Hans-Werner Jänsch: "80 Jahre Lübener Gymnasium"
Erinnerungen von Erich Archner und Rudolf Behnisch














Dunnerslag
von Erich Archner (1917-2006)

Es geschah um 1934. Ort des Geschehens: das städtische Gymnasium zu Lüben/Schlesien. Klassenlehrer der Obertertia war damals unser hochverehrter Herr Studienrat Schumann, ein ausgezeichneter Lehrer und Pädagoge, besessen von seiner Berufung und beliebt bei seinen Schülern. Er galt bei uns im allgemeinen als ein "feiner Kerl". Außer Englisch unterrichtete er uns Obertertianer noch im Fach Deutsch. Und in einer dieser Deutschstunden geschah es. Es sei noch vorausgeschickt: Unser Studienrat Schumann verriet seine norddeutsche Herkunft durch einen bei ihm in Situationen der Erregung oder der Überraschung immer wieder zu hörenden Kraftausdruck : "Dunnerslag"! (Donnerschlag!)

Wir waren damals in der Deutschstunde gerade bei Kleists "Prinz von Homburg". Herr Schumann pflegte dramatische und entscheidende Stellen besonders hervorzuheben und in einem vertiefenden Unterrichtsgespräch zu erarbeiten. Regelrecht erhebend und feierlich erlebten wir solche dramatischen Höhepunkte. Er stellte zum Beispiel eine Frage in den Raum, und wir suchten eine Antwort zu finden.

Ich kann mich nicht mehr genau an die Stelle erinnern, aber eben an einem solch dramatischen Höhepunkte richtete Studienrat Schumann die schicksalsschwangere Frage an uns: "Und was sagte in dieser entscheidenden Situation der Prinz von Homburg??"

Ehrfürchtige Stille im Klassenzimmer, keiner rührte sich, keiner meldete sich. Da blitzte in meinem Kopf eine fatale Idee, ein Wort auf. Und es hätte mich innerlich zerrissen, wenn ich dieses Wort nicht spontan losgeworden wäre - hatte doch schon in meinem letzten Zeugnis die bezeichnende Bemerkung Studienrat Dr. Weiskers gestanden: "Archner neigt zum Klassenclown!" Also, die Frage stand noch immer unbeantwortet im Raum:" Was sagte in dieser entscheidenden Situation der Prinz??" Immer noch lastende Stille ob der Bedeutung des großen Augenblicks und dramatischen Höhepunktes.

Und mitten in diese spannungsgeladene, atemlose Stille platzte ich mit einem überdeutlich und laut gerufenen "Dunnerslag!!!" Die Wirkung war auch eine schlagartige. Die Klasse jauchzte geradezu vor heller Freude und wurde im gleichen Augenblick wieder mucksmäuschenstill in gespannter Erwartung dessen, was nun folgen würde. Herr Schumann erstarrte nämlich zur Salzsäule und - mein schlechtes Gewissen sah es so - musterte mich mit stechendem Blicke. Und schon kam er langsamen Schrittes, aber zielbewußt auf mich zu, bei jedem Schritte, das war eine Eigenart von ihm, ein geräuspertes "ähim - ähim" von sich gebend. In seinen starr auf mich gerichteten, hellen Augen lag hinter gefährlichem Lächeln ein geradezu - ich sah das jedenfalls so - diabolisches Glitzern und Funkeln. Ich hielt krampfhaft und kerzengrade diesem Blicke stand und hatte im nächsten Augenblick seine Hand "dunnerslächtig" im Gesicht sitzen, daß es mich schier seitwärts aus der Bank kippte. Mein Unterkiefer schien leicht nach rechts verschoben. Mühsam um Haltung besorgt, richtete ich mich wieder auf und lächelte mit schief verzogenem Mund - nochmals Auge in Auge tapfer zurück. Nun lachte auch die ganze Klasse wieder, und für die beiden "Akteure" war dann auch der Fall ganz und gar ausgestanden, ohne jegliche weiteren Folgen für mich. Und jeder hatte seinen Erfolg zu verbuchen: Ich hatte meinen umwerfenden "Gag", Herr Schumann seinen mich beinahe umwerfenden "Gegenschlag!"


Erinnerungen an meine Schwester Liselotte
von Rudolf Behnisch (1912-2005)

Michaelis 1927 - Untersekunda - Zeugnisausgabe vor der Entlassung in die Herbstferien. Studienrat Vetter betritt die Klasse, bleibt vor den ersten Bänken stehen, den Kopf leicht seitlich geneigt, ziemlich leise: "Ja, ich sage ihnen wohl nichts Neues - bisher hatten wir einen Primus, nunmehr haben wir eine Prima". Tatsächlich hatte Lilo unsern permanenten Primus seit Sexta, Martin Hilbig, abgelöst; allerdings wurden die "Plätze" in den Zeugnissen Ostern 1927 zum letzten Male vermerkt.

Später, irgendwann in der Zeit, als zwei Munderlohs, zwei Behnischs und zwei Schulzes (aber die waren keine Geschwister) in der Klasse waren: Unterricht bei einem Assessor, dem wir reihum arg mitspielten. An dem Tage meinte ich wohl, "dran sein" zu müssen und zum Gaudi der Klasse war ich frech und setzte dem autoritätsarmen Lehrer zu - bis Lilo von ihrer hintersten Bank her mit einem lauten und festen "Rudi, jetzt ist es aber genug!" dem Spuk ein Ende machte und die Ordnung wiederherstellte.

Ostern 1929 - Jahresabschluß in der Aula - alle Klassen in ihren Bänken versammelt, nur die Abiturienten waren schon abgefeiert. Das Lehrerkollegium vorn seitlich auf den Stühlen; das Schülerorchester hat seine Darbietung brav zu einem guten Ende gebracht. Erwartungsvolle, feierliche Stille. Studiendirektor Tscharntke steigt zum breit ausgelegten Rednerpult empor, gibt einen Bericht über das vergangene, einen Ausblick auf das neue Schuljahr.: "Ihr geht jetzt hinunter in Eure Klassen und empfangt die Zeugnisse ... Bestätigung für Eure Arbeit, Eure Leistungen im letzten Jahr ... einige hat's erwischt, sie bleiben sitzen und werden wissen, warum ... die meisten kommen weiter ... und alle sollten sich für's nächste Jahr vorneh ... usw."

"Und nun zum Schluß habe ich, wie jedes Jahr, die angenehme Aufgabe, dem würdigsten Schüler unserer Anstalt ein Buch zu überreichen, ein Buch, das nicht aus Haushaltsmitteln erworben, sondern vom Lehrerkollegium gemeinsam beschafft worden ist: "Behnisch, kommen Sie vor und nehmen Sie diese Anerkennung für Ihre Leistung im abgelaufenen Schuljahr entgegen!" Ich, am Gang sitzend, drehe mich seitlich zu Lilo hin, die ganz verdattert scheint.

Als dann, ihr kann geholfen werden... Ich stehe auf, bewege mich einige Schritte nach vorn - da hebt der Direx beide Arme abwehrend in die Höhe: "Nein, nein, nein, ich meine natürlich Lieselotte Behnisch"!!!" Die Aula jubelt, die meisten Lehrer lachen, nur einige sind sichtlich entrüstet. Lilo holt sich ihre verdiente Anerkennung, würdigt mich keines Blickes und bringt das Ganze später auf die kurze Formel: "Nicht genug, daß Du gern den Klassenclown spielst, nun hast Du auch noch den Schulclown gemacht." Wir haben uns aber bald wieder gut vertragen.

Abschnitt 1: Vorwort Abschnitt 2: Die Chronik Abschnitt 3: Aus dem Schulalltag Abschnitt 4: Die Lehrkräfte Abschnitt 5: Die Schüler Abschnitt 6: Schülererinnerungen von Eva Munderloh Abschnitt 7: Fahrschülererinnerungen von Gustav Fechner, Raudten Abschnitt 8: Erinnerungen von Hans-Joachim Rudolph, Ossig   Abschnitt 10: Erinnerungen des Fahrschülers Leo Beyl, Raudten