Michael "Unterwegs zu meinen Vorfahren - Teil 9"
Unterwegs zu meinen Vorfahren - Teil 10














9. August Biessel beim Militär?

Es kam inzwischen eine Mail von Herrn Biessel. Die drei angehängten Fotos überraschten, ja verblüfften mich. Besonders das Foto eines uniformierten Reiters hoch zu Ross, der sich vor einem Gebäude hatte fotografieren lassen. Laut Herrn Biessel wurde dieses Bild im Nachlaß des 1970 verstorbenen Oscar Biessel, des jüngsten Sohnes des Auswanderers August Biessel, gefunden. Herr Biessel erklärte mir, laut Familienüberlieferung stelle das Foto den August Biessel als Ulanen-Reiter dar. Das Foto ist leider unbeschriftet.

Anhand der Uniform sowie der Bauweise des im Hintergrund befindlichen Gebäudes - vermutlich die Pferdestallung einer Kaserne - kann man auf jeden Fall ausschließen, dass das Foto in Amerika aufgenommen worden ist. Somit - wenn es tatsächlich den August Biessel abbildet - müsste es vor dessen Auswanderung im Okt. 1872 aufgenommen sein.

August Biessel wurde im Dorf Dittersbach im Kreis Lüben geboren, und so stellt sich die Frage, ob es sich hier um ihn als Reiter im Blauen-Dragoner-Regiment "von Bredow" handeln könnte.

Ein Vergleich des Reiter-Fotos mit den farbigen Fotos auf der Website über die Dragonerstadt Lüben i. Schlesien weist einige Ähnlichkeiten auf. Das weiß-über-schwarze Fähnlein an der Lanze stimmt überein.

Jedoch sind zwischen dem Reiter-Foto und den farbigen Fotos erhebliche Unterschiede in der Uniform festzustellen. Dazu kommt die gänzlich andere Form der Kopfbedeckung. In den farbigen Bildern wurde die Pickelhaube mit einem schwarzen Pferdeschweif versehen, jedoch auf dem Foto ähnelt die Reitermütze eher der eines Husaren. Jedoch die Uniformen z.B. von dem Schlesischen Husaren Regiment Nr. 4 ("Braune Husaren") sind ebenfalls deutlich anders.

Auf jeden Fall ist die Kopfbedeckung nicht die Tschapka eines Ulanen wie sie z.B. das Schlesische Ulanen Regiment Nr. 2 trug. Auch etwas mysteriös wirken auf dem Foto die fehlenden Reitstiefel. Wurden diese nur beim Ausritt getragen? Oder waren solche Stiefel bei diesem Reiter-Regiment nicht teil der Uniform? Oder handelte es sich bei diesem Foto nur um eine Pose?

Das Einzige, was man zu diesem Foto mit relativer Sicherheit sagen kann, ist, dass es sich nicht um einen Blauen Dragoner handelt. Natürlich beweist das nicht, ob es sich bei dem Foto um August Biessel handelt oder nicht. Sollte ein Besucher zu dieser Uniform oder zum Foto zusätzliche Informationen beisteuern können, so möge er bitte im Gästebuch eine Nachricht hinterlassen.

Herr Biessel sandte mir auch zwei Bilder, die anscheinend einen Orden darstellen. Dieser Orden, ebenfalls aus dem Nachlaß von Oscar Biessel, ist in den nachstehenden Abbildungen dargestellt.

Der Orden ist aus Bronze und zeigt das Eiserne Kreuz mit Strahlen zwischen den Armen und einen Lorbeerkranz. In der Mitte des Kreuzes befinden sich die Jahreszahlen 1870 und 1871. Der Orden hängt also mit dem Deutsch-Französischen Kriege 1870/71 zusammen. Obwohl es keinen Beweis dafür gibt, ist anzunehmen, dass dieser Orden August Biessel gehört hat. Die Rückseite zeigt das gekrönte Monogramm von Kaiser Wilhelm über der Inschrift "Dem siegreichen Heere", und am Rand die Inschrift "Gott war mit uns - Ihm sei die Ehre".

Dieser Orden hat eine Öse mit einem eingeschlossenen Ring, ist aber ohne Band. Sehr wesentlich zur späteren Identifizierung: die äußer Umrandung enthält keine Aufschrift. Eine Google-Suche erweist, dass dieser Orden ziemlich oft in Militaria-Versteigerungen vorkommt und deshalb nicht besonders wertvoll ist. Am aufschlussreichsten ist hierzu diese Wiki-Seite. Dieser Orden - genauer: diese Kriegsgedenkmünze - wurde am 20. Mai 1871 von Kaiser Wilhelm gestiftet, der ihn einführte für diejenigen, die am Krieg gegen Frankreich teilgenommen hatten. Es gab zwei Varianten: in Bronze für Kombattanten, und in Eisen für Nicht-Kombattanten. Alle Originale der Kombattantenmedaille tragen die Randinschrift "AUS EROBERTEM GESCHUETZ" wie nachstehend abgebildet.

Berechtigt zum Tragen waren alle Angehörigen der deutschen Armeen, die im Krieg 1870-71 an einem Gefecht oder einer Belagerung teilgenommen oder zu kriegerischen Zwecken die Grenze zu Frankreich überschritten hatten, Die fehlende Randschrift in der Gedenkmünze des Herrn Biessel deutet darauf, dass es sich nicht um solch einen originalen Orden handelt.

Ein Auszug aus dem Wiki Beitrag: "Es gibt eine große Menge zeitgenössischer Kombattantenmedaillen, die keine Randinschrift tragen und bei denen der Bandring an einer schmaleren nicht gerillten Öse befestigt ist. Es sind Zweitstücke, die man damals im Handel erwerben konnte und die sich die Berechtigten auf eigene Kosten beschafften."

Es folgen Überlegungen zur vermutlichen Wehrzeit vom August Biessel.

Die Heeresreformen der Preußischen Armee hatten ab 1815 die allgemeine Wehrpflicht aller tauglichen Männer eingeführt. Der Wehrpflichtige gehörte 7 Jahre dem stehenden Heer an. Dieser Zeitraum wurde in 3 Jahre aktiven Dienst und danach 4 Jahre als Angehöriger der Reserve aufgeteilt.

Taugliche Männer wurden wehrpflichtig am 1. Januar eines Kalenderjahres, in dem sie das 20. Lebensjahr vollenden würden, und mussten sich bei den zuständigen Behörden regelmäßig melden.

August Biessel hatte am 31. Aug. 1859 sein 20. Lebensjahr vollendet, und wäre somit am 1. Januar des selben Jahres wehrpflichtig geworden. Er wäre dann 1859-61 im aktiven Dienst und 1862-64 in der Reserve gewesen. August Biessel wäre also etwa sechs Jahre lang wieder im Zivilleben gewesen, als der Krieg anfing.

Es ist natürlich möglich, dass August weiterhin als Berufssoldat im Militär blieb, jedoch erscheint dies eher unwahrscheinlich. Als nicht-Adliger wäre für ihn damals eine Militär-Karriere ziemlich unmöglich gewesen. Auch in den Angaben zum Beruf bei seiner Einwanderung in Amerika und später in Michigan fehlen jegliche Anzeichen dafür, dass er sich als Berufssoldat betrachtete.

Der Status seiner Gedenkmünze lässt vermuten, dass August Biessel nicht als Kombattant während des Krieges in Frankreich gewesen ist. Somit ist die wahrscheinlichste Erklärung, dass er seine 7 Jahre Wehrpflicht abgedient, nicht aber direkt am Krieg teilgenommen hat.


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