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Wenn sich dann am Abend die ersten Türen der Geschäfte schlossen, wurde schnell noch einmal die Geldbörse inspiziert, um festzustellen, ob es zu einem Stück heiße Knoblauchwurst bei Stasinowsky lange. Und wie herrlich war es, wenn uns dann aus dem blanken, immer dampfenden Kessel die Wurst gereicht wurde, und dazu gab es auf Pergamentpapier etwas Senf - dann ging es mit jedem Biß in die saftige Pelle wieder dem Ende eines trüben, ereignislosen Alltages entgegen. Und man hoffte auf den kommenden Tag. Manchmal war es nicht umsonst, und es meldete sich irgendein Unternehmer, der für kurze Zeit ein paar Arbeitskräfte brauchte. Ich meldete mich immer, einmal bei der Eisenbahn, dann in der Zuckerfabrik usw. Handlangerarbeiten, alles wurde angenommen, aber das waren alles nur vorübergehende Verdienstmöglichkeiten. Eines Tages aber hieß es, ein freiwilliger Arbeitsdienst würde von der Stadt eingerichtet, Interessenten könnten sich melden. Also meldete ich mich. Unsere Stadtväter hatten wohl eingesehen, daß irgend etwas geschehen müßte, um wenigstens einen Teil der Arbeitslosen von der Straße zu holen. So wurden Gelder aus dem Stadtsäckel gegeben, der Arbeitseinsatz wurde geplant und für die Unterkunft gesorgt. Auch die Kirche schaltete sich ein, und Pastor Groß wurde mit der personellen Betreuung der Arbeitsmänner beauftragt. So wurde das Arbeitszimmer im Hause des Herrn Pastor Meldestelle. Es meldeten sich ganze neun Mann! Da jedoch dieses Unternehmen zunächst als Versuch gewertet wurde, entschloß man sich dennoch zu beginnen. Im Frühjahr des Jahres 1932 wurden wir nach Hintereck bei Michelsdorf verfrachtet. Wohl wollte uns diese vielsagende Ortsbezeichnung nicht recht gefallen, und wir konnten, nach einer langen Fahrt durch den Wald, bei der Ankunft feststellen, daß dieser Ort den Namen zu Recht trug. Das einsame Gehöft, vor dem wir nun standen, schien wirklich im äußersten Eck des Landkreises Lüben zu liegen. Nachdem wir uns von der ersten Enttäuschung erholt hatten, fanden wir aber unsere Unterkunft im Wohnhause des Bauernhofes gar nicht so übel. Im oberen Stockwerk hatte man uns zwei große Zimmer freigemacht, von denen das eine als Aufenthaltsraum und das andere, das kleinere, als Schlafraum diente. Mit übereinandergestellten Betten ging das auch so einzurichten. Die Familie Schäfer, so hieß der Bauer, mußte sich von Stund an mit den Räumen im Erdgeschoß begnügen. Zwar war oben noch ein drittes Zimmer vorhanden, das aber war für eine besondere Persönlichkeit bestimmt. Unsere weisen Initiatoren wußten nämlich, daß bei so einer Pionierarbeit - als solche konnte man unser Vorhaben ansehen - viel von der guten Laune der Teilnehmer abhing und diese wiederum in erster Linie von einer guten Verpflegung. Man hatte uns eine Köchin gestellt. Im Laufe des Tages erschien sie auch auf dem Plan, um uns, oder wir sie, in Empfang zu nehmen. Fräulein Poinier, eine ältere Dame, voller Idealismus für ihre und unsere Aufgabe und, wie sich bald herausstellte, eine fabelhafte Köchin! Für sie mag es sicher nicht einfach gewesen sein, sich auf eine Horde junger Männer, wie wir sie ja waren, einzustellen, aber auch das hat sie im Laufe der Wochen gemeistert. Und als elftes Mitglied unserer Expedition gesellte sich noch der Revierförster Max Adam dazu. Er war beauftragt, die Arbeit einzuteilen und zu überwachen. Er erschien jeden Morgen pünktlich auf seinem Fahrrad, von seinem Jagdhund begleitet. Zunächst galt es, unser Quartier einzurichten. Außer den Betten, die aus der Lübener Kaserne stammten, war an Einrichtungsgegen-ständen nichts vorhanden So gingen wir daran, unsere Möbel selbst zu fertigen, und einer von uns, ein gelernter Tischler, wurde mit der Anfertigung von Tischen und Stühlen beauftragt. Wir halfen ihm, wo wir konnten und uns dafür freie Zeit blieb. Es ging sehr bald hinaus zu unserem Arbeitsplatz, den wir nach wenigen Minuten erreicht hatten; er war an zwei großen Wassertümpeln. Förster Adam erklärte uns, wie wir diese "Fischteiche" zu reinigen und instandzusetzen hatten. Bei näherer Betrachtung mutmaßten wir, daß diese Beschäftigung den ganzen Sommer beanspruchen würde. Die Uferwälle sahen stark mitgenommen aus und zeigten am Rande der Wasserfläche, vielmehr dort, wo früher einmal das Wasser stand, stellenweise tiefe Löcher. Überall wucherte Schilf und der fast bis auf den Grund gesunkene Wasserspiegel ließ vermuten, daß hier für die Fische keine Existenzmöglichkeit mehr war. Wir ließen uns aber die gute Laune bei diesem Anblick nicht nehmen, im Gegenteil, wir versicherten uns gegenseitig, hier schon Ordnung zu schaffen. Aus Lüben rollte das Arbeitsgerät an. Neben einer Kipplore, wie man sie beim Straßenbau verwendet, und einer entsprechenden Menge Gleise bekamen wir Spaten, Schaufeln, Kreuzhacken und Äxte. Zwei Paar Wasserstiefel waren für die, die das Schilf schneiden mußten. Erwähnenswert ist die Arbeitskleidung, die man für uns organisiert hatte. Es waren Uniformstücke unserer Lübener Reiter und dazu auch für jeden ein Paar Reitstiefel. Ich selbst hatte Glück, die Montur paßte wie nach Maß, nur die Ärmel waren um mindestens fünf Zentimeter zu kurz. Einige Kameraden dagegen sahen in ihrer Kostümierung recht drollig aus. Wir begannen die Arbeit mit einem Elan, der in keinem Verhältnis zum Reinverdienst von fünfzig Pfennig pro Tag stand. Des Försters Adam bisher recht bissige Miene erhellte sich bald, und immer öfter hörte man sein Lachen, wenn sich einer von uns recht ungeschickt anstellte. So kam es vor, daß die sandbeladene Schaufel mit vollem Schwung gegen die Kante der Kipplore knallte, so daß der Inhalt wieder dort landete, wo er hergenommen worden war. Doch wir gewöhnten uns an alle Arbeiten, die zur Kultivierung von Fischteichen gehörten, und Förster Adam war auch mit uns zufrieden. In den Pausen erzählte er uns dann die schönsten Jagdgeschichten. Kamen wir von der Arbeit heim, war das Essen fertig: wie bei Muttern! So verging ein Tag wie der andere. Unser Tischler-Kamerad hatte längst Tische und Bänke fertig, so daß der Aufenthaltsraum eine gewisse Gemütlichkeit ausstrahlte. Nach Feierabend saßen wir beisammen, stopften unsere Socken (auch das hatten wir gelernt!), spielten Karten oder beschäftigten uns mit anderen Dingen. Kamerad Tiesler, der Älteste unter uns, war Mitglied eines Lübener Gesangvereins. Als äußeres Zeichen trug er eine blaue Mütze mit einem Notenschlüssel vorn als Abzeichen. Wie oft habe ich ihm gelauscht, wenn er in einer Ecke saß, die unvermeidliche Tabakspfeife aus dem Mund nahm und sich anschickte, mit leicht angeräucherter Stimme einen Strauß-Walzer zu singen. Er sang einen nach dem anderen, womit er meine uneingeschränkte Bewunderung errang, weil er die langen Texte ohne einen Fehler durchsingen konnte. So versuchte noch mancher seine Talente, und dabei denke ich an Kamerad Lange, der jeden Morgen beim Aufstehen - er lag im oberen Bett - sich auf die Bettkante setzte, mit den Beinen baumelte und seine Kunst zum Besten gab: Mit überschwenglicher Gefühlswärme sang er die neuesten Schlager. So vergingen Tage und Wochen. Das Leben in der Einöde gefiel uns ganz gut. An den Sonntagen streiften wir durch den Wald, und auf weiteren Spaziergängen besuchten wir auch die umliegenden Dörfer wie z. B. Seebnitz, zu dem wir immer Verbindung hatten. da der dortige Fleischermeister unsere Küche belieferte. In Michelsdorf waren wir zum Feuerwehrball, und noch heute erinnere ich mich des guten Bieres im Beindel-Vorwerk. Zur Abwechslung arbeiteten wir einmal in einer Forstkultur in der Nähe und nach der Tageshitze machten wir im Vorwerk Rast, wobei wir von dem gerade anwesenden Brauereivertreter eingeladen wurden - die Folgen blieben auch nicht aus! Es war aber nicht immer eitler Sonnenschein. Traurig waren wir, wenn die Lieferungen unseres Seebnitzer Fleischers nicht eintrafen... (Die letzten Rechnungen waren noch nicht bezahlt!) - Wenn unser Förster Adam Erzählerlaune hatte, dann hörten wir die schönsten Sachen. Was ist eine Bekassine? Oder wie lange braucht ein Rehbock, bis sein Geweih richtig ausgewachsen ist? Unzählige solcher Fragen stellten wir ihm, wodurch wir seinen Erzählungen weiteren Auftrieb gaben. Heute kann es gestanden werden, der anfängliche Arbeitseifer ließ immer mehr nach. Dies stellte sehr bald auch Förster Menzel fest, der unsere Arbeit zu besichtigen hatte. Um unsere Klagen über die mangelhafte Fleischversorgung zu beschwichtigen, brachte er uns eines Tages ein frisch geschossenes Reh, und so labten wir uns wohl eine Woche lang an dieser Delikatesse, die uns aber nach sieben Tagen auch nicht mehr munden wollte. Das Gerücht verstärkte sich immer mehr, daß die Stadt beabsichtige, unser Arbeitslager wegen Unrentabilität aufzulösen. Wenn auch die Fischteichrenovierung ihrem Ende entgegenging, so wäre sicher noch genug Arbeit vorhanden gewesen, wenn - ja, wenn wir nicht sogar selbst eingesehen hätten, daß die Kosten für unseren Einsatz, gemessen an der Arbeitsleistung, zu hoch waren. So kam eines Tages das plötzliche Ende - von uns erwartet und doch überraschend. Wir hatten mittlerweile unseren Aufenthalt in Hintereck als Erholungskur empfunden, die leider - nach unserer Meinung - zu kurz befristet war. Sonnenverbrannt zogen wir wieder in unserem Städtchen ein! Ob in unseren Fischteichen jemals wieder Fischlein geschwommen sind, habe ich nie erfahren. Gerhard Strauß In Raudten waren die Freiwilligen des F.A.D. im Schloss Burglehn untergebracht. |