Erinnerungen von Rudolf Kleindienst
Die Familien Kühn und Klemz














Ausschnitt aus einem Foto vom Kindergarten Lüben. Ganz rechts Rudolf Kleindienst.

Ausschnitt aus einem Foto vom Kindergarten Lüben. Rechts neben
der Kindergärtnerin Rudolf Kleindienst. Das ganze Bild hier.

Sackgasse an der Hindenburgstraße

Ergänzung des Stadtplans. Dort im Haus des Vermieters Henschel wohnten wir und dort ist das Konfirmationsbild 1942 aufgenommen.

Ich wurde im April 1936 in Lüben als zweiter Sohn der Eheleute Erwin Kleindienst und Ida geb. Woite geboren. Meine Mutter stammte aus Hahnenfeld Krs. Glogau, mein Vater war Lübener. Er war Handels-Kaufmann und zeitweilig Vertreter für Haushalts-Messingwaren. Meine Eltern ließen sich früh scheiden, so dass ich kaum Erinnerungen an meinen Vater habe. Meine Mutter hatte Weißnäherin gelernt.

Mein Bruder Heinz, geboren 1927 in Guhlau, machte nach dem Besuch der Lübener Volksschule eine Ausbildung zum Elektriker, musste 1943 zum RAD und wurde - als 17jähriger! - im Herbst 1944 zum Wehrdienst einberufen. Die letzte Nachricht von ihm erhielten wir im März 1945 aus Österreich. Auf dem Foto sind meine Mutter, Heinz und ich aus Anlass seiner Konfirmation im Jahr 1942 zu sehen.

Bis 1943 wohnten wir in einem Siedlungshaus in einer zur Hindenburgstraße gehörenden Nebenstraße (Sackgasse). Das Grundstück wurde begrenzt durch den Bahndamm der Strecke Lüben-Glogau und die Kalte Bache. Die Eigentümerin dieses Hauses war Frau Henschel. Weil dieser Teil der Stadt auf dem alten Stadtplan nicht zu sehen ist, habe ich den Plan aus der Erinnerungen ergänzt. Ich habe dort auch die Stelle eingezeichnet, wo das Konfirmationsbild aufgenommen worden ist.

Konfirmation von Heinz Kleindienst 1942

Erwin Kleindienst 1939

Meine Eltern waren zum Zeitpunkt der Konfirmation von Heinz schon geschieden. Deshalb ist mein Vater nicht mit auf dem Familienbild. Wäre er nicht im Krieg gewesen, hätte er Heinz vielleicht wenigstens gratuliert.

Familienbild am Tage der Konfirmation von Heinz Kleindienst

Familienbild vom Tag der Konfirmation 1942: 1 Martha Putzke aus der Steinauer Straße, 2 Herrmann Hirsch - Großvater mütterlicherseits aus Guhlau, 3 Freundin meiner Mutter aus Großkrichen, 4 Tante Gertrud Baum aus Guhlau, 5 Freundin meiner Mutter aus Kleinkrichen, 6 Tante Elisabeth Levin aus Guhlau, 7 eine Bekannte meiner Mutter aus der Schloss-Straße 8 Berta Hirsch - Großmutter aus Guhlau,
9 mein Bruder Heinz Kleindienst; 10 ich selbst, 11 meine Mutter Ida Kleindienst

Wir wohnten damals in der Dittmannsgasse in einem Neben-gebäude der Gärtnerei Winkler (siehe unten den Ausschnitt aus einem Luftbild). Im Haupthaus, im Hochparterre links, konnten zwei Räume durch Öffnen einer Falttür zu einem Raum vereinigt werden. Dieser Raum wurde von der Neuapostolischen Kirche für Gottesdienste genutzt.

Doch die Taufe meiner Schwester Heiderose, geboren im Dezember 1943, wurde in der Anstaltskirche durchgeführt. Mit der Hilfe der Initiatorin dieser Website gelang es mir zu meiner Freude, Kontakt zu den Nachfahren unserer ehemaligen Vermieter Henschel und Winkler aufzunehmen.

Meine Mutter Ida mit Heiderose und mir im Jahr 1945

Meine Mutter Ida mit Heiderose und mir im Jahr 1945

Fliegeraufnahme:
1 unser letztes Wohnhaus vor der Flucht,
2 Haus unseres Vermieters Gärtner Winkler.

Im Krieg arbeitete meine Mutter in der "Kettenfabrik" an der Güterstraße und seit 1944 als Platzanweiserin im DELI-Kino.
Wo sich die Kettenfabrik befand, zeige ich auf meiner Ergänzung des Stadtplans. Der Plan beruht ja auf Unterlagen aus dem Jahr 1930. Die Kettenfabrik jedoch wurde erst zu Kriegszwecken eingerichtet. Ich nehme an, dass es die Firma von Jagwitz & Co., Metallbearbeitung und Fassondreherei, Güterstr. 16 war, die von den Lübenern nur "die Kettenfabrik" genannt wurde. Links Ergänzung des Stadtplans an der Güterstraße. Rechts Anzeige im Lübener Heimatkalender 1942.

Kettenfabrik an der Güterstraße

Werbeanzeige der Fa. Jagwitz im Lübener Heimatkalender 1942

Meine Kindheit verbrachte ich gelegentlich im nahegelegenen Guhlau, wo meine Großeltern wohnten, in den Grünanlagen der Pflegeanstalt, auf dem Exerzierplatz und manchmal an den fest eingebauten Sportgeräten des Sportplatzes im Schillerpark. Es ist erstaunlich, wieviel davon in meiner Erinnerung lebendig geblieben ist. Auch erstaunt mich die Erinnerung an eine Klassenwanderung, bei der uns der "Jüdische Friedhof" außerhalb der Stadt an der Krummlinder Straße gezeigt wurde. Warum er so verwahrlost war, wurde uns nicht gesagt. Aber irgendetwas muss mich so sehr berührt haben, dass ich ihn auch 65 Jahre danach noch vor mir sehe. Vielleicht hat meine Mutter eine Bemerkung gemacht, die mich vor dem antisemitischen Geist der Zeit bewahrte.

Unsere Flucht aus Lüben am 27. Januar 1945 führte uns zunächst nach Chemnitz. Nach einer vierzehntägigen Güterzug-fahrt kehrten wir im Sommer 1945 nach Lüben zurück und im Spätsommer 1947 erfolgte die endgültige Ausweisung aus der Heimat. Auf dem Treck der Guhlauer starb mein Großvater, der einzige Mann auf dem Familienbild aus der Kriegszeit.
Was diese Tage der Flucht und des Todes für ein Kind bedeuteten, mag sich jeder selbst vorzustellen versuchen.

Rudolf Kleindienst, April 2011