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Die Nieder-Glogauer Straße
Ach, wie war ich noch jung, damals, als mein Zeichenlehrer feststellte, daß ich ein guter Zeichner sei! Ich hatte in der Schule die Schmetterlinge so gut erfaßt, - den Fuchs und das Tagpfauenauge. Und den Admiral! Und ich hatte sie dann auch richtig ausgetuscht, wie wir als Schüler sagten. Ja, ja, er war mit mir zufrieden, der Herr Halfpaap. Und als dann das Lied "Der Mond ist aufgegangen" darzustellen war, da glückte mir das besonders gut, wie die Mondscheibe über dem dunklen Kiefernwalde am Himmel schwebte. Diese Leistung war dem
Direktor Dr. Caspari zu Ohren gekommen, und als er mich in der Pause auf dem Schulhofe sah, flüsterte er mir ins Ohr: "Aha, Theo Dames, der große Künstler!" Dieses Wort tat mir sehr wohl; aber war das nicht doch etwas zuviel des Lobes?
Nun mit dem Zeichnen ging es gut weiter. Und als mein Lehrer und Freund Dr. Treblin Führer unserer Wandervogel-Ortsgruppe geworden war und mich aufforderte, unser Heim, das Franzosenhäusel, zu zeichnen, um Postkarten danach drucken zu lassen, da fiel diese Zeichnung doch so gut aus, daß er mich veranlaßte, eine weitere Karte zu zeichnen, und zwar den Blick auf Lüben: vom Windmühlenberge hinunter auf die Dächer der Stadt, ihre Türme der Reihe nacheinander aufgezählt, über den Wipfeln der Baumgruppen. Bis dann eines Tages Dr. Treblin, als er mich daheim aufsuchte (in unserer Wohnung Ring 26, bei Schneidermeister Ernst) und aus dem Erker im zweiten Stock den Blick in die Nieder-Glogauer Straße sah und dessen Schönheit erkannte, mich anregte, auch diese Aussicht als dritte Postkarte herauszugeben. Und so entstand das Bild dieser hübschen Kleinstadtstraße - ein Stück unserer einst abseitig-stillen Stadt. Übrigens: ein Blick, den außer uns kaum jemand kannte, dann wer hat schon aus unserem hoch gelegenen Erker hinaus und hinunter gesehen? |
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Und dies ist nun diese Karte: eine recht bescheidene Schülerarbeit, über die ich heute wegen ihrer Mängel lächle. Besonders wenn ich an das Wort vom "großen Künstler" denke.
Aber heute ist sie, da "unser Lüben" und diese Straße nicht mehr bestehen, ein Stück glücklicher, ja wehmütiger Erinnerung geworden - an Jahre der Geborgenheit in der Heimat. Für mich selber aber ist sie das im besonderen als Erlebnis des Augenblicks des Zeichnens. Denn was das junge Herz zahllose Male schauend und durchdenkend glücklich in sich aufnahm und im Geiste formte - hier ist es erhalten geblieben. Da läuft die ansteigende Straße unter mir dahin; auf dem Pflaster links breitet sich der Schatten der Häuser der Südseite, rechts steigt die Reihe der schmalen, niedrigen Häuser an, beginnend vorn bei dem Giebel mit "Krüppelwalm" - wie der Fachausdruck lautet. Danach die Häuser mit den Dreifensterfronten. Alle sind sie "Traufenhäuser", das heißt, daß sie mit der Breitseite zur Straße gekehrt sind. Früher hatten sie gewiß einmal so schöne Giebel, wie sie die Ober-Glogauer Straße bis zuletzt besaß. Zu unserer Zeit trugen sie ganz bescheiden ihr schlichtes Kleid. Und hier hängt noch die Gaslaterne in die Straße hinein; dort zeigt das kleine Schild an, daß da die "Herberge zur Heimat" liegt, in der die wandernden Handwerksburschen unterkommen konnten. Eine einzige Jalousie in der ganzen Straße dahinter schützt die Fensterauslagen vor der in schlesischen Sommern stark brennenden Sonne. Und der aus Eisenblech geschnittene Stiefel danach kündet das Fachgeschäft an. So reiht sich Haus an Haus, in bescheidenen Maßen und vielleicht etwas einfältigem Zuschnitt. Preußisches Biedermeier, schmucklos! Betont einfach, aber mit Gefühl gebaut. Mag das alles anspruchslos gewesen sein, wohl auch klein und eng, ohne großen Ehrgeiz, - gemütvoll in der Durchführung des Bauens war es auf jeden Fall! |
Hinten aber, wo die Straße zum ehemaligen Stadttor umbiegt, da steht das Habsburger Haus, - eines der wenigen Glanzstücke der Stadt. Um das Jahr 1653 entstanden, trug es über den Fenstern des ersten Stockes die Stuckreliefs zweier Habsburger Kaiser: des Matthias (1612-1619) und Ferdinands II. (1619-1637). Hier wehte einmal größere Geschichte in die kleine Stadt herein und drückte sich in einem stolzen Stile aus. Pilaster teilten die Hausfront in senkrechte Zonen; und ein hohes, kühnes Dach bekrönte den auffälligen Bau. Diese Bauweise war eine Frucht der österreichischen Zeit Schlesiens; Wien und Prag gaben den Stil an und drangen damit in den Norden unseres Landes, die Stadtbilder bereichernd durch neue Architekturgedanken, durch Zierfreude und gewagte Form. Überragt aber wurde dieser Straßenabschluß durch den spitzen Pulverturm mit seinem Pyramidendach, neben dem Glogauer Tor.
Ja, so war es: stille, enge Straßen im Stadtkern; das Rattern der Wagen auf dem unebenen Pflaster und das Schlagen der Pferdehufe, sie waren der "Lärm" unserer Tage, - damals. Nie schreckte er uns aus der Ruhe der drückend-heißen Mittagsstunde! Enges Beieinander, dichtgedrängtes Dächergewirr (wie es Spitzweg einst darstellte) und der Glockenschlag von Rathaus und Kirchturm, sie waren Teil und Zeichen dieser Lebensform. |
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Wie oft habe ich das als wohltuende Abwechslung empfunden, wenn ich als Student in die Heimatstadt zurückkehrte! Wie oft diese besänftigende Ruhe in mich aufgenommen!
Nun schickte mir ein Jugendfreund diese Karte der Nieder-Glogauer Straße. Ich selber besaß sie nicht mehr. Und das war nun ein Wiedersehen für mich, - mit mir selber! Da wurde mir jene Stunde bewußt, die ich dort am Fenster gestanden hatte, beobachtend und zeichnend: Haus für Haus mit Fenstern und Schornsteinen und sogar den Dachrinnen. So habe ich sie festgehalten, getreu und mühsam, wie man es halt als Anfänger tun zu müssen sich einbildet. Doch meine Gedanken gehen weiter: dort unten, diese Straße bin ich entlang gegangen, so unbeschwert und ach, so jung! Aber das ist nun nur noch ein Traum, denn nichts steht mehr von dem, was für uns Bedeutung hatte; - nur das "Habsburger Haus" steht noch, allerdings in veränderter Form. Was an bescheidener Schönheit dort lebte, das ist alles vergangen. Wir aber, die wir in dieser Stadt unsere Kindheit verbrachten, durch die Straßen dieser Stadt viel tausendmal liefen, wir tragen ihr Bild und ihre Schönheit weiter in uns. Noch immer, - oder: immer wieder finden wir sie schön!
Theo Dames, Leutkirch, 22.8.1969
In dankbarer Erinnerunge an Hartmut Dames (1933-2013), der die Erlaubnis zur Veröffentlichung gab. |
Mit einem Dank an Tomasz Mastalski für diese Ansicht der Niederglogauer Straße im Jahr 1905, mit Blick in Richtung Habsburger Haus. Ganz rechts das Stoffgeschäft von A. Elkusch, das später Johannes Hecker übernahm, der zuletzt in den Ring 23 zog. Daneben Heinrich Ludwigs Buchbinderei (Papierhandlung und Schreibmaterialien, Lager fertiger Conto-, Gesang- und Schulbücher), die Herberge zur Heimath, ein Asyl für Obdachlose und Wanderburschen. Es folgen Sattlermeister Hermann Neugebauer und Schuhmachermeister Hermann Makuth. Das Eckhaus gehörte Dr. med. Paul Hübner und das Büro von Rechtsanwalt Kuhn befand sich darin (Gewohnt hat die Familie in der Faulhaberstr. 4)
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Auf dieser Ansichtskarte - ebenfalls von Tomasz Mastalski - ist die Hausnummer 9 vermerkt. Es ist das letzte Haus auf der linken Seite gegenüber dem Habsburger Haus. Es gehörte zuletzt Bäckermeister Fritz Ullrich und ist auf dem nächsten Bild etwas besser zu erkennen. Warum der Absender diese Hausnummer vermerkt hat, erklärt er auf der Rückseite. Dort heißt es:
Liebes Fräulein Obst!
Nun ist es wohl Zeit, von Herzen danke ich Ihnen für die lieben Grüße, hoffe dass Sie mit Ihren lieben Eltern noch gesund sind, ich wohne in dem früheren Superintendenten-Haus Niederglogauer Str. 9, es gehört Herrn Ulrich, viele herzliche Grüße an die lieben Eltern und an Sie liebes Fräulein, von A. Puppe
Hier weitere Erläuterungen zur linken Straßenseite. (Für die rechte Seite lesen Sie bitte die Erklärungen zum Bild darüber.) Der Laden ganz links vorn ist das letzte Haus der Apothekenseite am Ring, Otto Härtle. Nach links führt laut Straßenschild die Kirchstraße (auch Große Kirchgasse genannt), vorbei am Schild der Fa. Leopold Weiss, Destillation, vorm. Gustav Schrott, Likörfabrik (18).
Es folgen das ehemalige Dominikanerkloster, in dem zuletzt Maler Kubski wohnte und ein Milchgeschäft war (17), Bäcker Hollender (16), Herrenkonfektion Albrecht (15), Kolonialwaren Ziemann (14), Gasthaus Kronprinz - Gastwirt Hermann Mai (13), Zigarrengeschäft Bruno Drögsler (12), Fleischer Max Weidner (11), Strumpf- und Wollwaren Otto Klein (10), Bäcker Fritz Ullrich, zuvor Haus des Superintendenten.
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Die folgende Abbildung links zeigt das Restaurant zum Kronprinzen im Jahr 1929. Eine äußerst seltene Aufnahme, die wir Angela Jirka verdanken! Sogar der Name des Gastwirts Hermann Mai ist zu erkennen! Rechts neben ihm das "Zigarren-Spezial-Geschäft" von Bruno Drögsler. Dahinter führte nach links die Kleine Kirchgasse bzw. Schulgasse (weil sie zum Schulhaus an der Evangelischen Kirche führte). An dem Haus links hinten an der Ecke ist auf dem Bild in höherer Auflösung deutlich der Name Otto Exner zu lesen. Er war Schneidermeister und ist in den Adressbüchern 1929 und 1933 aufgeführt. Dort allerdings schon mit der Adresse Breite Straße. An seiner Stelle gehörte seit 1929 das Haus Bäckermeister Fritz Ullrich. Am Ende der Straße ist rechts ein Stück vom Habsburger Haus neben dem Pulverturm zu sehen. |
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Die Abbildung rechts zeigt die Häuser 3 und 4 der Niederglogauer Str. Sie gehörten Sattlermeister H. Neugebauer. Seine Sattlerei und Polsterei befand sich, wie hier gut zu erkennen ist, in Nr. 3. Eigenartigerweise ordnen ihn alle Adressbücher der Nr. 4 zu. Über die Flagge wollen wir hinwegsehen, solange wir nicht wissen, was ihn zu diesem Bekenntnis bewogen hat. |
Hier wieder eine Ansicht der Niederglogauer Straße in Richtung zum Ring. Erkennbar links das Geschäft des Schuhmachermeisters Hermann Makuth, von dem eine Geschäftsanzeige aus dem Jahr 1892 folgt. Das Quergebäude im Hintergrund war zuletzt die Mittelstandsbank auf der Mochseite des Rings. Bei dem scheinbaren "Turm" hinten rechts handelt es sich um den Dachaufsatz des "Krockowschen Hauses" in Ring Nr. 26, in dem Theo Dames seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Auf der rechten Seite sehen wir die letzten Häuser der weiter oben beschriebenen Seite sehr gut. Im Wollwarenhaus Otto Klein wurden Strümpfe und Wollwaren verkauft. Daneben die Fleischerei Weidner, von der noch ein sehr schönes Einzelbild folgt.
Anzeige von Schuhmachermeister Hermann Makuth im Lübener Stadtblatt vom 4.6.1892 und von Otto Klein im Heimatkalender 1942:
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Und nun zur gegenüberliegenden Seite. Das erste Haus links (Nr. 6) war ausschließlich Wohnhaus. Darin wohnte u. a. Dr. med. Hübner mit seiner Familie. Es folgt Schuhmachermeister Hermann Makuth (Nr. 5), dessen Stiefel-Aushängeschild schon Theo Dames beschrieben hat. Seine Stiefel für die Dragoner-Offiziere sollen von ausgezeichneter Qualität gewesen sein. Die beiden Häuser Nr. 3 und 4 gehörten Sattlermeister H. Neugebauer. Seine Sattlerei und Polsterei befand sich in Nr. 3. Schon weniger gut zu erkennen die "Herberge zur Heimat" in Nr. 2, in der wandernde Handwerksgesellen Unterschlupf fanden. Sie gehörte nach einem Herrn Nixdorf dem Bäckermeister Schreiber aus der Steinauer Straße. In Nr. 1 hatten Emil Stenzel bzw. Artur Albrecht ihr Hutgeschäft. Kurze Zeit später zogen die beiden um und eröffneten ihre Geschäfte auf der Kullmannseite des Rings Nr. 23 neben Emil Stenzel und August Kullmann. Es folgt eine weitere Aufnahme aus diesem Blickwinkel:
Mit einem herzlichen Dank an Tomasz Mastalski für dieses lebendige Bild einer Lübener Gasse um die Jahrhundertwende. Kinder spielen auf der Straße, Geschäftsleute warten auf Kundschaft. Kein Auto unterbricht die Beschaulichkeit. Hand- und Pferdewagen reichen aus zum Transport von Waren. Weil die Bildauflösung so gut ist, sind Namen teilweise recht gut zu erkennen, z. B. rechts Fleisch- und Wurst-Geschäft Julius Weidner. Auf dem Foto rechts unten aus dem Jahr 1920 hat schon der Sohn Max Weidner das Geschäft übernommen.
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Geschäfte in der Niederglogauer Str. ab ca. 1900:
1 - Hutgeschäft Emil Stenzel, später Artur Albrecht
2 - Stoffe A. Elkusch
3 - Buchbinder Heinrich Ludwig
4 - Herberge zur Heimat
5 - Sattlermeister Neugebauer
6 - Schuhmacher Hermann Makuth, Optiker Alfred Hornig
7 - Dr. med. Paul Hübner, RA Kuhn
Ecke (8?) Habsburger Haus mit Färberei Franz Saalfeld
9 Schneidermeister Otto Exner, später Bäcker Fritz Ullrich
10 - Strumpf- und Wollwaren Otto Klein
11 - Fleischerei Julius Weidner, später Max Weidner
12 - Zigarren-Spezial-Geschäft und Frauenverein
13 - Gasthaus "Zum Kronprinzen" von Hermann Mai
14 - Kolonialwaren Hermann Ziemann
15 - Herrenkonfektion Wilhelm Albrecht
16 - Bäckermeister Hollender, später Dampfbäckerei Otto Horn (siehe seine Geschäftsanzeige 1928!)
17 - Altes Dominikanerkloster, Maler Kubski, Milchgeschäft
18 - Leopold Weiss, Destillation, vorm. Gustav Schrott |
Fleischerei Max Weidner in der Niederglogauer Str. 11 um 1920!
Mit einem ganz herzlichen Dankeschön an Sigrid Lisner! |
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