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Wolfhart Stiller läßt uns am Leben seines Vaters Willi Stiller teilhaben. Er wurde 1887 in Bromberg geboren und starb 1948 in Berlin. Nach nur 8-monatiger Ausbildung bei der Kavallerie in Lüben kam er als Soldat im 1. Weltkrieg zuerst nach Frankreich, dann in die Karpaten, nach Ostpreußen und schließlich wieder nach Frankreich.
Er überlebte den Krieg und hinterließ Bilder und Dokumente seines Lebens. Er hat alle Fotos mit Informationen versehen, die immer wichtiger geworden sind, weil sie den Nachgeborenen seine Lebensumstände erläutern. So beschreibt er nebenstehendes Foto mit den Worten: "Als Soldat vom 27.10.1915-10.12.1918. In meiner kleinen Garnison in Lüben i. Schlesien bei den 1. Ulanen 1915."
Auf der Ansichtskarte der Lübener von-Bredow-Kaserne informiert er darüber, dass während des Krieges die Ulanen aus Militsch nach Lüben verlegt wurden und sich die Kaserne mit den Lübener Dragonern teilten.
Danach folgt eine Aufnahme seiner Eskadron Ulanen Nr. 1 (siehe Mützen). Dazu erklärt er: "Letzter Tag in meiner kleinen Garnison Lüben i. Schl. 5.6.1916: 1 Feldwebelleutnant Kircher, 2 Major Freiherr von Willisen, 3 Dr. Wachsmann, 4 Halter, 5 Stiller."
Auffallend und anrührend, wie die jungen Männer ihre Blumensträußchen präsentieren. Willi Stiller hält seinen Strauß sogar demonstrativ in der Hand. Vielleicht das Abschiedsgeschenk seines Mädchens, so für immer festgehalten.
Sie waren auf dem Weg nach Verdun, wo die Schlacht vor Verdun noch immer tobte. Keiner der jungen Männer wusste, ob er je zurückkehren würde. Dabei hatte er in Lüben ein Mädchen kennengelernt, Lotte Albrecht.
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Willis Zimmer (mit einem Kreuz gekennzeichnet) liegt im 2. Gebäudeteil von links im 1. Stock, 2. Fenster von links. Sein "Wohnkamerad Gutsbesitzer Humbsch" ist auf einem der Fotos weiter unten zu sehen.
Wie Soldaten zu allen Zeiten - in Friedenszeiten - beweist auch Willi Stiller Witz und Übermut mit diesem Foto und der entsprechenden Beschreibung auf der Rückseite einer Feldpostkarte an seine Mutter vom 12.4.1916:
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"Liebe Mutter! Bei einem Ausflug überfielen wir diese Postkutsche eines Dorfes trotz Sträubens der Führerin. Leider ist das Bild nicht ganz scharf. Ich sitze neben dem weiblichen Kutscher. Deinen Brief habe ich erhalten. Sonst geht es mir gut. Es grüßt vielmals Dich und Gertrud Dein Sohn Willi."
Als Absender gibt er die Kasernenstr. 10 in Lüben an! Das war nicht die Kaserne, sondern ein Mietshaus in der Straße, in der meine Großeltern bis zur Flucht aus Schlesien im Januar 1945 in der Nr. 13 wohnten!
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Hier zwei weitere Aufnahmen aus friedlichen Zeiten. Willi Stiller ist leicht zu erkennen! Vielleicht finde ich noch die Stelle, an der die fünf "Posträuber" herumalberten. In den Wäldern um Lüben fanden sich solche Hütten für müde Wanderer. Nur kurze Zeit später ist ihnen vor Verdun der Spaß vergangen.
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Diese leider so undeutliche Abbildung zeigt den Garten des Logierhauses mit Cafè Waldfrieden von H. Baumgart in Vorderheide! Könnte das nicht die gleiche Holzhütte sein wie auf dem Bild darüber? Ich seh Willi Stiller und Lotte Albrecht dort sitzen!
Pause am Schießstand. 1915 kurz vor der Einberufung. Nicht mehr lange "reiten die Posträuber" so fröhlich... |
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Mit meinem Wohnkameraden Gutsbesitzer Humbsch |
Ausflug mit Lotte Albrecht in die Umgebung von Lüben, Frühjahr 1916. War sie eine Tochter des Herrenschneiders in der Niederglogauer Straße 15? |
Auf den Stufen eines Kurhauses im Kreis Lüben. Die Tafel auf der Treppe bietet "Einzelne Zimmer an Kurgäste zu vermieten". Vermutlich war man noch nicht so freizügig, das auch unverheirateten Soldaten und ihren Liebsten zu offerieren... Ob wir gemeinsam das Kurhaus herausfinden werden? |
Letzter Tag in meiner kleinen Garnison Lüben i. Schl. 5.6.1916. Feldwebelleutnant 1 Kircher, 2 Major Freiherr von Willisen, 3 Dr. Wachsmann, 4 Halter, 5 Stiller. |
Die Dragonerkapelle mit Obermusikmeister August Pohlmann führt am 6. Juni 1916 den Nachschub an Dragonern und Ulanen zum Bahnhof, von wo aus es in den Krieg geht. Zu diesem Foto hat Willi Stiller vermerkt „Ausmarsch ins Feld, 6.6.1916.“ Der Pfeil zeigt auf ihn, den Soldaten, der mit Blumen in den Krieg verabschiedet worden ist. (Rückseite der Karte folgt.) |
Zu diesem Foto schrieb er: In Moineville vor Verdun. Ruhequartier der 4. Eskadron der 1. Ulanen, Juni 1916.
Rechts ist die Rückseite der Karte vom Marsch zum Bahnhof am Hotel Prinz Wilhelm vorbei am 6. Juni 1916. Er hatte wohl einen Kameraden gebeten, etwas für seine Mutter zu besorgen. Am 19. Juni 1916 schreibt dieser Kamerad: Werte Frau Stiller, die M. war bei mir bestellt, aber leider ist es mir nicht möglich etwas aufzutreiben, augenblicklich sind die Verhältnisse von M. u. F. sehr schlecht. Umseitig die letzte Aufnahme von Herrn Stiller am Bahnhof, ich denke Ihnen damit eine kleine Freude zu bereiten. Mit bestem Gruß B. Tschickert |
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Willi Stiller schreibt auf der Rückseite: Mein Ruhequartier in Moineville vor Verdun 1916. Von links: Willi Stiller, Schiller, Warmuth, Nesel, Pianowski, Halter. |
1916 Auf der Dorfstraße von Moineville vor dem Pferdestall. Das Pferd haltend Willi Stiller, außerdem Isower, Halter, Gerlach, Malschowski, Gumbert, Warmuth, Schiller. |
Auf diesen letzten Bildern gibt es keine lustigen Spielchen und Posen mehr. Angesichts des möglichen eigenen Todes und dem Zwang, vielleicht auch selbst einen Menschen töten zu müssen, haben die jungen Männer alles Kindliche und Jungenhafte verloren. Grausam der Gaskrieg, das monatelange Gemetzel um 100 m Bodenbreite, das Leben im Schützengraben und wie herzzerreißend das gemeinsame Weihnachtsfest der verfeindeten Kriegsparteien. |
Im Jahr 1936 - in seinem ersten Ehejahr - schrieb Willi Stiller seine Lebensgeschichte als Teil einer Familienchronik auf. Da nur sein Soldatsein einen Bezug zu Lüben hat, folgen hier die beiden Lüben betreffenden Seiten. Besonders berührt mich, dass Willi Stiller von Lüben grundsätzlich als von seiner "kleinen Garnison Lüben i. Schl." spricht! Wie liebevoll!
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Abschrift: An einem Sontag las ich in Potsdam das Telegramm von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers. Da dachte ich, das ist der Krieg. Schon während seines Aufenthaltes in Bromberg 1912 wurde viel von Krieg gesprochen. Die Welt beruhigte sich aber scheinbar wieder und so fuhr ich während der Sommerferien mit einem Segler nach Schweden.
Dort verlebte ich schöne Tage in einem abgelegenen Badeorte (Aarhus1). Ende Juli drangen bedrohliche Nachrichten auch bis dorthin. Und so ging es in Eile zurück nach Berlin. Hier erlebte ich den Kriegsausbruch. Die Begeisterung der Massen konnte ich nicht teilen. Vielleicht war es eine Ahnung von der Schwere des Kampfes, der uns bevorstand. 1915 wurde auch ich Soldat und nahm bis Ende des Krieges daran teil.
Sieben Monate verlebte ich in meiner kleinen Garnison Lüben i. Schl. bei der Ersatz-Eskadron der 1. Ulanen. Der Dienst fiel mir leicht, das Reiten fand ich herrlich. Es war ein wunderschönes Leben, das ich hier mit Humbsch, Wachsmann u. v. Manthey führte. Die Spazierfahrten am Sonntag mit Familie Albrecht verliefen wie in Friedenszeiten. Meine reichen Geldmittel kamen mir sehr zustatten. Während des Krieges wurde mir das volle Gehalt2 weiter gezahlt. Am 6.6.1916 ging es ins Feld nach Verdun zum Waldlager Süd. Eine Verletzung am Knie durch das Pferd verschlimmerte sich und ich mußte auf einige Wochen nach St. Avold (Lothringen) ins Lazarett. Kurz nach der Entlassung wurde das Regiment nach dem Osten verladen. Die Russen unter Brussilow hatten die österreichische Front durchbrochen. Zum Gegenstoß wurde das Karpatenkorps gebildet. Alle Kameraden freuten sich, von Verdun fortzukommen. Aber bald sehnten wir uns nach den Fleischtöpfen und Entlausungsanstalten Frankreichs zurück. Es gab in den Karpaten wohl weniger dicke Luft, dafür waren aber die Anstrengungen und Entbehrungen ungeheuerlich. Über meine Erlebnisse habe ich ein Kriegstagebuch geführt.
Im Jahre 1918 lag ich wieder zwischen Maas und Mosel vor Verdun. Jetzt war hier aber Erholungsaufenthalt für die abgekämpften Truppen der Westfront. Kurz vor Kriegsschluß wurden wir noch von den Amerikanern aus unseren schönen Stellungen herausgeworfen.
Das für uns Unwahrscheinliche geschah, Waffenstillstand, Frieden! Wir hatten uns so sehr an den Kriegszustand gewöhnt, daß wir den Frieden für unmöglich hielten. Fünf Minuten vor 12 Uhr schwoll noch einmal das Feuer, dann trat um 12 Uhr Ruhe ein. Ein Unterstand in unserem Frontabschnitt wurde durchschlagen und alle mußten...
(Folgeseite:) noch 5 Minuten vor Friedenschluß daran glauben. Drei Tage blieben wir noch in unseren Stellungen. Die wildesten Gerüchte schwirrten durch die Luft, Versammlungen fanden statt. Dann traten wir den Marsch in die Heimat an."
1 Heute die zweitgrößte Stadt Dänemarks an der Århusbucht, die zum Kattegat zwischen Jütland und der schwedischen Westküste gehört. |
2 Personalkarte des Lehrers Willi Stiller in der Archivdatenbank der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung |
Die von mir wegen des Geschäfts meines Großvaters Mochseite genannte Seite des Rings
In Lüben wurden die Soldaten zwar feierlich auf dem Ring empfangen. Aber das Kriegsende machte deutlich, dass sie ihre besten Jahre sinnlos geopfert hatten. Dragoner- und Ulanen-Regimenter wurden gemäß Versailler Vertrag aufgelöst. Seine Geburtsstadt Bromberg fiel 1920 an Polen. Willi Stiller zog nach Berlin, wo seine Kinder und Enkel noch heute leben. Dass Willi Stiller nicht auch in den nächsten Weltkrieg musste, war seiner angeschlagenen Gesundheit geschuldet. Er war zu Beginn des zweiten Weltkrieges noch nicht 60, sonst wäre er zum Volkssturm eingezogen worden. Was für ein Leben!
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Ein herzliches Dankeschön für die Erlaubnis, aus dem Leben Ihres Vaters in Lüben zu berichten, lieber Herr Stiller! H. T. |
Mehr über die
Dragoner-Aufmärsche,
Reithalle,
Kleine Kaserne,
Bredow-Denkmal,
in Klose-Chronik,
Geschichte,
Dragoner 1872/73,
Jubiläum 1899,
Dragoner-Nachrichtenblatt 1926-1932
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