dem hohen Gericht, Anwälten, Klägern und Beklagten friedlich endeten. Meine Mutter, unterstützt von meiner Großmutter, aber sicher auch von Frau Rösner, hatten dann schon die Vorbereitung für die Rückkehr der Herren getroffen.

Martha Ludwig mit den beiden Töchtern Sofie-Charlotte und Hildegard Familie Martwig

Alle drei Bilder wurden 1943 vor dem Hauseingang Schützenstr. 1 aufgenommen. Oben von links: Schwiegersohn Dr. Petermann, Martha und Ludwig Martwig, Sofie-Charlotte Velhagen, Wolfgang Petermann (Karl-Günthers Bruder). Jürgen Velhagen erinnert sich an die gewaltige Holztür, die er als Kind nur mit großer Anstrengung selbst öffnen konnte...

Martha Ludwig


Nach unserer Flucht im Januar 1945, die uns nach Lüneburg verschlug, erinnere ich mich an die sehr netten Besuche von der Gründerin des "Lübener Heimatblattes" und Schulfreundin meiner Mutter, Erika Hoffmann-Rehmie. In unserer kleinen Wohnung, die wir mit meinen Großeltern bewohnten, wurden viele Erinnerungen zusammengetragen, die später im Heimatbrief erschienen. Soweit ich unterrichtet bin, hat mein Großvater sehr vielen Lehrern, die alle ihre Unterlagen im Kriege verloren hatten, durch eidesstattliche Erklärungen und Behördengänge geholfen, eine neue Existenz zu finden. Einige Schicksalsberichte und dankbare Briefe habe ich bei meiner Mutter in ihren Unterlagen gefunden.

Oft traf sich meine Mutter in Lüneburg mit Bekannten aus Lüben. Darunter im Garten von Martha Neumann geb. Scharf (1901-1977) mit Margarete Randt geb. Neumann (1908-1974), Helene Pernak geb. Neumann (* 1905), Frau Martwig geb. Schinke und natürlich mit ihrer Schwester Hildegard. Ich glaube, der kleine Lübener Damenkreis genoß den Anfang des Wirtschaftswunders. Soweit ich mich erinnern kann, waren auch alle Ehemänner der Damen aus dem Krieg nach Hause gekommen. Höhepunkt dieser Treffen war das Auspacken des Käsekuchens meiner Tante Hildegard Petermann. Mein Onkel hatte nach seiner Flucht mit seiner Familie aus Seifersdorf bei Liegnitz seine Praxis als prakt. Arzt in Lüneburg mit Hilfe und Unterstützung meiner Mutter wieder aufgebaut. Manchmal ließ er sich von den Damen überreden, in schlesischer Mundart zu sprechen. Er beherrschte sie perfekt.

Ich habe die traurige Mitteilung vom Tode meiner Mutter mit einigen Erzählungen verbunden, weil ich glaube, daß mit ihr und ihren Erinnerungen auch ein Stück Lüben, wie es gewesen ist, gegangen ist.

Jürgen Velhagen, 1987 im LHB
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