Erinnerungen von Arnold Weidner (1922-2009) - Teil 3
Teil 1 der Erinnerungen
















Teil 3 - Altstädter Anekdoten

Unsere Schule in Altstadt mit Kantor Schröther

Die Schule in Altstadt lag ziemlich in der Mitte des Dorfes nahe der Kirche, des Gasthofes Urban und des Dominiums, 550 Morgen groß. Der Schulhof grenzte an die Kreuzung Dorfstraße und die Großkrichener Chaussee, die in die Kotzenauer Straße in Richtung Lüben mündete. In der Mitte des Schulhofes stand ein Lindenbaum. Den Mädchen war der Teil an der Straße nach Großkrichen vorbehalten, die Jungen durften sich an der Dorfstraße tummeln. Unser Lehrer war der Herr Kantor Schröther. Zum Schulhaus gehörte ein schöner Obstgarten und etwas Schulland. Frau Kantor, eine tatkräftige Frau, versorgte nicht nur den Haushalt - sie kümmerte sich um den Schulgarten und ihre Ziegen, was sie nicht unter der Würde der Frau eines Kantors hielt.

Während so mancher Turnstunde wurde die interessante Übung Holzeinstapeln angesetzt. Der "Turnplatz" für die Kinder der evangelischen Dorfschule in Altstadt befand sich auf dem vier bis fünf Meter schmalen Streifen hinter dem Kirchhof. Gingen wir zum "Turnplatz", war links eine etwa zwei Meter hohe Böschung mit der Kirchhofsmauer und rechts ein Abhang von zwei bis drei Metern.

Ausschnitt aus einem Luftbild von Altstadt

Ausschnitt aus einem Luftbild von Altstadt

Die Altstädter Sportanlage erschöpfte sich in einer mäßig großen Sprunggrube und zwei Pfählen, in die in verschiedener Höhe eine Reckstange eingehängt werden konnte. Viele Altstädter Eltern hielten sowieso die Mithilfe auf den Bauernhöfen - zum Beispiel Kartoffellesen - für sinnvoller als irgendwelche Verrenkungen auf dem Turnplatz. Manchmal wurde aus der Turnstunde ein kleiner Spaziergang in Richtung Großkrichen. Bei jedem Halt erklang die bekannte und gefürchtete Frage: Was hast du gesehen? Gemeint waren Gräser, Blumen, Vögel oder Leute bei der Feldarbeit. Für die ersten Kandidaten war es leicht etwas "zu sehen". Da Wiederholungen nicht erlaubt waren, gab es eben für die Letzen kaum noch etwas "zu sehen". Und das waren, da wir nach der Größe antreten mußten, halt immer die "Kleinen"; und dazu gehörte damals leider auch ich.

Herr Kantor Schröther war in seiner Gestik und Sprache sehr gemessen. Dafür rutschte seine Hand leicht aus. Gutes Benehmen, Zucht und Ordnung, wie er sie verstand, waren für ihn oberstes Gebot. In der Kirche galt striktes Lachverbot. An seinem Geburtstag wurde der Herr Kantor regelmäßig von den Mädchen für einige Tage "wehrlos" gemacht. Der große Zeigestock und die kleine Sente aus dünnem Bambusrohr umwickelten die größeren Mädchen liebevoll mit Blumengirlanden. Wenn der Herr Kantor die beiden für Erziehungszwecke so unentbehrlichen Gegenstände benutzen wollte, brachen alle Mädchen in ein jämmerliches Geheul aus. Nach einigen Tagen wurden die Blumengirlanden vom Herrn Kantor ohne Rücksicht auf die Verletzlichkeit zarter Mädchenseelen radikal entfernt. Denn die Schulordnung und des Herrn Kantors Rechtssinn verlangten es so.

Sehr fleißig wurden in Altstadt das Schönschreiben nach der Sütterlinschrift und das Kopfrechnen geübt, für viele Schüler ein Greuel. Zweimal führte uns der Herr Kantor in seine Wohnung und wir Schüler mußten uns vor dem Klavier aufstellen und wir sangen mit Geigen- oder Klavierbegleitung das Lied von Eichendorff: "O Täler weit, o Höhen", eines der Lieblingslieder vom Herrn Kantor. Die ungewohnte Umgebung hatte uns alle recht brav gemacht. Weniger feierlich waren die Singstunden im Klassenzimmer. Jeder Schüler mußte einen Vers solo vorsingen, eine von den meisten Schülern ungeliebte Einrichtung.

Ein Schüler mit Namen Williger, Sohn des Ackerkutschers Williger, auf dem Gut des Majors Schneider, war zwar handwerklich sehr geschickt, aber in der Schule keine

Schule in Altstadt

Die Schule in Lüben-Altstadt
große Leuchte. Als er wegen Alters in die nächste Abteilung versetzt worden war, hatte er zu Beginn des neuen Schuljahres noch die alten Schulbücher im Tornister. Auf die Frage des Herrn Kantor, warum ihm sein Vater keine neuen Schulbücher gekauft habe, antwortete er in aller Unschuld: "Weil Sie, Herr Kantor, mich versetzt haben, müssen Sie mir auch die neuen Schulbücher kaufen!" Eine schallende Ohrfeige war die wortlose, aber deutliche Antwort.

Der kleine Williger war völlig schwindelfrei und turnte zu seinem Vergnügen hoch oben in der Scheune vom Dominium und kam auf eine tolle Idee. Er befestigte das Seil an einem Balken und legte das andere Ende als Schlinge um seinen Hals und wollte ausprobieren, wie lange er mit seinen Händen sich am Balken hängend festhalten kann. Als er merkte, daß er sich nicht mehr hochziehen konnte, schrie er um Hilfe. Zu seinem Glück waren einige Arbeiter in der Nähe, legten einige Bretter bis zu ihm hin, holten ihn noch rechtzeitig herunter und verabreichten ihm eine ordentliche Tracht Prügel.

Weil die Kirche in Altstadt nicht geheizt werden konnte, fanden an kalten Sonntagen die Gottesdienste im Klassenzimmer der Schule statt und desgleichen auch die Krippenspiele zur Weihnachtszeit. Mir sind die größeren Mädchen noch in Erinnerung, die als Engel verkleidet, mit Flügeln auf ihren Rücken eifrig umherliefen.

Weil die Schülerzahl nicht mehr ausreichte, wurde mitten im Schuljahr 1932 die Schule in Altstadt aufgelöst und alle Schüler und der Herr Kantor mußten fortan zur Schule in Lüben pilgern. Bei dieser Gelegenheit veranstaltete der Herr Kantor einen kostenlosen Flohmarkt. Ich erhielt einen Druckkasten, ein Büchlein über die Königin Luise und ein Heft der "Gartenlaube". Das waren für mich ansehnliche Geschenke.

An einen Beitrag der "Gartenlaube" kann ich mich noch sehr gut erinnern. Er behandelte ernsthaft die Möglichkeit der Kernspaltung der Atome. Damals glaubte man, den Stein der Weisen gefunden zu haben, mit dem man - ein uralter Traum der Alchimisten - jede Menge Gold herstellen könnte. Weil ich in der Schule gelernt hatte, daß das Wort Atom das Unteilbare heißt, hielt ich diese Vorstellung für ein nicht realisierbares Wunschdenken. Deshalb fragte ich meinen Bruder Johannes, damals ein eifriger Besucher der Lübener Penne, und erhielt die Antwort, dies sei jetzt schon theoretisch denkbar, und eines Tages wären die Forscher sicher soweit. Damit war mein Interesse geweckt.

Als Herr Kantor Schröther in einer Feierstunde in der Gaststätte Urban in Altstadt verabschiedet wurde, habe ich zum ersten Male einen Dirigenten vom Schlag eines Furtwänglers erlebt. Für mich war es ein Erlebnis, wie ein Mensch - es war Oberlehrer Zingel - ohne körperlich schwere Arbeit leisten zu müssen, tatsächlich Schwerstarbeit leistete und dabei ins Schwitzen geriet.

Volksschule Lüben mit Rektor Riedel 1935

Nach dem Wechsel in die Volksschule Lüben, mit Rektor Kurt Riedel, Schuljahr 1935
Vorn ganz rechts Arnold Weidner. Wer kennt weitere Namen zum Bild?

Die Volksschule in Lüben

Es waren zwei Schulgebäude und zwischen ihnen der Pausenhof für die Jungen, der Platz für die Mädchen lag etwas tiefer und grenzte an die Schulpromenade. Die Schule war dreizügig und siebenstufig. Wer nicht sitzengeblieben war, der ging zwei Jahre in die erste Klasse. Mein erster Lehrer war der Lehrer Hugo Hecht (* 1880). Er hatte einige Schwierigkeiten, die Klasse im Zaum zu halten.

Mein nächster Lehrer war der Lehrer Arthur Kienast (1876-1935). Er versuchte, in uns Verständnis für gute Musik zu wecken. Da die Schule kein Musikzimmer hatte und auch kein Klavier, hatten wir einige Gesangstunden im Musiksaal des Realgymnasiums. Dort übten wir "Die Himmel rühmen" und "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen". Es war für mich das erste Mal, so eine Musik kennen zu lernen. Die Noten waren auf einer metergroßen Karte gut zu lesen. Ich bin noch heute überzeugt, die meisten Schüler waren davon sehr angetan, denn es gab überhaupt keine Störungen. Außerdem hängte er im Klassenzimmer gute Bilder, in Klarsichtfolie verpackt, von einem Kalender auf, die er in Abständen auswechselte. Die alten Bilder verschenkte er an die Schüler. Leider starb er mitten im Schuljahr.

Herr Lehrer Hermann Zerna (* 1882) hatte, gemessen an der Lautstärke seiner Stimme, wohl den meisten Ärger mit seinen Schülern. Bei Herrn Gustav Klaß (1877-1956) lernten wir im Fach Naturlehre. "Naturkunde ist die Kunde von der Natur. Naturlehre ist die Lehre von der Natur!" Damit sollte der Unterschied von Chemie (Naturlehre!) und Biologie (Naturkunde!) ein für alle Mal klargestellt sein! Er bemühte sich um eine dem Unterrichtsfach angemessene Wortwahl. Er bat nicht, "macht wegen des Lärms auf dem Schulhof das Fenster zu!", sondern "damit die Schallwellen nicht ungehindert hereinkönnen, schließt alle Fenster!". Er trug immer, wie es sich für einen Chemiker gehört, einen weißen Kittel. Der Spaßvogel in der Klasse, Hubert Menzel, Enkelsohn des pensionierten Oberförsters Menzel, warf in die Taschen des weißen Kittels kleine Steinchen, wenn der gute Klaß an seinem Platz bei ihm vorbeikam. Alle Schüler lachten, nur der Hubert nicht. Um diese Fähigkeit hat ihn so mancher beneidet.

Weitere Lehrer waren die beiden Schulz, der dicke und der dünne Schulz, der Lehrer Schmolke, der in den Ferien während einer Radfahrt am Straßenrand tot gefunden wurde. Fräulein Müller, Frau Stahlbock, und die gefürchtete Frau Heinrich, ihre Körpergröße allein flößte schon Respekt ein.

Bis zum Jahr 1934 leitete Rektor Dressler die Schule, ein gar gestrenger Herr. Am Sonnabend mußten wir die Evangeliumsstelle, am Montag die Epistel vom Sonntag auswendig aufsagen können. Wer das nicht konnte, bekam mit dem Bambusstab schmerzhaft auf die Hände. Alle Schüler, da bin ich mir sicher, waren erleichtert, als er mitten im Schuljahr in den Ruhestand versetzt wurde.

Rund um die Kirche in Altstadt

Auf einem in grauer Vorzeit errichteten Hügel, vermutlich durch immer neu aufgeworfene und später eingefallene Schutzwälle entstanden, wurde vor gut 400 Jahren die heutige Fachwerkkirche erbaut. Sie hat einen Glockenturm, in dem früher zwei unterschiedlich große Glocken hingen. Die Glocken wurden an den Sonntagen und bei Beerdigungen von Schülern aus Altstadt geläutet, und dazu wurden immer vier Schüler gebraucht, obwohl es nur zwei Glocken gab. Am Schluß des Gottesdienstes mußte bei jeder Bitte des "Vaterunser" die große Glocke einmal angeschlagen werden. Damit das auch zur rechten Zeit geschehen konnte, wurde von den Schülern vom Glockenturm bis in den Kirchenraum eine Kette auf Sicht gebildet und der Schüler am Glockenseil wurde durch Handzeichen verständigt. Heute wissen nur sehr wenige Leute, warum man sich diese Mühe gemacht hat. So manch ein Zeitgenosse wird vermuten, das sei ein Signal gewesen, damit die Frauen in der Küche das Sonntagsessen rechtzeitig tischfertig machen können. Gewiß wird manche Frau, sei es die Bauersfrau oder eine Hausangestellte, das Geläut in diesem Sinne begrüßt haben, gemeint war es ganz anders.

Der Kirchenbesuch war so selbst verständlich, er gehörte einfach zum Sonntag. Es fehlte an gesunden Menschen nur, wer unabkömmlich war, weil er eine auch am Sonntag zur Kirchzeit notwendige Arbeit zu verrichten hatte. Dazu gehörte die Versorgung der Kranken und Kleinkinder und der Haustiere. Diesen Menschen sollte durch das Geläut die Möglichkeit gegeben werden, auch zu Hause am Gebet des Vaterunser zeitgleich teilzunehmen. Das Läuten am Feierabend, das Ave-Läuten und das Ausläuten eines Verstorbenen war eine Einladung zu einem kurzen Gebet, gleich wo man sich gerade aufhielt. Das war die Situation vor dem ersten Weltkriege, wenigsten auf den Dörfern. In der Folgezeit ließ der Kirchenbesuch stetig nach, er gehörte nicht mehr zum guten Ton. In Altstadt waren an manchen Sonntagen weniger als zehn Menschen in der Kirche.

Das Kriegerdenkmal

Für die Kinder war der Kirchberg der ideale Platz, mit Rodelschlitten im Wettstreit mit den anderen Kindern und mit wachsender Begeisterung manchmal bis in die Dunkelheit unablässig den Hang hinabzufahren. Es gab die große und die kleine "Bahn", das Gewühl war groß und der Lärmpegel entsprechend hoch. Auch einige Kinder aus Lüben waren zu sehen, aber die fielen in der Menge nicht auf. Sie wurden aber von uns Kindern aus Altstadt dringend gebraucht als Sündenböcke, die Verursacher von Fußspuren im verbotenen Bereich rings um das Kriegerdenkmal. Vier unbehauene Feldsteine im Geviert und im Abstand eines Meters markierten das nach Kantors Schröthers Ansicht zum Kriegerdenkmal gehörende Land, das aus Ehrfurcht vor den Toten nicht betreten werden durfte. Sobald Fußspuren zu sehen waren, begann in der Schule ein hochnotpeinliches Verhör: "Wer war das? Sind Zeugen da?" Geständnisse, Indizienbeweise wurden gesammelt. Da Legislative und Exekutive in einer Hand, nämlich in der strengen unseres Kantors lagen, wurde viel Zeit gespart, weil er auch die letzte Instanz war. Polizei, Untersuchungsrichter und Richter, alles in einer Person!

Altstädter Kirche mit dem Kriegerdenkmal davor

Altstädter Kirche mit dem Kriegerdenkmal davor

Küster und Totengräber war ein Altstädter Original, der Langner-Wilhelm. Von kräftiger Statur und mit Glatze, wurde er von den Dorfrüpeln gehänselt, von den Erwachsenen nicht für voll genommen. Er war immer freundlich und gutmütig. Wenn der große Dreschsatz im Dorf war, wurde er immer geholt, denn kräftige Männer wurden dort gebraucht. Damals wurden die großen Dreschmaschinen noch mit einer großen Dampfmaschine angetrieben. Da mußten genügend Kohlen und Wasser bereitgestellt werden. Das Wasser mußte von einer Person herangebracht werden. Als ich das einmal tun mußte, habe ich mir eine ausgewachsene Erkältung zugezogen.

Außer zum Gottesdienst am Sonntag mußten auch Hochzeiten und Beerdigungen geläutet werden. Einige Zeitlang habe ich im Kirchturm die Glocken in Bewegung gesetzt. Eine Hochzeit war bei mir nicht dabei, aber eine Beerdigung, und die war für mich in mehrfacher Hinsicht beeindruckend.
Altstädter Kirche, Zeichnung von Arnold Weidner

Zwei Zeichnungen des gleichen Motivs von Arnold Weidner

Denn da wurde der Freiherr von Willisen zu Grabe getragen. Dieser entstammte einem uralten Adelsgeschlecht, das sogar reichsunmittelbar und nur dem obersten Landesherrn untertan war. Darauf war er sehr stolz. Er legte auch großen Wert auf die besondere Qualität seines Majorspatents, denn er war ein Major von Kaisers Gnaden. Da war der Herr Major Schneider, ein Gutsbesitzer aus Altstadt, nach seiner Auffassung nicht so gut dran, denn dieser war ja nur ein Major von Eberts Gnaden.

Wenn wir noch andere Glocken hören wollten, sind wir den Feldweg in Richtung Sperlingsmühle gegangen. Von dort hatten wir einen schönen Blick auf die ganze Stadt. Wenn die Sonne richtig stand, konnte ich die Uhrzeit von der Turmuhr der Evangelischen Kirche ablesen. Bei guter Fernsicht war sogar die Schneekoppe zu sehen. Die Gebäude, Wetterstation und Baude, hoben sich in Umrissen vom Horizont deutlich ab.

Altstädter Kirche, Zeichnung von Arnold Weidner

Noch im Juni-Juli konnte ich den Schnee in den Schneegruben weit unterhalb des Gipfels erkennen. So eine gute Fernsicht war ein sicheres Regenzeichen. Zurück zu den Glocken. Zu hören waren die Glocken von Altstadt, von der evangelischen und katholischen Kirche in Lüben und von der Kirche der Heil- und Pflegeanstalt Lüben. Bei günstigem Wind waren sogar die Glocken der Oberauer Kirche zu hören. Damals war noch das Abendläuten üblich und wenn wir vom Oberauer Feld nach Hause fuhren, haben wir schon mal alle oder fast alle Glocken gehört.

Der Exerzierplatz

Für alle Lübener, wohl auch für alle Bewohner des Kreises Lüben, stand es fest: alle Soldaten in Lüben waren Dragoner und jeder war auch stolz auf sie. Innerhalb der Truppengattungen waren die Dragoner oft das Ziel mitleidigen Spottes: "Halb Mensch, halb Vieh, aufs Pferd gesetzte Infanterie!"

Die Lübener hat es auch nicht bekümmert, daß es seit 1919 gar nicht mehr ihre Dragoner waren, die in den Kasernen ihren Dienst taten. Und als die Reiter Ende 1934 mit dem Großen Zapfenstreich auf dem illuminierten Ring in Lüben eindrucksvollen Abschied nahmen, war erst jetzt für viele Menschen die Zeit der Dragoner zu Ende. Dabei waren es nicht Soldaten des Dragonerregiments von Bredow, sondern deren Nachfolger, die 4. Eskadron des 7. Preußischen Reiterregiments, die damals mit Musik und Fackelschein feierlich Abschied genommen hatten.

Auf dem großen Exerzierplatz fanden mehrmals Flugtage statt. Da gab es Segelflug-zeuge, die legendäre Tante Ju, den waghalsigen Sturzflug des Fliegers Ernst Udet, die Flugkunst der Segelfliegerin Lola Schröter und andere Darbietungen zu sehen.

Später wurden ein Übungsplatz für das Militär, Unterkünfte für die Mannschaften und eine Flugzeughalle geschaffen. Mehrmals haben es Flugschüler geschafft, ein zweimotoriges Flugzeug in einem Getreidefeld zu landen. Von dem Feld meines Vaters in der Oberauer Gemarkung konnten wir den Flugbetrieb auf dem ehemaligen großen "Exer" gut beobachten.

Großflugtag Lüben/Niederschlesien 30.6.1935

Großflugtag am 30.6.1935
in Lüben/Niederschlesien



Die Felder und Wiesen des Hofes Altstadt Nr. 34

1. Das Oberauer Feld

Das Feld in der Oberauer Gemarkung war am weitesten von dem Hof in Altstadt entfernt. Der Weg dorthin war ein Feldweg und sehr hügelig und beschwerlich. Der Transport der Ernte, von Getreide und Kartoffeln, war zeitraubend und mühevoll. Weil der Boden sandig war, konnten weder Zuckerrüben noch Weizen oder Gemüse angebaut werden. Serradella und Mais wurden dort noch neben Roggen und Hafer angebaut. Die etwas abgelegenen Felder waren ein ideales Gelände für Felddiebstähle. So mancher Sack Kartoffeln oder Getreide ist dort entwendet worden. So machte sich auch mein Vater eines Tages auf den Weg ins Oberauer Feld und steckte sich zu seiner Sicherheit einen Revolver ein. Aber er hat keinen Menschen bei einem Felddiebstahl überrascht und auch keine Gelegenheit gehabt, sich als Nahkämpfer zu bewähren.

Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner

Die Hofkarte erfasste seit 1941
Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner

alle statistisch relevanten Angaben.

Eine Waffe im Haus - das war mir ganz neu und ich suchte eine Gelegenheit, mir diese Taschenkanone einmal näher anzusehen. Es war keine große Suchaktion nötig und ich hatte nicht nur den Revolver, sondern auch die Munition dazu in den Händen. Vorher hatte mir mein Vater seine Schießkunst vorgeführt und dabei einen 90 cm dicken Maulbeerbaum aus etwa fünf Meter Entfernung nicht getroffen. Recht bald hatte ich die Erklärung dafür gefunden. Dieses Schießeisen war überhaupt nicht gepflegt und deshalb ging der Abzug zu schwer, um überhaupt treffen zu können. So habe ich diesen damals für mich so interessanten Gegenstand gereinigt und geölt und mit meinem jüngeren Bruder Gerhard ein Übungsschießen vereinbart. Wir haben 20 cm dicke Pflaumenbäume, sie standen an der Pflaumenallee, getroffen! So haben wir nach und nach die vorhandene Munition verschossen. Mein Vater hat das mit Gelassenheit zur Kenntnis genommen.

Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 4 Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 5

2. Die Wiesen und Äcker am Kleinkrichener Weg

An der Straße nach Oberau bog etwa 100 Meter nach dem Ortseingang von Altstadt ein Feldweg ab, der nach Kleinkrichen führte. Kurz bevor dieser Weg die Gleise der Kleinbahnstrecke nach Kotzenau querte, hatte mein Vater einige Morgen Land und Wiese. Der Boden war bedeutend besser als in der Oberauer Gemarkung. Hier wuchsen auch Weizen und Zuckerrüben. Die Wiesen hatten eine Besonderheit: Hier gediehen wie auf jeder Wiese in unserer Gegend jede Menge Champignons. Auf diesem Acker habe ich 1932 oder 1933 bei glühender Sonne jede junge Rübenpflanze nach Raupen absuchen müssen. Überfallartig war diese Raupenplage gekommen und schon manche Pflanze war den gefräßigen Tieren zum Opfer gefallen. Weil der Boden durch die große Trockenheit sehr hart war, haben wir mit einem Eßlöffel nach den Raupen gegraben. Bei dieser Rettungsaktion war die ganze Familie beteiligt. Die grünen Raupen konnte man leicht erkennen, aber die grau gefärbten mußten mit Mühe gesucht werden. Jahre später trat der Rübenglanzkäfer auf. Damals mußten auf jedem Rübenfeld sogenannte Fangstreifen angesät werden. Die mußten dann an einem festgesetzten Tag in aller Frühe, wenn die Käfer durch die Morgenkälte noch flugunfähig waren, umgepflügt werden. Dann erst konnte die eigentliche Saat eingebracht werden.

Durch die Gleise der Kleinbahn wurde so manches Feld zerteilt. Zum Dominium gehörte so ein Feld am Kleinkrichener Weg. Auf einem kleinen Zipfel hat der Pächter des Dominiums, Herr Laux, dem die Jagd gehörte, für das Wild immer Topinambur angebaut, eine Knollenfrucht wie die Kartoffel, aber mit sehr hohem Kraut.

Nach den Zuchterfolgen mit der Süßlupine, eigentlich bitterstofffrei, wollte man die Sojabohne in Europa heimisch machen. Herr Laux hatte auch auf einem kleinen Stück Land versuchsweise einige Quadratmeter mit Sojabohnen bepflanzt. Aber die Pflanzen waren mehr als kümmerlich.

Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 6 Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 7

4. Die Äcker und der Obstgarten nahe dem Hof

Rechts und links vom Dorfausgang lagen die restlichen Felder, die zum Hof meiner Eltern gehörten. Weil sie so nahe am Gehöft waren, wurden nur dort die Gurken angebaut - woanders wäre es zu zeitraubend gewesen. An der anderen Straßenseite lag der Obstgarten, der gleichzeitig der Trockenplatz für die Wäsche war. Einige Meter neben dem Haus stand der große Birnbaum mit den lagerfähigen und wohlschmeckenden Pastorenbirnen. Direkt am Haus stand eine Schattenmorelle, deren Früchte der Onkel Reinhard so gerne kostete. An den Mauern von Scheune und Schuppen des Nachbarn Scholz standen die Johannisbeer- und Stachelbeersträucher. Außerdem waren Pfingstrosen, blaue und gelbe Schwertlilien und andere Blumen zu sehen. Am Zaun zur Straße wuchsen einige große Fliederbüsche, die herrlich dufteten. Neben dem Schuppen standen zwei Kirschbäume. Nach dem extrem kalten Winter 1928/29 gingen sie aber nach und nach ein, ebenso wie der Nußbaum hinter dem Schuppen.

20-30 Meter hinter der Scheune wurde auf Drängen meiner Mutter ein Gemüsegarten eingerichtet, in dem Erdbeeren und Gemüse wuchsen. Meine Mutter hätte gern auch ein Spargelbeet gehabt, aber dieser Traum ging nicht in Erfüllung. Auch ein viel besprochener Anbau für den Backofen, den Kartoffeldämpfer und den Waschkessel wurde nie Wirklichkeit. Diese drei Ungetüme verunzierten nach Ansicht meiner Mutter den Hausflur und die Küche. Aber der Knackpunkt war, wo sollte der Anbau hin? Außerdem mußte ein dritter Schornstein her, und der war das Teuerste von der ganzen Sache.

3. Die Wiesen an der Kleinbahn

Wenn wir zu den Wiesen nahe dem Schuppen der Kleinbahn wollten, mußten wir durch das ganze Dorf am Friese-Gut vorbei marschieren. Auch dort wuchsen die von mir so begehrten Pilze. Meist sind wir über die Wiesen hinter dem Dorf dorthin und auch wieder nach Hause gelaufen. Da hatte man die Gelegenheit, so ganz nebenbei einige Pilze zu sammeln.

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Kunterbuntes von Stall, Hof und Haus

Rechtwinklig zur Scheune waren die Ställe angebaut. An den Mauern und am Gebälk konnte man deutlich erkennen, daß Futterkammer, Pferdestall und Schweinstall in zwei Etappen nachträglich angebaut worden waren. Die Mauern wurden immer dünner und im Heuboden kam man mit immer weniger Balken aus. Weil die beiden älteren Teile, der Kuhstall und die Futterkammer, gewölbte Decken hatten und die Mauern an einer Stelle etwas nachgegeben hatten, waren sie durch zwei Anker gesichert. Im Kuhstall standen rechts mit den Köpfen zum Giebel fünf Kühe, links davon an der hinteren Wand zwei Kälber und ein Mastochse. Hinter einer niedrigen Mauer links von der Tür waren zwei Boxen, in denen Saugkälber oder Schweine untergebracht wurden. In der Futterkammer, die früher mal ein Stall gewesen sein muß (denn die Krippe war noch vorhanden) standen einige Holzkästen für den Sojaschrot für die Milchkühe und den Hafer für die Pferde. Im Sommer wurde das Grünfutter für das Rindvieh kühl ausgebreitet, besonders für den Stoppelklee war das dringend notwendig, denn welker Stoppelklee ist für die Tiere lebensgefährlich. Im Winter wurden Kartoffeln und Runkelrüben und einige Pferdemöhren eingelagert. Wenn im Januar/Februar die Rüben aufgebraucht waren, wurde die Schnitzelgrube geöffnet und etwa eine Wochenration in die Futterkammer getragen. Dieses Futter mußte wie der Stoppelklee sorgfältig mit Spreu oder Häcksel vermischt werden, weil es zu wenig Ballaststoffe enthält.

Der sich anschließende Pferdestall war klein und durch die steile Treppe zum Heuboden war der Eingang etwas eng. Unter der Treppe hatten die Gänse ihren Schlafplatz. Der Schweinestall hatte drei Boxen, oder wie wir in Schlesien sagten, drei Buchten. Die Vorderwände waren senkrecht drehbar und gaben diese, wenn sie hinter den Krippen (vom Gang aus gesehen) mit Hilfe eines Riegels arretiert waren, frei zum Hineinschütten des Futters. Vor den Krippen festgestellt, konnten die Schweine an das Futter heran. Bis nach 1920 befand sich am Ende des schmalen Ganges das Klosett. Seitlich von diesem Stall war noch ein kleiner Stall angebaut.

Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 10 Hofkarte Altstadt Nr. 34 - Gustav Weidner, S. 11

In einer der Buchten im Schweinestall war oft eine Sau mit den Ferkeln zu sehen. Waren sie etwa 10 kg schwer, stand im Lübener Stadtblatt: Ferkel verkauft Weidner Altstadt. Natürlich wurde da immer etwas gefeilscht, aber es hielt sich immer in Grenzen. Aber einmal kamen zwei junge Burschen und dichteten den Ferkeln einige Krankheiten wie Pechräude und Schweinepest an. Einmal wollten sie beim Verkauf eines Mastschweines das Gewicht verringern, indem sie versuchten, mit der Schuhspitze die Waage anzuheben. Dieser ziemlich plumpe Versuch fiel auf und das Geschäft platzte, obwohl sie dann einen sehr guten Preis boten. Mit der Bemerkung "mit Betrügern mache ich keine Geschäfte" wurden sie vom Hof gewiesen. Als wir uns von unserem treuen Zugpferd, dem Wallach Hans, schweren Herzens trennen mußten - ihn verließen wegen seines hohen Alters die Kräfte - kamen plötzlich einige Pferdehändler auf den Hof und wollten jedesmal ein ganz bestimmtes Pferd verkaufen. Das Pferd eines Händlers war nicht dazu zu bringen, einen Pflug auf dem Acker zu ziehen.

Ein anderer Menschenfreund versuchte, von seinen Pferden den schlechtesten Gaul an meinen Vater zu verhökern. Das nächste angebotene Pferd war gut in Schuß, der Preis war auffallend niedrig, es war uns allen klar, das Tier hatte einen verborgenen Fehler. Die Frau Viereck entdeckte ihn, ein Huf des Pferdes war gespalten. Schließlich kaufte mein Vater den Max von einem Bauern aus Großkrichen. Vorsicht war bei ihm geboten, er schlug aus, war futterneidisch, wenn der Hafer in der Krippe war, konnte man nicht einmal etwas dazu gebe. Aber er strengte sich vor dem Pflug oder Wagen wirklich an.

Schweinschlachten, ein Fest mit viel Arbeit

Jedes Jahr im Dezember waren bei den Bauern die Hausschlachtungen fällig. Zuerst mußten meine Eltern wissen, wann der Schlachter zu uns kommen kann. Lag dieser Termin fest, konnte der Tierarzt zur Trichinenuntersuchung bestellt werden. Frühzeitig mußte heißes Wasser zum Abbrühen des Schweines parat sein, das aufgefangen Blut mußte umgerührt werden, die Schlachtleiter wurde mit dem daran befestigten Schwein schräg an die Stallwand gelehnt.

Nun konnte das mit dem Kopf nach unten hängende Schwein geschlachtet werden. Zum Reinigen der Därme wurde wieder heißes Wasser gebraucht, das Feuer unter dem Wasserkessel mußte ständig mit großer Flamme brennen. Nach bewährten Rezepten wurden nacheinander die Wurstfüllseln für die Leber-und Blut- Wellwürste auf dem Küchentisch zubereitet, sie enthielten auch Weißbrot und waren für den baldigen Verbrauch bestimmt. Dann wurde die gute Leber- und Blutwurst zubereitet und in die Därme und Einweckgläser, später in Büchsen gefüllt. Diese Würste wurden zusammen mit dem Speck geräuchert und waren, was wir damals noch nicht wußten, eine Delikatesse. Aber schon damals war besonders die Leberwurst ein nicht alltäglicher Brotaufstrich.

Der Flomen, das war das Fett an den Därmen, wurde gebraten. Eine Menge Einweckgläser, in Schlesien Krausen genannt, wurden ebenfalls mit gebratenem Fleisch gefüllt. Weil dies einfacher war, wurde das Fleisch später in Dosen gefüllt. Alle Dosen wurden im großen Kessel abgekocht. Nun war nur noch die sehr schmackhafte Wurstbrühe, die in und außerhalb der Familie begehrt war. Für unsere Mutter gab es noch manche Arbeit in den nächsten Tagen.

Nur eine, aber für meine Eltern peinliche Panne trübte die Freude bei einem Schweinschlachten. Müllers waren eingeladen, die Wurst war fertig, die Arbeit getan und das Wellfleisch stand parat. Nur hatten wir noch keinen Bescheid darüber, ob im Fleisch Trichinen waren oder nicht, und unsere Gäste trauten sich nicht zu essen. Aber der furchtlose Arnold von den Weidners ließ es sich gut schmecken.

Die Brot-und Kuchenbäckerei

Weil ein großer eiserner Backofen vorhanden war, konnte meine Mutter Brot und Kuchen selbst backen. Dazu mußte mein Vater den Backofen mit Holz tüchtig einheizen. Zuerst wurde das Brot gebacken und anschließend die Kuchen. Zum Weihnachtsfest wurden besonders viele Kuchen gebacken. Es gab Streusel-, Mohn-, Butter- und Quarkkuchen und einige Mohnsemmeln. Die Kuchen wurden im Gewölbe aufbewahrt und im Winter war es dort recht kalt. Mein Bruder Konrad und ich hatten einen solchen Appetit auf Kuchen, wir wollte aber niemanden etwas wegessen, also haben wir uns die Randstreifen abgeschnitten, die wurden erst, wenn alle Kuchen verzehrt waren, gegessen, das war Brauch in Altstadt 34. Nur hat sich der Konrad am kalten Kuchen den Magen erkältet. So wurde unsere Tat sehr schnell offenbar.

Erinnerungen an die Zeit der Wirtschaftskrise

In Lüben auf der Volksschule gab es Kinder, denen konnten die Eltern weder ein Frühstück noch Pausenbrot geben. Die Kinder waren auf Freitische bei fremden Leuten angewiesen. Um junge Männer von der Straße zu holen, wurde der Freiwillige Arbeitsdienst gegründet, es gab viele örtliche und regionale Versuche, Not zu lindern. Sie alle vermochten nicht dem Grundübel, der Arbeitslosigkeit, gegenzusteuern. Die Regierungen wechselten immer öfter, die Parteien, die am meisten versprachen, erhielten immer mehr Zulauf und das waren die radikalen Gruppen, die Kommunisten und die Nationalsozialisten. Prügeleien auf offener Straße, in Wirtshäusern und Versammlungsräumen wurden immer mehr zur Tagesordnung. Die verschreckten Bürger machten bei wüsten Umzügen ihre Fensterläden zu, Geschäftsleute bezogen, um sich sicher zu fühlen, heimlich die Kampfschriften beider Kontrahenten. Das Land erlebte eine nie da gewesene und menschenverachtende Polarisierung in allen Bereichen des Lebens.

Das Leben vor der Wegwerfgesellschaft

Damals, Anfang der dreißiger Jahre in der Krisenzeit, mußten sehr viele Menschen mit sehr wenig Geld auskommen. Da wurde fast nichts weggeworfen, und fast alles wurde repariert oder wieder brauchbar gemacht. Da kam ein Scherenschleifer vor die Haustür, Regenschirme und Kartoffelkörbe wurden repariert. Da gab es Flickschuster und in den Geschäften wurde viel an Ersatzteilen für Geräte angeboten, die Wegwerfgesellschaft war noch nicht erfunden. In den Haushalten wurde fleißig gestopft, ausgebessert, genäht und gestrickt.

Neben Vertretern, die mühselig Klinken putzen mußten und meist abgewiesen wurden, gab es andere, die einen festen Kundenstamm hatten und manchmal erwartet wurden. Die Bauern mußten jedes Frühjahr Zucker- und Runkelrübensamen und Samen für Karotten, Gurken, Weiß- und Rotkohl und andere Sämereien kaufen. Dafür hatte die Firma Titus Hermann aus Liegnitz fast eine Monopolstellung. Ihre Vertreter kamen sogar mit dem Auto vorgefahren. Weit weniger nobel kam der Benedix-Willi mit seinem Fahrrad daher, er nahm seine Arbeit nicht sehr ernst. Er reiste für die Firma Mineralölwerk in Stade die, auch alle erdenklichen Öle und Fette für die Landwirtschaft herstellte. Er war ein Bruder Lustig, erzählte gern und hatte meist viel Zeit.

Das Nordlichtjahr mit vielen Gewittern

Das Jahr 1938 war ein ereignisreiches Jahr mit sehr vielen Gewittern und vielen Feuern durch Blitzschlag, ein besonders fruchtbares Jahr und mit einem großen Nordlicht, das bis nach Griechenland zu sehen war und zwei kleineren, die ich durch Zufall gesehen habe. Bei einem Gewitter hat es in dem kleinen Altstadt dreimal eingeschlagen. Ein Transformatorenhäuschen wurde beschädigt, die Giebelwand der Scheune vom Bauern Lange wurde auch beschädigt, und bei unseren Nachbarn Scholz brannte die Scheune ab. Mein Bruder Martin und ich waren gerade in der Futterkammer, als der Blitz in die Scheune einschlug. Weil der Schlag so hart und nahe klang, sind wir beide in das Wohnhaus gerannt und sofort wieder auf den Hof. Da sah ich, wie schon der Rauch durch die Hohlziegeln in dem Scheunengiebel quoll. Der Blitz hatte die Balken der Scheune in Brand gesetzt, einige alte Maschinen und ein Pferdewagen hatten noch kein Feuer gefangen. Zwei mit Draht gepreßte Strohballen glimmten bloß. Es brannten die Deckenbalken der Scheune und nach kurzer Zeit fielen die ersten Dachziegeln herunter. Die Benachrichtigung der freiwilligen Feuerwehr war kurz vorher geändert worden. Sie sollten nicht mehr durch eine Sirene, sondern durchs Telefon alarmiert werden. Leider war auch das Telefonnetz durch einen Blitz gestört, und so kam die Feuerwehr mit Verspätung an. Aber auch bei rechtzeitigem Erscheinen wäre die Scheune nicht zu retten gewesen, es konnte nur das Übergreifen des Feuers auf das Wohnhaus verhindert werden. Schon nach wenigen Minuten war die Straße voll von neugierigen Menschen aus Lüben.

Mein Vater oder mein ältester Bruder Martin machten jeden Tag am späten Abend einen Rundgang durch die Ställe, ob alles in Ordnung sei. An einem Abend kam der Martin etwas irritiert wieder herein und sagte, draußen sei etwas, er hielte das da draußen für ein Nordlicht. Wir haben die Nachbarn alarmiert, in Kürze war eine Menge Leute da und bewunderte das großartige Naturschauspiel, Es gab an diesem Abend viele Leute, die in dem ungewöhnlichen großen Nordlicht ein unheilvolles Omen ja ein Zeichen für einen großen Krieg sahen.

Zum Schluß noch eine lustige Episode. Der Polizist Herr Walter war ein freundlicher und zu Scherzen aufgelegter Mann. Eines Abends spielten einige Bauern bei Urban in der Gastwirtschaft Karten. Da kam Herr Walter herein setzte sich die Dienstmütze und eine amtliche Miene auf und erklärte den überraschten Spielern, das sei ein verbotenes Glücksspiel und er müsse das Geld auf dem Tisch beschlagnahmen. Vor Schreck machte der Bauer Eduard Schwarz eine Flanke über den Tisch, um das Geld vor dem Fiskus zu retten. Dies hat Herr Walter einmal meinem Vater erzählt und sich über seinen gelungenen Scherz köstlich amüsiert.