Müllermeister Fritz Müller 1898-1950
Erinnerungen von Ingeborg Weidner geb. Müller














Der Name Fritz Müller war mir bisher nur in den Erinnerungen von Theo Dames und Dr. Martin Treblin über die Lübener Wandervogelbewegung begegnet. Auf dem Bildausschnitt links ist er der junge Mann links im Fenster. Größer ist das Foto auch auf der Seite über das Lübener Franzosenhäusel zu sehen. Das Foto rechts ist mit großer Wahrscheinlichkeit im Elternhaus von Fritz Müller aufgenommen worden. Die Familie förderte die Talente und das Gemeinschaftsleben der Wandervögel sehr, wie auch Theo Dames in seinen Erinnerungen über die Einrichtung des Wandervogelheims erzählt.
Auf dem Bild rechts ist Fritz Müller der Junge im Hintergrund mit der Klampfe. Sein Sohn Ernst-Karl (1931-2014) und seine Enkelin Gudrun erlauben, dass wir mehr über ihn erfahren und so sein Andenken bewahrt wird.
Fritz Müller bei den Lübener Wandervögeln um 1918 Fritz Müller bei den Lübener Wandervögeln um 1918

Fritz Müller wurde 1898 als Sohn des Müllermeisters Julius Müller (1860-1910) und seiner Ehefrau Elise in Lüben geboren. Nach dem Besuch des Lübener Gymnasiums nahm er 1916 in der Stadtmühle Liegnitz die Lehre als Müller auf. Das folgende "Unbescholtenheits-Zeugnis" bestätigt ihm vorbildliches Verhalten im Gymnasium, wodurch der Weg zum einjährig-freiwilligen Militärdienst frei wurde. Zwei Monate später legte er die Gesellenprüfung im Müller-Handwerk ab.
Danach machte er die letzten Monate des Krieges mit.
Unbescholtenheits-Zeugnis 1918

Unbescholtenheits-Zeugnis
Dem Fritz Müller aus Lüben in Schlesien geb. am 2. August 1898 wird hiermit das für seine Meldung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erforderliche Unbescholtenheits-Zeugnis für die Zeit seines Besuches der Anstalt, d. i. von Ostern 1908 bis Ostern 1916 erteilt. Lüben den 17. Januar 1918. Der Direktor in Vertretung Prof. Jüngling

Gesellen-Zeugnis
Handwerkskammer zu Liegnitz. Prüfungszeugnis. Der unterzeichnete Prüfungsausschuß bescheinigt hiermit, daß der Fritz Müller, geboren am 2ten August 1898 zu Lüben, welcher vom 1ten April 1916 bis 1ten April 1918 bei dem Müller-Meister W. Obst zu Lüben/Stadtmühle seine Lehrzeit zurückgelegt, am 30ten März 1918 sich vor uns der Gesellen-Prüfung für das Müller-Handwerk unterzogen und dieselbe im Praktischen mit gut, im Theoretischen mit gut bestanden hat. Lüben, den 30ten März 1918. Der Prüfungsausschuß der Handwerkskammer zu Liegnitz. Der Müller-Zwangsinnung zu Lüben. Paul Heine, Carl Deichsel, G. Wilhelm.

Gesellen-Zeugnis 1918


Nach dem frühen Tod des Vaters führte die Mutter couragiert die Arbeit allein weiter. Unter dem Namen Müller, E. & Sohn, Stadtmühle, Hindenburgstr. 14 wurde die Firma auch im Adressbuch von 1927 eingetragen. Nach dem Tod der Mutter übernahm Fritz im Jahr 1928 die Mühle als alleiniger Inhaber. Vielleicht weil der Müllermeister ausgerechnet Müller hieß, fanden die Lübener keinen passenden Namen und nannten die Stadtmühle einfach weiter wie in alten Zeiten "Breither-Mühle". Sehr zum Leidwesen der Müllers. Was nur allzu verständlich ist.

Briefkopf der Firma aus den 1920er Jahren

Der Eintrag im Adressbuch sorgte bei den Nachgeborenen lange Zeit für ziemliche Verwirrung. Zwei Häuser der Hindenburgstraße nahmen die Nr. 14 für sich in Anspruch: Das Pflegerhaus und die Stadtmühle. Endlich erfahren wir, dass es sich dabei nicht um einen Übermittlungsfehler handelt, sondern dass nach der weiteren Bebauung der ehemaligen Polkwitzer Chaussee und ihrer Umbenennung in Hindenburgstraße die Häuser neu nummeriert werden mussten. So kam es, dass Anfang der 1930er Jahre einige Häuser neue Nummern erhielten, darunter auch die beiden Wohnhäuser des Mühlengrundstücks. Ein Ausschnitt aus dem Stadtplan zeigt das gesamte Müller-Grundstück genauer.

Grundstück des Müllermeisters der Stadtmühle

Fritz Müller um 1918

Müllergeselle Fritz Müller 1918


Das Grundstück befand sich parallel zur Hindenburgstraße, war begrenzt von einem Arm Mehlmarke zur Kennzeichnung der Mehlsäcke der Kalten Bache und durchflossen von einem zweiten. Von der Hindenburgstraße führte ein unbenannter Weg am Grundstück und einer Scheune des Gutsbesitzers Triebel vorbei bis zur Schwarzen Brücke an der Bahnlinie nach Raudten.

Die fünf Gebäude:
1 - Vorder- oder Auszugshaus Nr. 12
2 - Pferdestall und Wagenremise
3 - Mühle und Wohnhaus Nr. 10
4 - Schweinestall
5 - Scheune

Weitere Orientierungshilfen zum Stadtplan: gegenüber dem Vorderhaus befand sich das Wohnhaus des Landrats, dahinter die Gebäude des Hotels zum Löwen.

Wohnhaus und Mühle 1925

Die älteste erhaltene Aufnahme der Mühle und des Wohnhauses der Familie Müller. Links hinter der "Mühlenseite" des Hauses sieht man noch den hohen, schlanken Schornstein der Dampfmaschine, die als zusätzlicher Antrieb zur Wasserkraft diente. Der rechte Teil des Gebäudes mit dem Spalier am Mauerwerk und dem Gärtchen davor war das Wohnhaus. Hinter dem Haus "klapperte die Mühle am Kalten Bach". Auf dem Hof die Wagen aus der Remise, von der am rechten Bildrand noch ein Stück zu sehen ist. Links der Schweinestall, der später mit der Mühle verbunden wurde und unter dessen Dachboden das Mehl gelagert wurde.

Fritz Müller und Mitarbeiter

Fritz Müller und die Angestellten der Mühlenbaufirma Rauch aus Raudten

Die folgenden Aufnahme zeigt das Gebäude nach dem Umbau von 1937. Der Gebäudeteil mit der Mühle ist um zwei Stockwerke höher geworden und hat einen separaten Eingang erhalten. Das Wohnhaus hat nun einen Anbau und Balkon.

Wohnhaus und Mühle 1940

Jahre nachdem die Müller-Enkelin Dr. Gudrun Fleischer diese Fotos zur Veröffentlichung bereitgestellt hat, fand sie noch ein interessantes Bild aus dem Jahr 1941!

Es zeigt ihren Großvater Fritz Müller mit Gerhard Zschau ((1895-1945), dem Sohn des Kreisbaumeisters Christoph Zschau, in einer Ruhepause auf dem Hof der Stadtmühle. Die Familie Zschau mit ihren drei Kindern Gerhard, Elli und Heinz wohnte direkt gegenüber der Mühle auf der anderen Seite der Hindenburgstraße. Ein Blick auf das Foto darüber zeigt das Geländer vor der Veranda, auf dem der Müller sich einen Moment lang ausruht, während sich Gerhard Zschau daneben ein Pfeifchen stopft.

Zwei energiegeladene Männer in einem der seltenen Momente der Ruhe!

Die folgenden vier Bilder sind 1965 in Lubin aufgenommen worden. Inzwischen existiert davon nichts mehr.

Vorder- bzw. Auszugshaus

Vorder- bzw. Auszugshaus

Mühle und Wohnhaus vom Hof gesehen

Mühle und Wohnhaus vom Hof gesehen

Mühle und Wohnhaus von der Kalten Bache aus gesehen

Mühle und Wohnhaus von der Kalten Bache aus

Pferdestall von der Rückseite gesehen

Rückseite des Pferdestalls

Die Bilder aus der Nachkriegszeit lassen einen mit Unverständnis auf die Entscheidung zum Abriss schauen. Eine großartige Anlage wurde ohne Not, d. h. ohne Kriegsschäden, zerstört und an ihrer Stelle ein Busbahnhof errichtet. Nur dank dieser Fotos gibt es auch eine Aufnahme vom sogenannten Vorderhaus. Die Lübener hielten es für das Wohnhaus der Müller-Familie, was jedoch nicht der Fall war. In diesem Haus wohnten im Hochparterre die Angestelltenfamilien, zuletzt die Familie Nagel - er Kutscher, sie Haushaltshilfe - und der angestellte Müllermeister Wilhelm Obst, ab 1934 ein Herr Jauer.

Im 1. Stock befand sich eine große Wohnung, die bis Mitte der 1920er Jahre von der Familie von Ernst v. Gersdorff (1864-1926), Kommandierender General (a. D.) des Lübener Dragoner-Regiments von Bredow, Vater der Söhne Ernst-Karl (1902-1977), Rudolf-Christoph und Hubertus, bewohnt wurde. Nach dem ältestem Sohn erhielt Fritz Müllers Sohn Ernst-Karl (1931-2014), der Übermittler dieser Erinnerungen, seinen außergewöhnlichen Vornamen!

Nach den von Gersdorffs wohnte Elise Müller bis zu ihrem Tod in dieser Wohnung im Vorderhaus. Danach von 1928-1935/36 der Kreistierarzt Dr. vet. Meyer. Nach ihm bis 1940 die Familie eines hohen Offiziers der Aufklärungsabt. 9 Julius von Bernuth. Ab 1940 die Familie des Apothekers Grosser (Park-Apotheke, Breite Str. 3 - Allopathie, Homöopathie, Biochemie!). So spiegelte sich in dem Haus die Geschichte der Stadt.

Im Jahr 1924 heirateten Fritz und Elisabeth geb. Kliem (1900-1977). Zwischen 1926 und 1931 wurden die Töchter Barbara und Anneliese und 1931 Sohn Ernst-Karl geboren. Mit unerschöpflichem Elan ging Fritz Müller seiner Arbeit nach, er erweiterte umfangreich die Mühle, betrieb eine Landwirtschaft, war seinen Kindern ein guter Vater und hoffte, sein Sohn Ernst-Karl würde dereinst das Werk seiner Väter fortführen... Dass er das Werk von mehreren Generationen verlassen musste und dass es in Friedenszeiten völlig zerstört wurde, nahm ihm jeden Lebenswillen.
Als er starb, war er nicht einmal 52 Jahre alt.

Die beiden Müller-Mädchen Barbara und Anneliese im Sommer 1930 beim Spielen im Sandkasten mit Kindermädchen 2 Luise Prasse und 3 Helene Obst, Tochter des angestellten Müllermeisters Wilhelm Obst.

Barbara, Elisabeth, Ernst-Karl, Fritz, Anneliese Müller um 1939

Barbara, Elisabeth, Ernst-Karl, Fritz, Anneliese Müller um 1939