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Der Name der Familie Jüngling taucht in der Chronik des Pfarrers Konrad Klose zum ersten Mal in Zusammenhang mit dem großen Brand Lübens im Jahr 1752 auf. Wenn ich daraus auch keine runde Biografie machen kann, möchte ich jedoch durch Auszüge aus verschiedenen Texten an diese Lübener Gastwirtsfamilie Jüngling erinnern! Vielleicht gibt es Nachfahren, die dazu beitragen können, mehr zu erfahren!
Beginnen wir mit Konrad Klose: "Die Bauleitung beim Wiederaufbau wurde dem Oberbaudirektor Hedemann übertragen. Ihm verdankt Lüben, daß das Stadtbild seiner charakteristischen Züge entkleidet und des Zaubers des Altertümlichen beraubt worden ist, so daß es durch seine Reizlosigkeit und Nüchternheit dem anderer schlesischer Städte außerordentlich nachsteht. Hedemann wollte die Gelegenheit benutzen, das Straßennetz zu regulieren. Er gedachte, das Liegnitzer Tor zu verlegen und in der Fluchtlinie der Liegnitzer Straße einen gradlinigen Straßenzug herzustellen. Die Pforte an der evangelischen Kirche sollte kassiert und an ihrer Stelle ein Ausgang für Fußgänger, etwa in der Gegend der jetzigen Bahnhofstraße, geschaffen werden. Die alten Lauben, welchen den Ring umgeben hatten, verschwanden für immer. Mit Mühe und Not erreichte der Gastwirt Jüngling, daß die massive, über 4 Pfeilern gewölbte Laube am Grünen Baum, welche der Vorbesitzer Stahn errichtet hatte, erhalten blieb."
Eine Ergänzung dazu bot das Lübener Heimatblatt 11/1959 mit einem Artikel über die Geschichte des Hauses:
"Das einst vorhandene Urkundenmaterial über den "Grünen Baum" reichte bis zum Jahre 1719 zurück. Damals wurden Haus und Gasthof an Samuel Stahl verkauft. Der neue Besitzer ließ das Haus massiv erbauen, was eine besondere Neuerung darstellte, da alle übrigen Häuser in Lüben fast ausschließlich aus Holz und Fachwerk bestanden. Im Jahre 1752 kaufte die Familie Jüngling den "Grünen Baum".
Es gibt zwar keine Fotos aus dieser Zeit. Aber Dr. Oswald Baer beschreibt in Konrad Kloses Chronik von 1924 aus eigener Kenntnis sehr anschaulich den Gastwirt Jüngling aus der zweiten Hälfte des 19. Jhds., den Nachfahren des Eigentümers aus dem 18. Jhd:
"Dem Rathause reiht sich würdig an der erste Gasthof der Stadt, der Grüne Baum. Hier konnten sich ja die Herren Senatoren und Stadtverordneten nach schwerer Sitzung bei einem guten Schoppen erholen oder die Streitaxt begraben, mit der Bürgerschaft Kaisers Geburtstag feiern und im Saale des ersten Stocks Ressourcen-Bälle abhalten. Ein großes, gewichtiges Gebäude, der "Grüne Baum"! Zwar, wie schon gesagt, der grüne Baum fehlte ihm, aber trotzig wie ein Offizier sprang es mit seinem Laubengewölbe, dem einzigen der Stadt, vor die Front der anderen Häuser, und Holtei* schon hat in seinen "Vierzig Jahren" ihm und seinem Wirte, dem Herrn Jüngling, ein literarisches Denkmal gesetzt.
Dieser Herr Jüngling war schon zu meiner Zeit kein Jüngling mehr, sondern ein schlanker, sehniger Mann mit kurzgehaltenem grauen Haar und Bart, Gatte einer zierlichen Frau, die das Haus regierte, Vater eines Sohnes und vieler Töchter. Und Herr Jüngling war auch nicht nur Gastwirt, sondern auch Posthalter, d. h. er mußte alles Fuhrwerk, das die Post brauchte, besorgen. Damals, wo die Eisenbahnen - um ein kühnes Bild zu gebrauchen - noch in den Kinderschuhen steckten, belebten noch viele gelbe königliche Wagen mit pistonblasenden uniformierten Postillionen unsere Landstraßen...
Die ganz vornehmen Leute freilich leisteten sich damals eine Extrapost. Zu all diesen Posten, den gewöhnlichsten und außergewöhnlichsten, gehörten aber Pferde, und zu den Pferden Hafer, Stroh und Ställe, also eine richtige Landwirtschaft. Herr Jüngling war demnach auch Landwirt. Soviel ich weiß, hatte er keinen eigenen Acker, sondern pachtete ihn von der Stadt, die einen großen Landstrich besaß zwischen der Polkwitzer Chaussee und der Kalten Bache bis hinauf zur Sperlingsmühle, die mit der Landstraße durch eine, wohl schon unter Friedrich dem Großen angelegte Maulbeerbaum-Allee verbunden ist. Auch mein Vater hatte in der Gegend, wo jetzt der Wasserturm der Heilanstalt steht, 6 Morgen gepachtet, auf denen ich nach der Ernte fleißig Kühe hüten mußte. Und oft kam der Herr Jüngling über seine Felder geschritten, hielt bei mir an und hatte immer ein freundliches Wort, manchmal sogar einen Dreier für mich, den ich in Obst oder einen Bilderbogen umsetzen sollte."
Was für eine Überraschung, diese Rechnung des Hotelinhabers E. Jüngling aus dem Jahr 1870 im Internet zu entdecken! Sie gibt uns Einblick in das Angebot und die Preise des Hotels, sowohl für die Gäste als auch für deren Pferde.
Neben der interessanten Schreibweise von Beheitzung, Butterbrodt, Kaffe, Thee und Liqueur sind die Preise aufschlussreich. Laut Wikipedia galt bis 1871/73 in Preußen ein Reichsthaler (hier: Rsthlr.) als 30 Silbergroschen (Sgr.) zu je 12 Kupferpfennig. 1871-1873 wurde in allen deutschen Ländern der Taler durch die Goldmark zu je 100 Pfennig abgelöst, die 1/3 Taler entsprach. Für Übernachtung (3 Nächte oder 3 Personen) und Essen sowie Standgeld für Pferde und Kutsche mussten also laut Rechnung 1 Rsthlr.+15+6+12+2 Sgr=2 Rsth.+5 Sgr. bezahlt werden. Ob das preiswert oder teuer war, könnte nur ein Vergleich mit anderen Hotelpreisen zeigen.
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"Der Grüne Baum war auch stets Zeuge von dem großen Leben und Treiben, das sich bei den Besuchen Friedrichs des Großen auf dem Lübener Marktplatz abspielte. Der König selbst hat in den gastlichen Räumen des angesehenen Gasthauses nie geweilt. Er nahm stets in dem Hause des Generals von Krockow Quartier. Nach dem Tode seines Vertrauten bezog er das Palais des Herzogs von Württemberg, das wir als Württembergisches Palais kennen und das zuletzt im Besitz der Familie Baumeister Hübner war. Wer aber Gelegenheit hatte, die Fremdenbücher des "Grünen Baum" zu durchblättern, der konnte manche Erinnerung an bedeutsame geschichtliche Vorgänge finden. Lüben wurde Zeuge mancher Geschehen, und so erlebte es, daß 1813 Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., Prinz Friedrich, Staatsrat Hufeland und das Gefolge im "Grünen Baum" gewohnt haben." Lübener Heimatblatt 11/1959
Noch einmal Konrad Klose: "Im Lübener Stadtblatt 1879 erzählt der Lübener Kanzleirat Gringmuth, daß Karl XII. in dem Hause des späteren Kämmerers Joh. Benjamin Jüngling (Ring 29) übernachtet habe. Die Fensterscheibe, in welche der König mit seinem Diamant eine Krone und darunter Karl XII. eingeritzt hatte, sei noch 1824 zu sehen gewesen."
Mehrmals erfahren wir, dass Gasthofbesitzer Jüngling Stadtverordneter, später sogar Stadtverordneten-Vorsteher und Kämmerer war, z. B. hier: "Die neuen Stadtverordneten, welche am 6. April 1852 vom Bürgermeister Krause durch Handschlag verpflichtet wurden, waren u. a. Gasthofbesitzer Jüngling... Im Förstergarten (auch Jünglingsgarten genannt) veranstaltete der Besitzer des Grünen Baums Jüngling gelegentlich Gartenkonzerte. Der Garten wurde zuletzt in die Gestaltung der Promenaden einbezogen." Oskar Hinke erinnerte 1928 daran, dass "der spätere Wirt des "Grünen Baums" Jüngling das Franzosenhäusl hat in den ihm gehörenden Garten versetzen lassen."
* Und abschließend noch einmal zum Satz von Dr. Oswald Baer, Karl von Holtei habe schon in seinen "Vierzig Jahren" dem Grünen Baum und seinem Wirte, dem Herrn Jüngling, ein literarisches Denkmal gesetzt. Ich habe die Geschichte gesucht und dank Google-Books gefunden!
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Noch ein Jahr in Schlesien
Anhang zu den "Vierzig Jahren" von Karl von Holtei
Erster Band Breslau Verlag von Eduard Trewendt 1864
Lüben, Sonntag, den vierzehnten (April 1861).
Für Einen, der erst zwei Stunden nach Mitternacht ins Bett gekrochen, war es zeitig genug, daß er um neun Uhr schon vor seinen Koffern stand. Zu rechter Zeit befand ich mich auf dem weit genug entfernten Bahnhofe und saß bald in dem Wagen, der mich bis Klopsche brachte, wo mich die von Polkwitz entgegengesendete Extrapost erwartete. In dieser fand ich, auf dem Wege hierher, ungestörte Muße nachzusinnen, über einen Auftritt am Klopschen Bahnhofe. Daselbst hatte ein hochstehender Prediger mich angeredet, mir gute Reise gewünscht und zugleich ermahnt: "ich möge, nachdem ich menschlichen Celebritäten (z. B. Lessing) in meinen Vorträgen Reverenz erwiesen, doch endlich auch daran denken, dem Herrn die gebührende Ehre zu geben. Unter "Herr" versteht man jetzt in manchen lutherischen Kreisen nicht etwa Gott den Vater, sondern ausschließlich Gott den Sohn. Mir will's nicht in den Kopf, daß der Sohn eines ewigen, allmächtigen, unsterblichen Vaters Herr sein solle; und ich mag's wenden, wie ich will, immer bleib' ich dabei stehen, daß ich als kleines Kind schon lallen lernte: "der liebe Herrgott!" und daß ich auch als sterbender Greis Geist, Herz und Sinn nach Ihm richten werde, dem einzig Einen wahren Gott und Schöpfer. Uebrigens sind wir von Polkwitz nach Lüben mehr geflogen als gefahren. Hier bezog ich die Zimmer, in welchen ich einst (1845) mit dem aus Berlin kommenden, eiligst durchreisenden Fürsten ** eine Zusammenkunft hatte, die zwar nur zwei Stunden währte, doch deren Folgen unabsehbar geworden sind. Was kann in sechszehn Jahren geschehen! Und immer kommt's ganz anders, als unsere Maulwurfs-Scharfsichtigkeit vorhersehen möchte!
Montag, den fünfzehnten (April 1861) Es wird wieder empfindlich kalt, und meine Zimmer, besonders das kleine, worin ich schlafe, sind gar nicht zu erwärmen, obwohl die Sonne kokettiert mit uns armseligen Erdenwürmern. Herr Bürgermeister Gleist ist so barmherzig gewesen, mich wandelnden Eiszapfen zu Kreisgerichts-Direktor Bassenge, Kreisrichter Goehlich und Dr. Glotz in eigener Person zu begleiten, als welche Herren mit ihm in Gemeinschaft mich nach Lüben vociret [gerufen] hatten. Auch den Saal nahmen wir in Augenschein - abermals ein Löwe! Derselbe soll heute noch den hier zum Markte Versammelten als Tanzboden dienen und sieht nicht gar einladend aus. Doch Noth kennt kein Gebot. Zum Mittagstische war ich in dem von mir bewohnten "Grünen Baum" - ich brauchte nur über den Flur in den Speisesaal zu gehen! - gastlich eingeladen. Die am frohen Mahle theilnehmenden Herren wiesen sich als dieselben aus, welche unter'm siebenten März eine telegraphische Depesche begrüßend an mich erlassen und mich dadurch sehr erfreut haben. Der Wirth zum grünen Baum führt seinen Namen "Jüngling" mit der That. Er ist so rüstig, wie da ich ihn - Gott weiß wann? - das erste Mal gesehen. Und sein Tisch und seine Weine behaupten dauernd den wohlverdienten Ruf. Den Abend brachte ich in der Familie des Herrn Kreisgerichts-Direktors zu, wo ich mich ein Bischen erwärmte. Desto mehr frier' ich jetzt. Ich bin steif und starr. Und das Bett sieht mich an, wie ein Eisgrab.
Dienstag, den sechszehnten (April 1861)
Ich hab's tüchtig weg. Eine Erkältung, wie man sich nur aus Rußland verschreiben könnte. Doch das ist ein albernes Gleichniß. Nirgend ist der Mensch besser gegen Kälte geschützt, als im Norden; nirgend hat er mehr von ihr auszustehen, als im Süden. Es war ein peinlicher Tag, den ich durchklapperte. - Im Lesesaal war's freilich glühend heiß; da heizten die Zuhörer ein, und ich mir nicht minder. Desto härter packte mich der Schüttelfrost beim Nachhausefahren. Ich möchte wissen, ob mein in Bunzlau faullenzender Pelz so oft an mich denkt, wie ich an ihn?
Liegnitz, Mittwoch, den siebenzehnten (April 1861) Hierher wieder einmal mit lebendem Gespann gefahren. Und ohne Gewissensbisse wegen Verschwendung. Zwischen Liegnitz und Lüben geht noch keine Eisenbahn. Ich habe meinem Gedächtnisse verbotenus [wörtlich] Tieck's Aeußerung eingeprägt, die sein Biograph Dr. Köpke so deutlich wiedergiebt: "der schneidende Luftzug, der Kohlenstaub, das Gerassel der Schienen, das Menschengewirr, die Eile. Alles war ihm unerträglich und übertäubte ihn…" |
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