Zur Stadtgeschichte und -entwicklung
Wochenmarkt auf dem Ring














Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943 Die schlesischen massiven Wehrbauten


Band 4. Fürstentum Liegnitz
Kreise Liegnitz, Goldberg, Lüben


Von Dr. phil. habil. Kurt Bimler
Breslau 1943, in Kommission: Heydebrand-Verlag
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 90 Stadt Lüben.

Eine breite Lindenstraße mit schlanken Laternenmasten führt vom Bahnhof in die
saubere Stadt, deren unterwegs zum Marktplatz weisendes Wahrzeichen der mit
hohem Schneidendach abschließende Stadtmauer- und Glockenturm der massigen
spätgotischen Kirche ist. Andere niedrigere, in ihrer heutigen Fassung eine gewisse
sorgfältige Behandlung verratende Mauertürme werden beim Rundgang sicht-
bar, auch ein sauber abgeputzter nicht allzu hoher Torturm an der Ausfall-
straße nach Glogau. Das Mittelalter als schaffende Zeit des Stadtaufbaus hat
in gewissen Grenzen sein Recht bis auf den sehr mißhandelten Burgbezirk in
dem jetzigen Rahmen des Ortes beibehalten, der als Neugründung der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts neben der älteren Gemeinde gleichen Namens 1319
jene als zu deutschem Recht bestehende Stadt zugewiesen erhielt.

Die Entwicklung der deutschen Stadt hat 1924 Pastor Konrad Klose in seiner Ortschronik
auch mit einigem Verständnis für die Befestigung veröffentlicht. Der besonders für das
Burggebiet schmerzliche Ausfall von älteren Stadtgrundrissen wurde durch Auffindung
eines Stadtmauerplanes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts durch tatkräftige Mitwirkung
von Stadtoberinspektor Wilhelm Seiffert gemildert. Der sorgsam betreuende Stadtbau-
meister und Freund der vergangenen Baukultur, Hans Keller, erwies sich auch meinen
Untersuchungen gegenüber als interessiert entgegenkommender Förderer.

Der Mangel an älteren Stadtansichten fällt schwer ins Gewicht. Vom selten versagenden
Architekturzeichner F. B. Werner haben wir nur einen Prospekt geerbt. Leider ist es
mir bisher nicht gelungen, die von Klose auf Seite 32 seiner Chronik erwähnte älteste
Stadtansicht von 1613, die zu seiner Zeit aus der früheren Begräbniskirche widerrecht-
lich in Privatbesitz kam und weithin auswärts mitgenommen wurde, aufzufinden.

Der Stadtgrundriß vor der Massivbefestigung.
Der Absteckung der deutschen Stadt abseits von einer schon vorhandenen
älteren Gemeinde auf dem sich nordostwärts erstreckenden Vorgelände der
landesherrlichen Burg gehört zum Gründungsakt, dessen Datum wir nicht
wissen, das wir aber ruhig in das erste oder zweite Jahrzehnt nach der Mon-
golenabwehr
setzen dürfen.
Die Symmetrie der ersten Stadtausdehnung war eine vollkommene. Vom recht-
eckigen Marktplatz aus schieben sich die Wohnblöcke je 70 m nach Nordwesten
und Südosten und je 80 m nach Nordosten und Südwesten. Im Nordwesten lag
das der Entstehung nach erste Glogauer Tor, die Durchfahrt durch den um-
schließenden Wall weiter südlich, im Zuge der Quergasse nördlich der Pfarr-
kirche. Der Streifen am Nordwestrand gehörte zum Raume der Stadt erst nach
deren Erweiterung infolge der Errichtung des massiven Beringes.
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 91


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Abb. 53. Ansicht der Stadt Lüben von F. B. Werner um 1750.
Links Turm und Kapelle der Burg.

Der für Friedhof und Kirche ausgesparte Block lag unmittelbar an der Nord-
westecke, vom Marktplatz durch eine Reihe von Blöcken getrennt und auf den
beiden Außenseiten vom Wall begrenzt. Ein Holzkirchlein gab den Gräbern
zunächst genügend Platz.

Die wichtigste Ausfallstraße, die nach Liegnitz, lag unmittelbar unter den Augen
des Burgherrn. Eine kreuzende Achse war anscheinend nur nach Osten in
Richtung auf Steinau entwickelt, der Abschnitt nach Westen, die heutige Bahn-
hofstraße, lief gegen die Stadtmauer und besaß im Gelände außerhalb keine
Fortsetzung. Demnach haben wir es mit einer Dreitoranlage zu tun, wenn auch
die Westdurchfahrt im Stadium der Massivbefestigung kassiert worden sein
kann.

Für die Bewässerung des Wallgrabens, der in üblicher Weise die Burg ab-
sonderte, sorgte der von drei Quellbächen gespeiste Kalte Bach, der heute
nur noch den Südosten der Altstadt berührt.

Die gerundet-elliptische Peripherie der Anlage entspricht dem Charakter der
Wallbefestigung. Auf der Südseite ist eine die Grenzlinie in ihrem normaler
Verlauf abbiegende Beeinträchtigung durch die Nachbarschaft der Burg aus der
abgebildeten Grundrißentwicklung ersichtlich. Der Altstadtkern ist in meiner
Rekonstruktion durch dessen Schraffierung verdeutlicht.

Die erste Erweiterung des ursprünglichen Stadtraumes fällt in den erneuten
Planungsvorgang unmittelbar vor dem Stadtmauerbau. So unerheblich auch
die Vergrößerung der Stadtgrundfläche war, denn sie umfaßt in der Hauptsache
den Streifen nördlich des Kirchplatzes und der Enden der beiden Glogauer
Straßen bis zur Stadtmauer, so ist sie doch beachtenswert. Deren Tiefe war
gleich der Entfernung des neuen Glogauer Tores vom ersten, d. h. also etwa
20 m. Sie ist wichtig und interessant, einmal als Zeichen der Entwicklung der
Stadt in ihrem frühesten Stadium, und zum anderen als Faktum und Teil-
erscheinung des damit verbundenen Herganges der Mauererstellung.

Eine zweite, allerdings noch geringere Stadterweiterung fällt in eine spätere
Epoche der Ortsgeschichte. Sie ist kaum merklich und enthüllt sich nur dem
Kenner des Wehrbaus. Sie diente in der Hauptsache der Vergrößerung des
Friedhofes, der durch den mächtig anschwellenden Raumkörper der Pfarrkirche
beengt ward, und der Bebauungsflächen für Pfarrhäuser und Schule. Erkennbar
ist sie durch die von ihrer eingeschlagenen Richtung nach auswärts in befesti-
gungstechnisch ungewohnter Weise abbiegenden Stadtmauerführung, die am
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 92 Größere Abbildung hier!

Abb. 54. Stadtmauerplan der Stadt Lüben a. d. Mitte des 19. Jahrhunderts.

Glockenturm einsetzt und östlich davon ungefähr an der Nordecke des dortigen
Wohnblocks in dessen anfänglichen Umfange aufhört. Die Standlinie der ersten
Mauer habe ich in meine Grundrißentwicklung aufgenommen. Die Abänderung
dürfte in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts fallen, als der Kirchenbau im
Endstadium der Planung rüstig vorwärtsschritt. Die für 1397 erstmalig über-
lieferte Nennung eines in der Nähe außerhalb der Stadtmauer angelegten Fried-
hofes berührt die vorgenommene Datierung der Erweiterung nicht.

Die Stadtmauer.
Obwohl sie in ihrer gesamten Ausdehnung aus Findlingen unter geringem
Bruchsteinzusatz erbaut ist, schrieb der Inventarisator Hans Lutsch, daß sie
"aus Ziegeln in Rohbau mittelalterlicher Verbindung besteht". Eine solche irre-
führende Behauptung kann auch die ernste Gefährdung einer Untersuchung der
Entstehungszeit wie auch der Frage der Datierung der örtlichen Ziegel-
verwendung im allgemeinen hervorrufen.

Von dem Mauerring sind heute meist in einer Höhe von 5 bis 6 m, also bis zum
Wehrgang, zusammenhängende Abschnitte zu beiden Seiten des Glockenturmes
und mit nordöstlicher Fortsetzung im Garten des Pastorenhauses zu sehen. Im
Osten an der auf dem ehemaligen Wallgraben angelegten Promenade entlang
präsentiert sie sich am leichtesten zugänglich mit drei Mauertürmen, von denen
der mittelste allerdings in letzter Zeit bis auf das Fundament abgetragen und
zu einem Freitreppenpodest gemacht worden ist. Im Südosten auf der Burg-
seite fehlt sie ganz, auch schon auf dem abgebildeten Stadtplane von 1850. Im
übrigen ist sie dort, wo sie nicht mehr vorhanden ist, in ihrer Standlinie durch
die Grundstücksgrenzen und mit Hilfe des eben erwähnten Stadtplanes be-
stimmbar.

Die Stärke der Mauer wird vom Chronisten Klose auf Seite 32 auf 4 bis 5 Fuß
angegeben. Die Berichte der Magistratsakten aus Prozessen des 19. Jahr-
hunderts überliefern ebenfalls 4 oder 5 Fuß. Die Schwankungen sind aus dem
verschieden fortgeschrittenen Verfall der Außenhaut erklärbar. Meine Messung
auf der Rückseite des Kirchenamtshauses ergab 1,45 bis 1,50 m, also 5 Fuß.
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 93

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Abb. 55. Grundrißentwicklung der Stadt Lüben.

Dort handelt es sich allerdings um das jüngere Mauerstück, das zwischen den
beiden aufgewiesenen Einknickungsstellen liegt.

Von ihrem Wehrgang ist kein Rest zu sehen, auch keine Spur einer etwa ein-
mal vorhandenen Verbreiterung. Ein noch 1864 stehender Abschnitt ihrer Brust-
wehr wurde auf das genehmigende, nicht überwältigende Kenntnisse im Wehr-
bau verratende Gutachten des damaligen preußischen Generalkonservators von
Quast abgebrochen. In einem vorangehenden Beschluß des Magistrates von 1848
wird von Zinnen gesprochen, die aus Ziegeln bestanden. F. B. Werners
Stadtprospekt scheint auch eine Brüstung mit Zinnen zu meinen. Die Möglich-
keit eines im 15. oder 16. Jahrhundert vorgenommenen Umbaus der Zinnen-

Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 94 Größere Abbildung hier!

Abb. 56. Ansicht von Lüben aus dem Jahre 1745.
Aus "Mitteilungen des Liegnitzer Geschichts- und Altertumsvereins"

lücken in Schießscharten wie in Breslau oder Namslau ist in Betracht zu ziehen,
so daß nach späterhin vorgenommener Entfernung der die Lücken zusetzenden
Steine tatsächlich nur Zinnen stehen geblieben sein können. Die abgebildete,
etwas unbeholfen gezeichnete Stadtansicht von 1745 läßt merkwürdigerweise
Zinnen und darunter Schießscharten sehen. Eine solche Verdopplung gab es
natürlich niemals [?!]. Die Verzeichnung könnte aus dem beobachteten Neben-
einander von beiden Arten von Schießlöchern entstanden sein.

Die Tortürme.
Von den drei zur Stadtmauer von Anbeginn angehörenden Türmen an den
Toren der Ausfallstraßen nach Steinau, Liegnitz-Breslau und Glogau ist nur
der letztere der Vernichtungswelle des 19. Jahrhunderts entgangen. Die Kennt-
nis der Form der anderen zwei Tortürme kann nur aus den zur Verfügung
stehenden Abbildungen gewonnen werden. Der zu Rate zu ziehende Stadt-
grundriß von 1850 läßt uns im Stich, weil damals die Türme bereits ganz oder
zum Teil abgetragen waren. Bei der Einheitlichkeit der Stadtmauererrichtung
darf jedoch von vornherein mit einer gewissen Übereinstimmung in der Ge-
staltung der Tortürme gerechnet werden.

Der Glogauer Torturm erhebt sich auf quadratischer Grundfläche mit 7,40 m
langen Seiten 18 bis 20 m hoch. Ursprünglich mögen es nur etwa 10 m ge-
wesen sein, eine Aufstockung wäre dann der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts
zuzuschreiben. Die Wehrplatte der ersten wie der zweiten Turmfassung mit
deren Zinnenbrüstung ist abgebrochen worden, so daß noch 2 bis 3 m zu der
jeweiligen Höhe dazuzurechnen sind. Der Abschluß tritt jetzt mit einem schlanken
eingezogenen Zeltdach in Erscheinung. Die Wandstärke von 2,20 m verringert
die Raumausdehnung erheblich. Die Tordurchfahrt lag neben dem Turm und
bestand wie etwa in Namslau neben dem Krakauer Torturm in einem dem
Charakter der späteren Entstehungszeit entsprechenden Wölbungsbogen mit
einer bis zu 6 m hohen Wand darüber mit Eintiefung oder Pfalz zur Aufnahme
der Zugbrücke oder des Fallgatters. Diese Form der Durchfahrt können wir
aus der abweichenden Färbung eines bis zur Höhe von vielleicht 12 m sich
erstreckenden Streifens von Mauerbreite an dem den Glogauer Torturm unsach-
gemäß und unkünstlerisch überziehenden Putz vermuten. Die notwendige Ent-
fernung des Putzes wird Klarheit in der Frage der einstigen Torgestaltung
bringen.

Der Steinauer Torturm steht im Vordergrund des F. B. Wernerschen Stadt-
Prospektes, derselbe derbe Quader, jedoch mit Sattel- oder Schneidendach
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 95 Abb. 57. Mauer-, dann Glockenturm der ev. Stadtpfarrkirche zu Lüben.
Aufnahme von Stadtbaumeister Hans Keller.

abschließend. Er flankierte die Torpassage, wenn wir auf dem Stadtmauerplan
die südlich anstoßende Mauerverdickung als Rest einer Turmwand deuten
dürfen.

Der Liegnitzer oder Breslauer Torturm im Süden nahe bei der Burg tritt auf
dem Stadtprospekt nicht hervor. Auf dem Stadtmauerplan ist in dieser Durch-
fahrt ein vollständig vor den Bering vorgeschobener Raumkörper mit geviert-
förmigem Grundriß und Strebepfeilern an den beiden Außenecken eingezeichnet.
Dieser so aufgenommene Bau ist kaum der gotische Torturm, der um 1850
schon abgebrochen war. Er ist als kurzes Walltor des 15. Jahrhundert anzusehen.
Eine Pforte verrät uns die aus einem Kirchenbilde von 1745 entnommene West-
ansicht der Stadt. Der Mauerdurchbruch diente dem Zugang zu dem am Ende
des 14. Jahrhunderts außerhalb der Stadt eingerichteten neuen Begräbnisplatz
und lag nach der Zeichnung, die aber durch die Übertragung auf einen Druck-
stock verkehrt* wurde und als Spiegelbild* anzusehen ist, südlich*, in Wirklichkeit
nördlich des Glockenturmes*. Das vorgelegte Torhaus ist spätere Erweiterung
und stammt aus dem 15. Jahrhundert.

* Alle Bilder zu diesem Mauerdurchbruch neben dem Glockenturm zeigen, dass die
Zeichnung die Seitenverhältnisse richtig wiedergibt. Wer erklärt den Widerspruch? H. T.


Mauertürme und Scharwachthäuschen. Mauertürme, d. h. in den Bering in Abständen eingefügte massive turmartige
Baukörper, gab es an der ersten ursprünglichen Stadtmauer noch nicht. Sie
war ein nur von den drei Toren durchbrochener Gürtel. Erst zu Anfang des
15. Jahrhunderts begannen die Stadtbaumeister mit der Einfügung von solchen
auskragenden Flankierungstürmen oder Wig- (Weich-) häusern, wie sie auch
heißen. Wenn es an der Stadtseite offene, also halbe Mauertürme waren,
nannte man sie Schalen. Die Knickstellen des Beringes wurden bei der Ver-
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 96 teilung der Mauertürme besonders berücksichtigt. Zu lange gerade Mauer-
abschnitte erhielten ebenfalls derartige Unterbrechungen. Eine Distanz von 40
bis 50 m wurde um 1400 angestrebt. Sie überragten die Stadtmauer meist nur
um zwei Meter, d. h. um die Höhe ihrer Wehrplattenbrüstung, die von Schieß-
scharten nach den drei Feldseiten durchlöchert war.

Von den einstigen Mauertürmen sind in Lüben noch einige erhalten, je einer
im Nordwesten in den Höfen des Pfarr- und des Glöcknerhauses am Kirchplatz,
drei oder vier Exemplare auf der Ostseite an dem auf dem Gelände des ehe-
maligen Wallgrabens angelegten Grüngürtels und der als Glockenturm aus-
gebaute hohe Quader auf der Westseite an der evangel. Pfarrkirche. Der ab-
gebildete Mauerplan enthält 14 Stück einschließlich des Glockenturmes. Konrad
Klose beziffert sie in seiner Chronik auf S. 32 auf 14 und nimmt mit Recht
eine Erweiterung ihres ehemaligen Bestandes um 2 bis 3 Stück an. Die Grund-
fläche dieser 2,5 m vor die Mauer tretenden, r. 8 m breiten Quader mißt durch-
schnittlich 30 bis 40 qm.

Bei allen verbliebenen Mauertürmen muß man sich die fehlende, die Stadt-
mauerbrüstung überragende Wehrplatte, den Standort der Schützen, dazu-
denken, ebenso das Dach darüber. Die Wandstärke von 1,65 m verleiht ihnen
eine gewisse Stabilität, die in dem an der Nordwestecke vor die Mauer nur
2 m sich vorschiebenden, hier abgebildeten Quader einen jüngeren Vertreter
erhalten hat. Auf Feldsteinsockel von 7,40:4,30 m Seitenflächen erhebt er sich
im ersten Abschnitt r. 8 m hoch, mit einem zweiten zurückspringenden noch
r. 2,2 m. Dazu ist die fehlende Wehrplattenbrüstung mit 2 m zu ergänzen. Die
Zugänge in Form der mit einem Kielbogen überspannten, 5 m breiten Eingangs-
öffnung sowohl wie die im Stichbogen überwölbte für den Einstieg von dem
Wehrgang der schräg anfallenden Stadtmauer sind mit Ziegeln zugesetzt. Seine
Stellung an einem neuerdings feldseitig angelegten städtischen Schmuckplatz
wird die energische Aufnahme seiner Pflege rechtfertigen.

Der gewichtigste und bei weitem höchste, weil als Wartturm ausgebaute
Mauerschutz war der zugleich als Glockenturm für die daneben befindliche
Pfarrkirche erstellte Quader auf ausgedehnterer Grundfläche von 9:9 m. Sein
Standort im Zuge des Beringes weicht insofern von der Stellung der anderen
Mauertürme ab, als er sich auf der Feldseite bündig mit der Außenfläche der
Stadtmauer in ähnlicher Abschnitt-Teilung wie der vorher besprochene Mauer-
turm erhebt. Die Aufstockung mit Gliederung der Wände durch kielbogig über-
wölbte Nischen ist aus der beigegebenen Abbildung ersichtlich. Sein Ziegelformat
28:13:9 cm gestattet seine Datierung zu Beginn des 15. Jahrhunderts.

Eine andere Art des Beringschutzes wurde durch niedrige, auf den dann durch
eine tragende Konstruktion verbreiterten Stadtmauerrücken gestellte Wacht-
häuschen
mit Schießscharten in den Außenwänden oder durch ähnliche Auf-
bauten, die als Gußerker eingerichtet waren, angestrebt. Die Scharwacht-
türmchen haben wir bereits an der Liegnitzer Stadtmauer kennen gelernt und
finden auf S. 17 Abbildungen davon. Hier in Lüben hat sich bisher kein An-
zeichen am Stadtmauerrand für das einstige Vorhandensein wenigstens einer
Tragekonstruktion für solche Aufbauten feststellen lassen. Da leistet die Stadt-
ansicht von 1745 den sehr erfreulichen Dienst, daß sie uns das frühere Vor-
handensein zunächst eines derartigen Häuschens oder eines Gußerkers über-
liefert. Er sitzt auf dem Bilde links von der Pforte und hatte anstatt eines
teureren Turmes den Schutz jener zugeteilt erhalten. Wo noch etwa solche
Mauerverstärkungen saßen, kann noch die Beobachtung bei gelegentlichen
Freilegungen von Beringteilen beim Abbruch sich anlehnender Gebäude aus-
findig machen.
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 97 Abb. 58. Mauerturm am Garten des Pfarrhauses.
Rechts: Stadtmauer mit Einstiegöffnung darüber im Turm.
Aufnahme von Stadtbaumeister Hans Keller.

Wallschüttung und Zwingertorbau.
Im Stadium der ersten Vervollkommnung der Feuerwaffen errang sich die Erd-
befestigungsweise erneuten Zuspruch. Der Schutz der Mauer gegen Artillerie-
geschosse war nur durch Aufschüttung eines Walles an ihrem äußeren Fuße
zu erreichen. Die Verbreiterung des Stadtgrabens zum Zwecke der Verlegung
des jenseitigen Ufers und damit des Standortes der Geschütze in größere Ent-
fernung ging mit der Durchführung Hand in Hand. Nach der unter Friedrich dem
Großen einsetzenden Wallabtragung blieben die dazugehörigen Zwinger- oder
Walltore als einzige Zeugen auf den alten Stadtplänen und Ansichten. Der
Stadtgrundriß von 1850 verhilft zur Kenntnis des einstigen Zustandes der Tor-
anlagen. Das Liegnitzer Tor besaß den am wenigsten umfangreichen Zwingerhof,
wenn wir den nicht sehr starkwandigen vorgeschobenen Bau als solchen und
nicht als Torturm ansehen. Vielleicht war es das früheste und darum in der
Folge primitiv gebliebene Walltor, einzig als Durchfahrt durch den Wall mit
schützenden Seitenwänden gegen die Erdmassen und gewölbter Durchfahrt an
der Stirnwand und einem Satteldach darüber.

Etwas stattlicher sah das Glogauer Walltor im Norden aus. Es war breiter
und besaß neben der Durchfahrt einen kleineren Durchgang für Fußgänger, eine
sogenannte Schlupfpforte. Am stärksten und modernsten gestaltet war das
Steinauer Tor im Osten. Außerhalb der eigentlichen Wallpassage führte ein
etwa 25 m langer tunnelartiger Bau in wehrtechnisch beabsichtigter Schräg-
richtung ins Freie. Die beträchtliche Ausdehnung setzt die Existenz eines
ebenso breiten durchquerten Walles voraus. Demnach hatte Lüben mit einer
Wallbefestigung großen Umfanges wie Liegnitz auf der Oderseite begonnen,
Die schlesischen massiven Wehrbauten, Kurt Bimler, Heydebrand-Verlag, Breslau, 1943, S. 98 wenn nicht gar auf allen Seiten durchgeführt.

Die Lübener Burg
Der Charakter des gelegentlichen Residenzortes der Liegnitzer Herzöge hat
durch die fast restlose Vernichtung der Burggebäude an Zauber und erfreuenden
Gestaltungsausdruck unersetzlichen Schaden erlitten. Lediglich die Burgkapelle,
auch diese arg mitgenommen, legt heute von der einstigen Existenz eines sie
hegenden landesherrlichen Hofes Zeugnis. Ein köstliches Sandsteintympanon
mit den Figuren Christi, Mariae Magdalenae, der heiligen Hedwig und des
Stifters mit Gattin am Eingang zur Kapelle zeugt mit Stil und Inschrift für das
Jahr des Erbauung durch Herzog Ludwig I., als die Burg auf ein hundert-
jähriges Bestehen zurücksah.

Das verschollene älteste Bild der Stadt aus dem Jahre 1613 soll nach des
Chronisten K. Klose eine breitere Darstellung des Burgkomplexes enthalten
haben. Uns steht nur F. B. Werners Prospekt zu Gebote. Die Ausbeute ist ein
kurzer stämmiger Turm aus Feld- und Bruchstein mit renaissancemäßigen
Halbkreiszinnen, rechts daneben ein Hauswürfel mit nicht hohem Satteldach
und im Hintergrunde das schlanke, noch vorhandene Türmchen der Kapelle.
Die so gewonnene Kenntnis vertieft sich, wenn wir den Stadtmauerplan zu
Hilfe nehmen. Die Kapelle, vor die Ringmauer weit vortretend, fällt uns zuerst
auf. Ihre schwächeren Chorwände verraten eine jüngere Raumerweiterung
des 17. oder 18. Jahrhunderts, als sie für die katholische Gemeinde von Lüben
als Kirche eingerichtet wurde. Dann bemerken wir den Turmgrundriß, dessen
sehr starke Wände 10:12 m lang sein mögen. In der entgegengesetzten Ecke
stellt das schon registrierte kubische Gebäude, das mit seiner Grundfläche
von r. 14:18 m das zweigeschossige Wohnhaus oder das nach Fr. Lucaes Bericht
nach 1675 neu erbaute Amtshaus ist. Denn vom eigentlichen Palas war nach
desselben Gewährsmannes Worten 1689 "nichts mehr davon übrig als die
starke Seitenmauer ohne Fenster, Tor und Gemächer". Den Ruin hatten die
Belagerungen im Dreißigjährigen Kriege auf dem Gewissen.

Die Enge des Beringes erhält einen Ausgleich durch die Ausgedehntheit von
Wall und Graben. Die Gestaltung des Walltores können wir ebenfalls aus dem
Grundriß ablesen. Die Breite des späteren modernisierten, gegen die Stadt
beibehaltenen Burggrabens verrät uns der noch um 1900 vorhandene Teich,
welcher ein Rest des sonst eingeebneten Grabens war.