Die Herrentische in der Lübener Heide
Kreis Lüben














Die Herrentische
Die Herrentische war ein Ausflugsort in der Großen Lübener Heide. Wie Sie den Weg dorthin finden, wird in den folgenden Erinnerungen von Willy Gottschling beschrieben. Von Lüben aus ging es in Richtung Polkwitz, an der Oberförsterei vorbei, dann in Richtung Pilgramsdorf, vor der Stadtziegelei wandte man sich dem Hochwald zu und dort unter den Bäumen befanden sich die Herrentische...

In der Zeit um die Jahrhundertwende waren die "Herrentische" in der "Großen Heide" ein sehr beliebter Ausflugsort. Im allgemeinen besuchte der Lübener Bürger in dieser Zeit an den Sonntagnachmittagen die Gartenlokale in Lüben selbst wie Schießhaus, Löwen-Garten, Schillers Etablissement (später Reichsadler), Kavalierberg (richtig: der Kalvarienberg, aber dieses unverständliche Wort hatten die Lübener zum Kavalierberg abgewandelt!), Oberförsterei oder die in den nächstgelegenen Dörfern Altstadt, Mallmitz, Muckendorf usw., wo die Geschäfte auch am Sonntag bis 14 Uhr geöffnet waren. Der Ausflug in die Herrentische bedeutete daher schon einen Großausflug, zumal in jener Zeit auch noch die schnellen Beförderungsmittel wie Auto usw. fehlten.

Der Weg zu den Herrentischen führte die Polkwitzer Chaussee entlang, vorbei an Schillers Gartenetablissement (zuletzt Grundstück Raschke), Rasenbank, die Oberförsterei rechts liegenlassend bis zu dem rechts abgehenden sogenannten "Pflasterweg", der zur Stadtziegelei führte. Folgte man diesem Wege, der das fürchterlichste Kopfsteinpflaster hatte, das ich je kennenlernte, etwa 1 km, dann bog man links ab in den Hochwald und kam bald auf einen lichten Platz. Hier standen im rechten Winkel zwei lange Kolonnaden mit rohen Tischen und Bänken, außerdem waren ein massiver Keller zur Kühlhaltung von Speisen und Getränken und ein gemauerter offener Herd zum Kaffeekochen vorhanden. In der Mitte des Platzes stand ein großer Tisch, dessen Platte ein alter Mühlstein war.

Einzelne Vereine hielten an den Herrentischen gern ihre Sommervergnügen ab. Für die Fahrt benutzte man Kremser, Droschken und vor allem mit Grün geschmückte Ernteleiterwagen, die man für diesen Zweck mit Sitzbrettern, aber ohne Polster, versehen hatte. Die Jugend marschierte zu Fuß. Speisen und Getränke mußten natürlich mitgenommen werden. An Ort und Stelle angekommen, entwickelte sich dann immer ein reges Leben und Treiben. Besonders wurden für die Jugend Spiele veranstaltet.

Ich war als Kind einmal - etwa 1902 - mit Bekannten zu einem Ausflug mit an den Herrentischen. Dabei entsinne ich mich an folgende Begebenheit: Auf den vorerwähnten großen, runden Tisch wurde ein mächtiger Blaubeerkuchen gelegt, in dem ein Geldstück (es sollte ein Taler sein, war aber dann nur ein 50-Pfennig-Stück) eingebacken war. Die Kinder - es waren wohl zehn - mußten, ohne die Hände zu benutzen, den Kuchen aufessen. Da jedes Kind das Geldstück erwischen wollte, begann ein grausiges Gewühle, und wie dann die Gesichter und oft auch die Kleidung aussahen, kann man sich wohl vorstellen.

Weiter erinnere ich mich an einen sehr schönen Ausflug des Turnvereins - 1905 oder 1906 -, den ich als Angehöriger der Zöglingsturnriege erlebte. Bei den turnerischen Vorführungen war auch ich unter den Siegern.

Welche Rolle die Herrentische im Vereinsleben spielten, geht auch daraus hervor, daß mein damaliger Chef, der Kreiskassendirektor Anders, um 1906 das Theaterstück "Ein Ausflug des RGV in die Herrentische" für den Riesengebirgsverein schrieb. In diesem Stück mußte u. a. auch der damals schwerste Mann Lübens, Fleischermeister Carl Stasinowsky, auftreten, der angeblich den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt haben sollte. Das Theaterstück soll damals großen Beifall ausgelöst haben.

Und wenn wir Kinder in die Blaubeeren gingen, war es selbstverständlich, daß wir nach der Arbeit noch die Herrentische aufsuchten und dort unsere restlichen Brote verzehrten. In der "Kleinen Heide" gab es übrigens als Gegenstück zu den "Herrentischen" die "Damentische", die aber weniger bekannt waren.

Willy Gottschling, 1890-1977,
Vater des Friseurs Max Gottschling in der Breiten Straße, im Lübener Heimatblatt 11/1960

So ungefähr muss es ausgesehen haben...
Dr. Oswald Baer (1847-1937) beschreibt die Herrentische allerdings als Lauben, zu denen auch die Damen Zutritt hatten: "Der Stadtforst - er mochte damals etwa 4000 Morgen umfassen - machte den Bürgern aber auch Vergnügen. Von Pilze- und Beerensuchen und von manch fröhlicher Fahrt zu den Herrentischen, die damals in einem hohen Eichwald in der Nähe der Stadtziegelei lagen, könnte ich berichten. Man fuhr oder wanderte hinaus, brachte die Zutaten zum Picknick mit, die Damen entzündeten auf dem steinernen Kochherd das von den Herren gesammelte Reisicht, kochten Kaffee und Eier, und die ganze Gesellschaft trank und schmauste in den aus Naturholz zusammengefügten Lauben. Dann wurden Spiele gespielt, Lieder gesungen, vielleicht auch getanzt…"