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Erinnerungen an den Dragoner und Polizeikommissar Otto Kressin
von Wichard Graf Harrach
Jeder Lübener würde mindestens vom Aussehen her drei Persönlichkeiten kennen, lernte ich als Schuljunge: den Grafen Sauerma, der die Tradition der Bredow-Dragoner hochhielt; den großartigen Lehrer Zingel Gustav, der mir später erfolglos das Singen beizubringen versuchte; und den Polizeikommissar Otto Kressin, von dem hier die Rede sein soll. Freilich, es ist schon eine Weile her, doch sicher gibt es noch Leser, die meine Erinnerungen teilen, berichtigen oder ergänzen können.
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Kressins Unterschrift um 1920 |
Meine erste Begegnung mit Kressin fand 1927 vor der kleinen Reithalle am Wege zum Schießhaus statt. Ich konnte mich damals wohl durchaus auf dem Pferde halten, ohne in Not zu geraten, doch mit Reiten hatte das wenig zu tun. Und gerade das wollte Kressin mir beibringen. Der rüstige Endsechziger mit seinem eindrucksvollen, gepflegten Kaiser Wilhelm II.-Bart musterte mich, einen von den Fleischtöpfen Klein-Krichens sichtbar gemästeten Bengel und dann das schmucke Pony. Er stellte fest, daß wir der Größe nach eigentlich nicht mehr ganz zusammenpaßten, sprach es aber nicht aus und begann den Unterricht.
Da ging es sehr korrekt und ruhig zu, er war ein begnadeter Reitlehrer. Das war - und war doch wieder nicht - erstaunlich, denn seine reiterliche Tätigkeit lag schließlich vor seinen 20 Jahren als "Polizei-präsident" von Lüben. Der gebürtige Pommer hatte bei den Bredow-Dragonern gedient und war dann gewiß 10 oder 15 Jahre Wacht-meister einer Eskadron gewesen, eine Stellung, die der Ausdruck "Mutter der Eskadron" besser beschreibt als die geläufigere Bezeich-nung "Spieß". Regimentskommandeure kamen und gingen, Schwadron-chefs lösten einander ab, aber die eigentliche Spitze, der Wachtmeister, blieb, regierte, herrschte über Gerechte und Ungerechte.
Kressin erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Spitznamen sind mir nicht bekannt; lediglich die Leutnante französisierten seinen Namen in ein wesentlich feiner klingendes "Kressäng" um - wie im Französischen jardin oder enfin - mit schlesischem Zungenschlag.
Kressins Glanzzeit als Schwadronsmuttel muß um die Jahrhundert-wende gewesen sein, schon mehrere Jahre vor dem Kriege wechselte er zum Rathaus über, vertauschte die Betreuung von Mann und Roß mit der von braven Bürgern und zwielichtigen Gestalten wie Spitz-buben und Säufern, Übermütigen und "Revolutionären", die es gewiß ganz selten in Lüben gab. |
Otto Kressin an der Spitze des Reitervereins um 1920 auf dem Ring vor dem Rathaus
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Er wohnte mit seiner Familie in einem abgelegenen Sträßchen, nicht eben weit von der katholischen Kirche. Vom Ringe her sei das eine günstige Entfernung gewesen, schmunzelte der Alte einmal. So manches seiner "Sorgenkinder" hätte ihn wohl gern gelegentlich schnicken (Schles. Mundart für verprügeln) wollen, aber der lange Weg durch die Wiesen zu seiner Wohnung hätte die hitzigen Gemüter abgekühlt. Ich war übrigens häufig dort und wurde von Frau Kressin nie ohne ein Stück Kuchen oder Glas Saft entlassen. Einmal traf ich ihn, als er die Bartbinde trug und auch nicht abnahm; tagelang malte ich mir aus, wie der Kaiser im Berliner Schloß mit solchem Gerät umhergegangen sei.
Kressin erzählte mir von seinem Leben und Denken, wenn wir nach der Reitstunde gemeinsam den Hufschlag rechten, die Bahn in Ordnung brachten. Eines Tages fand er die Lösung für das ihn wurmende Mißverhältnis von kleinem Pferd und langem Reiter, das ihm ärgerlich war. Er ritt damals die Pferde eines wohlhabenden Herrn aus der Bahnhofstraße, dessen zehnjähriger Junge reiten lernen sollte, aber für Vaters Rösser noch zu klein war. Fortan gab uns Kressin gemeinsam Reitunterricht, Manfred auf meinem Pony, ich sehr stolz auf einem Pferde seines Vaters.
Dragonerparade auf dem Lübener Ring mit Polizeikommissar Otto Kressin.
Es kam noch besser. Kressin, auch als Senior ein ausgezeichneter Dressurreiter, war Lehrer des Reitervereins Mallmitz und ließ mich mit den "Aktiven" aus Mallmitz, Altstadt und anderswo zusammen reiten. In dieser Abteilung mit den weitaus älteren, passionierten und fröhlichen Burschen ging es lebhaft zu, die abgewogenen pädagogischen und höflichen Anweisungen wurden dort mehr dem Ton angepaßt, den Kressin gegenüber seinen Dragonern gebraucht haben mochte. Manchmal, wenn seine Aussprüche für meine zwölfjährigen Ohren etwas derb sein mochten, bat mich Kressin, nicht hinzuhören oder sie zu vergessen. Da die Kameraden ausnahmslos prächtige Kerle waren, fühlte ich mich vielen von ihnen bald so freundschaftlich verbunden, daß ich sie heute noch vor mir sehe, obwohl leider die meisten von ihnen im Kriege geblieben sind.
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Der Verein stand unter dem Vorsitz des Gutsbesitzers Fritz Breiler. Töchter und Sohn Fritz jun. (1909-1971) ritten mit, sie hatten die besten Pferde des Vereins. Ein damaliger Reiterverein auf dem Lande war hinsichtlich des Pferdematerials mit den heutigen, meist städtischen Pferdesportgruppen gehörigen Nur-Sportpferden gar nicht zu vergleichen. Fast alle Pferde unseres Vereins mußten täglich in der Landwirtschaft arbeiten, es waren meist nicht gerade leichte, keineswegs zum Reiten vorgesehene Tiere. Welche Dressurleistungen sie zeigten und welche Höhen sie bewältigten - ich beobachtete einmal beim Turnier in Leubus wie ein solches Tier 164 cm übersprang - war höchst eindrucksvoll.
Kressin focht das nicht weiter an, er machte das Beste aus Mann und Roß. Gutes Abschneiden auf kleineren Turnieren, die ebenfalls keine Ähnlichkeit mit den heutigen hatten, und die Teilnahme an den von der Garnison der Reiter 7 veranstalteten Reitjagden zeigten das. Und dann gab es natürlich noch die Konkurrenz in Oberau, der man es zumindest gleichtun wollte. Dort war der oberschlesische Oberinspektor Bück Vorsitzender und Reitlehrer des Vereins. Mit seinem Sohn Bück Karle drückte ich später die gemeinsamen Klassenbänke des Gymnasiums. Seine Reitergruppe mag es in Hinsicht auf Pferde, Übungszeit und Erfahrung vorteilhafter gehabt haben als wir. Ihre sportlichen Erfolge stachelten unsern Ehrgeiz an, wie eben "Konkurrenz das Geschäft zu heben" pflegt. |
Einweihung des Bredow-Dragoner-Denkmals 1921. Mit Gedenkkranz Bürgermeister Hugo Feige, neben ihm Polizeikommissar Otto Kressin. |
Leider reichten meine Reitkünste nicht aus, um dem Mallmitzer Verein viele zusätzliche goldene Schleifen einzubringen. Im Frühjahr 1930 verließ ich Klein-Krichen, aber vor allem den verehrten Reitlehrer und meine in weißer Hose und blauer Jacke schmucken Kameraden. Später besuchte ich Kressin und die Mallmitzer nur noch in den Ferien. Als die Nazis ans Ruder kamen, wurden die aktiven Kameraden in den Reitersturm überführt. Kressin ging nun endgültig aufs Altenteil. Wenn ich mal zu Hause war, suchte ich ihn und seine liebenswürdige Gattin auf. Doch dann erfuhr ich nie wieder etwas von ihm. Ich hoffe von Herzen, daß beiden Alten die Schrecken von Flucht und Nachkriegswirren erspart blieben.
Wichard Graf Harrach, früher Klein Krichen, in LHB 3/1983 S. 8
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