Die Schüler
Wie nötig und, bedarfsorientiert die Gründung des Gymnasiums war, zeigen die Schülerzahlen. Leider sind sie nicht mehr lückenlos, sondern nur noch von folgenden Jahren bekannt:
Schuljahr |
Anzahl der Klassen |
Schülerzahl (Mädchen in Klammern) |
1908/09 |
5 Klassen |
67 |
1909/10 |
6 Klassen |
111 |
1910/11 |
6 Klassen |
155 |
1911/12 |
6 Klassen |
164 |
1912/13 |
7 Klassen |
187 |
1913/14 |
8 Klassen |
202 |
1914/15 |
9 Klassen |
217 |
1924/25 |
9 Klassen |
184 |
1925/26 |
9 Klassen |
210 (4) |
1927/28 |
9 Klassen |
231 (19) |
1928/29 |
9 Klassen |
211 (?) |
1930/31 |
9 Klassen |
219 (32) |
1932/33 |
9 Klassen |
216 (79) |
1934/35 |
9 Klassen |
191 (47) |
1937/38 |
8 Klassen |
190 (71) |
1941/42 |
8 Klassen |
201 (47) |
Obgleich lückenhaft, läßt die Übersicht erkennen, daß die Schülerzahlen der Vollanstalt (ab 1914) nahezu konstant waren und daß Mädchen erst ab 1925 Zugang zur Schule hatten. Der Anteil der Mädchen erhöhte sich nach der Auflösung der Höheren Mädchenschule sprunghaft.
Wenn der originäre bildungspolitische Auftrag eines Gymnasiums auch darin besteht, seine Schüler zur Reifeprüfung zu führen, so sah das in der Praxis damals doch manchmal anders aus, zumal im Landkreis eine Schule fehlte, die den mittleren Bildungsabschluß vermittelte. Das führte zwangsläufig dazu, daß eine beachtliche Minderheit von Schülern, insbesondere von Schülerinnen, von vornherein mit der Absicht ins Gymnasium eintrat, es nach dem erfolgreichen Besuch der Untersekunda mit dem mittleren Bildungsabschluß (dem sog. "Einjährigen") wieder zu verlassen. Verbürgte Zahlen über die Abgänger mit Obersekundareife sind nicht bekannt.
Über die Anzahl der Schüler, die das Ziel der Reifeprüfung erreichten, waren Angaben nur für folgende Jahre zu ermitteln:
1914 - 12 (Notabitur)
1924 - 15
1925 - 10
1927 - 25
1930 - 25
1931 - 18
1934 - 15
1937/15 (Oberprima)
1937/11 10 (Unterprima)
Die vorstehenden Jahreszahlen beziehen sich nur auf das Osterabitur. Sie berücksichtigen nicht die Prüflinge, die zu Ostern zurückgestellt und dann im Herbst nachgeprüft wurden.
An dieser Stelle noch zwei erwähnenswerte Einzelheiten, die eine unvergänglich, die andere vergänglich:
Der vielen Landsleuten bekannte ehemalige Mitschüler Dr. Helmut Leider war der 100. Abiturient unserer Schule (1925). Der ehemalige Mitschüler aus Groß-Krichen Wilhelm Weidner, geb. 1902, dürfte unter den 1988 noch lebenden Lübener Abiturienten derjenige mit der ältesten Reifeprüfung sein, er hat sie 1921 abgelegt.
Für die Schüler galten damals noch strenge Sitten, auch außerhalb der Schule. Lokale durften nicht besucht werden. Nur den Schülern der oberen Klassen war es gestattet, sich an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten in den Konditoreien Neumann oder Hilbig aufzuhalten. Solange Direktor Tscharntke seinen Einfluß geltend machen konnte, scheiterte auch die Einführung eines von der Jugend sehnlichst erwünschten Familienbadetages in der städtischen Badeanstalt. Kinovorstellungen durften nur besucht werden, wenn sie von der Schulleitung freigegeben waren. Derlei Einschränkungen gab es noch viele. Aber wie das so ist, Verbote reizen zum Übertreten. Besonders groß war in den zwanziger Jahren der Hang, die trinkfeste Burschenherrlichkeit schon in die Pennalzeit vorzuverlegen. In der als Anlage beigefügten "Einjährigenzeitung" von 1929 kommt das so recht zum Ausdruck und auch Hans-Joachim Rudolph bestätigt und beklagt das in den Auszügen aus seiner Biographie.
Wenn schon von den Lübener Gymnasiasten die Rede ist, verdienen auch ihre außerschulischen Interessen und Aktivitäten eine kurze Betrachtung. Auch hier muß wieder zwischen vor und nach 1933 unterschieden werden. Hitlers Machtübernahme führte zu einer Zäsur in allen Lebensbereichen. Diese Zäsur machte auch vor den Betätigungsgebieten der Jugend nicht halt. Konnte sie sich vor 1933 noch in meist freundschaftlich miteinander konkurrierenden Bünden und Interessengemeinschaften organisieren und nach ihrer Facon selig werden, so sahen sich danach schon bald alle, die nicht von Haus aus der Hitlerjugend angehörten, zunehmend dem Druck ausgesetzt, dieser nationalsozialistischen Jugendorganisation beizutreten. Der Vielfalt folgte die mit zunächst sanfter, später rigoroser Gewalt erzwungene Gleichschaltung, die schließlich mit unerbittlicher Konsequenz zur Staatsjugend führte (1938), die keine Alternativen neben sich mehr duldete.
Vor 1933 aber gab es in Lüben in ständigem Auf und Ab eine ganze Palette von Jugendorganisationen, die zwar nicht nur Pennälern offenstanden, wie etwa die Wandervogelbewegung, die aber ihr Entstehen, Bestehen und ihr Bild vorwiegend dem Wirken von Gymnasiasten verdankten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier genannt:
- die 1914 entstandene Wandervogelbewegung,
- die Pfadfinder,
- der evangelische Bibelkreis,
- der Quickborn als katholischer Jugendbund,
- die Freischar junger Nation oder auch großdeutscher Jugendbund.
Sie alle waren im Lübener Jugendring vereint. Mit diesen Gruppen verbinden sich viele bekannte Namen ehemaliger Lübener Gymnasiasten, aber auch Lehrer. Die Wandervogelbewegung z. B. ist untrennbar verbunden mit den Namen Dr. Treblin und Erich Menzel. Die Leitung der Pfadfinder hatte lange Ernst-Günter Häring, der spätere Patenschaftssprecher. Auch Dr. Erich John gehörte zu ihnen. Mit dem Quickborn verknüpfen sich Namen wie Helmut und Hans Leider, Gerhard Kindler, Martin Nieke, Clemens Trocha, Erich Archner und Sepp Marek. Der Quickborn hat übrigens dem Druck der Nazis am längsten widerstanden. Erst 1935 war seine formale Auflösung nicht mehr aufzuhalten. Der innere Zusammenhalt blieb bis heute ungebrochen. Die alten Quickborner halten wie eh und je zusammen. Den evangelische Bibelkreis führte zeitweilig Landsmann Neß und an der Spitze der Freischar junger Nation standen die Brüder Mehwald aus der Vorwerkstraße. In dieser Aufzählung darf der Name unseres verehrten Gustav Zingel nicht fehlen, dessen Herz für die völkische Jugend schlug. Stets stand er ihr zur Seite und vertrat, wo er nur konnte ihre Belange. Im freundschaftlichen Zusammenwirken bereicherten die Jugendverbände das Lübener Gesellschaftsleben. So führten sie z. B. auf dem Turnplatz gemeinsam den "Wilhelm Teil" auf und und im Saal des Goldenen Löwen das Drama "Die Schlacht bei Bergheim".
Die enge Bindung zwischen Schule und Jugendbewegung kam auch darin zum Ausdruck, daß die Schule ihr in den zwanziger Jahren im Keller neben der Heizung einen Raum als Heim für die Gruppenabende zur Verfügung stellte. Dieser Raum diente in den letzten Tagen des Krieges noch als Feldlazarett. Mitschüler Gerhard Kindler, der bei dem in der Post residierenden Wehrmachts-Kommandanten als Funker und Fernsprecher Dienst tat und dabei verwundet wurde, lag dort bis zu seinem Abtransport nach Liegnitz am 30. Januar 1945. Nachdem das Postgebäude schwere Treffer erhalten hatte, verlegte der Kommandant seine Befehlsstelle noch für ein paar Tage ins Gymnasium.
Den sportbegeisterten Schülern standen neben den ideologisch motivierten Jugendbünden drei Sportvereine offen: Der Männerturnverein 1862, der Sportclub Lüben und der Sportring Lüben.
Wie viele ehemalige Schüler des Gymnasiums heute noch am Leben sind (Stichtag 1. April 1988), läßt sich auch nicht annähernd sagen. Die Schülerkartei, die gegenwärtig 217 Namen enthält, kann gewiß nicht als Anhalt dienen. Sie dürfte schätzungsweise höchstens 70 bis 80 % der auf dem Boden der Bundesrepublik noch lebenden Schüler enthalten. Von denen, die in der DDR oder im Ausland leben, dürften höchstens 10 % in der Kartei erfaßt sein. Es gehört nicht viel Fantasie dazu sich auszumalen, wann auch der letzte ehemalige Schüler unseres Gymnasiums die Augen für immer geschlossen haben wird.
Es folgen die Abbildungen von Abiturientenklassen, die ich unter Erinnerungen ab Jahrgang 1910 zeige. Heidi