Erinnerungen von Herta Franke geb. Bischof (1922-2012)
Gemeinde Fauljoppe














Als ich Herta Franke (geb. Bischof) um einige Erinnerungen an Fauljoppe bat, sandte sie mir als erstes diese berührenden Zeilen einer fast Neunzigjährigen. Dann folgen die erstaunlich präzisen Erinnerungen an Personen und Geschehnisse aus ihrem Dorf und einige Fotos aus ihrer Zeit an der Landwirtschaftsschule Lüben.


Träume zurück
Ein schönes Zurückträumen zu meiner Hochzeit 1949. Wir waren gesund und jung und hatten Hoffnung in die Zukunft, die sich auch erfüllt hat. Nicht Geld und Besitz war uns gegeben, aber doch Mut. Das Brautkleid von meiner Schwester, der Schleier geborgt für 1 Brot. Mein Mann in Frack und Zylinder, vom Totengräber geliehen. Es gab Kaninchenbraten aus eigener Zucht und viel Gemüse. Auch Geschenke aus dem Dorf: Mehl, Butter, auch Geschirr für den Haushalt. Wir waren glücklich, haben viel gearbeitet. Unsere 5 Kinder sind tüchtige Menschen geworden, dazu 12 Enkel, 2 Urenkel.

Träume in die Zukunft
Noch etwas Gesundheit erhoffen. Aber keine Angst vor dem Kommenden, alle Menschen gehen den gleichen Weg. Ein Hoffen auf ein Wiedersehen dort in jenen lichten Höhen? Vielleicht eine Gemeinschaft mit allen, die uns hier in Liebe und Nähe verbunden waren und vor uns gegangen sind. Dunkle und trübe Träume dürfen wir nicht aufkommen lassen.

Herta Franke geb. Bischof, 2011

Herta Bischof als 18-jährige im Garten des Elternhauses in Fauljoppe

Herta Bischof als 18-jährige zu Besuch bei Familie Kühn
in Zedlitz. Weitere Bilder und Erinnerungen von ihr
auf der Seite Landwirtschaftsschule Lüben


Erinnerungen

Wir wollen im Sommer auch mal wieder rüberfahren. Weil ja noch der Deutsche dort wohnt. Er ist 75 Jahre alt, sein Sohn wohnt in Westdeutschland. Seine Mutter war Köchin im Kurheim, dem Genesungsheim für Tuberkulose-Kranke, das sich im ehemaligen Schloss befand. Sie ist geblieben und hat die polnische Staatsangehörigkeit angenommen.

Unsere Wirtschaft ist noch in Ordnung. Die Frau ist Witwe und hat einen sechzehnjährigen Sohn. Sie hat die etwa 3 ha gut bestellt, Hälfte Kartoffeln, das andere Getreide. Neben dem Haus hat sie ein Folienzelt mit so 100 Tomaten, daneben noch viel Gemüse. Ich weiß nicht, ob es in Polen Witwenrente gibt.

Sonst ist in Fauljoppe - heute Gorzelin - der Acker nicht bebaut, überall Sträucher und alles verwildert. Wir sind Januar 1945 mit einem Treck von 14 Wagen weg. Kreis Zwickau war für den Kreis Lüben vorgesehen.
Im Februar kamen wir dort an. Am 8. Mai kamen die Amerikaner nach Zwickau. Keiner hat uns etwas getan. Wir wollten nach Hause, so ging der Treck Anfang Juni zurück. Bis Dresden ging es ganz gut. Danach wurden uns Fahrräder, Uhren und Pferde weggenommen.
So hatten fast alle Wagen nur noch ein Pferd.

In Kodersdorf bei Görlitz erfuhren wir, daß die Grenze geschlossen ist. In 2 Wirtschaften suchten wir Unterkunft, etwa 3 Wochen. 150 waren wir auf einem Heuboden. Von dort zerstreuten sich die Fauljopper in alle Gegenden, meistens gen Westen. Uns hat es nach Hagenwerder nahe Görlitz verschlagen: meinen Vater, meine Schwester und mich - Mutter war in Fauljoppe verstorben.

Die Landwirtschaftsschule Lüben habe ich im Kriegswinter 1939/40 besucht. Hatte vorher im Frühjahr wieder beim Reichsberufswettkampf der Gruppe Nährstand teilgenommen. Wurde Sieger in meiner Altersklasse, dafür bekam ich den Besuch der Schule kostenlos. Der Wettkampf war in Lüben am Stadtrand in großer Landwirtschaft. Neben der Schule war eine große Gaststätte, Hotel zum Löwen mit einem großen Saal. Im Frieden wurden viele Tanzveranstaltungen für die Landjugend veranstaltet. Theater und Volkstanz gab es auch. Und Erntedank mit Umzug. Natürlich gab es im Krieg keine Veranstaltungen mit Tanz mehr. Auch am Ende von meinem Schuljahr in Lüben gab es keine Abschlußveranstaltung mehr.

Unser ehemaliges Haus im Jahr 1970

Ein Foto aus der alten Zeit haben wir nicht von unserem Haus.
Dies ist eins von nach 1970, als wir rüberfahren durften.

Grab meiner Mutter im Jahr 1970

Das waren die Reste vom Grab meiner Mutter, die ich 1970 fand.

Nach der Inflation waren auch für die Güter schwierige Zeiten gewesen, man war pleite, sie lebten über ihre Verhältnisse. Herr von Weigel, einst Gutsbesitzer in Fauljoppe, kam bei einer Schießerei in Monte Carlo ums Leben, er war ein Spieler gewesen. Sein Leichnam wurde im Park in Fauljoppe begraben. Die gnädige Frau heiratete später einen jungen Offizier Wurmb.

Man hatte einen Diener, einen Kutscher, einen Gärtner, den Förster und viel Personal für die Hauswirtschaft. Nur kurze Zeit lebten die Eheleute von Wurmb zusammen. Es kam aber zu keiner Scheidung. Einmal im Jahr kam er zu Besuch. Die gnädige Frau sah man wohl die Woche über den Hof gehen. Für die Arbeiter waren der Inspektor und zwei Vögte da. Sie persönlich hatte keine Übersicht. Hoch verschuldet verkaufte sie etwa 1930 an einen Herrn Neitzel und seine Frau. Sie ging in ein Altenheim nach Wiesbaden. Ihr Mann mußte dafür zahlen. Vom Gut war wenig geblieben. Mein Vater war Bürgermeister. Er hatte von Frau Wurmb Metallbuchstaben für ihr eigenes Grab in Verwahrung. Sie wurde dann auch im Park von Fauljoppe begraben. Wir Schulkinder haben dabei Grablieder gesungen. Es gab keine Trauergäste. Eine lustige Beerdigung und ein schöner Sommertag. Der Pastor hielt die Rede.

Neitzels waren sehr einfache Leute, wenig Personal im Hause. Er ging selbst täglich als Inspektor aufs Feld. Wohl 1936/37 verkaufte er das Gut an die Siedlungsgesellschaft und kaufte sich ein größeres Gut in Ostpreußen. Alles wurde ordentlich bezahlt, es war keine Enteignung. Bis alles verkauft war, hatte die Gesellschaft einen Verwalter.

300 Morgen Wald gehörten zum Kurheim. Die Fauljopper Bauern konnten Land kaufen. Wir kauften wohl 6 Morgen.
Den Rest meistens die Siedler aus Baden-Württemberg. Das Restgut hatte 300 Morgen, das zweite Gut 150 Morgen. Die übrigen Siedlungen 60-80 Morgen, Gasthaus und Schmiede 20 Morgen. Alles auf reelle Bezahlung.

Nun etwas über meinen Vater. Er wurde am 2.3.1886 geboren. Nach der Schule half er den Eltern beim Bau von Haus und Stallungen. Danach machte er eine Ausbildung bei der Reichsbahn und wurde schließlich als Fahrdienstleiter auf dem Bahnhof Vorderheide eingestellt. Damit war er Beamter.

1914 heiratete er Marta Littmann aus Klein Reichen. Ein Jahr später wurde meine Schwester geboren. Kurze Zeit später wurde er in den Krieg eingezogen. Als 1921 sein Vater starb, kaufte die Familie Bischof die Landwirtschaft. Sie konnten sogar einen Knecht halten. 1922 wurde ich geboren. Während Inflation und Wirtschaftskrise verlor mein Vater seine Arbeit bei der Bahn.

Er sparte eisern seine Beamtenpension von 120 Reichsmark im Monat und kaufte sich vom Rittergut ein Stück Wiese dazu, pachtete einen Acker, so dass die gesamte Wirtschaft 8 ha umfasste. Wir hatten ein Pferd und moderne Maschinen. Wir waren damals gut gestellt. Ich hatte viel Spielzeug. Am 5.1.1931 verstarb meine Mutter an Tbc. Da musste mein Vater die Wirtschaft verkleinern. Er gab den Acker ab. Ein Dienstmädchen und meine Schwester versorgten die Hauswirtschaft.

1935 wurde mein Vater ehrenamtlich Bürgermeister und Ortsbauernführer. Dafür bekam er 50 Reichsmark. Während des Krieges wurde er wieder zum Dienst bei der Reichsbahn einberufen. Da erhielt Paul Knobloch seine Ämter und als der in den Krieg eingezogen wurde, übernahm Josef Rieger die Aufgaben.
Die Flucht führte unsere Familie nach Görlitz. Im Sommer 1946 sollten sich dort alle ehemaligen NSDAP-Mitglieder freiwillig melden. Mein Vater hat das gemacht. Er wollte nicht, dass er von anderen angezeigt würde. Kurz darauf wurde er von der Reichsbahn fristlos entlassen, ohne alle Ansprüche. Das war schon ein harter Schlag für Vater, der immer gearbeitet und sich politisch nie hervorgetan hatte. Bis zur Rente hat er dann im 3 km entfernten Braunkohle-Tagebau gearbeitet. Er war fast 90 Jahre alt, als er starb.

Herta Bischof und ihre Schwester 1943 in Fauljoppe

Herta Bischof und ihre Freundin Hilde Peukert
1943 vor dem Elternhaus in Fauljoppe

Und jetzt bin ich ebenso alt, habe zwei Demokratien und zwei Diktaturen in Deutschland erlebt und viele persönliche Geschichten, die damit verbunden sind. Ich freue mich, dass sich jemand dafür interessiert.

Herta Franke geb. Bischof, 2010