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Erinnerungen an den "Apollo" der Stadtverwaltung Lüben
Heute würde man ihn einen Oldtimer nennen und viel Geld für ihn zahlen. Er würde gepflegt und auf Ausstellungen gezeigt werden, vielleicht sogar an Rallyes teilnehmen. Damals aber, in unserm Heimatstädtchen, diente er Bürgermeister Hugo Feige und den Ratsherren als Fahrzeug, um Lübens Besitzungen außerhalb der Stadt, die Waldungen und die Stadtziegelei zu besuchen oder auch um nach Liegnitz oder Breslau zu Sitzungen zu reisen.
Obwohl die erst wenige Jahre zurückliegende Inflation auch Lüben Schaden zugefügt haben mag, konnte sich die Stadt ein Auto leisten. Es hatte den klangvollen Namen "Apollo", doch mit den Raumschiffen gleichen Namens wenig gemeinsam und mit dem strahlenden Götterjüngling der griechischen Sagenwelt nur eines: beide gehören der Antike an.
Ähnlich wie heute kaufte man auch damals zunächst einen Gebrauchtwagen. Der "Apollo" der Stadt Lüben war also schon zur Zeit seines Kaufes reiferen Alters.
Heute kauft man Autos vom Band. Das Auto von einst war noch solide handwerkliche Arbeit. Die Form des "Apollo" erinnerte noch etwas an die Pferdedroschke. Die genoppten schwarzen Ledersitze waren hoch, die Türen recht niedrig. Man saß im Freien und hüllte sich, wenn nötig, in Decken. Das starke Blech der Karosserie konnte man noch nicht mit dem Finger eindrücken. Das Ganze war in dezentem Dunkelgrün lackiert. Das Gold der Messingbeschläge und Armaturen unterstrich die vornehme Wirkung. Golden glänzten die Kühlerverkleidung, die Lampen und die Messingschrauben der hohen Windschutzscheibe. Vom schwarzen Hupenball führte ein langer glänzender Schlauch zum Tontrichter. Es gab auch mehrtönige wohlklingende Signalhörner. Der "Apollo" kündete sein Kommen jedoch durch tiefes brummiges Hupen an. Man mußte ja damals vor jeder Kurve warnend Signal geben. Handbremse und Gangschaltung hatten natürlich ebenfalls Messinggriffe. Um Zahnradsalat zu vermeiden, gab man beim Herabschalten Zwischengas, eine heute fast vergessene Kunst.
Kam man mit dem "Apollo" in einen Gewitterschauer, wurde man zunächst einmal naß, denn ehe man das Faltdach über den Wagen gezogen, an der Windschutzscheibe eingehakt und zwischen Motorhaube und Schutzblech festgezurrt hatte, schien die Sonne schon wieder. Die Kotflügel waren noch solche, denn Pferde und Rindvieh waren gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und in der Überzahl.
In gewisser Hinsicht war der "Apollo" ein Sportwagen. Man mußte seinen Motor mit einer Kurbel anwerfen. Rechtshänder hielten sich mit der linken Hand an der Kühlerverschraubung fest, bückten sich und begannen an der Kurbel zu drehen. Sie hofften dabei, daß der Motor nun bald von selbst laufen würde. Meist tat er dies auch, zuweilen aber nicht. Dann wurde es sportlich.
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Dank der Unterstützung von Reinhard Urban* vom Motorclub Apolda kann dieses Modell eines Apollo E 6/16 von 1910/11 gezeigt werden. Nur die Farbe stimmt nicht mit dem von Fritz Zwiener beschriebenen Fahrzeug überein. Gibt es irgendwo ein Foto des Lübener Apollo?
Oder war es ein um 1920 erbauter Apollo R 10/40 wie dieser hier? Das Bild stellte Detlef Zimmer vom Stadtmuseum Apolda zur Verfügung. Herzlichen Dank!
Bernd M. hat den Verdacht, dass auf einer alten Ansichtskarte zufällig der Apollo der Stadtverwaltung abgelichtet worden ist! Leider ist das Auto nur vage zu erkennen. Aber vielleicht findet sich doch noch ein größeres Foto!
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Man kurbelte, schwitzte, drehte schneller, kam in Wut und arbeitete mit beiden Händen bis zur Erschöpfung. Man stellte die Zündung auf "Spät", dann auf "Früh", man tippte am Vergaser bis das Benzin überlief, man reinigte die Zündkerzen und spritzte etwas Benzin in die Zylinder. Und wenn dann endlich das im Auspuff angesammelte Gas mit lautem Knall explodierte, war dieses Lebenszeichen ein echtes Erfolgserlebnis. Sportlich war auch das Aufpumpen der Reifen, Pneus genannt. Ein Fuß hielt die Luftpumpe am Boden fest. Mit beiden Armen hob und drückte man die Pumpenstange herauf und hinunter. Das Hinunter war schweißtreibend. Den vermeintlich richtigen Luftdruck im Reifen prüfte man meist, indem man mit der Fußspitze dagegentrat. Die Gummibereifung war auf Stahlfelgen montiert, die wiederum an den Rädern aus Holz angeschraubt waren.
Die Zeit, da man Benzin in Flaschen in der Drogerie kaufte, war schon vorüber. Aus einem 200-Liter-Faß wurde der Brennstoff in eine Meßkanne gepumpt und von dort mittels eines Trichters mit langem schräg angesetztem Ausflußrohr in den Tank gefüllt. Es wird im Jahre 1925 gewesen sein, als in Lüben die erste Tankstelle mit Zapfsäule errichtet wurde. Sie stand auf der Spinnbahn (Topfmarkt), an der Kreuzung der Hindenburg-, Haynauer- und Breiten Straße. Es war eine Dapolin-Tankstelle (Dapolin gehört inzwischen Esso), später folgten am Hotel "Zum goldenen Löwen" eine Leuna/Aral- und an den "Drei Kronen" eine Shell-Tankstelle.
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Aral-Tankstelle am Hotel zum Löwen |
Shell-Tankstelle am Gasthof zu den drei Kronen
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Die Stadt Lüben erkannte recht früh die Bedeutung der Verkehrsregelung. So wurden die Nieder-Glogauer Straße und die Tiefe Straße in Richtung Liegnitz-Breslau und ein Teil der Liegnitzer Straße und die Ober-Glogauer Straße in Richtung Glogau-Berlin Einbahnstraßen. Über ihren Einmündungen hingen entsprechende Verkehrszeichen, abends elektrisch beleuchtet. Der durch Lüben führende Lastwagenverkehr wurde an der Kreuzung der Breiten Straße mit der Schulpromenade in diese umgelenkt und so die Innenstadt von den rumpelnden Fahrzeugen befreit.
Doch kehren wir zu unserm "Apollo" zurück. Für ihn kam ein schwarzer Tag. Die Sonne schien heiter und warm, wie sie eben sommers oft über Lüben stand, und niemandem schwante Arges. Herr Bürgermeister Feige, Herr Ratsherr Geisler und mein Vater am Steuer kamen mit dem Auto von einer Dienstfahrt zur Stadtziegelei heimwärts. Der Wagen bog von der Hindenburgstraße kommend in die Breite Straße ein, d. h. er sollte einbiegen. Aus irgendeinem Grunde brach das rechte Vorderrad, und das Fahrzeug rutschte in Richtung Dittmannsgasse. Für die beiden Herren auf den Rücksitzen gab es keinen Halt. Sie purzelten aus dem Wagen, und nachdem sie festgestellt hatten, daß nur ihre Hosen ernsthaften Schaden genommen hatten, humpelten sie durch die Gasse nach Hause. In zerrissenen Hosen sind sogar Bürgermeister und Ratsherren unansehnlich. Mein Bruder Helmut, der vorn neben meinem Vater saß und sich die Hand an der Windschutzscheibe verletzt hatte, fragte in die Stille hinein, die bei jedem Unfall eintritt, wenn das Knirschen aufgehört hat: "Papa, steigen wir nun aus?" "Natürlich, dummer Bengel!" Diese Antwort wurde durch einen Backenstreich bekräftigt. Und dann war alles so, wie es auch heute bei Unfällen zu sein pflegt.
An dieser Stelle passierte der Unfall. Der "Apollo" sollte an der Litfaßsäule nach links in die Breite Straße einbiegen, landete aber gegenüber in der Dittmanns-Gasse, die Breite und Haynauer Straße voneinander trennte. Für das Bild Dank an Elsa Kostka und Waldemar Marek!
Plötzlich waren viele Menschen beisammen. Sie wußten genau, wie es geschehen war, was falsch gemacht worden ist usw. Von dem vielen, das da geredet wurde, blieb mir ein Satz im Gedächtnis. Man stritt um die Geschwindigkeit des "Apollo". Hierzu sagte ein ehrenwerter Bürger: "Ich, als Vorsitzender des Radfahrvereins, werde wohl wissen, was 50 ist." Eine Dame hatte sich beim Anblick des Unfalls so erschreckt, daß sie wegen des erlittenen Schocks Schmerzensgeld fordern wollte. Schocks und Schmerzensgeld-Forderungen sind so neu also nicht, und was die Geschwindigkeit betrifft, so weiß ich nicht mehr, wieviele Kilometer man mit dem "Apollo" in der Stunde zurücklegen konnte. Motorstärke, Bauweise des Chassis und Federung werden wohl nicht mehr als 60 km/h zugelassen haben. Wenn ich die Straßenverkehrsordnung noch recht in Erinnerung habe, hieß es darin sinngemäß: Man darf nur so schnell fahren, daß man beim Auftauchen eines Hindernisses sein Fahrzeug auf kürzeste Entfernung zum Halten bringen kann. |
Als Hermann Köhl Lüben besuchte, hatte der "Apollo" vermutlich seinen größten Tag. Er durfte den Ozeanflieger durch die Straßen Lübens fahren, und war es auch keine Konfettiparade wie in New York, so durfte eine solche Ehre nur wenigen Autos zuteil geworden sein.
Über "Apollos" letzte Fahrt weiß ich nichts zu berichten. Ob die Stadtväter sich allmählich der unmodernen Form schämten, oder ob er zu altersschwach geworden war? Die Stadt Lüben kaufte eine schwarze Limousine, Fabrikat Benz. Der "Apollo" wurde aus seiner Garage hinter der Stadtmauer ausquartiert. In das benachbarte Franzosen-Häusel zog Ernst Kühn ein. Er wurde Lübens städtischer Kraftfahrer und müßte "Apollos" Ende kennen.
Fritz Zwiener (1911-1988), LHB 9/1980 |
Erinnerung von Fritz Moltrecht
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Der Unfall war doch schlimmer...
Mit einem rechten Schmunzeln habe ich den Artikel meines Schulkameraden Fritz Zwiener im "Lübener Heimatblatt" Nr. 9/ September 1980 gelesen. Wie es solche Anekdoten nun einmal an sich haben, ist der für damalige Zeiten doch immerhin schwere Unfall recht humorvoll dargestellt worden. Leider stimmt es nicht, daß die Insassen nach Hause gehumpelt sind, nachdem sie festgestellt hatten, daß nur ihre Hosen ernsthaften Schaden genommen hatten. Mein Vater hatte sich neben Prellungen mancherlei Art den Ellbogen und den Schleimbeutel des rechten Armes arg zerschlagen und mußte sich in Behandlung des Chirurgen Dr. Fiedler begeben. Ich entsinne mich noch sehr genau, daß er mindestens eine Woche lang mit großen Schmerzen zu Bett gelegen und längere Zeit damit zu tun hatte.
Konrad Feige, Pastor i. R., Sohn des Lübener Bürgermeisters Hugo Feige, in LHB 3/1981
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* Der Beschreibung nach kann es sich bei dem Fahrzeug nur um einen Apollo E 6/14 Doppelphaeton mit 4 Zylindern und 14 PS sowie 1770 ccm Hubraum Baujahr 1910 bis 1911 oder um einen Apollo E 6/16 mit 16 PS aus den Jahren 1911-1912 handeln, weil vom "Kutschencharakter" geschrieben wurde. Der unmittelbare Nachfolger des Typ E und damit alle weiteren folgenden Apollo sahen dann anders aus. Reinhard Urban, Apolda, 10.11.2010 |
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