Das Habsburger Haus am Pulverturm
Haynauer Straße














Das Habsburger Haus in Lüben
Theo Dames

Habsburger Haus am Pulverturm

Wer noch zur Zeit des Geheimrates Baer, des Sohnes Lübens und Ehrenbürgers der Stadt, von Heerwegen (damals Polkwitz) aus in Lüben einfuhr und in die Mitte der Stadt, zum "Ring", strebte, der konnte es noch erleben, daß er auf diesem einen Wege an fast allen repräsentativen und zugleich künstlerisch anspruchsvollen Gebäuden der Stadt vorbeikam, die in der Tat den ganzen architektonischen Reichtum der kleinen Stadt ausmachten, soweit sie nach 1600 entstanden war. (Die wirklich große, d. h. bedeutende Architektur Lübens ist in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und der Folgezeit bis nach 1500 entstanden.)

Da traf er nahe der Kleinen Kaserne auf das Württembergische Palais, das der ältere Langhans - von dem das Brandenburger Tor in Berlin stammt - gebaut hatte und in dem König Wilhelm I. von Württemberg geboren wurde; danach ging es am Pulverturm vorbei rechts herum im Knick der Nieder-Glogauer Straße zu jenem schönen Hause (Nieder-Glogauer Str. 7), das die stuckierte Front zur Straße kehrte und mit der Nordwestecke an diesen Glogauer Torturm anstieß. Ein Stück weiter hinunter in dieser Straße sah er zur Rechten das Barockhaus mit dem Rundbogenportal und den antiken Büsten auf Nord- und Südgiebel, das einst dem Dominikanerkloster gehörte; hier hatte nach 1900 die Familie des Getreidekaufmanns Schumann gewohnt, ein Milchladen war dann in den Gewölberäumen des Erdgeschosses untergebracht, und ein an die Haustür genageltes Schild meldete, daß dort ein "Maler Kubski" wohnte.

Wieder ein Stück weiter die Straße hinab traf er im Hause Ring 26 auf das Absteigequartier des Alten Fritzen; das war jenes "stattliche Gebäude", wie Baer schrieb, das in städtischem Besitz war und dem General von Krockow, dem Regimentskommandeur und Vertrauten Friedrichs des Großen, zur Verfügung stand. Später wurde es die "Alte Post" und schließlich das Amtsgericht, solange für diese Ämter keine eigenen Bauten vorhanden waren. Schneidermeister Ernst hatte es dann im Jugendstil (um 1910) umgebaut. Ihm gegenüber stand das Rathaus von 1768 im sparsamen preußischen Amtsstil des Rokoko, mit dem Stadtwappen im Giebelfelde zur Straße hin. Und zuletzt, noch einige Schritte weiter, bei Haus Ring Nr. 29 stand er vor dem strengen Hause, das gute Stuckdecken im Inneren besaß und in dem die Äbte der Dominikaner abstiegen.

So ergab sich eine Art Prachtstraße, und sie war sicherlich damals d i e Straße Lübens, bevor die Ober-Glogauer Straße durch ihren Geschäftsverkehr zur wichtigen Straße wurde. Und in dieser aufgeführten Reihe ist jenes Haus: Nieder-Glogauer Straße 7 dasjenige, das uns beschäftigen soll.

Habsburger Haus am Pulverturm um 1900

Dieses schöne Haus, das jeder in Lüben kannte, war so recht ein Haus ohne Namen. Auch Klose nennt es in seiner Chronik nicht bei Namen. Aus dieser Chronik habe ich feststellen können, daß es (nach den Aufzeichnungen von Geheimrat Baer) den großen Stadtbrand vom 17. 11. 1757 überstand und zeitweilig von einem Dr. Erdmann Matthaeus bewohnt war. Dieser Dr. Matthaeus war der einst sehr bekannte Patrizier, der im Rat der Stadt saß und in der vorpreußischen Zeit so energisch die Belange der protestantischen Gemeinde vertrat. Ich sagte, daß sein Haus keinen Namen trug - aber es verdiente einen und zwar jenen: "Haus der Habsburger", wie ich hier darlegen möchte.

Von diesem Hause, das aus der Reihe der übrigen herausgehoben werden soll, ist zu sagen, daß es nicht nur eines der schönsten der Stadt gewesen ist, sondern daß es auch eine gewisse geschichtliche Bedeutung für Lüben gehabt hat. Zunächst möchte ich aber auf seine Form und kunstgeschichtliche Einordnung eingehen; es stand, mit seiner Nordwestecke den Pulverturm berührend - der auch Glogauer Torturm hieß -, zwischen diesem und dem beachtenswerten Hause des Bäckermeisters Ulrich, Nieder-Glogauer Straße 8/9, an dessen Front eine gute barocke Marienstatue angebracht war, und bildete mit diesen ein gutes städtebauliches Bild.

Im Grundriß rechteckig, trug es ein Vollwalmdach, das einem Pyramidendach nahekam, und einen Zwerchgiebel zur Straße hin, der sicherlich später aufgesetzt war. Die Front war vier Fenster breit, zwei Stockwerke hoch, mit der Breitseite gegen die Straße gewandt. Das Erdgeschoß, das deutlich gegen die oberen Stockwerke abgesetzt war, zeigte links zwei Fenster eines Wohnraumes; die bescheidene spätbarocke Haustür war wohl nicht mehr die ursprüngliche; rechts neben ihr war der in seiner Art ungünstige Laden einer Liegnitzer Firma* eingebrochen. Im Inneren führte ein breiteres Treppenhaus nach oben, wo die äußere Geschoßfront durch Pilaster, das sind erhabene Putzstreifen, gegliedert war. Die Fenster dieses Stockwerkes waren die höchsten, sie gehörten zu den ehemaligen Repräsentationsräumen für amtliche Zwecke.

Diese Acht-Fenster-Front wurde durch die soeben erwähnten fünf Pilaster in vier senkrechte Felder unterteilt; die an den Hausecken steigenden Streifen waren quergeteilt, die drei inneren besaßen (was ungewöhnlich ist) weder Basis noch Kapitell. Und diese klare Aufteilung gab der Hausfront architektonischen Sinn und Gewicht, ja sogar etwas Würde. Hier ist einzufügen, daß diese gering vorstehenden Pilaster einst sicherlich farbig abgesetzt waren - gegen die tiefer liegenden Felder -, man könnte an blaß-gelbe Pilaster auf rosa Grund denken. Und so hob sich dieses beachtliche Haus von dem umgebenden bürgerlichen Viertel wirkungsvoll ab - und das sollte es. Gediegene Form und ein gewisser Reichtum der Form sollten es betonen.

Habsburger Haus am Pulverturm mit Färberei und Chemischer Reinigung Franz Saalfeld

Das Besondere aber an dieser Front waren die Stuckaturen. Sie umrahmten die Fenster und trugen an den Ecken Auskragungen, sogenannte "Ohren". Die Fenstersturze waren in ihrer Mitte mit Schlußsteinen versehen - oder mit Zierstücken. Zwischen den Stockwerken waren die Zwischenräume mit schlichtem "Rollwerk" verziert, wie es später (1677) am Bau der Liegnitzer Piastengruft anzutreffen ist, und schließlich, was das Besondere ist: Stuckzierformen und Profil-Bildnisse in ovalem Rahmenwerk - und nur das Württembergische Palais hat noch in späterer Epoche Köpfe oder Portraits an seiner Front besessen.

Diese Bildnisse zeigten in flachem Stuckrelief links den Kaiser Matthias (1612-1619) und rechts Kaiser Ferdinand II. (1619-1637), beide aus dem Hause Habsburg. Diese Relief-Bildnisse mit der umlaufenden Namensangabe waren in Schilde und Pflanzenornamentik eingefügt. Mit der einst wohl vergoldeten Schrift bei durchaus künstlerischer Qualität waren sie rechte Blickfänger dieser Front. Und das will besagen, daß sie ein besonderer Hinweis auf diese beiden Herrscher aus dem Hause Habsburg sein sollten.

Und wann ist dieses Haus gebaut worden? Die Lebensdaten der beiden Kaiser geben Hinweise auf das 17. Jahrhundert, und auch stilmäßige Deutung weist in die Mitte dieses Jahrhunderts; unter dem Bildnis Kaiser Ferdinands, der 1637 starb, ist aber noch die Zahl "53" oder "55"(?) zu finden, die nur eine Jahreszahl sein kann, also 1653 bedeuten kann. Vielleicht weisen die Schnörkel unter dem Bilde des Matthias eine "16" an, was aber nicht mehr auszumachen ist. Demnach ist dieses Haus wohl im Jahre 1653 entstanden, und das heißt, daß es aus einer Zeit kommt, in der in Schlesien Baubeispiele überhaupt selten sind. (Man hat im 30jährigen Krieg wenig gebaut, aber viel zerstört.) Die strenge Frontordnung und Anklänge an die Straßenfront der Ritterakademie in Liegnitz lassen vermuten, daß es wie diese aus der Wiener Bauschule stammt und im österreichischen Auftrage erstellt wurde.

Habsburger Haus am Pulverturm mit Färberei und Chemischer Reinigung Franz Saalfeld

Nun ist anzunehmen, daß ein Haus wie dieses - in einer Kleinstadt und fern von Wien und dem Herrscherhause - in besonderer Absicht gebaut worden ist, und so ist es gewiß auch. Denn: im Jahre 1653 (oder 1655) erbaut, ist es innerhalb der Regierungszeit Kaiser Ferdinands III. entstanden, der von 1637 bis 1657 regierte und hier nicht in einem Relief abgebildet ist. So ist es ganz offensichtlich im Auftrage dieses Kaisers oder seiner Regierung entstanden, und dies nur zwei Jahre vor des Kaisers Tode. Was aber war der Anlaß zu diesem Bau, der ja doch die Bildnisse der Vorgänger auf dem Throne trug, nicht das eigene? Was hatten diese Vorgänger in Schlesien oder Lüben zu bestellen?

Die Sachlage wird folgende sein: Der Dreißigjährige Krieg war gerade beendet. 1648 war der Westfälische Friede geschlossen worden, der den wahren Frieden zwischen den Bekenntnissen bringen sollte. Aber dieser ersehnte Frieden ist damals in Schlesien nicht eingekehrt. Ferdinand gab sich mit dem Ergebnis des Krieges nicht zufrieden und tat alles, um das noch immer wesentlich protestantische Schlesien zu katholisieren, worauf später das Eingreifen Karls XIII. von Schweden in Schlesien erfolgte. Das war die Zeit der großen Leiden der Protestanten Schlesiens - zumal das die protestantische Sache sehr fördernde Herzogshaus der Piasten (in Liegnitz) 1675 ausgestorben war. Damals wurden die evangelischen Kirchen zu Hunderten weggenommen und die Geistlichen vertrieben, es war die Zeit der Grenzkirchen (Kriegheide und Hummel), und es war die Zeit der "Buschprediger".

In dieser Periode des gewaltsamen Niederhaltens des Protestantismus entstand dieses Lübener Haus, sicherlich durch Veranlassung des Habsburger Kaiserhauses, gedacht als Mahnmal der kaiserlichen Macht, als Verkörperung des Habsburger Willens - auch im kleinen Lüben, das weiterhin vorwiegend evangelisch war. Dieses Haus war auch hier eine Betonung der Bekenntnispolitik der Habsburger, eine sichtbare Demonstration der Staatsmacht - ich möchte nicht sagen: als Zwingburg, aber doch als Symbol eines Programmes dieser beiden Kaiser, in dem Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen war.

Was hatten nun diese beiden Besonderes getan? Matthias hatte es im Jahre 1611 erreicht, daß ihm sein kaiserlicher Bruder neben anderen Ländern auch Schlesien und die Lausitz abtreten mußte. So war er zu engeren Beziehungen zu Schlesien gekommen, und in seine Regierungszeit fällt ja gerade der Beginn des Dreißigjährigen Krieges.

Und Ferdinand II. hatte 1635 den Prager Separations-Frieden geschlossen, der "das Land einfach an die kaiserliche Gewalt auslieferte". So waren diese beiden Habsburger, die die Einheit des katholischen Glaubens in ihren Ländern wiederherstellen wollten, gerade die besonderen Vertreter dieser Politik, die Ferdinand III. fortsetzte, und ihre Bildnisse an dieser Haus-Front waren die Verkünder dieses Programmes.

Städtebaulich war dieser Bau freilich ein Gewinn für die Stadt Lüben. Es war das erste Gebäude der damals "neuen" Zeit, das erste des neuen Stiles. Und es war: ein verkanntes Zierstück - bis zuletzt! Und wer hat es bewohnt? Zuerst wohl der österreichische Landrat oder die diesem Amte entsprechende Person. Vielleicht aber auch der Kommandeur der Habsburger Garnison? Jedenfalls ein Vertreter der in Wien residierenden Staatsgewalt. Später hat es dann der vorerwähnte Dr. Matthaeus bewohnt. Um 1900, entsinne ich mich, wohnte dort die Familie von Schuckmann. Eine Zeitlang war darin die Höhere Mädchenschule. Nach dem Ersten Weltkrieg bewohnte es Superintendent Schepky, zuletzt Rechtsanwalt Dr. Hans Rathey. Ein schönes Haus... Nach den Zerstörungen des Krieges hat man das Haus recht ordentlich restauriert. Aber es ist nicht mehr das alte...

Theo Dames
, in LHB 1-4/1966, Fotos aus seinem Nachlass und Abbildungen von Ansichtskarten
* Auf diese Textstelle bezieht sich ein Leserbrief aus dem Liegnitzer Heimatbrief 4/1966:
"Franz Saalfeld, Färberei und chemische Reinigung
Als Haynauerin war mir Liegnitz durch einen Lesezirkel, durch kulturelle Veranstaltungen und Geschäftsverbindungen eine zweite Heimat. Nun fand ich in Nr. 1/1966 das Foto vom "Habsburger Haus" und im Text die Worte: "...rechts neben ihr war der in seiner Art ungünstige Laden einer Liegnitzer Firma eingebrochen." Die Liegnitzer Firma ist die Färberei Franz Saalfeld, die im ganzen Regierungsbezirk Liegnitz ca. 40 Filialen unterhielt. Familie Saalfeld hatte vier Söhne. Der älteste Sohn Georg war in jungen Jahren schweigend aus seinem Elternhaus gegangen. Die Wunde um den Jungen trieb die Eltern immer wieder zu Nachforschungen an, aber sie blieben stets ohne Erfolg. Der zweite Sohn Otto war Ingenieur und hatte eine Wollwarenfabrik gegründet. Die beiden jüngsten Söhne fielen im 1. Weltkrieg.
Zu dem Fabrikunternehmen und Wohnhaus in der Lübener Straße in Liegnitz gehörten noch etliche Grundstücke in der Stadt, so daß der Name Saalfeld für Liegnitz ein Begriff war. Am 8. Februar 1926 bestimmte Gott den Weg für Otto Saalfeld. Er rief ihn im 37. Lebensjahr in die Ewigkeit ab. Zum Jahrestag 1927 stand am Grab des Entschlafenen der alte Vater Saalfeld, gestützt von seinem verschollenen Sohn Georg; er war aus der Fremde zurückgekommen. Meine Zeilen sind ein liebes, unvergessenes Erinnern an meinen Freund Otto! E. H. W."