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Theo Dames
Das Haus, in dem der "Alte Fritz" übernachtete Es hat es ein jeder gekannt - und doch keiner von uns! Denn wer hat vom Schicksal dieses besonderen Hauses im Mittelpunkt unserer Stadt etwas gewußt? Da gab es in Lüben einen Straßenzug, an dem die besten Häuser aufgereiht waren, angefangen beim Habsburger Hause am Pulverturm (das die Kaisermedaillons unter den Fenstern des ersten Stockwerkes trug). Von dort aus waren dies die folgenden künstlerisch bedeutsamen Bauten: Zunächst die beiden Häuser des Bäckermeisters Ullrich, deren eines (das alte Pfarrhaus) die gute Marienstatue über der Haustür trug. Dann folgte in der Nieder-Glogauer Straße das Haus Nr. 17, das ehemalige Dominikanerkloster, einst Haus Schumann, wo im ehemaligen Refektorium im Erdgeschoß die Milchhalle untergebracht war. Auf der Ringseite mit Nr. 31 die Apotheke mit ihren Renaissance-Giebeln. In Haus Nr. 29, das innen gut ausgestattet war, mit gemalten Decken und den Stuckaturen von Adam und Eva an der Wand, stieg öfters der das Kloster inspizierende Abt ab. Dies war dieser besondere Straßenzug, der am Ring entlangführte und dort die "Gewandlauben" hieß. Und hier stand jenes Haus, von dem zu berichten ist und das König Friedrich den Großen viele Male aus- und eingehen sah! Durch Qualität und Stil wird es ausgezeichnet gewesen sein. Freilich zu unserer Zeit war davon gar nichts mehr da, und ein jeder wird erstaunt sein, wenn ich nun verrate, daß dieses vom Schicksal ausgezeichnete Haus - das Haus des Schneidermeisters Ernst, Ring Nr. 26, gewesen ist! Das "Krockow'sche Haus", wie es der König selber nannte. Wir kannten es nur als Jugendstilhaus, das der in der Bahnhofstraße wohnende Baumeister Geisler umgebaut und in diese Form gebracht hatte. Die obersten Stockwerke waren mit Fachwerk-Blenden verziert und hatten einen kleinen Balkon auf den zweistöckigen Erker darunter vorgeschoben. Dort oben im zweiten und dritten Stockwerk hat meine Mutter dreißig Jahre lang gewohnt - und habe ich bis zum Beginn meines Studiums meine jungen Jahre erlebt, auf den "Ring" und die unter mir sich reihenden Häuser - und über diese hinweg bis zu den Pappeln des Stiftsgutes schauend, vor mir den zierlichen Rathausturm, mit seinem hellen Glockenschlag, auf der Rückseite unseres Hauses aber den dumpfen des mächtigen Kirchturmes. Hier zeigte sich die ganz besondere Lage dieses Hauses - und hier habe ich die ungewöhnlichen Eigenarten dieses rätselhaften Baues studieren können. Der Ehrenbürger Lübens, der Geheimrat Dr. Baer, dem wir so manches gute Gedicht verdanken, hat es noch im alten Zustande gekannt und ein "stattliches Haus" genannt. So muß doch etwas wirklich an ihm dran gewesen sein! Aber keine Tafel hing an seiner Straßenfront, um von seiner Geschichte zu künden. Und Lüben hatte diesem Könige doch soviel zu danken! Aber wer las schon die Chronik des verdienstvollen Pastors Klose oder wußte sonst von diesem Hause? Und dem König? So hat es unerkannt zwischen uns allen gestanden, und auch ich selber muß gestehen, daß ich von ihm nichts wußte. Erst hier in der Fremde, wo uns Heimatvertriebenen das Bild der Heimatstadt bewußt wurde, habe ich ihr ostdeutsches Bild lieben gelernt und studiert. Und so will ich berichten vom Hause Ring Nr. 26 in der Stadt Lüben: Es hatte einst eine völlig anders geartete Gestalt, war nicht so hoch und fiel mehr durch seine gediegene Front auf als später mit Fachwerk und Erker. Was zu unserer Zeit so dastand, das war einst ein Barockhaus aus jener Zeit, da das vom deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in das bis dahin zu bescheidene Schlesien zur Zeit der Gegenreformation Getragene die repräsentativen Kirchen und Häuser mitbrachte und nach dem Tode des letzten Piasten - im Jahre 1675 - unser Land überschwemmte, aber zugleich bereicherte. War das "Habsburger Haus" das erste dieser Art in Lüben, so war dieses Haus Ring 26 wohl das das Stadtbild beherrschende, erbaut als Stadtquartier eines Kultivierten, einer "Standesperson", wie man damals sagte. Es ist durchaus möglich, daß es einem Mitglied des schlesischen Adels gehörte, einem Junker, der sich ein Absteigequartier schuf - wie in der Junkernstraße in Breslau. Dieser Umstand würde es rechtfertigen, anzunehmen, daß das Haus verziert und hervorgehoben war, zwischen den schmalbrüstigen Bürgerhäusern, den Fachwerk-Laubenhäusern, sich breit an den Ring legend. So ist es als massiver Bau zu denken, links von den Giebelhäusern von Breutmann (Härtle) und Dudeck (Hirsch) begrenzt, rechts vom Hause des Uhrmachermeisters Werner. Leider ist mir kein einziges Bild erhalten geblieben, das eine Vorstellung von ihm geben kann. Auch Klose veröffentlichte keines, aber auch keine Beschreibung. Ist etwa in dem so vernachlässigten "Museum" ein Bild von ihm vorhanden gewesen? Nun soll hier versucht werden, aus den wenigen Erwähnungen in der Literatur sein Bild wiederherzustellen. Zu diesen Vorstellungen über seine Gestalt führt zunächst das, was Klose über Friedrichs Besuche in Lüben zu berichten weiß. Da ist nach der Besitzergreifung Schlesiens durch Preußen im Jahre 1740 in Lüben ein Dragonerregiment stationiert worden, aber es waren für dieses zunächst keine Unterkunftsgebäude vorhanden, so daß die Truppe in Bürgerquartieren unterkommen mußte. Um den Regimentskommandeur gebührend aufnehmen zu können, erwarb damals die Stadtverwaltung dieses Haus Ring Nr. 26, das sicherlich leer stand. Der erste, von dessen Wohnen in diesem Hause wir wissen, war der General Anton von Krockow (4.1.1714-6.9.1778), der im Jahre 1757 die Führung des Regimentes übernahm. Bei ihm hat der König mehrmals übernachtet, wobei Krockow mit seiner Familie das gesamte Haus zur Verfügung stellte. Der König benötigte es jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit jedesmal für nur eine einzige Nacht. Wie solch ein Besuch in Lüben sich abspielte, schildert Klose folgendermaßen: "In Lüben angekommen, hielt der Wagen (des Königs) vor dem Haus des Generalleutnants Anton von Krockow. Das Krockow'sche Haus lag am Ringe und gehörte der Stadt." Hier ist die Lage des Hauses bescheinigt! Ebenso die Benützung durch den Alten Fritz. Klose hat seinen Text auch noch mit einer Fußnote ergänzt: "Wahrscheinlich das Haus Ring 26, die Alte Post." Die Empfänge, die der König dort veranstaltete, waren rein dienstliche Angelegenheiten; aus ihrem Umfang kann man Schlüsse auf Größe und Innenzustand ziehen. Da heißt es, daß als Geladene erschienen: die Kommandeure der an der Truppenrevue beteiligten Regimenter; dazu die Stabsoffiziere. Ferner der Landrat und der Bürgermeister und die Standespersonen aus Stadt und Landkreis. Alle diese Gäste kamen im ersten Stock des Hauses zusammen. Dort wurden Fragen des Landkreises und städtische Belange, ebenso militärische, behandelt und besonders die Truppenrevuen am folgenden Tage. Auch die Parole wurde ausgegeben, mitunter vom Könige selber. Nach Erledigung dieser Dinge blieben die Geladenen noch einige Zeit beieinander. Der König aber zog sich in "seine Gemächer" zurück und nahm den Vertrauten Krockow noch zu einem halbstündigen Gespräch mit sich. Gegen acht Uhr entließ er Krockow und ging zu Bett, um am nächsten Morgen bereits um drei Uhr aufzustehen und um ein halb vier Uhr zur Parade davonzufahren. Aus dem hier Gesagten ergibt sich, daß dieses Haus geräumig genug war, um derartige Zusammenkünfte zu ermöglichen (wobei noch des Königs allerdings nicht große Begleitung unterzubringen war). Leider ist hierbei nichts über das Gebäude selber ausgesagt. Da hilft der Stadtplan im Breslauer Staatsarchiv etwas weiter: Er zeigt das quer zu den übrigen Häusern stehende Krockow-Haus - und zeigt sogar seine Herkunft aus zwei verschieden großen bürgerlichen Giebelhäusern. Ihre Rückseiten ragten verschieden weit in den Hof hinein. Baer hatte, wie bereits erwähnt, von einem "stattlichen" Hause gesprochen. Aber er hatte nicht von einem Neubau, sondern von einem "Umbau" geschrieben. Der war bis zuletzt aus Einzelheiten zu erkennen, die noch auf die Herkunft aus zumindest teilweisen Massivbauten schließen ließen. Ließ so der Hausgrundriß die Verwendung alter Mauerteile erkennen, so war das besonders beim Kellergeschoß der Fall. Dieses wies noch sehr starke Wandstärken auf und ging ungewöhnlich in die Tiefe. Es war übrigens in vielfacher Weise ungewöhnlich: da führten einundzwanzig Stufen vom Erdgeschoß über eine sehr steile Treppe in die Tiefe. Unten waren die Räume eingewölbt und verwinkelt. Und der westliche Teil lag zwei Stufen tiefer als der übrige, was wiederum die Herkunft aus zwei verschiedenen Häusern deutlich machte. Nach Norden ragten die Kellergewölbe wohl gar bis (wie im Barock üblich) unter den Bürgersteig hin, und es ist möglich, daß als Zugang in den Keller einst nicht die steile Treppe hinunterführte, sondern einer von der Straße her. Bis in die letzte Zeit war vom Ring her übrigens ein Schacht vorhanden; ob er Zugang oder nur Licht und Luftschacht war, war nicht mehr festzustellen. Schon aus diesen Angaben ist es möglich, sich eine Vorstellung zu bilden. Es muß sich wirklich um ein größeres, unbürgerliches Haus gehandelt haben. Freilich so hoch wie bis zuletzt ist es nicht gewesen. Es war sicherlich nur zwei Stockwerke hoch, mit einem schlichten, abgewalmten Satteldach. Die seitlichen Giebelhäuser hat es überragt - aber bei weitem nicht so beträchtlich wie nach dem Umbau. Damit hat es, auf die Gesamthöhe der Ringhäuser Rücksicht nehmend, diesem Platz ein viel einheitlicheres Bild gegeben, als dies zuletzt der Fall war. Ist somit eine gewisse Vorstellung vom Äußeren möglich, so sind vom Inneren zugleich Nachrichten vorhanden, die das Gesamtbild vervollständigen können. So hat Zoe Droysen Äußerungen über die Räumlichkeiten in ihrem Bericht über die "Alte Post" gemacht, die hier weiterhelfen. Sie berichtet, daß ihr Vorfahre, der Postmeister von Rüdiger, der in diesem Hause wohnte und dort auch den Postbetrieb abwickelte, dazu einen "weiten Flur" zur Verfügung hatte. Das aber will bedeuten, daß der Zugang ins Hausinnere einst viel breiter war. Sicherlich so breit, wie zuletzt der äußere Zugang zwischen den beiden Ladeneingängen. Aber Zoe Droysen berichtet weiterhin, daß dieser Fedor von Rüdiger im "großen Saale" sämtliche Postangestellten zu Weihnachten "unter einem riesigen Lichterbaum" versammelte und ihnen einbescherte. Es war also ein großer Saal auch noch vorhanden; der aber konnte nur im ersten Stock gewesen sein. Die "Gemächer", in die sich der König abends zurückzog, werden dagegen im zweiten Stock gelegen haben, sie sind wohl kleinere Räume gewesen, niedriger als die Räume des ersten Stockwerks - wie das in Schlössern und Patrizierhäusern üblich war. Dies ist das Prinzip der inneren Einteilung. Der Hinweis auf den einst sehr breiten Hausflur aber weist auf etwas anderes noch hin: auf die Organisation des Treppenhauses. Dieses war in seinem letzten Zustande derart unterteilt, daß neben dem engen Treppenhause ein Lichtschacht durch alle Stockwerke nach oben stieg, der jedoch zu wenig Licht in das Innere hereinließ. Das aber ist keine gute Lösung, und es war von Anfang an zu vermuten, daß hier eine spätere Veränderung vorlag. Und so ist es sicherlich auch gewesen! Hier bietet sich die andere Baulösung an, einen größeren Schacht für das Treppenhaus anzunehmen. Und so war es auch einst: ein etwa quadratischer Gesamtschacht ist hier vorhanden gewesen und hat als gleichbreiter Flur - wo v. Rüdiger die Pakete lagern hatte - gleichlaufend bis zur zweiflügeligen Haustür geführt. Damit schloß dieser organisch an die Front an und gab dem ganzen Grundriß die Einheitlichkeit. Damit aber erklärt sich nun die sonderbare Gliederung des Inneren im Endzustande des Hauses: sie war ungewöhnlich und unverständlich. Die Stufenfolge war nämlich die folgende: im Erdgeschoß zwei Stufen zunächst, dann vierzehn und nochmals acht! Vom ersten Stock zum zweiten: erst neun, dann zwölf. Aber wo hat ein Haus aus guter Zeit, besonders aus dem anspruchsvollen Barock, eine derartige Einteilung gehabt? Diese kann ja nur durch eine nachträgliche Einengung entstanden sein! War der Schacht aber durch die Zusammenlegung quadratisch und damit weiträumig, so ergab sich ein würdiger Aufgang, mit Maß und Ansehen. Und dies ist die ursprüngliche Gestaltung des Barocktyps, nicht nur in Schlesien. Damit waren Portal, Flur und Treppe zusammengehörig, und alles Praktische war zugleich künstlerisch in befriedigender Weise gelöst. Nach der inneren Einteilung in praktisch verwendete Räume im Erdgeschoß, Repräsentation im ersten Stock und Schlafräumen im Obergeschoß ist auch die Front des Gebäudes zu erahnen. Dort war die Stockwerkhöhe abzulesen; und bis zuletzt befand sich die Haustür nicht in der Frontmitte (was die Herkunft aus zwei verschieden breiten Giebelhäusern andeutete)! Im übrigen ist zu vermuten, daß das Portal etwas reicher geformt war; wohl als zweiflügelige Tür, von Halbsäulen flankiert oder von Pilastern, wie wir das vom Hause Uhlich, Ober-Glogauer Straße l, kennen. In diesem Falle wird auch die ganze Front durch derartige Pilaster gegliedert gewesen sein - wie das "Habsburger Haus" am Pulverturm. Im Hof ist nichts Besonderes zu erwarten. Der Plan im Breslauer Staatsarchiv zeigt dort drei kleine Bauten, die wohl Wohnungen und Ställe enthielten. Für gärtnerische Anlagen war nicht mehr viel Platz vorhanden. Und dies ist das Bild, das war uns von diesem Hause bilden können: So stand es dort am schönsten Platze Lübens, der damals noch ansehnlicher war als zu unserer Zeit, denn außer dem alten gotischen Rathaus von 1385/1515 und dem Grünen Baum und dem Uhlich-Hause (später Ratskeller) standen noch die Häuser von Mischuda bis Hecker mit ihren malerischen Barockgiebeln. Und hier in diesem Winkel ruhte, das darf man wohl sagen, in jenen Jahren, da der König Einkehr hielt, der Schwerpunkt Preußens. Und wer neben den staatlichen Ereignissen und Problemen auch die menschlichen zu sehen verstand, der erfuhr auch etwas von der Tragik des Menschen Friedrich: er, der sich stets dessen bewußt war, wen er gerade als Gesellschaft um sich hatte, etwa seine Offiziere oder die Potsdamer Tafelrunde mit den kultivierten Geistern seines Kreises, der sah hier, wie er mit diesen Generalen, aber auch mit den zivilen Staatsdienern sich abgab, der sah auch, wie er sich dann zurückzog, wie er in die Einsamkeit seiner Behausung untertauchte. Hatte er die Pflichten beiseite legen können, dann trat der Freund der Musen aus ihm hervor: dann schrieb er seine Verse, nahm Zuflucht zur Flöte, der Trösterin in seinen Nöten. Mit seinem Freunde Krockow führte er kurze Gespräche, in einsamen Stunden zeichnete er sogar "mit der Feder verschnörkelte Ornamente" und dies, "um sich zu zerstreuen". Oder er sah hinunter auf den "Ring", wo das bescheidene Bürgerleben sich abspielte. Da stand er am Fenster, nahm das "Okular" zur Hand und sah unten die Frau des Generals von Krockow vorbeigehen und stellte fest, daß sie Töchter hatte - und das beobachtete der, der keine Familie hatte und zu allzeitiger Einsamkeit verurteilt war! Und wieder griff er dann zur Flöte und spielte vor dem Einschlafen noch eine halbe Stunde seine Triller und Passagen, wie er dies auch im frühesten Morgen tat, vor dem Ausritt zur Parade. Er war eben einer von denen, die die Kunst nicht losließ, auch nicht im wenig musischen Lüben! Wer aber hat von diesem Menschentum gewußt? Wer in Lüben wußte, welch ein Herz unter dem Waffenrock schlug? Und dies war das andere Gesicht der "Tage des Königs", im kleinen Lüben! Und als sie dann vorüber waren, diese friderizianischen Tage, was wurde aus diesem Hause? Der König lag in Potsdam in der Gruft, und in Lüben war es sehr still geworden. Das Haus Ring Nr. 26 hatte seinen Glanz verloren und war in Privatbesitz gekommen. Die Ratskellerpächterin Gollsch hatte es im Jahre 1782 erworben. Dabei muß es wohl an Ansehen verloren haben, denn der damalige Regimentskommandeur von Schwerin lehnte es als Unterkunft ab und zog in jenes Haus gegenüber dem Gasthof "Zum Löwen", in dem später die Familie Sonneck wohnte. So kam es, daß - wie schon erwähnt - die Post mit ihrem damals großen Pferdewagenbetrieb dort einzog. Der Postmeister wohnte in den oberen Stockwerken, im Erdgeschoß lagerten die Postsäcke, und von der Mälzergasse her stiegen die Pferde in ihre Ställe. Als dann aber das neue Postgebäude, das wir noch kennen, errichtet war, zog das Amtsgericht hier ein, bis auch dieses in den Neubau am Pulverturm umzog. Was dann aus dem Krockow-Hause wurde, ist nicht bekannt. Kein Mensch sprach mehr von ihm. Mag sein, daß es dahinsiechte, bis es der Schneidermeister Ernst erwarb und zum Geschäftshaus ausbaute... Theo Dames in LHB 2/3/1972 Fortsetzung eines alten Themas In Nr. 2/3/1972, des "Lübener Heimatblattes" habe ich über dieses Haus Nr. 26 am Ring berichtet. Ein Bild davon besaß ich nicht. Inzwischen veröffentlichte das Blatt zwei alte Lichtbilder aus der Zeit bald nach der Erfindung der Fotografie von der südlichen Seite des Ringes, auf denen das Haus Nr. 26 abgebildet ist, und damit zeigt sich, daß meine festgestellte Baugeschichte wohl richtig ist, daß aber in der Zeit vom alten Bau aus der Friedrichszeit und dem Umbau um 1900 durch Herrn Schneidermeister Paul Ernst ein Zwischenstadium übersprungen worden war. Denn nun ergibt sich die Überraschung, daß in dieser Zeitspanne das Haus Ring Nr. 26 eine völlig andersgeartete Gestalt gehabt hat. In dieser Zeit hat das Haus einen Umbau erfahren, der nichts vom alten Adelsbau ahnen ließ. Niemand aus unserer Generation hat wohl davon gewußt, auch Klose hat meines Wissens in seiner Chronik davon nicht berichtet. Aber auch Geheimrat Baer, der Lübener Ehrenbürger, hat von ihm nichts erzählt. Nun entpuppt es sich als höchst nüchterner Bau, geradezu als Notbau. Kein Zierat belebt mehr die Front, und das Flachdach ist für die damalige Zeit eine Verschandelung des Hauses wie auch der ganzen Straßenseite gewesen. Und die besondere Höhe, die die guten Nachbarhäuser überragte, drückte diese, die einst gleichmäßig ihre zierlichen Barockgiebel trugen, zerriß das Gesamtbild und wirkte ernüchternd innerhalb eines Stadtbildes, das noch altbewährte Tradition bis dahin bewahrt hatte. Die Grundform des Hauses ist damals zwar erhalten worden; aber da waren doch einige auffallende Veränderungen festzustellen: ein zweiter Stock wurde aufgesetzt, die Fenster vergrößert und vereinfacht, die Front neu verputzt und dabei vereinheitlicht. Nur der neugewonnene zweite Stock erhielt höhere Fenster, wohl für besondere Wohnzwecke. So wurde aus einem Hause, das einst wohl gar eine Art Stadtpalais war, eine "Mietskaserne", wie wir heute sagen. Dies alles war das Ergebnis eines praktischen Denkens. Wie kam es dazu? Nun, es war so: Der König hatte bis zum Jahre 1785, ein Jahr vor seinem Tode, in dem veralteten, auch wenig gepflegten Haus in der Bescheidenheit seiner letzten Jahre weiter gewohnt. Als aber die Wohnung nach seinem Abgang frei wurde und die Stadt Lüben als Eigentümerin sie dem Regimentskommandeur von Schwerin anbot, lehnte dieser ab! Allerdings hatte schon im Jahre 1782, also bereits vor dem Tode des Königs, die Ratskellerpächterin Gollsch das Haus käuflich erworben. Sie hatte an diesem Hause nur praktische Interessen und überführte es in einen Bau, der vielerlei Zwecken dienen konnte. So kam die oben dargestellte Front zustande. Was nun mit diesem Hause geschah, ist nicht bekannt. Das nächste Datum, das Aufschluß gibt, ist das Jahr 1819, in dem von Rüdiger Postdirektor wird (Großvater der Lübener Schriftstellerin Zoe Droysen). Nachdem die Post zunächst in einem anderen unbekannten Hause untergebracht war, zog sie 1819 in das Haus Ring Nr. 26 ein, das sich damals noch in Privathand der Frau Gollsch befand. Postdirektor von Rüdiger zog in die oberen Geschosse ein und überließ das Erdgeschoß dem Postbetrieb. Die hier vorliegende fotografische Aufnahme zeigt das Haus in dem damaligen Zustande, etwa um 1839, vielleicht auch noch später - zeitiger wird in Lüben eine derartige Aufnahme nicht gemacht worden sein. Wie lange die Post ihre Diensträume in ihm hatte, bevor sie es an das Amtsgericht übergab, ist mir nicht bekannt. Der Umbau durch die Pächterin Gollsch wird als "vor 1800" anzusetzen sein - die ein wenig als klassizistisch zu ahnende Front läßt auf diese Zeit schließen. Und dieser Notbau hat ungewöhnlich lange in dieser Form bestanden: bis zum Umbau um 1900, in der Zeit des Jugendstiles. Das bedeutet ungefähr einhundert Jahre! Und dies ist wie ein Hohn zu verstehen: gerade im Biedermeier, der sogenannten "guten, alten Zeit"! Interessant ist es, diese Front genauer zu betrachten: Da befällt den Betrachter zunächst der Eindruck von Eintönigkeit und Langeweile - durch das Flachdach, danach der Gesamtfront durch zu sterile Gleichmäßigkeit. Die Front aber teilt sich in zwei fast gleich breite Teile, wodurch die Herkunft des Ganzen aus zwei ungleich breiten Einzelhäusern noch zu erkennen ist! Das alles erzeugt eine ungünstige Wirkung und offenbart, daß dieses Haus mit den durchaus hübschen Nebenhäusern überhaupt keinerlei stilistische Gemeinsamkeiten hat! Interessant aber ist der Umstand, daß in der Frontmitte vom Boden hinauf zur Traufe ein Pilaster aufsteigt. Er ist es, der die Fronttrennung erzeugt - und er kann gar nicht beabsichtigt gewesen sein, er muß vielmehr ein Überbleibsel des Vorgängerhauses sein! Er könnte dann als letzter Pilaster des "Krockow-Hauses" eine Bestätigung meiner Vermutung sein, daß dieses Haus damals durch eine Pilastergliederung belebt wurde wie das "Haus der Habsburger" (Haus Dr. Rathey). Das ist nun baugeschichtlich von Bedeutung, ein hübsches Haus ist es aber nicht. Und es entsteht die Frage, wieso Geheimrat Baer es als "stattlich" bezeichnen konnte. Hatte er damit die Großflächigkeit und die Ausdehnung gemeint? Oder hat er eine Zeichnung des ursprünglichen Zustandes in der friderizianischen Zeit gekannt und vielmehr daran gedacht? Eine gewisse Rechtfertigung erfährt nachträglich (freilich zu spät) Herr Schneidermeister Paul Ernst, der um 1900 den großen Umbau durchführte. Denn erst jetzt wird offenbar, daß nicht er es war, der diesen viel zu großen Bau hinstellte, und daß nicht er das unechte Dach verschuldete. Im Gegenteil: er war es, der den unschönen Block in eine wohltuende Hausfront überführte. Und es ist auch zu verstehen, daß er den Baumeister Geisler diese Jugendstilform schaffen ließ. Schließlich war dies der Stil seiner Zeit, und der war es ja, der mit dem Stil (?) der Gründerzeit Schluß machte und endlich eigene Wege suchte! Und Geislers Verdienst ist es, daß der von ihm aufgeführte Bau die zuvor störende Trennungslinie der ehemaligen zwei Häuser überwand und die Breitenwirkung der Front in eine senkrechte Tendenz umformte, damit auch den Einklang mit den Nachbarhäusern wiederherstellte. Freilich sind einige Spielereien von ihm eingebaut worden, so zum Beispiel das Fachwerk der Obergeschosse. Es ist nur schöner Schein! Es hat keine Funktion. Aber damals beginnt die Zeit des Erwachens des Volkstums. Man beginnt die Schönheit des Holzes zu begreifen. Und so kam es dazu, daß man nachahmte! Lustig war der Balkon, hoch da oben. Er erzeugte mit dem gemütlichen Raum dahinter eine neue Spitzweg-Dachstubenromantik. Ich selber habe dort, über den Ring bis zum Stiftsgut schauend, über die Dächer hinweg, zwischen Rathaus und Kirchturm deren Geläute gehört und im Dämmern der großen Stube stille Stunden mit Büchern und Klampfe zugebracht. Aber noch ein weiteres haben diese beiden Lichtbilder aufgezeigt: das ist die Giebelform der Häuser Hirsch/Dudeck und Härtle/Breutmann. Das Härtle-Haus trägt noch die "Akroterien", das sind die Aufsätze in Terrakotta, die als First- und Traufziegel die Ecken des Dreiecksgiebels betonen. Sie sind Zeichen der Epoche des Klassizismus, der sogar bis ins abseitig kleine Lüben gedrungen war. Und das Haus Hirsch hat sich sogar bis nach 1900 den antiken Giebel bewahrt. Aber bald nach dem Umbau des Hauses Ernst wird der Baumeister Geisler auch dem Hause Hirsch den Jugendstil-Giebel aufgesetzt haben. Und da darf ihm noch heute ein Lob gesagt werden: denn der neue Giebel ist im Grunde eine Rückkehr zur alten Form des Rokoko-Giebels von 1758, der ähnlich dem des Hauses Stasinowski, Ober-Glogauer Straße Nr. 4, gewesen sein muß. So haben zwei sehr alte Bilder noch Einblick in das Bauen des 19. Jahrhunderts gebracht und uns bewußt gemacht, wie schön unser Ring einst gewesen sein muß, damals als noch die vielen hübschen, zierlichen Giebel ihn umgaben, bevor das 19. Jahrhundert die hohen Flachdächer zwischen die oft in ihrer Schönheit verkannten Giebelhäuser geschoben hat! Und im Frühjahr 1945 ging auch dieses zugrunde, das Haus, in dem der König so oft übernachtete... Theo Dames, LHB 16/1972
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