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Theo Dames Diese Arbeit ist der erste je unternommene Versuch, das nirgends bildlich überlieferte gotische Rathaus Lübens zu rekonstruieren. Der Mangel an Archivmaterial machte diese Arbeit ganz besonders schwierig, und nur durch die Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen war die Lösung der Aufgabe möglich. Freilich ist es nicht verbürgt, daß alle Maße dem Original genau entsprechen. Ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit ist iedoch erreicht und erlaubt die Bildung einer immerhin guten Vorstellung von diesem für Lüben und seine Architekturgeschichte wichtigen Bau, der das früheste profane Bauwerk in Lüben ist, das als Ganzes erfaßbar war. Wir alle kennen nur jenes Haus in schlichtem preußischem Rokoko, das der Alte Fritz durch seinen Baudirektor C. G. Hedemann erstellen ließ (1768), mit dem kleinen Turm und dem Wappen auf der Südseite (der "Gewandlaubenseite", wie sie einst hieß). Aber wer hat sich je Gedanken darüber gemacht, wie es vor dem Brande von 1757 ausgesehen hat? Nun, mich hat dieser Gedanke schon lange beschäftigt, aber erst jetzt, in meinen alten Tagen bin ich ihm erfolgreich nachgegangen und habe dabei das Folgende gefunden: Das wahrscheinlich um 1297 entstandene Lüben brannte bereits 1332 zum ersten Male ab. Im Jahre 1319 aber schenkte Herzog Johann von Steinau sein Lüben, das alte "Lobin", das spätere Altstadt, der neuen daneben entstandenen Gemeinde, die bereits "civitas" genannt wird, also eine deutsche Gemeinde mit städtischem Charakter war. Damals kann ein Rathaus keinesfalls bestanden haben. Es war nicht erforderlich! Als dann in den Jahren von 1348-1358 Herzog Ludwig I. von Liegnitz, einer der fähigsten Piasten, Lüben neben Liegnitz als Residenz wählt, da er viel für diese Stadt tut, den gewaltigen Bau der Marienkirche (der späteren evangelischen) und den Bau der Stadtmauer fördert, da dürfte, bei der damaligen Regierungsweise, auch immer noch nicht ein solches vorhanden gewesen, aber vom Herzog, einem weitschauenden, vorausplanenden Fürsten mit viel Organisationstalent, entbehrt worden sein. Als er sechzehn Jahre nach dem Stadtbrande von 1332 nach Lüben kommt, wird er die Stadt immer noch sehr förderungsbedürftig gefunden haben. Wer seine Burg ausbaut, dazu die schöne Hedwigskapelle, auch die erste Schule, der könnte durchaus ein Rathaus als Stadtmittelpunkt in seine Pläne eingeschlossen haben, - kaum aber gebaut, da er schon 1358 Lüben wieder verläßt. Denn nach seinem Fortgange bleibt die Entwicklung dort stehen; seine Tochter Agnes hatte die Stadt als Leibgedinge übernommen. Von ihr weiß man, daß sie am 21. September 1357 noch die Huldigung der Lübener Mannschaft abnimmt, nicht mehr. Sollte hier der Schritt zum eigenen Stadthause gemacht worden sein? Nun, eine Ratsstube hätte genügt. Und als dann das erste massive gebaut wurde, da konnte es nur wie in Breslau auf einer der Ringseiten, also abseits, gestanden haben, nicht in der Platzmitte.
Die erste dieser Grundlagen ist ein Kupferstich aus der Zeit um 1750. Dieses Blatt, das hier in einer flüchtigen Skizze gezeigt wird, haben die bekannten Homann-Erben in Nürnberg nach einer Zeichnung gestochen, die der fleißige F. B. Werner, der Zeichner schlesischer Städteansichten, in den Jahren von 1736 bis 1750 geschaffen hat. Dieser F. B. Werner (1689-1778) hat in seiner oft flüchtigen Technik leider nicht immer sauber und zuverlässig gearbeitet. Und diese Ungenauigkeiten haben die Homanns übernehmen müssen, dabei die damals übliche Weise, Türme zu übersteigern, indem man sie ungewöhnlich in die Höhe trieb. So kommt es im hier genannten Blatt dazu, daß der Rathausturm, der niedrig ist, fast so hoch zu sehen ist wie der riesige Kirchturm! Trotzdem sind die architektonischen Einzelheiten gut aus dem Original zu entnehmen und somit gerade die wichtigen Teile des Rathauses.
Als weitere Hilfe besonders für die Feststellung der Maße lag der Stadtgrundriß vor, der den Zustand zwischen 1733 und 1757 festhält. Er zeigt die Gestalt des Rathauses im Grundriß mit den angebauten, schon genannten drei Bürgerhäusern und der besonderen Lage des Turmes. Diese drei kleinen Häuser waren noch nach 1900 als solche im Körper des Rathauses zu erkennen, bis sie um 1936 in den gesamten Bau eingefügt wurden. Außer diesen Drucken standen zwei weitere Quellen zur Verfügung: zunächst die Chronik, die Pastor Klose in den Jahren nach 1900 erarbeitet und 1924 veröffentlicht hat. Und schließlich noch der Lebensbericht des Lübener Ehrenbürgers Geheimrat Oswald Baer. Er berichtet über das, was er in seinen Jugendjahren vom Stadtbilde Lübens erzählenswert hielt - und das ist oft sehr bedeutungsvoll. Am Anfang dieser Aussagen soll ein Satz von Klose stehen; er schreibt da: "Auf dem Markt stand das im gotischen Stil erbaute Rathaus." Dieser Satz macht drei Tatsachen bewußt: erstens, daß es sich um einen steinernen Bau handelt; zweitens, daß er "auf" dem Markt steht, also nicht an dessen Rande; zuletzt, daß es sich um einen gotischen Bau handelt. Dieses Letzte läßt Vorstellungen der architektonischen Form in uns wach werden und zugleich die Zeit der Erbauung ahnen. Die weitere bauliche Gestalt geht aus Kloses Chronik hervor. Er schreibt: "An das Rathaus schloß sich ein langer Anbau [an]..." Das besagt, daß dieser Bau später entstanden sein muß; auch, daß er als angefügt an den anderen Körper erscheinen muß! Das aber bestätigt sich bei folgendem Versuch: Verlängert man die Grundfläche des Turmes nach Nordost so, daß diese entstehende Fläche zwischen Nr. 5 und Nr. 7 zu liegen kommt und sich mit der oberen Hausflucht vergleicht, dann ergibt sich ein geschlossenes Feld, das sich mühelos in die vorhandenen Gebäude einpaßt (Nr. 6).
Klose schreibt sogar weiterhin: "Um das Dach lief eine hölzerne Galerie." Die ist an einem gotischen Bau unmöglich, an einem Renaissance-Bau aber ist sie hingehörig! Und der ist ein Bau vom ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. So weist alles auf die Tatsache hin, daß die Annahme, der Bau Nr. 6 sei der Bau von 1515, zutreffend ist. Schließlich ist zu erwähnen, daß auf dem Homann-Stich noch zu erkennen ist, daß vom Turm nach Norden hin ein Giebel mit Vollwalm gerichtet ist, der nur der Dachstuhl des hier vielgenannten Anbaues sein kann. Die mühelose Einordnung des hier gefundenen Traktes beweist die Richtigkeit dieser Beweisführung. Der oft zitierte Stadtplan zeigt noch zwei kleinere Bauten, Nr. 7 und Nr. 8. Rechts und links der bürgerlichen Häuser stehen sie auf dem Gelände des Ringes. Sie sind die Brunnen, wie sie damals üblich waren. Aus ihnen wurde das Wasser geschöpft, das aus den einst fliederbestandenen "Wasserbergen" an der Landstraße nach Altstadt kam, dort, wo die Pflaumenallee nach Oberau den Weg dorthin abkürzte. Geheimrat Baer hat sie noch stehen gesehen, die Brunnen. Sie werden offene Behälter gewesen sein, die überdacht von allen Seiten zugänglich waren. Übrigens: noch in meinen Schülerjahren stand als Rest dieser Wasserversorgung auf der Südseite des Rathauses eine letzte Pumpe, genau in der Hausmitte, die zum Tränken der Pferde diente. Mit der Feststellung der einzelnen Teile des Rathauses - das Klose übrigens das eigentliche nannte - ist dessen Gestalt in ihren Gliedern geklärt. Nun gilt es, diese auf ihre Besonderheiten hin festzulegen und die Gesamtform zu erkennen. Und da offenbart sich, daß das Dach doch nicht mehr so steil ist, wie wohl ursprünglich (vgl. das Rathaus in Namslau!). Der Rumpf steigt nun nur noch hinauf bis zum Übergang des Turmkörpers vom Quadrat (im Grundriß) zum Achteck, was zugleich die Firsthöhe ist. Und darin kündigt sich bereits die Renaissance an, die flachere Dachneigung anstrebte. Das ergab die breitere Giebelform, die bei fast gleichzeitiger Aufführung doch flacher ist als am Westgiebel der evangelischen Kirche Lübens! So aber erscheint "das Eigentliche" massiger als dies der frühen Entstehung entsprechen müßte.
Überliefert ist schließlich, daß zwei Wappen an der Rathausaußenwand vorhanden waren: das fürstlich Liegnitz'sche und das Lübener (damals noch jenes mit der Madonna als Kopf des Schlesischen Adlers). Man weiß aus den Akten noch, daß die Wappen "eingehauen" waren, das bedeutet, daß sie in Relieftechnik gearbeitet waren. Wo sie da zu finden waren? Nun: auf der Südseite, der Schaufront. Und dort: wohl über dem Portal, "im" Sturz oder darüber. Überliefert ist auch einiges vom Innern. So wissen wir, daß sich im Erdgeschoß die Branntweinstuben (!) befanden, im ersten Stock das Sitzungszimmer, im zweiten die Rüstkammer, die die Waffen der Torwachen bewahrt haben wird. Im Erdgeschoß des "Anbaues" waren Brot-und Schuhbänke untergebracht, über diesen die Schöffenstube. Dies ist der Bericht über den alten Bau, der mit seinem Giebel im niederschlesischen Stile durchaus sehenswert war. Aber eines Tages war es aus mit dem Stolz auf dieses Gebäude, denn am 17. November 1757 brannte es nieder. An diesem Tage hatte ein Soldat der österreichischen Husaren (die unter dem Obersten von Gersdorff eingedrungen waren, als Friedrich mit seinem Heere weit entfernt sein mußte) im Hofe des Hotels zum "Grünen Baum" ein Feuerchen gemacht, das er brennen ließ, als der König zurückkam und die Husaren fluchtartig die Stadt verließen. Diese aber nahmen das Feuerchen nicht ernst, bis schließlich ein großer Brand daraus wurde. 183 Wohnungen (Fachwerkhäuser) brannten ab und 74 Stallungen. Und dazu das Rathaus! Aber dieses doch nicht so sehr, wie man lange Zeit glaubte. Kloses Nachricht, daß in zwei Gewölben Archivteile erhalten blieben, beweist, daß die massiven Teile wesentlich standgehalten hatten. So dürfte besonders der Turm ausgehalten haben. Es ist sogar anzunehmen, daß der Baudirektor Hedeman, um einen Bau im Stile der neuen Zeit schaffen zu können, den Turm viel zu gern beseitigt hat, soweit er noch stand. Es wird aber noch anderes erhalten geblieben sein! Wie zumeist wird nur der Dachstuhl zerstört worden sein, auch die oberen Geschosse. Jedenfalls blieb soviel erhalten, daß man die Grundmauern und Teile des ersten Stockes weiter verwenden konnte. Man hat - wie in Raudten, wo man Rundbögen der Renaissance stehen ließ und sie umbaute - die sehr gut gebauten standhaften Mauern in die neuen hineingenommen und damit erreicht, daß der alte Grundriß erhalten blieb, hat also nicht einen Neubau geschaffen, sondern eine umfassende zwar, aber doch eine Restauration vorgenommen. Und so gab Hedemann dem neuen Bau jene Form, die wir alle kannten und die wir doch gern sahen! Der ist schließlich doch als ansehnlich und guter Bau zu bezeichnen gewesen: in die Breite gelagert, mit Vollwalmdächern, mit Zwerchgiebeln auf den Schmalseiten und barocken Gauben auf die Dachflächen verteilt. Damit aber ist die Geschichte aus. Doch mag es nun vorkommen, daß uns in besinnlicher Stunde nachträglich noch Gedanken bewegen: etwa wie schön das Rathaus zwischen den Barockgiebeln gestanden haben muß - dieses gotische! oder daß auch dieses in seiner gefälligen Form uns zusagte! ja, daß wir es noch heute lieben - wenn wir es nur fertig bringen, unser Lüben so mit liebenden Augen zu sehen, wie das Geheimrat Baer sein Leben lang tat. Wir aber trösten uns, daß es überhaupt noch steht... Theo Dames, Studienrat i. R., Leutkirch in LHB 10/11/1973 |