Erinnerungen aus dem gesellschaftlichen Leben Lübens seit 1920
Ortsgruppe des Quickborn














Tanzstundenball 1924 in Lüben
9 Sofie-Charlotte Martwig im Kreis ehemaliger Lübener Mitschüler. Sie selbst besuchte zu dem Zeitpunkt die Höhere Töchterschule in Liegnitz.
Ein herzliches Dankeschön an ihren Sohn Jürgen Velhagen!

Tanzstundenball 1931 im Restaurant Stadt Liegnitz

Tanzstundenball 1931 im Restaurant Stadt Liegnitz. 6 Wittwer, 9 Liesbeth Arlt (1914-1991), 17 mit großer Wahrscheinlichkeit Walter Langner, 18 Kurt Heinze (*1912), 24 Brinkfriede Wittwer


Tages Arbeit, abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste!

Heute, wo wir Lübener in aller Welt verstreut leben und uns den örtlichen Gepflogenheiten anpassen müssen, lohnt es sich, noch einmal Rückschau zu halten und so manches neu erstehen zu lassen. Eine Zeit zieht an unserem Auge vorüber, da wir, gleich ob arm oder reich, in frohen Veranstaltungen, z. T. mit künstlerischem Niveau, nach des Tages Arbeit und in ausgelassener Fröhlichkeit uns aus der Schwere des Alltags lösten. Wie konnte es auch anders sein, waren doch die einzelnen Vereine und Organisationen die Träger des geselligen Lebens. Wir haben auch immer festgestellt, daß kaum eine Veranstaltung ein Fehlschlag war, zumal die Lübener ein lustiges Völkchen waren, die es verstanden, die Feste zu feiern, wie sie fielen. Einen großen Anteil daran hatte aber auch eine frohe und lebensbejahende Jugend, dazu gesellten sich noch die verschiedensten Möglichkeiten durch die Anwesenheit der Angehörigen der Garnison. Mancher wird es noch heute bestätigen, daß aus einem schüchternen Walzer im "Löwen" oder "Schießhaussaal" ein Bund fürs Leben geworden ist.

Der Chronist, der auch durch seine berufliche Tätigkeit als Friseurmeister mit diesen Festen verbunden war, möchte seine Erinnerungen niederschreiben und gedenkt dabei der vielen Gestalter, Veranstalter und Mitwirkenden, die sich immer wieder selbstlos zur Verfügung stellten, um anderen Freude zu spenden. Viele deckt schon der grüne Rasen, und die noch Lebenden sollen wissen, daß wir uns daran noch gern erinnern und dieses als stillen Dank aussprechen.

Eines Mannes sei an dieser Stelle besonders gedacht, unseres Schneidermeisters Paul Ernst, der Jahrzehnte hindurch das Spiel der Dilettanten in Szene setzte, einstudierte, aus so manchem viel herausholte und dann nach mühevoller Arbeit zur Aufführung brachte. Er war der Vater der Spieler, der Gestalter der Programme, der Schöpfer der Ideen und der ruhende Pol, wenn es mal bei den Proben nicht so klappen wollte. Für alle stand er zur Verfügung, der sich selbstlos aufopferte und ohne Rücksicht auf seine Gesundheit immer unverzagt alles zu einem guten Ende brachte, bis er beim sogenannten Kaffeekränzchen der Theaterspieler seine Schäfchen fürs nächste Spiel verpflichtet hatte.

Bevor ich einige Glanzstücke des Theaters in Erinnerung bringe, möchte ich kurz das musikalische Leben skizzieren. Unser Trompeterkorps des nach dem 1. Weltkrieg entstandenen Reiter-Regiments unter Leitung von Obermusikmeister Kaiser hat die Tradition der Dragonerkapelle fortgesetzt und uns mit manchem gut und künstlerisch aufgeführten Konzert mit Streich- und Blasmusik herrliche Stunden beschert.

Doch auch die Musikvereinigung "Edelweiß" mit Alfons Rausche, später Paul Scholz als Dirigenten, bot uns manchen musikalischen Genuß, und immer wieder war es ein Erlebnis für jung und alt, wenn am 1. Weihnachtsfeiertag als Abschluß des Festtags-konzerts das große Tongemälde "Fröhliche Weihnachten" von Karl Knödel (1826-1867) erklang.

Mit dem Vorhandensein dieser beiden Orchester war auch immer die Gewähr gegeben, daß zu den Tanzfestlichkeiten ein guter Klangkörper zur Verfügung stand und jeder auf seine Kosten kam. Vom Lied von Hiawatha bis zum Strauß'schen Walzer, mit Gefühl und Raffinesse gespielt und getanzt, kam jeder zu seinem Recht, und als Krönung jeder geschlossenen Festlichkeit galt die traditionelle Polonaise mit einem strammen Vorbeimarsch an einem begüterten Repräsentanten, der dann meistens an der Theke endete. Wie oft schimpfte dann "Bresse-Marta" (seit 1921 Löwen-Wirtin), wenn unter dem Getöse der Marschierer der Kronleuchter wackelte. Und wenn dann gar Fleischermeister Friedrich aus Ziebendorf seinen "Jäschkentaler" auf den Stühlen anführen wollte, erteilte sie Startverbot.

Die in Lüben vorhandenen Gesangvereine "Chorverein", "Liedertafel" und "Handwerker-Sängerbund" verstanden es einzeln, aber auch in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, das musikalische Leben unter Mitwirkung namhafter Solisten zu beleben. Es gab bei dieser Arbeit keine politischen und Standesunterschiede. Wir fühlten uns als Kinder einer Stadt!

Die Ehefrauen der Lübener Fleischermeister am 8. Juli 1930 am Kochelfall

Die Ehefrauen der Lübener Fleischermeister am 8. Juli 1930 am Kochelfall: Anna Wittwer, Marie Arlt, Martha Siegismund, Liesbeth John, Martha Bresse, Ida Zobel, Margarete John, Klara Bresse.
Folgende Theatererinnerungen werden bei so manchem Leser wehmütig nachklingen. Den Grundstein dazu legte wohl nach Schluß des 1. Weltkrieges Alwin Böhm mit der Gründung des Theaterclubs "Odeon". Dieser gab regelmäßig Vorstellungen und hatte auch stets volle Säle und dankbare Zuhörer. Ernste und heitere Volksstücke standen auf dem Programm. War dieser Verein aufgrund der schlechten Nachkriegsverhältnisse als Gemeinschaft entstanden, aus deren Tätigkeit jeder Mitwirkende sich seinen Lebensunterhalt verschaffte, so ging er aber in der Inflationszeit auseinander und konnte sich wirtschaftlich nicht mehr halten. Aber die Saat, die hier gelegt war, ging auf.

Unser unvergeßlicher Paul Ernst muß hier genannt werden, der als Führer des Turnvereins mit seiner Jugend Aufgaben löste, die in Aufführungen von Schauspielen wie z.B. "Katte" von Hermann Burte, Die elf Schill'schen Offiziere, Die Schlacht bei Mollwitz und anderen vaterländischen Stücken ihren Höhepunkt fanden. Mit welcher Pracht von naturgetreuer Ausstattung und Begeisterung diese Aufführungen gebracht wurden, zeigten immer die vollen Säle. Es war möglich, daß sich hier auf einer Kleinstadtbühne mit Menschen, die den Tag über im Beruf standen, ein Theaterspiel zeigte, was auch durch die Presse besondere Beachtung erfuhr, vielmehr aber noch so nachhaltig wirkt, daß es heute oft genug vorkommt, daß Heimatfreunde sich in einer Plauderstunde auch dieser Erlebnisse erinnern.

Irgendwann begnügte man sich nicht mehr mit Sprechrollen. Der Schritt zum Singspiel wurde vom Chorverein unter Leitung von Kantor Kornetzky und Dr. Opitz angeregt. So wurde eines Tages der große Sprung mit der Aufführung der Winzerliesel gewagt. Es wurde ein Bombenerfolg! Mit einer Besetzung von Frau Franzky, dieser kleinen Frau mit der feinen, hellen Stimme, Franz Pogorzalek und Kurt Lehmann (von der "Vierten"!, also dem 1. Schlesischen Dragoner-Regiment Nr. 4 in Lüben!) als Hauptdarsteller stellte diese Aufführung alles bisher Gezeigte in den Schatten. Ich kann mich noch der strahlenden Augen der Verantwortlichen erinnern, als nach dem Finale "Winzerliesel, du holde feine" rauschender Beifall gezollt wurde. Dieses Fest ging als eine rauschende Ballnacht in die Annalen ein. Damit war der Grundstein für weitere ähnliche Feste gegeben.

Kurt Lehmann

Kurt Lehmann (1884-1968)

Viele Singspiele erlebten in den Jahren von 1927 bis 1935 ihre Aufführung, und immer waren es Feste schlesischer Gemütlichkeit. Es war nun unter diesen Voraussetzungen ein Wettkampf in den Vereinen entbrannt. Denn es war die Zeit gekommen, da man nicht mehr nur dem "Schwof" huldigte und die Unkosten zu decken bemüht war, sondern da man auch darauf aus war, durch einen kleinen Überschuß die Vereinsfinanzen zu stärken. Je nach der Struktur des Vereins wurden die Veranstaltungen ausgestattet, wenn auch manchesmal nicht so künstlerisch, dann aber doch gut unterhaltend.

Da sei aus dem Jahre 1929 die Karnevalssitzung der Sportvereinigung herausgegriffen, die nach Kölner Art durchgeführt wurde. Das gesamte Material war aus Köln herbeigeholt worden, da saß ein Elferrat auf der Bühne, unser Landsmann Rosenau hatte eine große Bütte in Form eines Weinglases gebaut und dazu traten die Büttenredner auf, da war alles dran.

Private Faschings-Feier der Justizbeamten des Amtsgerichts Lüben im Hause des Obergerichtsvollziehers Rathmann im Jahre 1925
vorn von links: Ursula geb. Krzywanek; Ehepaar Martha und Felix Rathmann; Ehepaar Eckert.
stehend: Ehepaar Walter Adamy; Charlotte Hoffmann geb. Klisch; Karl Krzywanek; Herr Klisch; Frau Krzywanek; Emmy Zeuner geb. Arnold; Herr Zeuner; dahinter: Käthe Schmidt geb. Klisch; Ilse Eckert.

1925

1930 war der Löwensaal eine Zirkusarena für ein Gastspiel des Zirkus "Pußta" mit einem erstklassigen Programm. Hier traten die Pußtagirls auf, Athleten aller Sportarten, und als dann sogar Fritz Kühn, genannt "Kühnappel", als Flammenschlucker auftrat, da war wirklich der artistische Höhepunkt erreicht. Im folgenden Jahr war der "Löwensaal" Badestrand geworden und Schauplatz eines Strandfestes am Joppichteich bei einer Temperatur im Freien von -12°. Trotz aller Fröhlichkeit und Ausgelassenheit der vielen Badegäste mussten dem Veranstalter keine Frostschäden gemeldet werden.

Vergessen dürfen wir aber auch nicht die kleinen geselligen Veranstaltungen, die meistens als sogenannte Stiftungsfeste begangen wurden und stets harmonisch verliefen. So denken wir an diese beim Krieger- oder Landwehrverein, bei den ehemaligen Jägern und Schützen oder Gutsbeamten, beim Husarenverein, an die des Gesellenvereins, des Handwerker-Sängerbundes oder des Kegel-Klubs. Geboten wurde immer etwas, und wenn kein besonderes Beiprogramm gegeben werden konnte, so gab es dann in der Karnevalszeit eben ein Kostümfest oder einen Maskenball.

Drei Vereine, die es wert sind, genannt zu werden, fanden wir im Nachbarort, in Mallmitz. Dort waren Männer am Werk, die es verstanden, hinter den Darbietungen der Stadt nicht nachzustehen, und auch immer bemüht waren, mit der Lübener Bevölkerung guten Kontakt zu halten. Es waren der "Reiterverein" mit dem Verantwortlichen Fritz Breiler, der Gesangverein unter Leitung von Lehrer Triebs und Karl Zwiener, sowie die Freiwillige Feuerwehr unter Wehrführer Kneifert. Hinzu kam noch, daß beide Mallmitzer Gasthäuser, Mittmann und Kurzke, das Beste aus Küche und Keller boten und es verstanden, es ihren Gästen so angenehm wie möglich zu machen.

Mit dem Ansteigen der KdF-Veranstaltungen wurde den Veranstaltern von Vereinsfesten die Lust genommen, sich weiter zu entwickeln. Wenn auch noch Feiern stattfanden, der alte gemütliche Ton war irgendwie gehemmt.

Ein Zeichen der Verbundenheit von Stadt und Militär waren die Veranstaltungen unserer Garnison. Waren es früher die Schwadronsfeste, so luden nach dem Wechsel der Waffengattungen die einzelnen Kompanien zu ihrem Ball ein. Da sich in einer solchen Truppe die verschiedensten Talente aufhalten, waren diese Abende oft glanzvolle Veranstaltungen.

Silvester 1929
bei Kreisarzt Med.-Rat Dr. Kunze
in der Kullmannstr. 2


obere Reihe (von links):
Frau Dietsch,
Katasterdirektor Alfred Schulz,
Rechtsanwalt Artur Rösner,
Frau Schulz,
Günther Tscharntke,
Oberstudiendirektor
Erich Tscharntke,
Wolfgang Schulz,
Mechthild Tscharntke;

mittlere Reihe:
Gertrud Rösner,
Amtsgerichtsrat Dietsch,
Frau Scharte,
Dora Kunze,
Med.-Rat Dr. Guido Kunze,
Margarete Tscharntke;

vordere Reihe:
Charlotte Kunze,
Anneliese Kunze,
Hans Kunze.

1929

Die Zeit ist vorbei, als uns Einladungen geschmackvoller Art ins Haus gebracht wurden und sich der Veranstalter die Ehre gab, einzuladen, auch vorbei jene Zeit, da es uns noch möglich war, sich einmal von allen Sorgen zu lösen. Damals ahnte noch niemand, daß dieses einmal so sehr der Vergangenheit angehören wird.

Erwin Kulbe (1903-1969) in LHB 3/4/1959