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4. Die Reise nach Saginaw
August und Heinrich Biessel landeten am 1. Nov. 1872 in New York City und die Todesanzeige von August vom Dez. 1905 erwähnt, dass August 33 Jahre in der Stadt East Saginaw gelebt hat. Das läßt vermuten, dass die beiden wenig Zeit in der Metropole verbracht haben. Herr Biessel und Karin bestätigten, dass es weder Unterlagen noch in der Familie überlieferte Erzählungen zu deren Reise ins Landinnere gäbe. Kann man überhaupt etwas zu diesem Abschnitt der Reise sagen?
Die Antwort lautet "Ja", aber natürlich nur in groben Umrissen.
Die Reise auf dem Wasserweg, also per Rad-Dampfer den Hudson-Fluß stromaufwärts, danach per Kanalboot den Erie-Kanal westwärts, und ab Buffalo weiter per Segelschiff zu fahren, war um 1830 eine häufiger Einwanderungsmodus.
Jedoch wegem der damit verbundenen Kosten, der Umständlichkeit und vor allem der Dauer, hatte die Eisenbahn längst der Schifffahrt den Rang abgelaufen. Man kann also davon ausgehen, dass August und Heinrich ihre Reise mit der Bahn machten.
In der amerikanischen Library of Congress befindet sich eine digitale Karte mit dem Eisenbahnnetz von 1872, die sich durch Anklicken vergrößern läßt. New York City ist leicht zu finden, East Saginaw vielleicht schwieriger. Wenn man sich aber wie Schulkinder in Michigan den Umriss ihres Bundesstaates als linken Fäustling vorstellt, dann liegt die Saginaw Bucht ("Bay") zwischen Daumen und Zeigefinger, und die Stadt East Saginaw etwas landeinwärts.
Eine Reise von New York City in Richtung Westen quer durch Pennsylvania, wäre sehr umständlich gewesen, denn die Gebirgszüge von Pennsylvania ähneln einem Waschbrett, und verlaufen parallel zur Atlantik-Küste. Dies machte solch eine direkte Ost-West-Bahnverbindung zu dieser Zeit unmöglich.
Viel einfacher wäre es von New York City erst nach Buffalo zu reisen, wobei die Karte etliche mögliche Bahnrouten zeigt.
Ab Buffalo gäbe es zwei Möglichkeiten für die Weiterreise. Die kürzere Strecke wäre durch die Provinz Ontario, Kanada zu reisen. Dazu müßte man allerdings zweimal eine Eisenbahnfähre benutzen: erstens um über den Niagara-Fluß von Buffalo nach Fort Erie zu gelangen, denn die Brücke befand sich im Bau und wurde erst im folgenden Jahr fertiggestellt.
Nach der Bahnfahrt durch Ontario wäre am St. Clair Fluß eine zweite Fährenüberquerung notwendig gewesen, um dann die Fahrt nach East Saginaw fortzusetzen.
Die zweite Möglichkeit wäre, von Buffalo am Südufer des Erie-See über Detroit nach East Saginaw zu fahren, deutlich einfacher, aber auch wesentlich länger und also teurer.
Egal welche Route August und Heinrich einschlugen, kann man die Entfernung mittels Googlemaps als etwa 750 Meilen (1200 km) einschätzen.
Zu dieser Zeit war es üblich, dass Fahrkartenpreise mit zwischen 2 bis 3 Cent pro Meile angesetzt waren. Bei einem Durchschnittswert von 2,5 Cent pro Meile errechnet sich, dass die Fahrkarte etwa $18.75 gekostet hätte. Dies entspräche der 3. Klasse, auch Immigranten-Klasse genannt, bei der man entlang den Waggonwänden auf Holzbänken saß. Die Preise für die 2. und 1. Klasse, geschweige Pullmann-Schlafwagen, die es ab 1865 gab, wären entsprechend teurer gewesen.
Anhand von anderen Reiseberichten kann die benötigte Zeit mit etwa 2 Tagen angenommen werden. Pro Tag berechnete man etwa $1 für die ziemlich anspruchslose Verpflegung.
Grob ausgedrückt: August sowie Heinrich benötigten ein Minimum von etwa $20 für die Bahnreise von New York nach Michigan. Natürlich muss man solche Preise in Relation zu den damaligen Einkommen betrachten. In dem Sterberegistereintrag für Heinrich wird erwähnt, dass er als Fleischer ("butcher") angestellt war. Eine Quelle auf S. 219 gibt an, dass ein Fleischer üblicherweise zwischen $10 bis $20 pro Monat verdiente.
Diese Bahnfahrt hätte also etwa ein Monatsgehalt gekostet, ein beachtlicher Betrag!
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