Dr. med. Rudolf Opitz (1897-1973)
Fluchtbericht von Gertrud Otto (1909-1958)














Dr. med. Rudolf Opitz (1897-1973), Kullmannstr. 4, bescheinigt Edeltraut Kelm vom 25. November 1944 bis 2. Januar 1945 die Dienstunfähigkeit wegen nervlicher Erschöpfung. Sechs Wochen später waren Arzt und Patientin wie Tausende andere Lübener auf der Flucht vor der heranrollenden Front.

Ostern 1913 bestand Rudolf Opitz am Lübener Gymnasium die Schlussprüfung. Seine Auszeichnungen werden in den Jahresberichten des Gymnasiums zwischen 1911 und 1915 mehrfach erwähnt. Vom Jahr 1916, in dem er die Reifeprüfung bestand, ist der Jahresbericht leider nicht in meinem Besitz.


Dr. Rudolf Opitz zum 70. Geburtstag
Aus Lübener Heimatblatt 14/1967, von seinem Schulfreund Theo Dames

Am 1. August dieses Jahres kann unser Lübener Arzt Dr. Rudolf Opitz sein 70. Lebensjahr in vollenden. Er wurde in Beuthen (Schlesien) geboren, später verzogen seine Eltern nach Lüben, wo er seine Kinder- und Jugendjahre verbrachte. Er besuchte das Gymnasium, bestand 1916 sein Abitur und ging als Kriegsfreiwilliger an die Front, von wo er 1918 heimkehrte. Er studierte an den Universitäten Greifswald und Breslau Medizin, legte dort sein Staatsexamen ab und promovierte zum Dr. med. Nach seiner Bestallung 1922, ließ er sich 1923 in Lüben als praktischer Arzt, Landarzt und Geburtshelfer nieder. Als sein Haus in der Schulpromenade, Ecke Kullmannstraße, fertig war, heiratete er und verlegte dorthin seine Praxis. Einige Jahre war er leitender Arzt der Inneren Abteilung des Lübener Krankenhauses. Von 1939 bis 1943 nahm er am 2. Weltkrieg teil.

Im gesellschaftlichen Leben war er überall gern gesehen, und er war dort zu finden, wo es fröhlich zuging. Er schuf sich einen großen Freundeskreis. Nach dem Fortgang von daheim war es ihm 1946 möglich, sich in Göttingen als praktischer Arzt und Geburtshelfer und im geringen Umfang als Landarzt niederzulassen. Mit den Universitätskliniken und anderen Krankenhäusern in Göttingen hat er engen Kontakt. Aus seiner Ehe sind drei Söhne und eine Tochter hervorgegangen. Die Liebe zum Arztberuf haben die Söhne geerbt. Alle drei sind Ärzte und die Tochter ist Lehrerin.

Es war in unseren Lübener Jugendjahren, als wir die Bänke des werdenden Gymnasiums drückten, er immer eine Klasse über mir. Da sahen wir uns viel aus einigem Abstand, bis die Kriegsverhältnisse uns durch Zusammenlegungen von Klassen näher zueinander brachten. Damals lernten wir uns erst richtig kennen und schätzen: ich und der heutige praktische Arzt Dr. Rudolf Opitz. Und zwischen den übrigen Kameraden der Klasse, die großenteils mehr dem Alltäglichen im Leben zugewandt waren, bewegten uns recht unpraktische Gedanken, mehr musische Fragen. Denn ihn beschäftigten das künstlerische Wort, aber auch Mozart und der liederselige Schubert. Mich aber die bildende Kunst. Er aber erläuterte mir den Schluß eines Mozart-Satzes. Und zugleich dichtete es in ihm, wie in Peter Hille, dem Eigenwilligen, der ihm Anreger und Vorbild war.

Dann aber begann der - wie wir heute wissen - erste Weltkrieg. Mich holte man zuerst an die Front. Unsere Verbindung zerriß. Dann ging der Krieg zu Ende. Rudolf Opitz wurde Arzt, erfolgreicher und bewährter Helfer in der Heimatstadt; mich aber führte das Leben von Lüben fort, um nur noch gastweise dort einzukehren. Danach hat sich alles verändert: aus dem Jüngling, der als sprachbegeisterter Musensohn viele Wege vor sich gesehen hatte, die alle zur Kunst führen konnten, war ein Helfer der Menschen geworden. Wie Albert Schweitzer erfuhr er es, daß es ihn von der Musik und dem Literarischen in die ärztliche Praxis fortzog.

Nach Jahrzehnten sahen wir uns dann erst wieder, hier im Westen. Fern der ostdeutschen Heimat und fern der kleinen lindenbestandenen Stadt an der "Kaalen Baache" trafen sich die Gealterten. Und es war wie einst: Wir sprachen auch vom Beruf und Erwerb, mehr aber Philosophisches und von dem, was in ihm immer noch Gestalt annehmen will: vom deutschen Wort und vom Vers. Und das alles galt der heimatlichen Stadt, deren bescheidene Schönheit noch heute die Gedanken bewegt, ostdeutsche Art suchend und stets die Jahre der Jugend im Raum der biedermeierischen Stadt mit ihren Barockgiebeln am Ring neu durchforschend, und Gassendämmer mit Bogen an Kirche und Mauer mit ihrem Geheimnis beschwörend. Und aus diesem Sinnen und Ergründenwollen der oft verkannten Werte und der Klage um deren Verlust schrieb er jenen Vers:

An Lüben
Im Traume bist du mir immer noch so schön wie einst,
Wenn du beim Rauschen deiner Wasser,
Beim Duften deiner Linden
Dein Geschick beweinst...
Doch nur im Traum.

Was einst der Lübener Ehrenbürger Geheimrat Dr. Oswald Baer in Reime faßte, aus Heimatliebe und Sehnsucht entstanden, das erstand hier neu, nur: leidgeprüfter und in gesteigerter Sprache und höheren Sinnes. Und darüber sind Jahre vergangen. Ja: Jahrzehnte! Und nun vollendet er bereits am 1. August sein siebentes Jahrzehnt! Aber das Leben geht weiter; fern der Mutter Erde, aus der wir kamen, lebt er hier im Westen, wie wir alle. Die Gedanken gehen wohl immer noch zurück zu jenen Jahren, da der Student einst im Wechsel zwischen Universität und Elternhaus beim Besuch daheim am späten Abend am Fenster lehnte und dem Gesang der Nachtigallen lauschte und ihr Schluchzen in sich aufnahm, wenn es in den Büschen drüben am Fuße der Stadtmauer aufklang. Diese Vergangenheit ersteht immer wieder im Herzen so, wie sie nie wieder erlebt werden konnte, - unvergessen - unvergeßlich. Und der, der es so hält, der soll ein Siebziger sein? Halt es weiter so, Freund aus gemeinsamer Herkunft! Bleib gesund und schaff's noch einige Zeit trotz allem! Leb dem Heute, das Bild des Ostens im Innersten und den Ton der heimatlichen Melodie, deren sich ein Stück in unserer Stadt ereignete: im kleinen Lüben!

Theo Dames, 1967


Im Nachlass seiner Schwester Renate, einer Enkelin von Erwin Siebenhaar, dem Hausmeister des Lübener Gymnasium von 1911-1945, fand Ulrich Grüttner einen Brief von Dr. Rudolf Opitz an ihre gemeinsame Mutter Gertrud geb. Siebenhaar.
Der Brief muss um 1970 geschrieben worden sein. Er enthält einige schöne Erinnerungen an die Lübener Zeit. Deshalb möchte ich ihn hier auszugsweise veröffentlichen.

Meine liebe ehemalige Siebenhaar Gertrud,
von den vielen Briefen, die ich zu meinem 70. bekommen habe, hat mich Ihrer am meisten erfreut. Sie schreiben so innerlich gemütvoll und so vieles Heimatliche wird wieder wach. Natürlich ist mir Ihr lieber Vater in voller Erinnerung, wenn er uns im Heizungskeller beim Abschreiben vor dem "Aufsichtsrat" Gustav Krenke warnen kam. Ebenso ist mir Ihre Mutter noch in guter Erinnerung.
Ich glaube sogar, daß Sie eine meiner ersten Patientinnen waren, als ich noch im Hause Schulpromenade 7 meine Praxis eröffnete, und sogar mit Blumenstrauß - ich habe das oft meinen 3 Söhnen und meiner Tochter erzählt. Die Söhne sind alle Ärzte, die Tochter Lehrerin - alle verheiratet. Ich wohne jetzt in meinem Hause mit meinem jüngsten Sohne und seiner Frau. Das mildert die Einsamkeit, nach fast 40jährigem Zusammenleben.
Ich selbst fühle mich noch ganz wacker - ich habe bis zum Tode meiner Frau noch jeden Tag meine 10-12 Stunden gearbeitet - natürlich mit ihrer Hilfe und tue es auch jetzt noch mit Hilfe meines jüngsten Sohnes... Mein Freund Theo Dames hat ja einen für mich fast beschämenden Artikel in der Heimatzeitung verfaßt. Ihnen, ehe ich's vergesse, seine Anschrift! Sollte ich noch mal nach Berlin kommen, so will ich Ihrer so liebevollen Aufforderung zum Besuch gern nachkommen. Es ist aber vorläufig noch sehr unwahrscheinlich.
Ihren lieben Schwestern auch meinen sehr herzlichen Dank für Ihre so tief mitfühlenden Worte. Allen dreien einen herzlichen Gruß noch aus Schulpromenade 7. In aller Eile geschrieben - Zeit habe ich immer noch nicht!
Ihr alter Rudolf Opitz


Leider gibt es nicht ein einziges Foto des Arztes. Es wäre eine große Freude, wenn ein solches in Ihrem Besitz ist und hier veröffentlicht werden dürfte. Heidi T.